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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Dezember 1992, Zl. 4.306.367/4-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 14. November 1990 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 14. November 1990 durch die Bundespolizeidirektion Schwechat gab der Beschwerdeführer im wesentlichen an, es sei für ihn unmöglich, bei den derzeit herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen im Iran zu leben. Er halte die fortwährenden Zwänge nicht mehr aus; man werde dauernd unterdrückt, sein Hund sei getötet worden und man dürfe "nicht einmal mit einer Freundin auf die Straße gehen". Er habe sich deshalb entschlossen, den Iran zu verlassen und zu einem Bekannten nach Österreich zu kommen, dort wolle er zumindest vorerst bleiben. Er habe in Persien alles verkauft und hätte dort keine Existenz mehr. Er sei direkt von Teheran nach Wien per Flugzeug gekommen.
In der Folge legte der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren eine "Bestätigung" vor, aus der sich ergebe, daß er über S mit der "Organisation der revolutionären Arbeiter des Irans (Rahe Kargar)" in Verbindung gewesen sei. Er habe für diese Organisation in der Armee politische Aktivitäten durchgeführt, weshalb die Möglichkeit bestanden habe, verhaftet zu werden. Er habe deshalb den Iran verlassen; falls er dort hin zurückkehre, bestehe die Gefahr, daß er verhaftet und hingerichtet werde.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. September 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner Berufung dagegen führte der Beschwerdeführer aus, daß er als Jugendlicher zunächst politisch weniger interessiert gewesen sei, bis ihm S die politischen Zusammenhänge "nähergebracht" habe. Dieser habe ihn mit regimekritischen Menschen und Ideen zusa.mengeführt. Auch bei seinem Einsatz an der Front sei es ihm gelungen, gegen das Regime zu arbeiten. Er stellte weiters den Antrag, S unter einer Adresse in Wien als Zeugen dazu vernehmen, ob er den Beschwerdeführer im Iran gekannt habe und ob er für ihn die Kontakte zu "Rahe Kargar" hergestellt habe; ob der Beschwerdeführer für die "Rahe Kargar" politisch aktiv gewesen sei und wie im allgemeinen Anhänger der "Rahe Kargar" vom iranischen Regime behandelt würden und ob sich solche Personen in Gefahr befänden, das Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden.
Schließlich führte der Beschwerdeführer noch aus, daß er von einem anderen Soldaten verraten worden sei, als er Flugblätter, die gegen das Regime und den Krieg gerichtet gewesen seien, verteilt habe. Als er nach Abschluß seines Wehrdienstes ein Entlassungsschreiben abholen habe wollen, sei er gewarnt worden, daß er dabei verhaftet werden solle. Er solle wegen seiner politischen Tätigkeiten während des Militärdienstes vor Gericht gestellt werden. Da er mit Mißhandlungen und einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen gehabt habe, sei er zur sofortigen Flucht gezwungen gewesen. Sein Vater habe ihn in der Folge versteckt. Der Beschwerdeführer habe zwei Jahre im Untergrund gelebt und sei gesucht worden; mit einem durch Bestechung erlangten Paß habe er schließlich ausreisen können. Aus Angst und auf Grund einer "falschen Information" habe er bei der Ersteinvernahme nur unwesentliches ausgesagt; er habe Angst gehabt, bei seiner Einvernahme am Flughafen sofort wieder abgeschoben zu werden. Auch sei ihm geraten worden, wegen der guten Beziehungen Österreichs zu den islamischen Staaten, insbesondere dann keine politischen (Flucht)Gründe anzuführen, wenn man für eine "linke Gruppierung" tätig gewesen sei.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubwürdig Fluchtgründe darlegen können. Die vorgelegte Bestätigung der "Rahe Kargar" stehe in Widerspruch zum sonstigen erstinstanzlichen Vorbringen. Das Berufungsvorbringen wiederum könne nicht als glaubhaft angesehen werden, da es gleichfalls vom erstinstanzlichen Vorbringen abweiche. Von der angebotenen Zeugenbefragung habe deshalb Abstand genommen werden können, da die belangte Behörde hiedurch zu keinem anders lautenden Spruch gekommen wäre; auch durch diese Aussage hätte sich der für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers erhebliche Widerspruch nicht aufklären lassen. Darüber hinaus sei es auf Grund der allgemein bekannten Lage im Iran unglaubwürdig, daß der Beschwerdeführer einen Reisepaß ausgestellt bekommen habe und mit diesem auch unbehelligt das Land habe verlassen können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei, dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz dieses Gesetzes, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Diese Auffassung trifft aber - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat - auf Grund der Auslegung der genannten Bestimmung sowie der des § 25 Abs. 1 erster Satz Asylgesetz 1991 deshalb nicht zu, weil der erstinstanzliche Bescheid erst nach dem 1. Juni 1992 erlassen wurde (Zustellung am 17. September 1992). Dies führt zwar noch nicht zwangsläufig dazu, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt wurde, ist doch die belangte Behörde zu ihrer abweislichen Entscheidung deshalb gelangt, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneint hat, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff brachte. Die unrichtige Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde wirkte sich aber dahingehend aus, daß die belangte Behörde - offenbar in unrichtiger Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 - es unterlassen hat, das Berufungsvorbringen näher zu würdigen. Die belangte Behörde hat nämlich unter Hinweis auf einen Teil des erstinstanzlichen Vorbringens des Beschwerdeführers das Berufungsvorbringen als unglaubwürdig abgetan. Wie der Beschwerdeführer aber zutreffend erkennt, hat sie damit den in der Berufung angebotenen Beweis der Einvernahme des Zeugen S dahin gewürdigt, daß bei Durchführung dieses Beweises für die Frage der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nichts gewonnen wäre. Sie hat damit diesen Beweis in unzulässiger Weise vorweg gewürdigt.
Auch soweit die belangte Behörde einen Schluß auf die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers aus der Tatsache seiner Ausreise aus dem Iran unter Verwendung eines Reisepasses zog, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer hat in diesem Zusammenhang nämlich ausdrücklich angeführt, den Paß auf illegalem Wege, nämlich durch Bestechung, erhalten zu haben, sodaß - im Gegensatz zur belangten Behörde - nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Beschwerdeführer (der Rechtsordnung des Iran gemäß) einen Reisepaß ausgestellt bekommen und mit diesem unbehelligt das Land verlassen habe.
Da nicht ausgeschlossen ist, daß die belangte Behörde bei Durchführung des beantragten Beweises im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers zu einer anderen Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit hätte kommen können, erweist sich der geltend gemachte Verfahrensmangel als wesentlich.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
Schlagworte
Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur Rechtsverletzungsmöglichkeit Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190125.X00Im RIS seit
20.11.2000