TE Vwgh Erkenntnis 1994/8/11 94/06/0082

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Veröffentlicht am 11.08.1994
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;

Norm

BauG Vlbg 1972 §31 Abs2;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der Marktgemeinde L, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 14. März 1994, Zl. I-2-1/1994, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: X-Gesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 14. Jänner 1992 hat Dipl.Ing. H.K. für Chr.V. einen Antrag auf Vorprüfung gemäß § 28 des Vorarlberger Baugesetzes bei der beschwerdeführenden Marktgemeinde eingebracht. Das Vorprojekt beinhaltete die Bebauung des Areals auf den Parzellen 283/1, 372, 263, 373 und 193/1 im Gesamtausmaß von 3.322 m2. Dieses Projekt sah die Einbeziehung bestehender Bauten auf diesem Areal vor sowie den Zubau von Wohnungen und Gewerbeobjekten; es wies eine Baunutzungszahl von ca. 95 % auf. Nach Befassung des Gestaltungsbeirates und des Bauausschusses der beschwerdeführenden Gemeinde wurde dem damaligen Antragsteller das positive Ergebnis dieser Beurteilungen zur Kenntnis gebracht.

Mit Eingabe vom 14. April 1992 beantragte die mitbeteiligte Partei die Durchführung der Vorprüfung für eine U-förmige Bebauung auf den Grundstücken Nr. 263, 373, 192/1 und 287/2. Dieses Areal weist eine Fläche von 2.126 m2 auf. Entgegen der Ersteingabe sah dieses Projekt keine teilweise Einbeziehung der alten Bausubstanz auf diesen Grundstücken vor. Es war vielmehr die Erstellung eines Neubaues mit einer Gesamtgeschoßfläche von

2.599 m2 für Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen und Büros mit Tiefgarage geplant. In seiner Sitzung vom 26. Mai 1992 führte der Gestaltungsbeirat aus, es erscheine keine Notwendigkeit zur Erhaltung des Altbestandes gegeben. Eine Erhaltung eines Teiles des Bestandes erscheine auch im Vorprojekt lediglich von bauökonomischen Überlegungen bestimmt zu sein. Bei einer Neubebauung sollte jedoch auf die ortstypologische Entwicklung der Bundesstraße (B 190) eingegangen werden. Diese Manifestation erscheine zur historischen Dokumentation wichtig und führe konsequenterweise zur Bebauung mit Einzelkörpern. Diese beim Vorprojekt eingeschlagene Lösung sollte auch bei einer eventuellen Weiterprojektierung durch die mitbeteiligte Partei verfolgt werden. Ergänzend zu diesen Aussagen wurde von den Mitgliedern des Bauausschusses in der Sitzung vom 27. Mai 1992 die Meinung vertreten, daß die Baunutzungszahl des Bestandes, der gewerblich genutzt war, nicht bei einer Wohnnutzung als Basis herangenommen werden dürfe. Bei einer Renovierung bzw. Adaptierung des Bestandes wären sicherlich bezüglich der Baunutzungszahl Zugeständnisse denkbar (z.B. 95 % wie beim Vorprojekt, bezogen auf die Grundstücke mit dem Ausmaß von 2.126 m2). Die Mitglieder des Bauausschusses vertraten die Auffassung, daß die Baunutzungszahl beim Bebauungsvorschlag mit 65 % begrenzt werden müsse, da der gesamte Baubestand abgetragen würde; es gelte somit als Ausgangsbasis eine unbebaute Fläche. Das Ergebnis dieser Beschlußfassungen wurde der mitbeteiligten Partei zur Kenntnis gebracht.

Mit Eingabe vom 1. März 1993 ersuchte die mitbeteiligte Partei um die Erteilung der Baubewilligung zur Erstellung einer Wohn- und Geschäftsanlage auf den Grundstücken Nr. 287/2, 263, 373 und 192/1, wobei die Bewilligung für das diesen Grundstücken entsprechende Teilprojekt des Dipl.Ing. H.K. vom 14. Jänner 1992 beantragt wurde, jedoch ohne Einbeziehung der alten Bausubstanz, mit ausschließlich neuer Bebauung. Mit einer weiteren Eingabe vom selben Tage wurde um die Gewährung der Abstandsflächennnachsicht von 3,5 m für das Grundstück Nr. 287/2 gegenüber dem Grundstück Nr. 288 angesucht. Mit einem am 15. November 1993 bei der beschwerdeführenden Gemeinde eingelangten Antrag beantragte die mitbeteiligte Partei den Übergang der Entscheidungspflicht auf die Gemeindevertretung. Diese hat mit Bescheid vom 27. Dezember 1993 unter I dem Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG stattgegeben; unter II wurde das Bauansuchen gemäß § 31 Abs. 1 und 2 des Baugesetzes wegen Widerspruchs zu zwingenden gesetzlichen Bestimmungen abgewiesen. Zur Begründung der Abweisung des Bauansuchens wurde im wesentlichen ausgeführt, schon die Studie des Dipl.Ing. H.K., die noch keinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung enthalten habe, habe verschiedene Probleme aufgewiesen, wie etwa die Zufahrtsfrage. Richtig sei, daß der Gestaltungsbeirat diese Studie aus ortsbildlicher Sicht begrüßt habe. Eine verbindliche Vorprüfungsentscheidung sei aber nicht vorgelegen. Zu einem späteren Zeitpunkt habe die mitbeteiligte Partei der beschwerdeführenden Gemeinde mitgeteilt, daß die bestehende Bausubstanz so schlecht sei, daß ein Umbau der bestehenden Gebäude nicht sinnvoll sei, es komme daher nur ein Neubau in Frage. Gegenüber dem Konzept des Dipl.Ing. H.K. bestehe insofern ein grundlegender Unterschied, als dessen Konzept von der Einbeziehung der Grundstücke 372 und 283/1 ausgegangen sei, womit sich eine deutlich niedrigere Baunutzungszahl ergeben habe. Im vorliegenden Verfahren sei die Bauwerberin mehrfach mit der Tatsache konfrontiert worden, daß die Baunutzungszahlen von 136 % bisher in der beschwerdeführenden Gemeinde nie bewilligt worden seien. Es liege das antragsgegenständliche Grundstück außerhalb des Ortskernes innerhalb eines Gebietes, in dem Baunutzungszahlen auch nur in dieser Größenordnung nirgends vorkämen. Auf die Zufahrtsproblematik sei schon in der ersten Stellungnahme zum Konzept des Dipl.Ing. H.K. hingewiesen worden. Das gegenständliche Projekt werfe mehrere Fragen auf, so nach dem Vorhandensein ausreichender Park- und Kinderspielplätze und auch nach dem Norminhalt des Flächenwidmungsplanes, insbesondere im Hinblick auf dessen "verbale Anmerkungen". Das Bauansuchen sei aber schon wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Bauabstände abzuweisen gewesen, da unbestritten sei, daß das Baueingabeprojekt die Bauabstände nicht allseits einhalte. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits im Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0118, ausdrücklich ausgesprochen, daß die Möglichkeit einer zweckmäßigen Bebauung eines Grundstückes nur dann verneint werden könne, wenn bei Einhaltung der Bauabstände eine wirtschaftlich sinnvolle Bauführung nicht mehr möglich wäre. Die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes dürfe aber keinesfalls so ausgelegt werden, daß zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung des Bauplatzes zulässig sei. Da es sich nach der Auffassung der beschwerdeführenden Gemeinde um einen beantragten Neubau handle, komme auch der bisher auf den Grundstücken befindlichen Bausubstanz keine "normative" Wirkung dahingehend zu, daß etwa wiederum eine gleiche Übernutzung der antragsgegenständlichen Grundstücke zwingend erforderlich sei. Ursprünglich habe die mitbeteiligte Partei auch ein anderes Projekt (U-förmige Bebauung) zur baurechtlichen Bewilligung eingereicht; es sei sohin eine zweckmäßige Bebauung des Grundstückes auch bei Einhaltung der erforderlichen Bauabstände möglich, weshalb die Erteilung einer Bauabstandsnachsicht für das antragsgegenständliche Projekt schon aus rechtlich zwingenden Gründen nicht in Betracht komme.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung der mitbeteiligten Partei hob die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 14. März 1994 den Bescheid der Gemeindevertretung auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurück. Zur Begründung wurde im wesentlichen nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, aus § 31 Abs. 2 des Baugesetzes ergebe sich, daß die Unzulässigkeit des Vorhabens eindeutig sein müsse. Bestünden Zweifel, so sei gemäß § 29 Abs. 1 des Baugesetzes eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Es ergebe sich nach Auffassung der Vorstellungsbehörde nach den im Akt befindlichen Unterlagen bzw. den von der Baubehörde durchgeführten Prüfungen der Sach- und Rechtslage die eindeutige Unzulässigkeit des Bauvorhabens keineswegs. Wenn die Aufzählung im § 31 Abs. 2 leg. cit. auch nicht taxativ sei, seien Widersprüche zu einer bestehenden Flächenwidmung oder einem Bebauungsplan doch wesentliche Abweisungskriterien. Ein Projekt, das die Abstandsvorschriften des Baugesetzes nicht einhalte und die Erteilung von Ausnahmen nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes von vornherein nicht zulassen würde, werde wohl ebenfalls unter den § 31 Abs. 2 zu subsumieren sein. In der Begründung des angefochtenen Bescheides würden zahlreiche Argumente vorgebracht, die, wie die mitbeteiligte Partei zu Recht vorbringe, keine Abweisungsgründe seien. Mangels Vorliegens eines Bebauungsplanes oder einer Verordnung der beschwerdeführenden Gemeinde über das Maß der baulichen Nutzung sei es nicht von Belang, ob die Baunutzungszahl 136 betrage oder ob entgegen einem Vorprüfungsprojekt, bestimmte Grundstücke (372 und 282/1) nicht mehr zur Berechnung der Baunutzungszahl herangezogen werden könnten. Nach Auffassung der belangten Behörde sei es entgegen der Meinung der mitbeteiligten Partei zutreffend, daß die Vorprüfungsanträge vom 14. Jänner und 14. April 1992 nicht abschließend, weil nicht bescheidmäßig erledigt worden seien, weshalb eine Berufung auf deren Ergebnisse unzulässig sei. Im vorliegenden Fall liege aber ein Bauantrag vor, der zur Erledigung anstehe, weshalb eine Abweisung des Bauantrages unter Berufung auf die Vorprüfungsverfahren rechtlich unzulässig sei. Hinsichtlich des Versagungsgrundes des Widerspruchs zum Flächenwidmungsplan habe sich die Baubehörde nicht einmal der Mühe unterzogen, entgegen den Angaben in der Baubeschreibung (Ausweisung der Fläche als Bau-Wohngebiet) die angeblich bestehende anderweitige Flächenwidmung, die die beantragte Bebauung nicht zulasse, näher zu prüfen. Hinsichtlich des verbleibenden Versagungsgrundes der fehlenden Abstandsnachsicht sei davon auszugehen, daß das eingereichte Bauprojekt (Neubau) offensichtlich nicht ident sei mit dem Vorprüfungsprojekt Dipl.Ing. H.K., das eine teilweise Einbeziehung der bestehenden Bausubstanz vorgesehen habe. Die Aufsichtbehörde vermöge jedoch nicht zu erkennen, weshalb eine Erteilung einer Abstandsnachsicht im gegenständlichen Fall von vornherein unzulässig sei; insgesamt lägen daher nach Auffassung der Aufsichtsbehörde die Voraussetzungen für eine Abweisung nach § 31 Abs. 2 des Baugesetzes nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zutreffend ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid noch davon ausgegangen, daß der einzige rechtlich tragfähige Versagungsgrund darin zu erblicken wäre, daß das Bauvorhaben tatsächlich gemäß § 6 Abs. 9 des Baugesetzes unzulässig sei, was die belangte Behörde aber in tatsächlicher Hinsicht verneinte.

Auch die Beschwerdeführerin weist in ihrer Beschwerde darauf hin, daß der Widerspruch zu den Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes der einzige Grund sei, auf den die Versagung der Baubewilligung durch die Gemeindevertretung gestützt worden sei; alle anderen Ausführungen seien lediglich als Hinweis für die Bauwerberin zu verstehen, welche Probleme bei einer Neueinreichung berücksichtigt werden müßten.

Das 2.126 m2 große Areal, welches laut eingereichtem Bauprojekt bebaut werden soll, liegt mit einer Länge von ca. 60 m an der B 190, es weist eine Breite von etwa 34 m auf und ist in etwa trapezförmig gestaltet; da das eingereichte Projekt nur Neubauten vorsieht, ist von einer unbebauten Liegenschaft auszugehen.

Gemäß § 31 Abs. 2 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972, in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 47/1983, ist der Bauantrag ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzuweisen, wenn sich die Unzulässigkeit des Vorhabens schon aus dem Bauantrag und den diesem angeschlossenen Unterlagen ergibt, insbesondere auch, wenn das Vorhaben einem Flächenwidmungsplan oder einem Bebauungsplan widerspricht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 88/06/0185, zur vergleichbaren Regelung des § 31 Abs. 3 der Tiroler Bauordnung ausgesprochen hat, ist der Bauantrag nur dann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzuweisen, wenn der maßgebliche Sachverhalt aufgrund des Bauansuchens und der gegebenen gesetzlichen Bestimmungen (von Anfang an) klar und eindeutig ist.

§ 6 Abs. 9 des Baugesetzes lautet:

"(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden."

Das eingereichte Projekt hält die erforderlichen Abstände weder zur Bundesstraße B 190, noch zur im Osten gelegenen Grundstücksfläche Nr. 288, noch zur nördlich gelegenen Grundstücksfläche 3316/2 ein. Die Form (trapezförmig bei einer Relation der Längs- zur Breitseite von etwa 2 : 1) und Lage (Längsseite an der Bundesstraße) kann sowohl hinsichtlich der Bebaubarkeit als auch der Aufschließung als günstig betrachtet werden, sodaß eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 6 Abs. 9 wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes nicht in Betracht kommt. Mit der Auslegung der Frage der zweckmäßigen Bebauung hat sich der Gerichtshof schon mehrfach auseinandergesetzt. So hat er in seinem Erkenntnis vom 19. April 1977, Zl. 1618/76, ausgeführt, daß bei der Frage der zweckmäßigen Bebauung wirtschaftliche Gesichtspunkte zweifelsfrei eine Rolle spielen, weil jedes Grundstück nur dann als zweckmäßig bebaubar beurteilt werden könne, wenn eine wirtschaftlich vernünftige Bauführung zulässig sei, also ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften errichtet werden könne. Wäre die Errichtung eines solchen Baukörpers unzulässig, dann könnte von einer zweckmäßigen Bebauung nicht gesprochen werden und es wäre durch die Gewährung einer Ausnahme eine zweckmäßigere Bebauung zuzulassen. Der Gerichtshof stellte aber bereits in diesem Erkenntnis fest, daß die genannte Ausnahmebestimmung keinesfalls so ausgelegt werden dürfe, daß zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung des Bauplatzes zulässig wäre. Auch in seinen Erkenntnissen vom 14. Jänner 1987, Zl. 86/06/0072, vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0118, und vom 2. Juli 1992, Zl. 91/06/0210, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsauffassung aufrechterhalten. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzurücken.

Bezogen auf den Beschwerdefall bedeutet dies, daß das günstig figurierte Areal, das von keiner Bausubstanz belastet ist, einer zweckmäßigen Bebauung zugeführt werden kann, wobei es durchaus möglich ist, die erforderlichen Abstände einzuhalten. Im zuletzt genannten Erkenntnis vom 2. Juli 1992 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß nicht einmal eine aus betriebswirtschaftlichen Gründen beabsichtigte Erweiterung eines Betriebes für sich allein genommen eine Ausnahme von den geltenden Abstandsvorschriften unter dem Titel einer zweckmäßigeren Bebauung rechtfertige. Im Beschwerdefall kann, wie die beschwerdeführende Gemeinde zutreffend ausgeführt hat, aufgrund der Figuration des Grundstückes eine zweckmäßige Bebauung jedenfalls unter Einhaltung der erforderlichen Abstandsvorschriften erfolgen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Heranziehung der Möglichkeit des § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes waren daher nicht gegeben. Es trifft auch die in der Gegenschrift der belangten Behörde dargelegte Ansicht, daß diese Begründung dem Bescheid der Gemeindevertretung nicht zu entnehmen sei, nicht zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt (schon in seinem Erkenntnis vom 5. Oktober 1964, Slg. N.F. Nr. 6.449/A) und seither unverändert an der Rechtsprechung festgehalten, daß die Behörde dem Bauwerber die Modifikation seines Projektes nahezulegen habe, wenn durch eine geringfügige Modifikation eine Bewilligungsfähigkeit des Projektes bewirkt werden kann. Erst dann, wenn der Bauwerber auf seinem Projekt beharrt, sei mit einer Versagung vorzugehen. Im Beschwerdefall hat zwar die Gemeinde der mitbeteiligten Partei nicht die Modifikation ihres Bauvorhabens nahegelegt, allerdings hätte das Projekt, das die erforderlichen Abstandsvorschriften an mehreren Seiten nicht einhält, einer so gravierende Änderung bedurft, daß von einer geringfügigen Modifikation nicht mehr gesprochen werden kann. Im Beschwerdefall hat daher zu Recht die beschwerdeführende Gemeinde eine Modifikation des Projektes nicht vorgeschlagen.

Entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde offenbar vertretenen Ansicht ist bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines gemeindebehördlichen Bescheides durch die Aufsichtsbehörde nicht generell das Verhalten der Gemeinde in anderen (Vorprüfungs-)Verfahren zu berücksichtigen. Art. 116 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 119a Abs. 9 B-VG gewährleistet der Gemeinde einen Anspruch darauf, daß nur ein rechtswidriger Bescheid der Gemeinde durch die Aufsichtsbehörde aufgehoben wird.

Da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes hier nicht auszuschließen sei, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994060082.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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