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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art131 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Steiermark vom 8. April 1993, Zl. UVS 25.3-11/93-22, betreffend Festnahme und Anhaltung in Schubhaft (mitbeteiligte Partei: I, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
I.
1. Die mitbeteiligte Partei (mP), ein pakistanischer Staatsangehöriger, war am 16. September 1991 über die "grüne Grenze" von Ungarn kommend in Österreich eingereist.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf vom 16. September 1991 war gegen die mP ein Aufenthaltsverbot erlassen worden (befristet bis 16. September 1996); dieses ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 31. Jänner 1992 war der von der mP am 18. September 1991 gestellte Antrag auf Gewährung von Asyl abgewiesen worden.
Unter dem Datum 29. März 1993 war mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz gegen die mP gemäß § 41 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, iVm § 57 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet worden. Die mP wurde noch am selben Tag in Schubhaft genommen und am 2. April 1993 (20.52 Uhr) abgeschoben.
2. Mit beim Unabhängigen Verwaltungssenat Steiermark (der belangten Behörde) am 2. April 1993 (12.30 Uhr) eingelangtem Schriftsatz erhob die mP eine auf § 51 FrG gestützte Beschwerde mit dem Antrag, es möge die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides vom 29. März 1993 festgestellt und der Bundespolizeidirektion Graz die sofortige Aufhebung der verhängten Schubhaft aufgetragen werden.
3. Mit Bescheid vom 8. April 1993 gab die belangte Behörde gemäß §§ 41 Abs. 1, 51 Abs. 1 und 52 Abs. 1 FrG iVm § 67c Abs. 3 AVG der Beschwerde Folge und sprach aus, daß die Festnahme sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 29. März 1991 (richtig: 1993) bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Schubhaft am 2. April 1993, 14.00 Uhr, rechtswidrig gewesen sei.
Nach Wiedergabe des Verfahrensablaufes (unter Einschluß des Asylverfahrens) und Zitierung der angewendeten Normen des Fremdengesetzes führte die belangte Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung im wesentlichen folgendes aus: Eine Notwendigkeit der Festnahme der mP, um das Verfahren der Abschiebung zu sichern, sei nicht gegeben gewesen. Die mP sei zwar illegal eingereist, aber sonst in keiner Weise "in Erscheinung getreten". Aufgrund des von der mP gestellten Asylantrages habe sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten; sie habe eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Asylverfahrens gehabt. Das Asylverfahren sei, da der negative Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (vom 31. Jänner 1992) der mP nie zugestellt worden sei, noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Die Meinung der Bundespolizeidirektion Graz, daß aufgrund des rechtskräftigen und durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes gegen die mP die Notwendigkeit der Schubhaftverhängung zu bejahen gewesen sei, weil damit gerechnet habe werden müssen, daß sich die mP der beabsichtigten Abschiebung durch Flucht bzw. Untertauchen entziehen würde, erweise sich im Hinblick auf die Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 18. September 1991 über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung als unrichtig. Es wäre Aufgabe der Bundespolizeidirektion Graz gewesen, zu überprüfen, ob die vorläufige Aufenthaltsberechtigung kraft des nach Meinung der Sicherheitsdirektion rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahrens erloschen sei oder nicht. Die Notwendigkeit der Schubhaftverhängung sei aber auch deshalb nicht gegeben, weil die mP ordnungsgemäß gemeldet gewesen sei; es sei unterlassen worden, zu prüfen, ob die mP tatsächlich an der Meldeadresse wohnhaft gewesen sei. Insgesamt gesehen könne daher nicht davon ausgegangen werden, daß die mP sich durch Flucht bzw. Untertauchen dem Behördenzugriff habe entziehen wollen. Auch die seitens der mP geäußerte Absicht, Österreich nicht verlassen zu wollen, deute nicht in diese Richtung; dies könne ebenso unter dem Aspekt des gestellten Asylantrages "als Pflichterfüllung im Sinne einer Zusammenarbeit mit der Asylbehörde gewertet werden".
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art. 131 Abs. 2 B-VG iVm § 53 FrG gestützte Beschwerde des Bundesministers für Inneres mit dem Antrag auf Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Auch die mP erstattete eine Gegenschrift mit dem Begehren, die Beschwerde als nicht rechtzeitig zurückzuweisen bzw. sie als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Zunächst ist auf den in der Gegenschrift der mP erhobenen Einwand, die Beschwerde sei verspätet erhoben worden, einzugehen.
1.2. Entgegen der Ansicht der mP kam es für die Frage der Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Beschwerde nicht darauf an, wann der Bundespolizeidirektion Graz der angefochtene Bescheid zugestellt worden ist.
Gemäß dem in Ausführung des Art. 131 Abs. 2 B-VG ergangenen § 53 FrG ist der Bundesminister für Inneres berechtigt, gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate gemäß § 52 sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des betroffenen Fremden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Nach § 26 Abs. 1 erster Satz VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG sechs Wochen. Diese Frist beginnt zufolge § 26 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. in den Fällen des Art. 131 Abs. 2 B-VG dann, wenn der Bescheid aufgrund der Verwaltungsvorschriften dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, zu dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.
Nach den einschlägigen Angaben in der Beschwerde wurde der bekämpfte Bescheid dem Beschwerdeführer nicht zugestellt (was der Rechtslage entspricht, da im Fremdengesetz eine Zustellung von nach § 52 leg. cit. ergangenen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate an den Bundesminister für Inneres nicht vorgesehen ist); er wurde ihm vielmehr von der Bundespolizeidirektion Graz zur Kenntnis gebracht, und zwar am 7. Juli 1993. Die Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG hat demnach im Grunde der Z. 4 dieser Gesetzesstelle mit 18. August 1993 geendet. Die am 10. August 1993 unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde ist somit rechtzeitig erhoben worden (vgl. dazu mutatis mutandis das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1991, Zl. 91/19/0037).
2. Ebensowenig zu teilen vermag der Gerichtshof die Meinung der mP, es fehle der Beschwerde an einer Anfechtungserklärung i. S. des § 28 Abs. 2 VwGG: Dem in dieser Bestimmung für (u.a.) Beschwerden gegen Bescheide nach Art. 131 Abs. 2 B-VG enthaltenen Gebot der Erklärung über den Umfang der Anfechtung ist vorliegend durch die Angabe "Der Bescheid wird zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit angefochten." entsprochen.
3.1. Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid die Auffassung, daß dem Beschwerdeführer im Hinblick auf den von ihm rechtzeitig gestellten Asylantrag und den Umstand, daß das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sei - der negative "Asylbescheid" der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark sei dem Beschwerdeführer nie "rechtskräftig" zugestellt worden -, im Zeitpunkt der Festnahme und während der Anhaltung in Schubhaft eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung (nach dem AsylG 1968) zugekommen sei, weshalb nicht von einem durchsetzbaren Aufenthaltsverbot habe ausgegangen werden dürfen und als Folge dessen die Notwendigkeit der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers zu verneinen gewesen sei.
3.2. Zu der für die Tragfähigkeit dieses Rechtsstandpunktes wesentlichen Frage des rechtlichen Schicksals des den Beschwerdeführer betreffenden Asylverfahrens enthält der bekämpfte Bescheid außer der erwähnten Aussage, daß der den Asylantrag abweisende erstinstanzliche Bescheid nie zugestellt worden sei (S. 8), auch die - damit nicht in Einklang zu bringende - Feststellung: "Mit Aktenvermerk vom 24.3.1992 wurde der Asylbescheid gemäß § 8 Zustellgesetz bei der Sicherheitsdirektion hinterlegt". (S. 5) Mit dieser - der Aktenlage entsprechenden - Tatsachenfeststellung setzte sich die belangte Behörde unter rechtlichen Aspekten mit keinem Wort auseinander. Dieses Versäumnis ist im Hinblick darauf wesentlich, daß eine gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG vorgenommene Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch im Grunde des § 23 Abs. 4 leg. cit. die rechtswirksame Zustellung der hinterlegten Sendung bewirkt. Da diesfalls das Asylverfahren mangels rechtzeitiger Erhebung einer Berufung gegen den abweislichen Bescheid jedenfalls vor dem 1. Juni 1992 abgeschlossen gewesen wäre, mithin dem Beschwerdeführer zufolge des § 25 Abs. 1 AsylG 1991 im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 1968 zugekommen wäre, ist nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde bei Beachtung ihrer Begründungspflicht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
4. Nach dem Gesagten war der in Beschwerde gezogene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993180379.X00Im RIS seit
20.11.2000