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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Jänner 1993, Zl. MA 63 - Sch 437/91, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Ausschluß von der Gewerbeausübung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Jänner 1993 wurde gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG und i.V.m. § 362 GewO 1973 die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die auf den 1. Jänner 1989 bezogene Gewerbeanmeldung der Beschwerdeführerin für das Gewerbe "Damenkleidermacher gemäß § 94 Z. 9 GewO 1973" im Standort Wien, S-Straße 34, verfügt und die Beschwerdeführerin gleichzeitig gemäß § 13 Abs. 3 und 4 GewO 1973 von der Gewerbeausübung ausgeschlossen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Behörde erster Instanz sei zum damaligen Zeitpunkt die Tatsache bekannt gewesen, daß der Beschwerdeführerin aufgrund einer Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, GZ. 6e Vr 10400/78, Hv 360/79, wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida ihre seinerzeitigen Gewerbeberechtigungen in den Standorten Wien, M-Straße 16 und Wien, P-Straße 35, gemäß § 87 Abs. 1 Z. 1 GewO 1973 entzogen worden seien. Unbekannt sei jedoch der Umstand gewesen, daß ein Konkursantrag betreffend die Beschwerdeführerin mangels kostendeckenden Vermögens am 17. August 1979 vom Landesgericht für ZRS Wien, abgewiesen worden sei. Dieser Umstand sei der Behörde erster Instanz erst nach Abschluß des Gewerbeanmeldungsverfahrens von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bekanntgegeben worden. Es sei daher die Gewerbeanmeldung in Unkenntnis dieses Sachverhaltes, für den ein Ausschluß von der Gewerbeausübung vorgesehen sei, zur Kenntnis genommen worden. Unbestritten sei, daß vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein Konkursantrag wider die Beschwerdeführerin mangels kostendeckenden Vermögens am 17. August 1979, abgewiesen worden und daß dieser Umstand der Behörde erster Instanz weder anläßlich der Gewerbeanmeldung noch in weiterem Verfahren zur Kenntnis gebracht worden sei. Vielmehr habe die Beschwerdeführerin gegenüber der Behörde erklärt, daß über ihr Vermögen noch niemals der Konkurs eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen worden sei. Daß sie die Konkursabweisung nicht absichtlich verheimlicht habe, hindere die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin zwar geltend gemacht, daß "der Konkurs" durch eine strafgesetzwidrige Handlung eines Dritten verursacht worden sei. Sie habe es aber unterlassen, dieses Vorbringen näher zu konkretisieren und Beweise dafür anzubieten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht verletzt, daß nicht rechtswidrigerweise das Verfahren betreffend ihre Gewerbeanmeldung wieder aufgenommen und sie von der Gewerbeausübung ausgeschlossen wird. Sie bringt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides im wesentlichen vor, das "Amt der Wiener Landesregierung" habe den genannten Sachverhalt sehr wohl gekannt bzw. es hätte diesen kennen müssen. Es sei nämlich die Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida eine Folge des Konkursverfahrens des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gewesen. Da dieses Konkursverfahren die Grundlage des Strafverfahrens, von dem die Behörde unbestrittenermaßen Kenntnis gehabt habe, gewesen sei, hätte die Behörde bei Prüfung des Strafaktes des Landesgerichtes für Strafsachen von der Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens vom 17. August 1979 sehr wohl Kenntnis erlangt. Die belangte Behörde könne daher nicht glaubwürdig behaupten, daß die Gewerbebehörde erster Instanz im Jahre 1989 bei Prüfung der Voraussetzungen für die Gewerbeausübung diesen Umstand nicht gekannt hätte. Vielmehr habe die Erstbehörde im Jahre 1989 richtigerweise den Standpunkt vertreten, daß der Beschwerdeführerin die Gewerbeausübung "zu erteilen" sei, weil der Sachverhalt, der sowohl dem Strafverfahren wegen fahrlässiger Krida als auch dem Konkursverfahren zugrundegelegen sei, bereits zehn Jahre zurückgelegen und daher zu vernachlässigen gewesen wäre. Es sei nämlich - im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde - nicht gerechtfertigt, einen zehn Jahre zurückliegenden Gewerbeausschließungsgrund bei einer neuen Gewerbeanmeldung noch zu berücksichtigen.
Die Beschwerde erweist sich aus folgenden Gründen als berechtigt:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Abs. 1 auch von Amts wegen verfügt werden. Es ist daher auch im Falle des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG die amtswegige Wiederaufnahme gerechtfertigt, wobei jedoch nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzung, daß die neuen Tatsachen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, in diesem Falle dahin zu verstehen ist, daß an der im durchgeführten Verfahren unterbliebenen Erörterung der neu hervorgekommenen Tatsachen die Behörde kein Verschulden treffen darf (vgl. dazu die bei Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1987) 719 f referierte hg. Judikatur). Die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ist daher immer dann ausgeschlossen, wenn die Behörde die neuen Tatsachen bereits im durchgeführten Verfahren hätte erheben können.
Von dieser Rechtslage ausgehend erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, es lägen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG vor, weil die Behörde erster Instanz erst nach Abschluß des Verfahrens über die Gewerbeanmeldung von der Abweisung des Konkursantrages erfahren habe, als verfehlt. Denn trotz des Umstandes, daß die Gewerbebehörde erster Instanz von der Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida durch das Landesgericht für Strafsachen Wien und von der dadurch bedingten Entziehung ihrer Gewerbeberechtigungen Kenntnis hatte, hat sie dies, obwohl eine solche Verurteilung einen erfolgten Konkursantrag nahelegt,
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nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - nicht zum Anlaß genommen, weitere Erhebungen über das Vorliegen von Ausschließungsgründen im Sinne des § 13 Abs. 3 und 4 GewO 1973 durchzuführen. Die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin anläßlich der Gewerbeanmeldung waren zwar
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aus objektiver Sicht - unrichtig. Dies vermag jedoch an der Verpflichtung der Behörde, im Rahmen der amtswegigen Ermittlung des relevanten Sachverhaltes die gebotenen weiteren Erhebungen durchzuführen, nichts zu ändern, zumal nicht hervorgekommen ist, daß weitere Erhebungen (etwa durch Einsichtnahme in die Akten des strafgerichtlichen Verfahrens) der Behörde nicht zumutbar gewesen wären (vgl. sinngemäß das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1985, Zl. 84/04/0050). Der Verzicht der Behörde auf (weitere) Erhebungen kann daher nicht als unverschuldete Unterlassung der gebotenen Erhebungen gewertet und es kann daher auch nicht von einer unverschuldeten Unkenntnis der Behörde gesprochen werden. Daraus folgt aber die Unzulässigkeit der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens.
Da die belangte Behörde dies verkannte, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das die Umsatzsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da diese in dem zuerkannten Pauschbetrag bereits enthalten ist.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitVerschuldenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993040048.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
31.05.2012