TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/30 92/06/0266

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Veröffentlicht am 30.06.1994
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

BauO Stmk 1968 §70 Abs2;
BauO Stmk 1968 §70 Abs3;
BauO Stmk 1968 §70;
BauRallg;
VVG §10 Abs2;
VVG §4 Abs2;
VVG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in Y, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Y, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. November 1992, Zl. 03-12 We 55-92/22, betreffend Vorauszahlung von Kosten einer Ersatzvornahme, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines Grundstückes in Graz mit einem darauf errichteten Haus.

Mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 30. August 1988 wurde dem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin (Voreigentümer der Liegenschaft) gemäß § 70 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO) aufgetragen, 1. die Kanalgrundleitung 0 150 Steinzeug zwischen den beiden Putzschächten im Hofdurchgang zu erneuern, 2. den Putzschacht 60/60 vor der WC-Anlage eines näher bezeichneten Gasthauses zu erneuern, 3. den Putzschacht im Keller mit einer rückstausicheren Abdeckung zu versehen, wobei 4. diese Arbeiten im Einvernehmen mit dem Kanalbauamt durchzuführen seien. Der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin erhielt weiters den Auftrag, diese Arbeiten innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft des Bescheides von einem berechtigten Bauführer durchführen zu lassen.

Der am 1. September 1988 zugestellte Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Mit Erledigung vom 21. Oktober 1988 drohte die Baubehörde erster Instanz dem Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers die Ersatzvornahme an, weil er den Aufträgen nicht nachgekommen sei, und erteilte unter Hinweis auf § 4 VVG eine Nachfrist von einem Monat. Da die Mängel weiterhin nicht behoben wurden, ermittelte die Behörde den zu erwartenden Aufwand mit S 123.600,-- und gewährte hiezu der Beschwerdeführerin, die die Liegenschaft unterdessen erworben hatte, mit Mitteilung vom 31. Oktober 1989 Parteiengehör. Die Beschwerdeführerin wendete ein, daß sich der Zustand des Objektes seit Erlassung des Bescheides vom 30. August 1988 so sehr verschlechtert habe, daß wirtschaftliche Abbruchreife anzunehmen sei (wurde näher ausgeführt).

Mit dem als "Vollstreckungsverfügung und Auftrag zur Vorauszahlung der Kosten" bezeichneten Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 5. Feber 1990 wurde der Beschwerdeführerin zwecks Durchführung dieser Arbeiten gemäß § 4 VVG aufgetragen, als Vorauszahlung der Kosten für die Ersatzvornahme den Betrag von S 123.600,-- gegen nachträgliche Verrechnung binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides einzubezahlen. Begründend wurde ausgeführt, daß, wenn einer Partei die Erfüllung einer Verpflichtung bescheidmäßig aufgetragen worden sei und sie dieser Verpflichtung trotz erfolgter Androhung der Ersatzvornahme nicht nachkomme, die Erlassung einer Vollstreckungsverfügung mit Auftrag zur Vorauszahlung der Kosten für die Ersatzvornahme gesetzlich vorgesehen sei. Einwendungen gegen die Höhe der Kosten seien nicht erhoben worden. Einwendungen hingegen, die die wirtschaftliche Unzumutbarkeit beträfen, könnten immer nur Gegenstand eines materiellen Verfahrens sein und sich somit nur gegen einen materiellen Titel, der Grundlage des Vollstreckungsverfahrens sei, richten.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie zusammenfassend (weiterhin, mit näherer Ausführung) wirtschaftliche Abbruchreife des Objektes geltend machte; mit Eingaben vom 16. September 1991 und vom 28. Oktober 1991 ergänzte die Beschwerdeführerin ihr diesbezügliches Vorbringen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen, hat weiters unter Hinweis auf die bereits angedrohte Ersatzvornahme die Vollstreckung verfügt und der Beschwerdeführerin gemäß § 4 VVG aufgetragen, als Kosten der voraussichtlichen Ersatzvornahme einen Betrag von S 123.600,-- gegen nachträgliche Verrechnung binnen zwei Wochen nach Zustellung des Berufungsbescheides dem Magistrat Graz zu bezahlen. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges ausgeführt, daß der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz mit Bescheid vom 12. April 1991 den Abbruch des gegenständlichen Gebäudes bewilligt habe und mit der Entscheidung des Magistrates Graz vom 14. August 1991 ein Antrag von Hauptmietern im gegenständlichen Gebäude zur Vornahme notwendiger Erhaltungsarbeiten abgewiesen worden sei, was mit wirtschaftlicher Unzumutbarkeit der beantragten Arbeiten begründet worden sei. Das Objekt sei aber am 16. Oktober 1992 immer noch benutzt (Gasthaus) bzw. bewohnt worden (eine näher bezeichnete Wohnung). Gemäß § 10 Abs. 2 VVG 1991 könne Berufung gegen eine nach diesem Gesetz erlassenen Vollstreckungsverfügung nur erhoben werden, wenn die Vollstreckung unzulässig sei, die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimme oder wenn die angeordneten und angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen seien oder mit der Vorschrift des § 2 VVG im Widerspruch stünden. Gemäß dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei sei lediglich zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall eine Vollstreckung unzulässig sei, was dann der Fall sein könnte, wenn sich seit Erlassung des Titelbescheides wesentliches geändert hätte, das heiße in einem Maße, daß bei Vorliegen des neuen Sachverhaltes nicht mehr ein im Spruch gleichlautender Bescheid erlassen werden könnte. Die Beschwerdeführerin habe jedoch zu keinem der drei Aufträge, welche die Behebung von Gebrechen der Hauskanalanlage zum Gegenstand hätten, derartige Gründe vorgebracht; auch der Behörde seien solche Gründe nicht erkennbar. Bedenke man, daß das Haus nach wie vor benutzt bzw. bewohnt werde, obwohl seit rund eineinhalb Jahren eine Abbruchbewilligung vorliege, erscheine es vielmehr durchaus wahrscheinlich, daß auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf die eindeutige Qualifikation der angeordneten Arbeiten als Sicherungsmaßnahmen ein gleichlautender Titelbescheid zur Behebung von Schäden bei der Ableitung von Sanitärabwässern ergehen würde. Die Auffassung, daß unter Sicherheitsmaßnahmen ausnahmslos nur provisorische Maßnahmen verstanden werden könnten, entspreche nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Maßnahmen, die erforderlich seien, um eine unmittelbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bewohner des Gebäudes, der Nachbarschaft und der Straßenbenützer hintanzuhalten, müßten auch bei einem zum Abbruch bestimmten Gebäude durchgeführt werden (verwiesen wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Februar 1966, Zl. 325/65). Bei Berücksichtigung der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Magistrates Graz könne kein Zweifel bestehen, daß die Baumängel Gefahren für die Gesundheit von Menschen verursachen könnten. Bei Erhebungen sei nämlich festgestellt worden, daß vermehrt Rattenlöcher vorgefunden und auch Ratten gesichtet worden seien. Durch das Auftreten von Ratten seien Krankheitsübertragungen durch direkten oder indirekten Kontakt durch Zwischenwirte (Milben, Zecken, Flöhe udgl.) möglich. Sicherungsmaßnahmen würden zwar in der Regel, aber nicht immer den Charakter einer provisorischen Maßnahme tragen. In Ansehung der Durchführung bloßer Sicherungsmaßnahmen war die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit nicht aufzuwerfen; sie könnten auch bei zum Abbruch bestimmten Baulichkeiten angeordnet werden (verwiesen wird auf die Erkenntnisse der Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1962, Zl. 736/62 wie auch vom 15. März 1962, Zl. 1479/60). Der Umstand, daß im Hinblick auf den schlechten Zustand des Hauses eine Abbruchbewilligung erteilt worden sei, könne nichts an der Zulässigkeit der Vorschreibung der Beseitigung der Baumängel an der Hauskanalanlage auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ändern. Keinesfalls reiche das Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführer aus, die Unzulässigkeit einer Vollstreckung "glaubhaft zu machen".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin leide der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weil die nachträgliche Verschlechterung des Bauzustandes und die dadurch eingetretene wirtschaftliche Unzumutbarkeit von Instandsetzungsmaßnahmen zu Unrecht nicht als Vollstreckungshindernis gemäß § 10 VVG anerkannt worden sei, "bzw.", weil die belangte Behörde ohne ausreichende Deckung im Ermittlungsverfahren von der Annahme ausgegangen sei, daß es sich bei den aufgetragenen Arbeiten um Sicherungsmaßnahmen handle, im Zuge derer die Frage auch nachträglich eingetretener wirtschaftlicher Zumutbarkeit keine Bedeutung habe.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 7. Februar 1966, Zl. 325/65, ausgesprochen, daß die Auffassung, wonach als Sicherungsmaßnahmen ausnahmslos nur provisorische Maßnahmen verstanden werden könnten, unzutreffend sei. Maßnahmen, die erforderlich seien, um eine unmittelbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bewohner des Gebäudes und auch der Nachbarschaft hintanzuhalten, müßten auch bei einem zum Abbruch bestimmten Gebäude durchgeführt werden. Sicherungsmaßnahmen hätten zwar regelmäßig, aber nicht stets den Charakter einer provisorischen Maßnahme. Auch wurde ausgesprochen, daß in Ansehung der Durchführung bloßer Sicherungsmaßnahmen die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit nicht aufzuwerfen sei (Erkenntnis vom 23. November 1962, Zl. 736/62); Sicherungsmaßnahmen könnten auch bei zum Abbruch bestimmten Baulichkeiten angeordnet werden (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Februar 1966, Zl. 325/65, und vom 15. März 1962, Zl. 1479/60, alle ergangen zur insofern vergleichbaren Rechtslage nach der Wiener Bauordnung - Leitsätze abgedruckt in Hauer, Steiermärkisches Baurecht2, E 26 und 27 zu § 70 BO).

Gemäß § 70 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 54/1992, hat der Eigentümer auch dafür zu sorgen, daß die Bauten in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden. Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Baubehörde, wenn der Eigentümer seinen Verpflichtungen gemäß Abs. 2 nicht nach kommt, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen anzuordnen und die Behebung von Baugebrechen unter Festsetzung einer angemessenen Frist aufzutragen. Ist die Behebung der Baugebrechen nicht mehr möglich oder wirtschaftlich nicht mehr zumutbar, so kann aus Gründen der Sicherheit die Räumung und Schließung von Bauten oder Teilen derselben und nötigenfalls deren Abbruch angeordnet werden.

Die Vollstreckung von bescheidmäßig angeordneten Sicherungsmaßnahmen erfolgt im Wege der Ersatzvornahme nach § 4 VVG. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Juni 1989, Zl. 84/05/0035 = Slg. 12.942/A ausgesprochen hat, ist ein Auftrag zur Vorauszahlung der Kosten einer Ersatzvornahme keine Vollstreckungsverfügung, sondern ein Bescheid im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens; dies bedeutet insbesondere, daß keine Einschränkung der Berufungsgründe im Sinne des § 10 VVG gegeben ist (siehe hiezu etwa Hauer, Steiermärkisches Baurecht2, Anmerkung 5 zu § 70 BO, Seite 235 f).

Vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles war die Beurteilung der belangten Behörde zutreffend, daß es sich bei den fraglichen Maßnahmen zur Behebung der Schäden an der Hauskanalisation um "Sicherungsmaßnahmen" im aufgezeigten Sinn handelte, also um Maßnahmen, die erforderlich sind, um eine unmittelbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bewohner des Gebäudes (hier auch allenfalls der Nachbarschaft) hintanzuhalten, weil - und auch diesbezüglich ist der Beurteilung der belangten Behörde beizutreten - durch schadhafte Kanalisationsanlagen eine gesundheitliche Gefährdung der Benützer und Bewohner des Hauses zu besorgen ist.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid ausdrücklich festgestellt, daß am 16. Oktober 1992 das Gasthaus weiterhin benutzt bzw. eine bestimmte Wohnung weiterhin bewohnt war. Das erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen, daß Ende Mai 1991 - "mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folge eines Ausläufers eines Erdbebens in Slowenien"- ein Teil der Gebäudesubstanz im Hof eingestürzt sei und "der Rest des Hofgebäudes" über baubehördlichen Auftrag abgetragen worden sei, "insbesondere die WC-Anlage des Gasthauses", entzieht sich einer konkreten Auseinandersetzung mit dieser Feststellung, zumal das Vorbringen auch nicht zu erkennen gibt, wann diese Maßnahmen gesetzt worden seien und weshalb die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren nicht mehr darauf habe verweisen können. Diese Ausführungen sind daher einerseits nicht geeignet, Bedenken an den genannten Feststellungen der belangten Behörde zu erwecken, und auch andererseits als (unzulässige) Neuerungen zu werten, auf die gemäß § 41 VwGG im Beschwerdeverfahren nicht weiter Bedacht genommen werden darf.

Wird aber das Gebäude ungeachtet seiner wirtschaftlichen Abbruchreife weiterbenutzt und (teilweise) bewohnt, war die Anordnung der fraglichen Ersatzvornahme und damit die entsprechende Kostenvorschreibung (die der Höhe nach unbekämpft ist) rechtmäßig, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Baupolizei Vollstreckung Kosten BauRallg10

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992060266.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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