TE Vfgh Erkenntnis 1992/2/25 B1550/89, B1551/89

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Veröffentlicht am 25.02.1992
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
EMRK Art3
PersFrSchG §4
StPO §177 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme; vertretbare Annahme der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung; keine Verletzung im Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch Gewaltanwendung im Zuge einer Festnahme

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch ihre Festnahme durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 8. November 1989 um 23.45 Uhr im Wachzimmer Krottenbachstraße, durch ihre nachfolgende Anhaltung bis 9. November 1989 1.45 Uhr (S L) bzw. 9.45 Uhr (H H) sowie durch die gegen sie von Organen der Bundespolizeidirektion Wien angewendete Körpergewalt weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Die Beschwerdeführer sind schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit je S 12.500,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer bekämpfen, gestützt auf Art144 Abs1 B-VG, ihre Festnahme am 8. November 1989 gegen 23.45 Uhr, ihre nachfolgende Anhaltung bis 1.45 Uhr bzw. 9.45 Uhr des folgenden Tages sowie das Vorgehen von Sicherheitswachebeamten gegen sie (Schläge und Tritte, Stoßen des Kopfes gegen eine Tischplatte, Fesselung mit Handschellen, Hinabstoßen über eine Treppe sowie Beleidigungen und Bedrohungen gegen H H, Schlag mit dem Gummiknüppel gegen den Kopf sowie Beleidigungen und Bedrohungen gegen S L). Die Beschwerdeführer erachten sich durch diese behördliche Vorgangsweise in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit sowie keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden verletzt und begehren, der Verfassungsgerichtshof wolle dies kostenpflichtig feststellen.

In den Beschwerden wird im wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer H H habe, als er am 8. November 1989 gegen

23.20 Uhr in seine Wohnung zurückgekehrt sei, am Postkasten an der Wohnungstür eine Ankündigung von Beamten des Wachzimmers Krottenbachstraße vorgefunden, wonach gegen den Mieter der Wohnung wegen überlauten Radiospielens Anzeige erstattet werde. Als der Beschwerdeführer seine Wohnung betreten habe, habe er darin die Beschwerdeführerin S L angetroffen, welche gerade "in Zimmerlautstärke Musik von Schallplatten" gehört habe. L habe dem Beschwerdeführer H mitgeteilt, daß gegen 23.00 Uhr an die Türe der Wohnung geklopft worden sei, daß sie jedoch die Türe aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet habe.

Die beiden Beschwerdeführer hätten daraufhin gegen 23.30 Uhr das Wachzimmer Krottenbachstraße aufgesucht, um zu erfahren, welcher Vorwurf der angekündigten Anzeige im Detail zugrunde liege und welche Person als Aufforderer für das behördliche Einschreiten in Betracht komme.

Ein derartiges Ersuchen sei jedoch im Wachzimmer erfolglos geblieben. Der Beschwerdeführer H habe dieses Anliegen wiederholt, während mehrere weitere Beamte den Vorraum des Wachzimmers betreten hätten. Anstatt zweckdienliche Auskünfte zu erteilen, hätten die Beamten sofort begonnen, beide Beschwerdeführer zu beschimpfen und zu beleidigen. Schließlich seien sie aufgefordert worden, das Wachzimmer zu verlassen, wobei ein Beamter den Beschwerdeführer H grob in Richtung des Ausganges gestoßen habe. Der Beschwerdeführer habe durch diesen Angriff das Gleichgewicht verloren und sich, um nicht gegen die Eingangstüre zu fallen, an den Armen des Beamten festgehalten. Daraufhin hätten sich sofort alle übrigen Beamten auf den Beschwerdeführer gestürzt, ihn zu Boden gestoßen, festgehalten, ihm Handschellen angelegt und seinen Kopf mehrmals kräftig gegen die Tischplatte geschlagen. Während der Beschwerdeführer H am Boden des Wachzimmers gelegen sei, sei die Beschwerdeführerin L von einem der Beamten mit einem Gummiknüppel derart fest auf den Kopf geschlagen worden, daß sie ein großes Hämatom davongetragen habe. Während der Fahrt zum Bezirkspolizeikommissariat Döbling sowie auf diesem Kommissariat sei es zu weiteren Mißhandlungen des Beschwerdeführers H gekommen.

Die Festnahme und Anhaltung der Beschwerdeführer - wird in den Beschwerden ausgeführt - sei rechtswidrig erfolgt, der Einsatz physischer Gewalt gegen die Beschwerdeführer sowie ihre Beschimpfung verstoße gegen Art3 MRK.

2. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragt in Gegenschriften die Zurückweisung bzw. Abweisung der Beschwerden.

In den Gegenschriften wird im wesentlichen vorgebracht, am 8. November 1989 sei die Besatzung eines bestimmten Funkstreifenwagens um 23.07 Uhr in ein - näher bezeichnetes - Haus wegen einer Lärmerregung beordert worden. Am Einsatzort habe der Aufforderer angegeben, daß aus der Wohnung über ihm (jener des Beschwerdeführers H) überlautes Radiospielen zu hören sei. Die Beamten hätten daraufhin vor der bezeichneten Wohnung laute Radiomusik wahrnehmen können. Sie hätten versucht, durch mehrmaliges Klopfen an der Wohnungstür mit dem Wohnungsinhaber in Kontakt zu kommen, die Wohnungstür sei daraufhin zwar nicht geöffnet, die Radiomusik allerdings leiser gestellt worden. Die Beamten hätten an der Wohnungstür eine schriftliche Verständigung über die wegen Lärmerregung erstattete Anzeige hinterlassen.

Gegen 23.40 Uhr seien die beiden Beschwerdeführer in das Wachzimmer in Wien 19., Krottenbachstraße gekommen, um sich nach der Anzeige zu erkundigen. Der Beschwerdeführer H habe sich über die Anzeige mit immer lauter werdenden Worten erregt, sodaß in der Folge weitere Beamte in den Parteienraum des Wachzimmers gekommen seien. Auch S L habe sich an der provokanten und lauten Sprechweise beteiligt. Als die Beschwerdeführer nicht zu beruhigen gewesen seien, hätten die Beamten die Beschwerdeführer zum Verlassen des Wachzimmers aufgefordert. H habe erwidert, er werde das Wachzimmer nur unter Gewaltanwendung verlassen.

In der Folge wird in den Gegenschriften dargestellt, auf welche Weise im einzelnen eine Reihe von Sicherheitswachebeamten versucht habe, den "tobenden" Beschwerdeführer H zu "bändigen", welche Beamten hiebei Verletzungen erlitten hätten und wie dem Beschwerdeführer H Handschellen angelegt worden seien. Die Beschwerdeführerin S L habe einem - namentlich genannten - Beamten, der bei den Beinen des Beschwerdeführers H gestanden sei, plötzlich und unvermutet mit dem rechten Fuß in den Unterleib getreten. Als L erneut ausgeholt habe, um offensichtlich einen zweiten Schlag zu setzen, habe der Beamte "aus Notwehr" mit dem Gummiknüppel auf den Oberkörper der Frau zu schlagen versucht. Da sich S L in Bewegung befunden habe, hätte der Beamte allerdings die linke Kopfseite im Bereich der Schläfe getroffen, die Beschwerdeführerin habe hiedurch eine Verletzung davongetragen.

Die beiden Beschwerdeführer seien um 23.45 Uhr festgenommen worden, da sie den Tatbestand der schweren Körperverletzung nach §84 Abs2 Z4 StGB verwirklicht und da sie Beamte an einer Amtshandlung zu hindern versucht hätten (§269 StGB).

Während der Überstellung des Beschwerdeführers H auf das Bezirkspolizeikommissariat Döbling habe neuerlich Körpergewalt gegen H angewendet werden müssen, da dieser - näher dargestellte - Anstalten zur Flucht getroffen habe. In der Folge sei gegen H keine Körpergewalt mehr angewendet worden. Der Beschwerdeführer sei nach seiner Einvernahme durch einen rechtskundigen Beamten der belangten Behörde um 9.45 Uhr des 9. November 1989 aus der Haft entlassen worden.

Die Beschwerdeführerin S L sei aufgrund ihrer Verletzung in die zweite Unfallstation des AKH gebracht und dort nach stationärer Aufnahme die über sie verhängte Haft um 1.45 Uhr des 9. November 1989 aufgehoben worden.

3.a) Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. November 1990 wurde der Beschwerdeführer H H wegen der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§15, 269 Abs1 StGB, der schweren Körperverletzung nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB und der Sachbeschädigung nach dem §125 StGB (dieser Sachverhalt ist für den vorliegenden Fall nicht relevant) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt; die Beschwerdeführerin S L wurde mit demselben Urteil wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt; die verhängten Freiheitsstrafen wurden bei beiden Beschwerdeführern unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Die Schuldsprüche erfolgten, weil das Landesgericht als erwiesen annahm, daß der Beschwerdeführer H im Zuge der Auseinandersetzung auf dem Wachzimmer Krottenbachstraße vier - namentlich genannte - Polizeibeamte durch gezielte Schläge, Tritte und Bisse an einer Amtshandlung, nämlich seiner Eskortierung aus dem Wachzimmer zu hindern versucht und durch dieses Verhalten zwei

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namentlich genannte - Sicherheitswachebeamte verletzt habe; S L habe einem - ebenfalls namentlich genannten - Sicherheitswachebeamten durch einen Tritt in den Unterleib eine Verletzung (Unterleibsprellung) zugefügt. Das Landesgericht gelangte nach Durchführung eines Beweisverfahrens und Vernehmung aller an der Angelegenheit Beteiligten zu der Beweiswürdigung, daß

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entgegen der Darstellung des H H und der S L - das Gespräch des

H H mit den Polizeibeamten von vornherein in provokanter Manier geführt worden sei, wobei sich dieses provokante Verhalten im Zuge des Gesprächs noch gesteigert habe. Das Gericht gelangte zu seinen Feststellungen nicht nur aufgrund der von ihm als in den wesentlichen Punkten vollkommen übereinstimmend gewerteten glaubwürdigen und schlüssigen Angaben der Polizeibeamten, sondern begründete seine Beweiswürdigung auch noch mit weiteren Überlegungen (Gesamtbild der Ereignisse, innere Logik bestimmter näher dargestellter Vorgänge). Das Landesgericht nahm - wie bereits ausgeführt - auch als erwiesen an, daß die Beschwerdeführerin S L einem Sicherheitswachebeamten einen Tritt in den Unterleib versetzte, wodurch der Beamte verletzt worden sei.

b) Aufgrund der von den Beschwerdeführern gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen hat das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 18. November 1991 H H vom Strafantrag wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des - hier nicht relevanten - Vergehens der Sachbeschädigung freigesprochen; ebenso freigesprochen wurde S L vom Strafantrag wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung. Im übrigen gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des H H hinsichtlich der schweren Körperverletzung nicht Folge und verhängte über ihn wegen des Vergehens nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren.

Der Freispruch vom Anklagevorwurf des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt erfolgte aus rechtlichen Gründen (das Hinausweisen aus dem Wachzimmer stelle nur eine faktische Dienstverrichtung der Beamten, aber keine Amtshandlung im Sinne des §269 Abs3 StGB dar). Hinsichtlich der H H angelasteten schweren Körperverletzung führte das Berufungsgericht aus, das Erstgericht habe die Beweismittel ausgeschöpft, die Beweisergebnisse ausführlich erörtert sowie lebensnah und in denkrichtiger Weise gewürdigt. Das Erstgericht habe aus einer Gesamtschau der Beweisergebnisse die leugnende Verantwortung des H durch die in den wesentlichsten Details übereinstimmenden, erörterungsbedürftige Widersprüche nicht enthaltenden Aussagen der Polizeibeamten für widerlegt erachtet.

Der Freispruch der S L erfolgte, weil das Oberlandesgericht (nach einer diesbezüglichen Beweiswiederholung) davon ausging, daß S L den Polizeibeamten den behaupteten Tritt in den Unterleib möglicherweise versetzt hat, daß ein solcher Fußtritt aber nicht erweislich wäre, womit im Zweifel mit einem Freispruch vorzugehen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Beschwerden erwogen:

1. Vorausgeschickt wird hier, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt) kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, nach der "bisherigen" Rechtslage, d.h. nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1990, zu Ende zu führen ist.

2. Zur Festnahme und Anhaltung der Beschwerdeführer:

a) Das - gemäß Art8 Abs4 des BVG BGBl. 684/1988 hier noch anzuwendende - Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen im Sinne des §4 leg.cit. sind u.a. die §§175 bis 177 StPO.

Der Verfassungsgerichtshof geht bei der rechtlichen Beurteilung der in Beschwerde gezogenen Festnahme und Anhaltung davon aus, daß die Beschwerdeführer im Dienste der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurden. Gemäß §177 Abs1 StPO dürfen ausnahmsweise auch Organe der Sicherheitsbehörden die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier von der belangten Behörde ausdrücklich herangezogenen und damit maßgebenden (s. VfSlg. 5232/1966, 10229/1984, 11526/1987 und 11673/1988; vgl. auch VfSlg. 9393/1982, 10976/1986) Fall des Haftgrundes nach §175 Abs1 Z1 StPO zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch ohne schriftliche Anordnung verfügen.

Der Beurteilung der primär zu lösenden Frage, ob der im §175 Abs1 Z1 StPO für eine Festnahme zwingend vorausgesetzte Tatverdacht vertretbarerweise angenommen werden durfte, ist - nach der gefestigten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - jener Sachverhalt zugrundezulegen, der sich den einschreitenden Behördenorganen im Zeitpunkt der Amtshandlung darbot (zB VfSlg. 8633/1979, 10976/1986; s. auch VfSlg. 7818/1976, 10547/1985, VfGH 7.10.1991 B1352/90).

b) Aufgrund der oben wiedergegebenen strafgerichtlichen Urteile steht außer Zweifel, daß im Zeitpunkt der Festnahme vertretbarerweise angenommen werden konnte, die beiden Beschwerdeführer seien bei Begehung einer schweren Körperverletzung nach §84 Abs2 Z4 StGB auf frischer Tat betreten worden, und zwar auch S L, bei welcher - wenngleich nicht rechtskräftig - immerhin das Strafgericht erster Instanz in der Folge festgestellt hat, daß sie diesen Tatbestand gesetzt habe.

Die Festnahme der beiden Beschwerdeführer war daher gesetzmäßig.

Auch die Dauer der Anhaltung war nicht rechtswidrig. Die Haft über S L wurde bereits nach kurzer Zeit (um 1.45 Uhr) aufgehoben. H H wurde am darauffolgenden Vormittag nach Durchführung seiner Einvernahme auf freien Fuß gesetzt; von einer unnötigen, durch die Umstände nicht gerechtfertigten Verzögerung der Einvernahme und Entlassung des H H kann daher keinesfalls die Rede sein; derartiges wird in der Beschwerde auch nicht behauptet.

3. Zur Gewaltanwendung gegen die Beschwerdeführer:

a) Aufgrund der strafgerichtlichen Feststellungen, an denen zu zweifeln der Verfassungsgerichtshof keinen Anlaß sieht, steht fest, daß die in den Beschwerden vorgenommene Darstellung der Geschehnisse, insbesondere betreffend die Auseinandersetzung im Wachzimmer Krottenbachstraße, nicht zutrifft. Es war im Gegenteil so, daß der Beschwerdeführer H H durch sein - vom Strafgericht als provokant qualifiziertes - Verhalten die Anwendung von Körpergewalt gegen seine Person von Seiten der Sicherheitswachebeamten ausgelöst und im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung Sicherheitswachebeamten Verletzungen zugefügt hat. Das Beschwerdevorbringen kann daher von vorneherein insgesamt keine besondere Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nehmen.

Angesichts des aggressiven Verhaltens des Beschwerdeführers H kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden (geschweige denn als erwiesen angenommen werden), daß die von den Beamten gegen den Beschwerdeführer angewendete Gewalt in Mißhandlungsabsicht oder unter (Begleit-)Umständen gesetzt wurde, die eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Beschwerdeführers erkennen ließen (zur ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art3 MRK im allgemeinen und zur Fesselung mit Handschellen im besonderen s. zB VfSlg. 11327/1987 und die dort angeführte Vorjudikatur). Ob dabei in jeder Hinsicht rechtmäßig vorgegangen wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen. Eine vom Verfassungsgerichtshof allein wahrzunehmende Grundrechtsverletzung (insbesondere des Art3 MRK) kommt unter den hier obwaltenden Umständen aber - wie bereits ausgeführt - nicht in Betracht (vgl. hiezu auch VfSlg. 10018/1984 und die dort zitierte Vorjudikatur).

b) Zum gleichen Ergebnis gelangt der Verfassungsgerichtshof betreffend die gegen die Beschwerdeführerin S L erfolgte Gewaltanwendung.

Wenngleich feststeht, daß ein - namentlich genannter - Sicherheitswachebeamter der Beschwerdeführerin im Verlauf der turbulenten Geschehnisse im Wachzimmer Krottenbachstraße einen Schlag mit dem Gummiknüppel versetzte, welcher die Beschwerdeführerin am Kopf traf und Verletzungen verursachte und wenngleich das Strafgericht letztlich im Zweifel nicht als erwiesen angenommen hat, daß die Beschwerdeführerin diesem Sicherheitswachebeamten unmittelbar vorher einen Tritt in den Unterleib versetzte, kann andererseits auch nicht als erwiesen angesehen werden, daß der Schlag mit dem Gummiknüppel unter Umständen erfolgte, die ihn als Verstoß gegen Art3 MRK qualifizieren würden. Angesichts der tumultartigen Zustände im Wachzimmer und der allgemeinen Bewegung, welche dabei zwangsläufig geherrscht haben muß, kann keineswegs mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß der Beamte die Beschwerdeführerin mit Absicht am Kopf getroffen hat. Daß aber bei der damaligen Situation der Gebrauch des Gummiknüppels an sich von vornherein völlig unangemessen im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art3 MRK gewesen wäre, kann nicht gesagt werden.

c) Im übrigen genügt zu den Beschwerdebehauptungen in Richtung Art3 MRK der Hinweis auf die mit dem Erkenntnis VfSlg. 8654/1979 begonnene ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach unangemessene Ausdrucksweisen von Beamten oder Beschimpfungen durch Beamte als solche keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG darstellen. Da das diesbezügliche Beschwerdevorbringen jedoch nur einen nicht tragenden Teil der Vorwürfe einer menschenrechtswidrigen Behandlung der Beschwerdeführer bildet, begnügt sich der Verfassungsgerichtshof mit diesem Hinweis, ohne diesbezüglich eine (ausdrückliche) Zurückweisung der Beschwerde auszusprechen.

4. Die Beschwerden sind aus all den genannten Gründen abzuweisen.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf §88 VerfGG.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1550.1989

Dokumentnummer

JFT_10079775_89B01550_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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