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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Kramer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde des A in T, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 13. September 1993, Zl. 12/79-3/1993, betreffend Verwaltungsübertretung nach dem Tiroler Kurzparkzonenabgabegesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 13. September 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 1. Dezember 1992 von 15.15 Uhr bis 15.51 Uhr in Innsbruck, Müllerstraße, sein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes mehrspuriges Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone geparkt, ohne die Parkometerabgabe durch einen ordnungsgemäß entwerteten Parkschein entrichtet zu haben, weil der Parkschein gefehlt habe. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 6 Abs. 1 lit. a des Tiroler Kurzparkzonenabgabegesetzes, LGBl. Nr. 52/1981, "in der geltenden Fassung" in Verbindung mit den §§ 1, 3 und 5 der Innsbrucker Kurzparkzonenabgabeverordnung (Gemeinderatsbeschluß vom 26. Jänner 1982) "in der geltenden Fassung" begangen. Gemäß § 6 Abs. 2 Tiroler Kurzparkzonenabgabegesetz 1981 wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, aus der Stellungnahme der Stadt Innsbruck, Amt für Straßenbau und Verkehrsanlagen, ergebe sich, daß die gegenständliche gebührenpflichtige Kurzparkzone mittels Verordnung ordnungsgemäß kundgemacht worden sei. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, daß ihm eine Kenntnisnahme der Verordnung nicht möglich gewesen sei, weil er sein Kraftfahrzeug bereits am 30. November 1992 in der Anichstraße geparkt habe und er lediglich am frühen Nachmittag des 1. Dezember 1992 in die Müllerstraße gefahren sei und somit das Verordnungsgebiet nicht verlassen habe, sei ihm entgegenzuhalten, daß er sich über die für Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften zu informieren habe. Es stelle keinen Kundmachungsmangel dar, wenn der Beschwerdeführer am Tattag die gegenständliche Fahrt innerhalb des Verordnungsgebietes ohne Überschreiten der Verordnungsgrenzen getätigt habe. Im übrigen sei das Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre am 1. Dezember 1992 nicht in das Verordnungsgebiet eingefahren, weil sich sein Fahrzeug bereits am 30. November 1992 in der Anichstraße befunden habe und er erst am frühen Nachmittag des 1. Dezember 1992 in die Müllerstraße gefahren und dort geparkt habe, nicht "besonders" glaubwürdig, weil dieses Vorbringen erstmals in der Berufung erhoben worden sei. In seinem Einspruch gegen die Strafverfügung vom 19. April 1993 habe er diesbezüglich noch nichts ausgeführt. Er habe lediglich angegeben, sein Fahrzeug in der Müllerstraße vor dem Lokal "Philippine" um ca. 14.30 Uhr geparkt zu haben, wobei weder eine Bodenmarkierung noch ein Hinweisschild auf die Kurzparkzone vorhanden gewesen sei. Es sei keine Rede davon gewesen, daß der Beschwerdeführer schon am Vortag in das Verordnungsgebiet eingefahren sei. Die vom Beschwerdeführer geführten Zeugen seien lediglich zum Beweis für die Nichtbeschilderung benannt worden, nicht jedoch dafür, daß der Beschwerdeführer schon am Vortag in das Verordnungsgebiet eingefahren wäre. Beim Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung handle es sich um reine Schutzbehauptungen. Aus diesem Grund habe die belangte Behörde auch keine Zeugen vernommen, da das angegebene Beweisthema "außer Zweifel gestellt" worden sei. Als weiteres Indiz dafür, daß der Beschwerdeführer nicht schon am 30. November 1992 in das Verordnungsgebiet eingefahren sei, habe die belangte Behörde die Tatsache gewertet, daß der Beschwerdeführer nicht in Innsbruck wohne, sondern in Telfes. Dies bedeute, daß der Beschwerdeführer, wäre er am 30. November 1992 in das Verordnungsgebiet eingefahren, dort auch übernachten hätte müssen. Dafür habe er jedoch keine Beweise angeboten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich "in seinem subjektiven Recht verletzt, einer strafbaren Handlung nur dann schuldig erkannt zu werden, wenn er diese auch begangen hat".
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit in der Beschwerde gerügt wird, daß die belangte Behörde "nur durch das Mitglied Dr. D und nicht in Senatsbesetzung entschieden hat", wird vom Beschwerdeführer offenkundig die Regelung des § 51 c VStG übersehen. Nach § 51 c VStG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Berufungen durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, wenn aber im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eines ihrer Mitglieder. Im vorliegenden Fall wurde im angefochtenen (erstinstanzlichen) Straferkenntnis eine Geldstrafe von S 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 12 Stunden) verhängt.
Der Beschwerdeführer bringt weiters als Verfahrensrüge vor, er habe im Rahmen der Berufung neues Tatsachenvorbringen erstattet, weshalb zwingend eine Berufungsverhandlung anzuberaumen gewesen sei. Das Absehen von dieser Berufungsverhandlung stelle einen gravierenden Verfahrensmangel dar. Dies umsomehr, als die belangte Behörde die Darlegung des Beschwerdeführers in der Berufung als Schutzbehauptung abtue und diesem die Glaubwürdigkeit abspreche. Gerade die Überprüfung der Glaubwürdigkeit sei aber ein wesentlicher Grund für die Normierung von Berufungsverhandlungen, weshalb mit der Entscheidung der belangten Behörde das Gesetz geradezu "ad absurdum" geführt werde. Gerade in der Berufungsverhandlung hätte etwa die Frage an den Beschwerdeführer gestellt werden können, ob er im Hinblick auf die von der belangten Behörde nunmehr vorgenommene Beweiswürdigung im Verordnungsgebiet genächtigt habe oder nicht.
Auszugehen ist davon, daß im Beschwerdefall die Beurteilung der subjektiven Tatseite strittig ist. Der Beschwerdeführer hat auf Verwaltungsebene (sinngemäß zusammengefaßt) vorgebracht, vor Kundmachung der in Frage stehenden Kurzparkzone in diese eingefahren zu sein und die Grenzen dieses Verordnungsgebietes bis zur spruchgemäß vorgeworfenen Tathandlung nicht mehr verlassen zu haben; der Beschwerdeführer habe derart von einer entsprechenden Beschilderung der Grenzen dieses Gebietes keine Kenntnis erlangt. Der Beschwerdeführer machte damit einen nicht von ihm zu vertretenden Rechtsirrtum geltend.
Gemäß § 5 Abs. 2 VStG - gemäß § 254 Abs. 1 FinStrG gilt für den Bereich des landesgesetzlichen Abgabenstrafrechtes das VStG - entschuldigt die Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 31. Jänner 1961, Slg. N. F. Nr. 5486/A) kann die Unkenntnis einer Verwaltungsvorschrift nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn jemandem diese Vorschrift trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung ist der Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich über die für Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften zu informieren, zu erwidern, daß dies im allgemeinen zutreffend sein mag (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1994, Zl. 94/17/0006); im - insoweit besonders gelagerten - Beschwerdefall ist jedoch entscheidend, ob auf Grund der besonderen (vom Beschwerdeführer behaupteten) Sachverhaltsumstände dem Beschwerdeführer die Wahrnehmung der gesetzmäßigen Kennzeichnung der Kurzparkzone (vgl. auch dazu das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1994) trotz der von einem Kraftfahrer zu erwartenden Aufmerksamkeit unmöglich gewesen war.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers auf Verwaltungsebene lagen derart der belangten Behörde aber Anhaltspunkte für einen nicht vom Beschwerdeführer zu vertretenden Rechtsirrtum vor. Sie hatte daher von Amts wegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1993,
Zlen. 93/10/0143-0151, sowie Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II, § 5 VStG, Anm. 10) zu klären, ob die (behauptete) Unkenntnis der gesetzmäßigen Kennzeichnung der in Frage stehenden Kurzparkzone und daraus resultierend der Irrtum des Beschwerdeführers über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens unverschuldet ist.
Vor diesem Hintergrund ist - wie im folgenden näher auszuführen ist - die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers begründet.
§ 51 e VStG lautet auszugsweise:
"(1) Wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, dann ist eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen. Zu dieser sind die Parteien und die anderen zu hörenden Personen, insbesondere Zeugen und Sachverständige, zu laden.
(2) Wenn in der Berufung ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet, dann ist eine Verhandlung nur dann anzuberaumen, wenn dies in der Berufung ausdrücklich verlangt wurde.
(3) Von der Verhandlung kann abgesehen werden, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der Verhandlung erfolgen.
(4) ..."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Mai 1993, Zl. 93/11/0013, zur vergleichbaren Bestimmung des § 67 d AVG dargetan hat, sind die unabhängigen Verwaltungssenate u.a. gerade aus dem Grund eingerichtet worden, um eine Tatsacheninstanz zu schaffen, die grundsätzlich nach durchgeführter mündlicher Verhandlung entscheidet. Im genannten Erkenntnis wird weiters die Aussage getroffen, daß der (damalige) Beschwerdeführer darauf habe vertrauen dürfen, daß über seine (zulässige) Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat eine mündliche Verhandlung durchgeführt werde, sofern ihr nicht ohnedies ein Erfolg beschieden sei. Nichts anderes hat auch für den vorliegenden, im Anwendungsbereich des § 51 e VStG liegenden Beschwerdefall zu gelten (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/17/0007).
Im Beschwerdefall wurde in der Berufung nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht; vielmehr wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis auch im Tatsachenbereich bekämpft. Da auch ein anderer, das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung rechtfertigender Grund nach § 51 e VStG nicht vorlag, wäre eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.
Dieser Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 51 e VStG stellt jedenfalls einen Verfahrensmangel dar, der, wie andere Verfahrensfehler auch, dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt, wenn die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG).
Im Hinblick darauf, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers - im Sinne des oben Ausgeführten - jedenfalls einen (die amtliche Ermittlungspflicht auslösenden) Anhaltspunkt für einen nicht vom Beschwerdeführer zu vertretenden Rechtsirrtum darstellt, durfte die belangte Behörde dieses Vorbringen nicht schon ohne weitere Ermittlungen als "reine Schutzbehauptung" abtun. Damit liegt aber auch auf der Hand, daß das Fehlen der Möglichkeit, in der mündlichen Verhandlung ein bestimmtes Vorbringen (wie etwa auch die Stellung von Beweisanträgen) zu erstatten, nicht von vornherein als für den Ausgang des Verfahrens unerheblich angesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund erweist sich das (wenn auch bloß allgemeine) Vorbringen des Beschwerdeführers als ausreichend, dem von der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis, in der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde die Relevanz des Verfahrensmangels darzutun, zu entsprechen.
Im Sinne der obigen Ausführungen ist es aber auch abwegig, wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, da es sich "hier um einen Bagatellfall" handle, bei dem keine weitere Klärung des Sachverhaltes notwendig sei, sei von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen worden.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft im Hinblick auf die gesetzliche Kostenpauschalierung den für Umsatzsteuer geltend gemachten Kostenersatzanspruch.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993170351.X00Im RIS seit
20.11.2000