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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der D in Wien, vertreten durch ihre Mutter A, diese vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Jänner 1994, Zl. 4.292.661/2-III/13/90, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Jänner 1994 wurde in Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. November 1990 ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin - einer rumänischen Staatsangehörigen, die am 25. Jänner 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 29. Jänner 1990 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin, ohne sich mit ihrer Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei der Beschwerdeführerin der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 8. Februar 1990, daß sie sich vor ihrer Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten habe, aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - die Rechtslage richtig erkannt hat.
Nach dieser Rechtsprechung ist - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - rechtlich ohne Bedeutung, warum sie "nach Österreich gefahren" sei und nicht in Ungarn um Asyl angesucht habe. Die von ihr ins Treffen geführten Umstände, daß ihre Mutter in Wien lebe, hier politisches Asyl habe und sie gemeinsam mit ihren Geschwistern eine Ausreisegenehmigung aus Anlaß der Familienzusammenführung mit ihrer Mutter gehabt habe, vermöchten im Sinne dieser Rechtsprechung daran nichts zu ändern, daß - sollte dies auch in tatsächlicher Hinsicht zutreffen - die Beschwerdeführerin keiner Gefahr einer Verfolgung in Ungarn ausgesetzt war und dort auch nicht befürchten mußte, in ihr Heimatland abgeschoben zu werden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Stellung eines Asylantrages in Ungarn sei ihr schon deshalb "nicht möglich und nicht zumutbar" gewesen, weil sie durch Ungarn nur ein Transitvisum gehabt habe und damit ihr "Reiseziel, nämlich Wien, feststand", ist nicht nachvollziehbar. Wenn sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, sie hätte "aufgrund der Familienzusammenführung ein Recht auf Weiterreise nach Österreich" gehabt, so ist ihr entgegenzuhalten, daß ihr die Einreise nach Österreich nicht verwehrt wurde und es im übrigen an ihr gelegen gewesen wäre, einen Antrag auf Ausdehnung des ihrer Mutter gewährten Asyls gemäß § 4 Asylgesetz 1991 zu stellen, von welcher (ab Inkrafttreten dieses Gesetzes per 1. Juni 1992 bestehenden) Möglichkeit sie offenbar nicht Gebrauch gemacht hat und wobei Ausschließungsgründe des § 2 Abs. 2 leg. cit. - im Gegensatz zu einem Verfahren über einen von einem Asylwerber gestellten Antrag gemäß § 3 leg. cit. - nicht herangezogen werden könnten.
Die Beschwerdeführerin macht aber der belangten Behörde überdies zum Vorwurf, es unterlassen zu haben, "sich von der tatsächlichen Situation in Ungarn im Jänner 1990 ein Bild zu machen". Sie bringt dazu vor, daß "es wohl richtig" sei, "daß Ungarn zu diesem Zeitpunkt bereits der Genfer Konvention beigetreten war (14.03.1989) und die Genfer Konvention im Oktober 1989 ratifiziert hat" (siehe BGBl. Nr. 260/1992, woraus sich unter Bedachtnahme auf Art. 43 der Konvention deren Inkrafttreten schon am 12. Juni 1989 ergibt), "es jedoch noch kein ungarisches Ausführungsgesetz" und "ebenso in Ungarn keinen stellvertretenden UNO-Hochkommissär für Flüchtlingswesen gab". Im Jänner 1990 habe es in Ungarn "noch die alte kommunistische Regierung" gegeben, die ersten freien Wahlen in Ungarn hätten erst im Mai 1990 stattgefunden. "Die kommunistische Regierung, die sehr wohl - sowohl vor als auch nach dem Beitritt zur Genfer Konvention - Flüchtlinge aus Rumänien nach Rumänien zurückgeschickt hat", sei für die Beschwerdeführerin "kein Garant für eine Verfolgungssicherheit" gewesen, weshalb sie "nicht gewillt war, in Ungarn zu verbleiben". Die Beschwerdeführerin gehöre zwar der ungarischen Volksgruppe an, sei jedoch "vor einer Zurückweisung nach Rumänien trotzdem keineswegs sicher" gewesen. Es sei bekannt gewesen, "daß rumänische Staatsbürger an die Grenze in Gyula gebracht und von dort den rumänischen Behörden übergeben worden waren", und habe "das damalige Ungarische Demokratische Forum, das damals eine illegale außerparlamentarische Opposition war, gegen diese Verstöße der ungarischen Behörden wiederholt protestiert"; ebenso seien "wiederholt Proteste von diversen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, insbesondere Amnesty International" erfolgt. Ein Verbleib in Ungarn sei der Beschwerdeführerin daher weder möglich noch zumutbar gewesen und habe sie auch in Ungarn Angst gehabt, verfolgt bzw. an die rumänischen Behörden "rücküberstellt" zu werden.
Würden diese Behauptungen zutreffen, so könnte nicht mehr ohne weiteres davon die Rede sein, daß - entsprechend der Begründung des angefochtenen Bescheides - nichts dafür spreche, daß Ungarn die sich aus seiner Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige, und anzunehmen sei, daß Ungarn von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz biete, dies jeweils bezogen auf den hiebei allein maßgebenden Zeitpunkt des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in diesem Land (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, und vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/1522). Die Beschwerdeführerin hat zwar diese Behauptungen erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihr im Verwaltungsverfahren nicht Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, weshalb dieses Vorbringen nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt. Damit hat die Beschwerdeführerin die Wesentlichkeit eines Verfahrensmangels aufgezeigt.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994010152.X00Im RIS seit
20.11.2000