TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/21 94/20/0104

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Veröffentlicht am 21.06.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des S in A, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 1992, Zl. 4.322.986/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 15. September 1991 in das Bundesgebiet einreiste und am 17. September 1991 einen Asylantrag stellte, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Oktober 1991 - mit dem festgestellt worden war, daß bei ihm die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vorlägen - mit Berufung bekämpft. Die belangte Behörde hat die Berufung des Beschwerdeführers mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 6. November 1992 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen "Mangelhaftigkeit". Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung als Flüchtling und Aufenthaltsgewährung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 19. September 1991 hinsichtlich seiner Fluchtgründe im wesentlichen angegeben, er unterstütze seit 1978 die kurdische Befreiungsorganisation PKK. In seiner Heimatprovinz Bingöl herrsche seit Jahren der Ausnahmezustand; man dürfe nach Einbruch der Dunkelheit die Häuser nicht mehr verlassen. Er habe für die PKK in Bingöl und Umgebung Flugblätter verteilt und Plakate geklebt. Auf Grund einer Anzeige sei er 1980 von türkischen Soldaten festgenommen und zum Gendarmerieposten in Adakli gebracht worden. Die Soldaten hätten ihm vorgeworfen, für die PKK gearbeitet zu haben. Obwohl er dies geleugnet habe, sei er vier Wochen lang in Haft gehalten worden. Während dieser Zeit sei er mehrere Male von Soldaten geschlagen worden; diese hätten ihn ins kalte Wasser getaucht. Er habe nicht einmal Handtücher erhalten, er sei dann krank geworden. Nach seiner Haftentlassung sei er wieder in sein Dorf zurückgekehrt. Bis zu seiner Ausreise habe er sich regelmäßig bei der örtlichen Gendarmerie melden müssen; in dieser Zeit sei er unzählige Male ein bis zwei Tage lang festgenommen worden. Sie Soldaten seien fast täglich in das Dorf (des Beschwerdeführers) gekommen und hätten die Dorfbewohner belästigt. Die Dorfbewohner (und insbesonders auch der Beschwerdeführer; "wir ...") seien auf den Dorfplatz getrieben und dort geschlagen worden. Die Frauen habe man gezwungen, sich auszuziehen; diese seien dann von den Soldaten belästigt worden. Da die Lage der Kurden in Bingöl täglich schlechter geworden sei, habe sich der Beschwerdeführer entschlossen, seine Heimat für immer zu verlassen.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seine niederschriftlich festgehaltenen Erklärungen seien nach wie vor gültig, er ersuche, seinen Fall nochmals zu bearbeiten. Er sei in der Türkei Opfer politischer Verfolgungen gewesen. Er sei Angehöriger der kurdischen Minderheit in der Türkei und alevitischen Glaubens. In Bingöl herrsche seit Jahren der Ausnahmezustand. Er sei unzählige Male festgenommen worden. Jedesmal habe man ihn gefoltert. Im Jahr 1990 habe er gemeinsam mit seinem Freund Brot und andere Lebensmittel zu "PKK-Militanten" gebracht. Als er mit seinem Freund zurückgekehrt sei, habe die Gendarmerie auf ihn und seinen Freund geschossen; sein Freund sei sofort tot gewesen, ihm selbst sei nichts passiert. Er sei festgenommen worden. Nach langen Folterungen sei er unter der Bedingung freigelassen worden, daß er "Korucu" werden müsse. Er sei damals mit dem Umbringen bedroht worden und habe daher die Bedingung akzeptiert. Nachdem er in sein Dorf zurückgekehrt war, habe er alles den PKK-Leuten erzählt; diese hätten geäußert, daß er die Stellung als "Korucu" ablehnen solle. Er habe Angst gehabt, er habe nicht mehr in seinem Dorf leben können.

Im Hinblick auf die am 29. November 1991 erfolgte Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und die am 6. Dezember 1991 fristgerecht dagegen erhobene Berufung war das vorliegende Asylverfahren am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig, sodaß die belangte Behörde gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden hatte. Danach hatte die belangte Behörde ihrer Entscheidung aber gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen. Auf die erstmals in der Berufung vorgetragenen tatsächlichen Umstände hatte die belangte Behörde hingegen nicht weiter einzugehen. Dadurch, daß die belangte Behörde ungeachtet der Bestimmung des § 20 Abs. 1 leg. cit. auch auf das unbeachtliche Tatsachenvorbringen der Berufung eingegangen ist, wurde der Beschwerdeführer aber nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. März 1994, Zl. 94/01/0072, und vom 23. März 1994, Zl. 93/01/1197).

Ausgehend von den somit allein maßgeblichen Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren kommt seiner Beschwerde aber im Ergebnis Berechtigung zu:

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung die Auffassung vertreten, daß er seinen eigenen Angaben zufolge die kurdische Arbeiterpartei (PKK), eine gewaltausübende und gewaltbejahende Organisation, als Mitglied durch Propaganda und Lebensmittel unterstützt habe, sodaß die deswegen gegen ihn ergriffenen behördlichen Maßnahmen nicht wegen seiner politischen Gesinnung, sondern wegen krimineller Handlungen gesetzt worden seien. Auch des weiteren deckt sich die dem angefochtenen Bescheid diesbezüglich beigegebene Begründung weitgehend mit jener, der sich die belangte Behörde in dem mit Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, erledigten Beschwerdefall (in dem die Begründung insoweit wortwörtlich wiedergegeben wurde) bedient hat. Dieser Argumentation kann ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen - wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Vorerkenntnis, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt und der Beschwerdeführer an sich richtig erkannt hat - nicht gefolgt werden, wobei auch im vorliegenden Beschwerdefall zu bemerken ist, daß die belangte Behörde den in § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonention) angeführten Ausschließungsgrund nicht herangezogen hat.

Soweit die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Vorgangsweise der Soldaten - diese seien bis zu seiner Ausreise fast täglich im Dorf gewesen, hätten die Dorfbewohner auf den Dorfplatz getrieben, dort geschlagen und belästigt - im angefochtenen Bescheid als "Übergriffe der Gendarmerie aus dem Jahr 1990" und "aufgrund ihrer Intensität" als "keinen ernsthaften Nachteil" bzw. als "verhältnismäßig geringe, vorübergehende Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität" gewertet hat, hat sie jedoch nicht dargetan, auf welchen Sachverhaltsermittlungen diese Auffassung beruht. Damit hat die belangte Behörde aber eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, inwieweit im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer den Behörden als im Verdacht stehend ein Mitglied der PKK und vermutlicher Sympathisant dieser Bewegung bereits bekannt war, seine Furcht vor (weiterer) Verfolgung als begründet anzusehen ist. Den vom Beschwerdeführer in erster Instanz dargelegten und von der belangten Behörde nicht bezweifelten regelmäßigen Festnahmen (Inhaftierungen) und Mißhandlungen am Dorfplatz kann - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - aber nicht von vornherein die für das Vorliegen von Verfolgung erforderliche Intensität abgesprochen werden.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesonders deren Art. III. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand enthalten ist und nicht gesondert zugesprochen werden kann.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200104.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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