TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/21 94/20/0106

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Veröffentlicht am 21.06.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnA;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1993, Zl. 4.308.060/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, reiste am 9. Dezember 1990 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17. Jänner 1991 einen Asylantrag.

In einem mit 17. Dezember 1990 datierten und an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gerichteten "Ansuchen um politisches Asyl" behauptete die Beschwerdeführerin im wesentlichen, sie sei Kurdin und Sympathisantin der PKK. Im Jahr 1989 seien alle Bewohner ihres Dorfes mehrmals am Dorfplatz zusammengetrieben und geschlagen worden. Der Oberleutnant der Sondereinheit habe gedroht, daß alle Mädchen des Dorfes vom Militär vergewaltigt würden, falls das Versteck der PKK und die Personen, die mit der PKK in Kontakt stünden, nicht preisgegeben würden. Die alevitischen Kurden, zu denen die Beschwerdeführerin gehöre, würden in der Türkei unterdrückt und gefoltert. Der Mann der Beschwerdeführerin, der Bruder ihres Mannes und ihr Schwiegervater seien gefoltert worden und hätten anschließend ins Dorfkrankenhaus eingeliefert werden müssen. Die Frauen habe man an den Haaren rund um das Krankenhaus gezerrt, als Kurden und Aleviten beschimpft und auf verschiedenste Art gefoltert. Als kurdisch-alevitischer Ort sei dieser ständig von Sondereinheiten der Polizei beobachtet worden. Die Dorfbewohner seien als Menschen dritter Klasse behandelt worden. Die Beschwerdeführerin sei ebenfalls von den Polizisten an den Haaren gezerrt worden, wobei man ihr vorgeworfen habe, daß sie Angehörige der PKK in ihrer Wohnung nächtigen habe lassen. Von der Beschwerdeführerin habe man erfahren wollen, wo sich der Sohn ihres Onkels aufhalte. Die Beschwerdeführerin sei mit dem Gewehrkolben mehrmals geschlagen worden. Ihre einzige Möglichkeit, diesen Unterdrückungen und Folterungen zu entkommen, habe sie in der Flucht aus der Türkei gesehen. Zwei ihrer Kinder und ihren Mann habe sie in der Türkei zurücklassen müssen. Ihr Mann habe aufgrund der Folterungen durch die Polizei eine Magenblutung erlitten und deshalb nicht mit ihr flüchten können.

Bei ihrer am 21. Jänner 1991 durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an, sie habe in einem kurdischen Dorf gelebt; alle Dorfbewohner seien dort Anhänger oder Sympathisanten der PKK und Aleviten. Aus diesem Grund hätten alle Dorfbewohner unter ständigen Verfolgungen zu leiden gehabt; dies bis zum heutigen Tage. Die Familie der Beschwerdeführerin habe den PKK-Leuten aktiv geholfen. Die Beschwerdeführerin habe diesen Personen zu essen gegeben und sie nächtigen lassen. Wenn in ihrem Haus nicht genügend Platz gewesen sei, hätten die eigenen Kinder aus diesem Grund im Freien nächtigen müssen. Aus diesem Grunde und ferner wegen der politischen Einstellung, die Türken würden nämlich alle Dorfbewohner für Marxisten/Leninisten ansehen, sei das Dorf der Beschwerdeführerin sowohl von der Polizei und Miliz aus Elbistan als auch von Spezialeinheiten aus Istanbul unter ständiger Beobachtung gehalten worden. Das Haus der Beschwerdeführerin sei regelrecht von solchen Personen umstellt gewesen. Spezialagenten seien auch als Bettler aufgetreten, um die Dorfbewohner auszukundschaften. Der Cousin der Beschwerdeführerin, A, sei ein Mann der PKK; er halte sich seit vielen Jahren verborgen. Aus diesem Grund werde bei der Beschwerdeführerin ständig nach ihm und anderen PKK-Mitgliedern von der Polizei gesucht. Vor rund sechs Jahren seien alle von Polizisten gefangen genommen und zur Krankenstation im Dorf gebracht worden. Dort seien alle geschlagen und gefoltert worden. Dem Mann der Beschwerdeführerin habe man mit einem Gewehrkolben in den Bauch gestoßen, sodaß er seither an ständigen Beschwerden leide; er habe deshalb Magenbluten bekommen. Den Schwiegervater der Beschwerdeführerin habe man derart mißhandelt, daß er nicht mehr habe gehen können; er sei danach vierzig Tage im Krankenhaus in Pflege gewesen. Im Laufe der Jahre habe sich nichts geändert. Noch heute würden alle genauso wie vor Jahren immer wieder mit Verhören, Schlägen und Hausdurchsuchungen verfolgt. Dadurch werde versucht, die Verstecke der PKK in Erfahrung zu bringen; es sei so, als ob "wir Menschen dritter Klasse wären". Diese Verhältnisse hätten die Beschwerdeführerin dazu bewogen, gemeinsam mit ihrem ältesten Sohn zu flüchten. Ihr Mann habe wegen seiner durch Gewehrschläge erlittenen Krankheit nicht flüchten können.

Mit Bescheid vom 16. April 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei.

Dagegen berief die Beschwerdeführerin, wobei sie auf ihre Angaben im erstinstanzlichen Verfahren verwies.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 25. Februar 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, daß Österreich der Beschwerdeführerin kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren Rechten auf Asylgewährung sowie Durchführung eines gesetzmäßigen Verfahrens verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Aufgrund der mit Bescheiderlassung am 21. Mai 1991 erfolgten Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens und der am 28. Mai 1991 erhobenen Berufung war das vorliegende Asylverfahren am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig, sodaß die belangte Behörde - wie sie insoweit zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden hatte.

Die belangte Behörde hat den Angaben der Beschwerdeführerin nicht den Glauben versagt, sondern sie ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Begründend für die Abweisung der Berufung hat sie aber die Ansicht vertreten, daß die Beschwerdeführerin "wegen krimineller Handlungen" und nicht wegen ihrer Gesinnung verfolgt worden sei, weil die Beschwerdeführerin die kurdische Arbeiterpartei PKK durch Lebensmittel und Unterkunft unterstützt habe. Terrorismus und "politisches Bandenunwesen" würden nach Ansicht der belangten Behörde in allen westlichen Demokratien als eine der gefährlichsten Varianten des gemeinen Verbrechens mit Mitteln des Strafrechts verfolgt. Obgleich die belangte Behörde einräumte, daß die türkische "Inquisitions- und Pönalisierungspraxis" möglicherweise hinter rechtstaatlich-liberalen Standards zurückbleibe, ändere dies aber nichts an den staatlichen Motiven der Verfolgung eines "legitimen hoheitlichen Strafanspruches".

Dieser Argumentation - die von der Beschwerdeführerin zutreffend als unrichtig bzw. mangelhaft gerügt wird - vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde würde selbst der Umstand, daß sich die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten nach innerstaatlichem türkischem Recht der Begehung einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat und ihr danach legitimerweise in der Türkei eine strafrechtliche Verfolgung droht, noch keineswegs die Annahme ausschließen, es handle sich über die kriminelle Komponente hinaus hiebei auch um asylrechtlich relevante Verfolgung aus Konventionsgründen. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, daß selbst terroristische Aktivitäten (oder die Teilnahme an bewaffneten Kampfhandlungen der PKK) eine Anerkennung als Flüchtling nicht von vornherein hindern, sofern nicht der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention) vorliege. Diesen Ausschließungsgrund hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall aber nicht herangezogen.

Die von der belangten Behörde heranzogene Begründung, daß die kurdische Arbeiterpartei PKK eine terroristische Organisation sei, vermag sich ebensowenig auf konkrete, aus den Verwaltungsakten hervorgehende Ermittlungsergebnisse zu stützen, wie auch über die tatsächliche türkische "Inquisitionspraxis" bzw. über die von der Beschwerdeführerin durch ihre Betätigung angeblich herbeigeführte Verwirklichung nicht näher konkretisierter Tatbestände türkischer strafrechtlicher Verbotsnormen von der belangten Behörde lediglich Annahmen und Mutmaßungen angestellt wurden. Ebenso bleibt die belangte Behörde für ihre Beurteilung, die Beschwerdeführerin habe durch flankierende Handlungen wie Begünstigung "eine der gefährlichsten Varianten des gemeinen Verbrechens" unterstützt, konkrete Ermittlungsergebnisse und Tatsachenfeststellungen völlig schuldig, sodaß dieser Vorwurf nicht nachvollziehbar erscheint.

Abgesehen davon, daß die belangte Behörde schon die konkrete Prüfung der Betätigung der Beschwerdeführerin im Lichte der türkischen Rechtsordnung nicht vorgenommen hat, ist überdies auch nachfolgend eine Auseinandersetzung darüber, ob den in Frage kommenden maßgeblichen staatlichen Verbotsnormen bzw. deren Vollzugspraxis und Umsetzung im konkreten Einzelfall nicht dennoch das Merkmal politischer Verfolgung innewohnt und damit asylrechtliche Relevanz zukommt, gänzlich unterblieben. Dadurch, daß die belangte Behörde die vorgebrachten Sanktionen der türkischen Behörden gegen die Beschwerdeführerin wegen deren Betätigung (Unterstützung) für die kurdische Arbeiterpartei PKK bloß als Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung wegen krimineller Handlungen qualifizierte, ohne jedoch über die tatsächlichen Aktivitäten der PKK ausreichende Ermittlungen und nachvollziehbare Feststellungen anzustellen, hat die belangte Behörde ihren Bescheid bereits mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet. Ohne diese Ermittlungen und Feststellungen kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß die gegen die Beschwerdeführerin vorgenommenen Sanktionen ihre Grundlage nicht doch in ethnisch-politischen Belangen hatten und die belangte Behörde diesfalls zu einem anderen Bescheid gekommen wäre (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882, vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0945, vom 17. Juni 1993, Zl. 93/01/0296, vom 9. September 1993, Zl. 92/01/1010, und vom 10. März 1994, Zlen. 94/19/0277, 0278).

Insoweit die belangte Behörde die (nicht in Zweifel gezogenen) Eingriffe in die körperliche Integrität der Beschwerdeführerin als "keinen ernsthaften Nachteil" bzw. als asylrechtlich irrelevante "Routinevorkommnisse" abtun will, kann dieser Wertung nicht gefolgt werden. Den dargelegten Mißhandlungen, Folterungen und "Übergriffen türkischer Behörden" kann - auch mit Rücksicht auf das Umfeld, in dem sie sich ereigneten, und unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen - die Eignung, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen zu indizieren, ohne weitere Auseinandersetzung nicht abgesprochen werden (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0883, vom 27. Jänner 1994, Zl. 92/01/1104, und vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0282).

Der angefochtene Bescheid war somit - ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesonders deren Art. III.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200106.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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