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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1993, Zl. 4.335.879/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1993 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 12. März 1992 ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer - einem Staatsangehörigen der ehemaligen UdSSR (Angehörigen der russichen Minderheit in Moldavien), der am 22. Februar 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. Februar 1992 einen Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer - ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen - deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 29. Februar 1992 aus, wonach dieser über Bulgarien und Jugoslawien nach Österreich eingereist sei und sich vom 13. Dezember 1991 bis 27. Jänner 1992 in Bulgarien aufgehalten habe. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde begründend aus, der Beschwerdeführer sei bereits vor seiner Einreise nach Österreich vor Verfolgung sicher gewesen, weil hinsichtlich Bulgarien davon auszugehen sei, daß die Rechtsordnung dieses Staates einen entsprechenden Schutz gewähre; Sicherheit in einem Drittstaat könne auch dann gegeben sein, wenn dem Asylwerber ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung gestanden seien, eine Abschiebung in den Verfolgerstaat zu verhindern.
Vorauszuschicken ist, daß es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. insbesondere die
hg. Erkenntnisse vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und vom 29. Oktober 1993, Zl. 93/01/0952) - entgegen der vorgetragenen Auffassung des Beschwerdeführers - nicht darauf ankommt, ob der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt geworden und von ihnen geduldet oder gebilligt worden ist.
Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde aber im Ergebnis mit Recht vor, sie habe hinsichtlich der Frage, ob er in Bulgarien vor Verfolgung UND Rückschiebung in den Verfolgerstaat konkret sicher WAR, weder Ermittlungen angestellt noch ausreichende Feststellungen getroffen. Er macht ferner geltend, aufgrund der damaligen Situation in Bulgarien, insbesonders einer bestehenden intensiven Kollaboration zwischen den Machthabern Bulgariens und Moldaviens, habe er in Bulgarien mit seiner Auslieferung rechnen müssen.
Grundsätzlich bedürfen alle Tatsachen, auf die eine behördliche Entscheidung gestützt werden soll, eines Beweises. Ausnahmen bestehen nur für Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig (notorisch; amtsbekannt) sind und für solche Tatsachen, für deren Vorliegen das Gesetz eine Vermutung aufstellt (vgl. § 11 AsylG 1991 in Verbindung mit § 45 Abs. 1 AVG). Da die in Rede stehenden Tatsachen, ob der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in einem anderen Staat (hier: Bulgarien) bereits vor Verfolgung und Rückschiebung sicher war, aber weder als offenkundig angesehen werden konnten - auch offenkundige Tatsachen bzw. von der Behörde als offenkundig behandelte Tatsachen wären einer Partei vorzuhalten (Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I (1987) 409) - noch dem AsylG 1991 oder anderen gesetzlichen Bestimmungen insoweit eine gesetzliche Vermutung zu entnehmen ist, war die belangte Behörde im Falle der Heranziehung des Ausschließungsgrundes gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 daher gehalten, diese demnach beweisbedürftigen Tatsachen von sich aus zum Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens zu machen und aufgrund der Ergebnisse eines solchen Ermittlungsverfahrens für eine rechtliche Beurteilung ausreichende Feststellungen zu treffen (vgl. die §§ 56 und 67 AVG in Verbindung mit § 11 AsylG 1991).
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakte wurde der Beschwerdeführer von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich im Rahmen seiner niederschriftlichen Vernehmung am 29. Februar 1992 jedoch bloß nach seinem Fluchtweg gefragt (Punkt 18), es wurde ihm aber im gesamten Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit gegeben, zu dem für ihn überraschend im angefochtenen Bescheid relevierten Ausschließungsgrund bzw. seinem Rückschiebungsschutz Stellung zu nehmen, weshalb den in der Beschwerde dazu vorgebrachten Behauptungen auch nicht das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG entgegensteht (vgl. für viele z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Apri 1994, Zl. 94/01/0004).
Bei Zutreffen der in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptung könnte aber nicht mehr ohne weiteres davon die Rede sein, daß - entsprechend der Begründung des angefochtenen Bescheides - nichts dafür spreche, daß Bulgarien die sich aus seiner Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige.
Im Hinblick darauf, daß ein diese Aussagen der belangten Behörde belegendes Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht vorlag, das der Entscheidung der belangten Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hätte zugrunde gelegt werden können, war dieses Ermittlungsverfahren mit wesentlichen Mängeln behaftet, was den an die Behörde erster Instanz gerichteten Auftrag zu dessen Ergänzung erfordert hätte (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 93/01/1428). Darin, daß die belangte Behörde dies unterlassen hat und dem Beschwerdeführer die als offenkundig behandelten Tatsachen nicht vorgehalten wurden, ist ein Verfahrensmangel gelegen, dessen Wesentlichkeit der Beschwerdeführer - wie aufgezeigt - in der Beschwerde dargetan hat.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
Schlagworte
Parteiengehör Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Verfahrensmängel SachverhaltsermittlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190391.X00Im RIS seit
27.11.2000