TE Vwgh Erkenntnis 1994/7/4 94/19/0260

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Veröffentlicht am 04.07.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des K, infolge Verehelichung nunmehr S, in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. September 1993, Zl. 4.343.160/2-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. September 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen von Bangladesch, der am 1. Juli 1993 in das Bundesgebiet einreiste und am 23. Juli 1993 einen Asylantrag stellte - gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. August 1993 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Das Bundesasylamt hat seinen abweislichen erstinstanzlichen Bescheid ausschließlich damit begründet, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme. In seiner dagegen erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer dargelegt, aus welchen Gründen er - entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes - als Flüchtling hätte anerkannt werden müssen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer - ohne sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen - deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging im angefochtenen Bescheid von den Angaben des Beschwerdeführers in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13. August 1993 aus, wonach dieser am 14. Mai 1993 von Bangladesch legal nach Indien gereist und nach einem 28 tägigen Indienaufenthalt per Flugzeug über Moskau legal nach Rumänien eingereist sei; der Beschwerdeführer sei über Ungarn, wo er sich fünf Tage aufgehalten habe, in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Ferner legte die belangte Behörde ihrer Entscheidung die Darstellung des Beschwerdeführers zugrunde, daß ihm in Indien sowohl von der rumänischen als von der ungarischen Botschaft gültige Visa ausgestellt worden seien, er sich "in allen Ländern, in denen er sich vor seiner Einreise nach Österreich aufgehalten habe, sicher gefühlt habe", und daß er sich von 15. bis 25. Juni 1993 mit Kenntnis, Billigung und Duldung der Behörden in Rumänien aufgehalten habe. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde begründend aus, der Beschwerdeführer sei in Rumänien keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen und habe auch nicht befürchten müssen, von Rumänien - einem seit 7. August 1991 der Genfer Konvention als Mitglied angehörenden Staat - in sein Heimatland abgeschoben zu werden; es spräche auch nichts dafür, daß Rumänien seine aus der Mitgliedschaft bei der Genfer Konvention resultierenden Pflichten, insbesondere das im Art. 33 der genannten Konvention vereinbarte Refoulementverbot vernachlässige.

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auf den Ausschließungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 eingeht, wirft er der belangten Behörde vor, sie habe über die für seine Person angenommene Sicherheit in einem Drittstaat bloße Spekulationen angestellt, aber insoweit ausreichende erstinstanzliche Feststellungen nicht getroffen bzw. eine aktenmäßige Deckung nicht aufzeigen können, um ihre rechtlichen Schlußfolgerungen darauf stützen zu können. Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, daß Rumänien einem nichteuropäischen Flüchtling keinen Schutz vor Abschiebung biete und daher kein sicheres Drittland gewesen sei; er sei in Rumänien vor Rückschiebung nicht sicher gewesen.

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. anzunehmen, wenn der Asylwerber im Drittstaat keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetz war UND auch wirksamen Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat hatte. Dabei kommt es aber weder auf das subjektive Wissen eines Asylwerbers über die Verhältnisse in den Ländern seines Aufenthaltes noch auf seine subjektiven Motive für die Einreise (Weiterreise) nach Österreich an, sondern ausschließlich auf die OBJEKTIVE Lage im Drittland (vgl. für viele die hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0093, und vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0242).

Ferner ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer weder im erstinstanzlichen Verfahren noch von der belangten Behörde mit der Frage seines wirksamen Rückschiebungsschutzes - der mit der Sicherheit vor Verfolgung inhaltlich nicht gleichzusetzen ist - konfrontiert wurde. Da das Bundesasylamt den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht herangezogen hatte, der Beschwerdeführer in seiner Berufung zu diesem daher nicht Stellung beziehen mußte, steht den gegen den von der belangten Behörde erstmals herangezogenen Ausschließungsgrund vorgetragenen Beschwerdeausführungen daher auch nicht das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG entgegen (vgl. für viele z. B. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zl. 94/01/0004).

Bei Zutreffen der in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptung könnte aber nicht mehr ohne weiteres davon die Rede sein, daß - entsprechend der Begründung des angefochtenen Bescheides - nichts dafür spreche, daß Rumänien die sich aus seiner Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige.

Im Hinblick darauf, daß ein diese Aussagen der belangten Behörde belegendes Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht vorlag, das der Entscheidung der belangten Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hätte zugrunde gelegt werden können, war dieses Ermittlungsverfahren mit wesentlichen Mängeln behaftet, was den an die Behörde erster Instanz gerichteten Auftrag zu dessen Ergänzung erfordert hätte (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 93/01/1428). Darin, daß die belangte Behörde dies unterlassen hat und dem Beschwerdeführer die als offenkundig behandelten Tatsachen nicht vorgehalten wurden, sind Verfahrensmängel gelegen, deren Wesentlichkeit der Beschwerdeführer - wie aufgezeigt - in der Beschwerde dargetan hat.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.

Schlagworte

Parteiengehör Allgemein Sachverhalt Verfahrensmängel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190260.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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