TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/21 94/20/0133

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Veröffentlicht am 21.06.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/20/0134

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerden

1. des AT und 2. der ST; mit den mj. Kindern M, D, E, N und C, alle in O, alle vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in M, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 6. April 1993, beide unter Zl. 4.289.542/2-III/13/90, betreffend Zurückweisung von Berufungen in einer Angelegenheit des Asylwesens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. April 1990 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer, ein türkisches Ehepaar, nicht Flüchtlinge im Sinne des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126/68 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796/74, seien.

Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer wies die belangte Behörde mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. Hinsichtlich der Berufung des Erstbeschwerdeführers führte sie begründend aus, diese sei verspätet. Aus der bei den Akten befindlichen Übernahmsbestätigung sei ersichtlich, daß er den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 10. Mai 1990 übernommen habe. Gegen diesen Bescheid habe der Erstbeschwerdeführer am 21. Mai 1990 ein als Berufung bezeichnetes Schreiben eingebracht und darin angeführt, er könne aus sprachlichen Gründen seine Beweggründe für das Verlassen seiner Heimat nicht besser darstellen und ersuchte um neuerliche Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetschers. Über Betreiben der Behörde - vom Fehlen eines begründeten Berufungsantrages habe der Beschwerdeführer am 20. September 1990 Kenntnis erhalten - habe dieser am 3. Oktober 1990 eine Ergänzung zur Berufung eingebracht und darin ausführlich die persönliche Situation in der Türkei und seine Fluchtgründe geschildert. Diese Eingabe sei von der belangten Behörde als Begründung des Berufungsantrages qualifiziert worden. Ein begründeter Berufungsantrag sei aber damit erst nach Ablauf der Berufungsfrist (24. Mai 1990) eingebracht worden, sodaß eine dem Gesetz entsprechende Berufung erst zu diesem Zeitpunkt vorgelegen sei. Diese sei jedoch verspätet.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin begründete die belangte Behörde ihre Zurückweisung lediglich damit, die von der Zweitbeschwerdeführerin am 21. Mai 1990 eingebrachte Berufung habe keinen begründeten Berufungsantrag enthalten, was keinen - verbesserungsfähigen - Formmangel, sondern einen inhaltlichen Fehler darstelle, der zur Zurückweisung führen müsse.

Nach der Begründung der vorliegenden Beschwerden erachten sich beide Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung beider Beschwerden infolge ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen:

Beide Beschwerdeführer haben gegen die erstinstanzlichen Bescheide mit folgendem im wesentlichen identen Wortlaut berufen:

"Sehr geehrte Damen und Herren, gegen den o.a. Bescheid, den ich am 10.5.90 übernommen habe, lege ich hiermit fristgerecht Berufung ein. Leider kann ich aus sprachlichen Gründen meine Gründe für das Verlassen meiner Heimat nicht besser darstellen und ersuche Sie daher um ein weiteres Interview mit Hilfe eines Übersetzers. Hochachtungsvoll ..."

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

Als Berufung kann eine Eingabe daher nur dann angesehen werden, wenn ihr entnommen werden kann, daß der bezeichnete Bescheid angefochten wird, d.h., daß die Partei mit der Erledigung der erkennenden Behörde nicht einverstanden ist, und daß aus ihr ersichtlich ist, aus welchen Erwägungen die Partei die Entscheidung der Behörde bekämpft. Das Gesetz verlangt somit nicht nur einen Berufungsantrag, sondern darüber hinaus seine Begründung, d.h. Ausführungen, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird. Die zitierte Gesetzesbestimmung darf jedoch nicht formalistisch ausgelegt werden; ein begründeter Berufungsantrag liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits dann vor, wenn die Eingabe erkennen läßt, welchen Erfolg der Einschreiter anstrebt und womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt, wobei kein strenger Maßstab anzulegen ist. In beiden Beschwerdefällen kann entgegen der Ansicht der belangten Behörde den Berufungen der Beschwerdeführer gerade noch entnommen werden, worin sie die Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides erblicken. Es ergibt sich aus der sehr knappen Formulierung immerhin, daß die Beschwerdeführer die - zur Abweisung ihrer Asylanträge führende - Gesamtbeurteilung ihrer Situation in der Türkei bekämpfen, wobei sie der Behörde der Sache nach vorwerfen, diese verkannt d. h. unrichtig dargestellt zu haben, dies im vorliegenden Zusammenhang insbesondere im Hinblick auf die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltene Wertung des Vorbringens der Beschwerdeführer, wonach diesem die Eignung zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft abgesprochen worden war, wobei aus dem Hinweis auf sprachliche Schwierigkeiten und der Bitte um ergänzende Vernehmung unter Beiziehung eines Übersetzers die Geltendmachung von Verfahrensmängeln zu entnehmen ist. Darüberhinaus kann das Vorbringen aber auch als Bestreitung des Zutreffens der rechtlichen Würdigung ihres Vorbringens in der ersten Instanz verstanden werden, wenn mann berücksichtigt, daß die Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen, vom Vorliegen eines begründeten Berufungsantrages auszugehen und eine Sachentscheidung zu treffen.

Daß die "genaueren Gründe" einer Berufungsergänzung vorbehalten wurden, eine solche wurde nur vom Erstbeschwerdeführer auch tatsächlich eingebracht, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da, wenn eine den formalen Erfordernissen entsprechende Berufung vorliegt, ergänzende Begründungen bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens vorgebracht werden können (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Februar 1967, Slg. Nr. 7074/A, vom 7. Oktober 1993, Zl. 93/01/0533 und vom 16. Dezember 1993, Zl. 93/01/0782).

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage, statt eine Sachentscheidung zu treffen, mit einer Zurückweisung vorgegangen ist, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200133.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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