TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/21 94/20/0083

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.1994
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. September 1992, Zl. 4.339.009/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 15. Juli 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juli 1992, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft. Mit Bescheid vom 29. Juli 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Befragung durch das Bundesasylamt am 16. Juli 1992 geltend gemacht, er habe der kurdischen Widerstandsbewegung PKK seit dem Jahre 1980 als aktives Mitglied angehört. Er habe Flugblätter geschrieben und verteilt, Parolen auf Wände geschrieben, Plakate geklebt und auch mündliche Propaganda betrieben. Im September 1981 habe er in einem Kaffeehaus in Durak eine Rede gegen das herrschende Regime gehalten und Propaganda für die PKK gemacht. Kurz darauf hätten ihn fünfzehn türkische Polizisten zu Hause festgenommen. Auf der Polizeistation sei er ca. eine Woche wegen des Verdachtes des Terrorismus festgehalten und unter Schlägen verhört worden. In einem "Schnellverfahren" sei er zu zwei Jahren Haft verurteilt, am 3. Juni 1982 aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Während der Haft sei er geschlagen und wiederholt zum Stehen in hüfthohem kaltem Wasser gezwungen worden. Seine davon herrührende Erkrankung sei mit ein Grund für seine vorzeitige Entlassung gewesen. Nach seiner Entlassung sei er für zwei Jahre zum Militär eingezogen worden. Ab dem Jahre 1984 habe er nicht mehr aktiv für die PKK gearbeitet; er sei aber trotzdem etwa jedes halbe Jahr festgenommen, für zwei bis drei Tage inhaftiert, verhört und hiebei auch geschlagen worden. Ende 1990 sei er das letzte Mal abgeholt worden und habe angenommen, er werde nun Frieden haben. Einige Tage vor seiner Ausreise sei er aber neuerlich geholt und aufgefordert worden, für die türkische Regierung gegen die Kurden Spionage zu treiben. Es sei ihm mitgeteilt worden, daß er das Land nicht verlassen dürfe und daß er wieder geholt werden würde, um Informationen über die Kurden abzugeben. Da er keine Ruhe von den türkischen Behörden gehabt habe und nicht gegen seine Landsleute habe spionieren wollen, habe er sich zum Verlassen seines Heimatlandes entschlossen. Im Fall seiner Rückkehr habe er mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, die Behörde erster Instanz habe nicht dargetan, auf welcher Erkenntnisquelle aufbauend sie die kurdische Widerstandsbewegung, deren Ziel das Selbstbestimmungsrecht der Kurden sei, als Terroristenorganisation bezeichne. Gleichzeitig legte der Beschwerdeführer Urkunden über die Aufhebung seiner Verurteilung durch den Militärkassationsgerichtshof vom 18. März 1986 sowie über das ihn betreffende Ausreiseverbot in beglaubigter Übersetzung vor. In einer ergänzenden Eingabe legte der Beschwerdeführer ein ärztliches Gutachten vor, demzufolge eine Narbe an seinem Hinterkopf durch Schläge auf den Kopf entstanden sein könnte.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung die Auffassung vertreten, daß er seinen eigenen Angaben zufolge die kurdische Arbeiterpartei, eine gewaltausübende und gewaltbejahende Organisation, als Mitglied durch Propaganda unterstützt habe, sodaß die deswegen gegen ihn ergriffenen behördlichen Maßnahmen nicht wegen seiner politischen Gesinnung, sondern wegen krimineller Handlungen gesetzt worden seien. Auch des weiteren deckt sich die dem angefochtenen Bescheid diesbezüglich beigegebene Begründung weitgehend mit jener, der sich die belangte Behörde in dem mit Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, erledigten Beschwerdefall (in dem die Begründung insoweit wortwörtlich wiedergegeben wurde) bedient hat. Dieser Argumentation kann ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen - wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Vorerkenntnis, auf dessen nähere Begründung hiemit verwiesen wird, dargelegt und der Beschwerdeführer an sich richtig erkannt hat - nicht gefolgt werden, wobei auch im vorliegenden Beschwerdefall zu bemerken ist, daß die belangte Behörde den in § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Ausschließungsgrund nicht herangezogen hat.

Soweit die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgebrachten, von ihr nicht bezweifelten Mißhandlungen im Zuge seiner bis zu seiner Ausreise andauernden wiederholten Festnahmen lediglich als Übergriffe einzelner staatlicher Organe gewertet hat, hat sie nicht dargetan, auf welchen Sachverhaltsermittlungen diese Auffassung beruht. Damit hat die belangte Behörde aber eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, inwieweit im Hinblick darauf, daß er den Behörden als ehemaliges aktives Mitglied der PKK und vermutlicher Sympathisant dieser Bewegung bereits bekannt war, die Furcht des Beschwerdeführers vor (weiterer) Verfolgung als begründet anzusehen ist. Den vom Beschwerdeführer dargelegten und von der belangten Behörde nicht bezweifelten regelmäßig mit seinen in etwa halbjährigen Abständen erfolgenden Festnahmen verbundenen Mißhandlungen kann aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht die für das Vorliegen von Verfolgung erforderliche Intensität abgesprochen werden.

Auch kann dem von der belangten Behörde aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokument über die Aufhebung seiner seinerzeitigen Verurteilung gezogenen Schluß, die Behauptung des Beschwerdeführers, in einem "Schnellverfahren" verurteilt worden zu sein, sei nicht glaubwürdig, nicht gefolgt werden. Vielmehr ergibt sich aus dem Text dieses in seiner Echtheit nicht bezweifelten Dokumentes, daß vor dem Zeitpunkt der Datierung dieses Schriftstückes (18. März 1986) eine Verurteilung des Beschwerdeführers erfolgt ist, die erst mit diesem Dokument in der Weise aufgehoben wurde, daß der Beschwerdeführer freigesprochen wurde. Damit erweist sich auch die Argumentation der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Haft sei lediglich als Untersuchungshaft zu verstehen gewesen, als nicht tragfähig.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegn Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200083.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten