TE Vwgh Erkenntnis 1994/7/6 94/20/0209

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Veröffentlicht am 06.07.1994
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in K, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juni 1993, Zl. 4.312.531/3-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, ist am 20. März 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Am 26. März 1991 hat der damals noch minderjährige Beschwerdeführer mit nachträglicher Genehmigung des für ihn bestellten Sachwalters um die Gewährung von Asyl angesucht. In seiner Vernehmung durch die Behörde erster Instanz am 23. Oktober 1991 gab der Beschwerdeführer an, daß er Kurde sei, jedoch in der Türkei seine Muttersprache nicht sprechen habe dürfen, wodurch es ihm nicht möglich gewesen sei, diese richtig zu erlernen.

In den Jahren 1984 bis 1991 sei er insgesamt dreimal von Soldaten zu Hause abgeholt und zur Gendarmerie nach Pertek gebracht worden (auf den Vorhalt, im Jahre 1984 erst 10 Jahre gewesen zu sein, gab der Beschwerdeführer an, daß auch Kinder festgenommen würden).

Er sei bei den letzten Festnahmen im Jahre 1990 und 1991 auch geschlagen worden und habe Stockschläge erhalten. Die Festnahmen hätten zwei Tage bzw. einen Tag gedauert. Im Februar 1991 habe er ohne Schwierigkeiten einen Reisepaß bekommen, mit welchem er mit dem Autobus über Bulgarien nach Rumänien gekommen sei. Nach einem einwöchigen Aufenthalt in Bukarest sei er über Maribor nach Österreich gekommen. Der Grenzübertritt sei zu Fuß erfolgt.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. Oktober 1991 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgelehnt. Aufgrund der von der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt Jugendabteilung als mit Beschluß des Bezirksgerichtes Kirchschlag vom 30. Juli 1991 bestellter Sachwalter erhobenen Berufung erging der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde.

Die belangte Behörde wies die Berufung des Beschwerdeführers ab und stellte fest, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensganges vor der Behörde erster Instanz aus, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, nicht ergeben habe, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (gemeint: des Asylgesetzes 1991) sei.

Nach Wiedergabe des Flüchtlingsbegriffs des Asylgesetzes 1991 führt die belangte Behörde hiezu aus, daß den Angaben des Beschwerdeführers bei der niederschriftlichen Einvernahme die Glaubwürdigkeit versagt bleiben müsse, da dieser in deren Verlaufe divergierende Angaben bezüglich der kurdischen Sprachkenntnisse gemacht habe. Während er am Beginn der Niederschrift ausgeführt habe, daß er die Muttersprache in der kurdischen Türkei nicht sprechen hätte dürfen und es ihm deshalb nicht möglich gewesen sei, diese auch zu erlernen, so hätte er im weiteren Verlaufe angegeben, daß er wegen Verwendung der kurdischen Sprache bzw. seiner Abstammung festgenommen und mißhandelt worden sei.

Die Glaubwürdigkeit der Angaben eines Asylwerbers sei insbesondere dann nicht gegeben, wenn dieser "die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich" darstelle oder, "wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen".

Die allgemeine Situation, in der sich die kurdische Bevölkerung in der Türkei befinde, genüge für sich allein für die Gewährung des Asyls nicht. Dazu bedürfe es einer gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichteten Benachteiligung. Die polizeilichen Belästigungen und die allgemeinen Benachteiligungen träfen aber den Großteil der kurdischen Bevölkerung in ähnlicher Weise und richteten sich nicht speziell gegen den Beschwerdeführer. Sie könnten zudem nicht als genügend intensive Eingriffe bezeichnet werden und stellten keine ernsthaften Nachteile im Sinne des Asylgesetzes dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer seinem gesamten Vorbringen zufolge in seinem Recht auf Asylgewährung durch Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides verletzt erachtet. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde unter Zuspruch der Kosten für den Vorlageaufwand abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das gegenständliche Berufungsverfahren war am 1. Juni 1992 bereits beim Bundesminister für Inneres anhängig. Demzufolge ist gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1991 - wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat - das Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 zu Ende zu führen gewesen.

Nach der Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz ging die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich davon aus, daß aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens keine einwandfreien Anhaltspunkte dafür gegeben seien, daß die vom Beschwerdeführer "aufgestellten Behauptungen auch tatsächlich zutreffen".

Die belangte Behörde ist aufgrund des in der ersten Instanz festgestellten Sachverhalts in der Begründung ihres Bescheides einerseits davon ausgegangen, daß die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers nicht gegeben sei bzw. daß andererseits die geltend gemachten Verhaftungen aufgrund ihrer Intensität keinen für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft relevanten Nachteil darstellten.

Die von der belangten Behörde für die mangelnde Glaubwürdigkeit gegebene Begründung erscheint jedoch nicht schlüssig. Die belangte Behörde beruft sich zunächst darauf, daß der Beschwerdeführer im Verlaufe seiner Angaben bezüglich seiner kurdischen Sprachkenntnisse divergierende Angaben gemacht hätte. Diese Feststellung ist insoferne aktenwidrig, als der Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 1991 eindeutig zu entnehmen ist, daß der Beschwerdeführer zunächst angegeben hat, in der Türkei seine Muttersprache nicht habe sprechen dürfen, wodurch es ihm nicht möglich gewesen sei, diese richtig zu erlernen.

In weiterer Folge hat er angegeben, daß die Festnahmen erfolgt seien, weil er Kurde sei und kurdisch gesprochen habe. Über Vorhalt, daß er angegeben habe, nicht kurdisch zu können, führte der Beschwerdeführer der Niederschrift zufolge aus, daß er nicht das "richtige Kurdisch" könne, sondern daß in seinem Dorf "ein eigener Dialekt gesprochen" worden sei.

Aus diesen Angaben kann nicht abgeleitet werden, daß der Beschwerdeführer Widersprüchliches zu Protokoll gegeben habe. Die Angabe, wegen der Verwendung des Kurdischen verhaftet worden zu sein, steht mit der Angabe, das Kurdische nicht richtig haben erlernen zu können, nicht in Widerspruch.

Die Schlußfolgerungen der belangten Behörde lassen sich somit nicht auf die Ermittlungsergebnisse der Behörde erster Instanz zurückführen.

Da die belangte Behörde außer dem genannten Grund keine weiteren Gründe für die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers anführt, erweist sich dieser Verfahrensmangel auch als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG. Da die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verhaftungen und Mißhandlungen (Schläge) konkrete Verfolgungshandlungen darstellen und damit eine Furcht vor Verfolgung möglich erscheinen lassen und bei Zutreffen der Angaben des Beschwerdeführers eine Verfolgung aus ethnischen Gründen vorläge, betrifft der diesbezügliche Verfahrensmangel einen wesentlichen Punkt des maßgebenden Sachverhalts (vgl. bezüglich der Verpflichtung zur Durchführung von Erhebungen zu den vom Beschwerdeführer geltend gemachten konkreten Verfolgungshandlungen z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1990, Zl. 90/01/0156).

Der Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang im Recht, wenn er sich gegen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid wendet, die sich mit der allgemeinen Situation, in der sich die kurdische Bevölkerung in der Türkei befindet, beschäftigen. Ein Eingehen auf diese Rechtsausführungen erübrigt sich daher.

Soweit im angefochtenen Bescheid - entgegen den (darin) getroffenen Feststellungen, daß die Angaben des Beschwerdeführers nicht glaubhaft seien - dennoch eine rechtliche Wertung der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben (offenbar unter der Annahme, daß sie zutreffen) vorgenommen wird, ist dazu zu bemerken, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die wiederkehrende Festnahme und das Ausgesetztsein von Schlägen durchaus eine begründete Furcht im Sinne des § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 begründen kann (vgl. dazu das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Oktober 1990, Zl. 90/01/0156 und das Erkenntnis vom 7. November 1990, Zl. 90/01/0138).

Auch die Feststellung der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer in der Folge aus den Vorkommnissen keine weiteren Nachteile erwuchsen, geht im Hinblick auf die zeitliche Nähe des letzten der Vorfälle (der übrigens - worauf die Beschwerde ebenfalls zutreffend hinweist - von der Behörde erster Instanz nicht genau zeitlich spezifiziert wurde) zur Ausreise des Beschwerdeführers ebenfalls an der Sache vorbei. Die letzte geltend gemachte Verhaftung liegt nach der Niederschrift über die Vernehmung im Verfahren vor der Behörde erster Instanz nur rund zwei Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers. Bei dieser Sachlage kann der belangten Behörde nicht gefolgt werden, wenn sie meint, dem Beschwerdeführer seien aus den geltend gemachten Vorkommnissen in der Folge "keine weiteren Nachteile" erwachsen.

Da der in erster Instanz festgestellte Sachverhalt somit die Annahmen der belangten Behörde nicht zu tragen vermag, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, in deren Pauschalsätzen aber die Umsatzsteuer bereits enthalten ist, sodaß das auf Zuerkennung eines Ersatzes von Umsatzsteuer über den Pauschalsatz hinaus gerichtete Begehren abzuweisen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200209.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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