TE Vfgh Erkenntnis 1992/3/2 V298/91, V299/91, V300/91

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Veröffentlicht am 02.03.1992
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales v 05.07.89, BGBl Nr 331
Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales v 06.12.89, BGBl Nr 605
Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales v 15.01.90, BGBl Nr 77
AuslBG §12

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Verordnungen (Verordnungsteilen) betreffend die Festsetzung von Ausländerbeschäftigungskontingenten; Ausdehnung der Anlaßfallwirkung einer aufgehobenen gesetzlichen Bestimmung auf die darauf beruhenden Verordnungen bei Anhängigkeit der Bescheidbeschwerden bereits im Gesetzesprüfungsverfahren

Spruch

Die Verordnungen des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 5. Juli 1989, BGBl. Nr. 331, und vom 6. Dezember 1989, BGBl. Nr. 605, über die Festsetzung von Kontingenten für die Beschäftigung von Ausländern, sowie die Wortfolge "Schlosser, Landmaschinenmechaniker und Schmiede" in Spalte 2 Kontingent 9 der Anlage zur Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 15. Jänner 1990, BGBl. Nr. 77, über die Festsetzung von Kontingenten für die Beschäftigung von Ausländern, waren gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl. 218/1975 (AuslBG), bestimmte in der Fassung der Novelle BGBl. 231/1988:

"Kontingente

§12. (1) Der Bundesminister für Arbeit und Soziales kann, sofern es die allgemeine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage zuläßt, in Entsprechung eines gemeinsamen Antrages der in Betracht kommenden kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer für bestimmte örtliche oder fachliche Bereiche sowie für bestimmte Zeiträume durch Verordnung Kontingente für die Beschäftigung von Ausländern festsetzen oder festgesetzte Kontingente ändern.

(2) Der Bundesminister für Arbeit und Soziales kann, solange kein Antrag nach Abs1 vorliegt und sofern es die allgemeine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage zuläßt, für bestimmte örtliche oder fachliche Bereiche sowie für bestimmte Zeiträume durch Verordnung Kontingente für die Beschäftigung von Ausländern festsetzen oder festgesetzte Kontingente ändern."

Aufgrund des §12 Abs1 AuslBG setzte der Bundesminister für Arbeit und Soziales mit Verordnungen vom 5. Juli 1989, BGBl. 331, und vom 6. Dezember 1989, BGBl. 605, Kontingente für den Bereich der Fachverbände der Gastronomie und der Hotel- und Beherbergungsbetriebe (K 39) und mit Verordnung vom 15. Jänner 1990, BGBl. 77, unter anderem ein Kontingent (K 9) fest, das auch die Bundesinnung der Schlosser, Landmaschinenmechaniker und Schmiede einschließt.

Beim Verfassungsgerichtshof sind Beschwerden gegen Berufungsbescheide anhängig, mit denen Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für Ausländer unter Hinweis auf die Erschöpfung der aufgrund des §12 Abs1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) festgesetzten Kontingente 39 - Gastronomie und Hotel- und Beherbergungsbetriebe - (B 716/90 und B750/90) und 9 - Untergruppe Schlosser, Landmaschinenmechaniker und Schmiede - (B 1007/90) abgewiesen werden. Die Beschwerden sind am 11. Juni, 21. Juni und 13. August 1990 beim Verfassungsgerichtshof eingelangt.

Am 12. Oktober 1990 fand die Verhandlung in dem aus Anlaß eines früher anhängig gewordenen Beschwerdeverfahrens von Amts wegen eingeleiteten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren G146/90, V211/90 statt, das mit Erkenntnis vom selben Tag zur Aufhebung des §12 Abs1 und der Wortfolge "solange kein Antrag auf Abs1 vorliegt und" in §12 Abs2 AuslBG (in der Fassung der Novelle BGBl. 231/1988) und zur Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "der Elektro-, Radio- und Fernsehtechniker" in Spalte 2 Kontingent K 9 der Anlage zur Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 20. Dezember 1988, BGBl. 730, führte, die auf die aufgehobene Gesetzesstelle gestützt war.

II. Aus Anlaß der genannten Beschwerdeverfahren B716/90, B750/90 und B1007/90 hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnungen vom 5. Juli 1989, BGBl. 331, und vom 6. Dezember 1989, BGBl. 605, sowie der Wortfolge "Schlosser, Landmaschinenmechaniker und Schmiede" in Spalte 2 Kontingent 9 der Verordnung vom 15. Jänner 1990, BGBl. 77, beschlossen. Zu dieser Prüfung haben ihn folgende Überlegungen bewogen:

"Auch in den vorliegenden Fällen sind anscheinend Kontingent-Verordnungen des Bundesministers für Arbeit und Soziales anzuwenden, die sich auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gestützt haben. Diese ist zwar gemäß Art140 Abs7 B-VG auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden, weil der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nichts anderes ausgesprochen hat - und das scheint auch für die darauf gestützte Verordnung zu gelten -; von dieser Wirkung sind nur Anlaßfälle des Gesetzesprüfungsverfahrens ausgenommen. Einem Anlaßfall sind jedoch - wie der Verfassungsgerichtshof seit VfSlg. 10067/1984 und 10616/1985 in ständiger Rechtsprechung erkennt - all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn des eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahrens bereits anhängig waren, wobei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (und bei deren Unterbleiben der Beginn der nichtöffentlichen Beratung) maßgebend ist.

Daß die angefochtenen Bescheide in den vorliegenden Fällen nicht unmittelbar auf dem aufgehobenen Gesetz, sondern auf einer Verordnung beruhen, die nicht Gegenstand eines Normenprüfungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Gesetzesprüfungsverfahren G146/90 war, sich aber ihrerseits auf das aufgehobene Gesetz stützt, scheint dem nicht im Weg zu stehen. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß die Anlaßfallwirkung auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit in solchen Fällen anwendbarer Verordnungen gilt. Auch insoweit darf es nicht von den Zufälligkeiten des Geschäftsganges im Gerichtshof abhängen, ob ein Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich (mit) Anlaß des durchgeführten Gesetzesprüfungsverfahrens geworden ist, wenn es nur wegen Anhängigkeit eines weiteren Beschwerdeverfahrens im Stichzeitpunkt gleichzeitig hätte anhängig gemacht werden können. Auch für ein solches Verordnungsprüfungsverfahren scheint die Anwendbarkeit des aufgehobenen Gesetzes beseitigt zu sein.

Geht man von dieser Annahme aus, so scheinen gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungen dieselben Bedenken zu bestehen, die zur Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Teilen der Verordnung BGBl. 730/1988 geführt haben: Auch sie sind allein auf §12 Abs1 AuslBG gestützt und haben mit der Aufhebung dieser Gesetzesstelle ihre Grundlage verloren."

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Anlaßfallwirkung hat der Gerichtshof es auch der Bundesregierung freigestellt, sich zu diesen Überlegungen zu äußern.

Die Bundesregierung teilt seine Auffassung, daß die Anlaßfallwirkung eines bereits entschiedenen Gesetzesprüfungsverfahrens auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen gilt, die sich auf jene Gesetzesstelle stützen, die der Verfassungsgerichtshof bereits aufgehoben hat, wenn die Bescheidbeschwerden - wie im vorliegenden Fall - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder bei deren Unterbleiben bei Beginn der nichtöffentlichen Beratung im einschlägigen Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig waren. Auch nach Auffassung der Bundesregierung ist der Umstand unbeachtlich, daß in Bezug auf die im vorliegenden Verfahren angewendeten Verordnungen kein Verordnungsprüfungsverfahren eingeleitet worden war. Entscheidend erscheint ihr, daß der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß der genannten Beschwerden wie im Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren G146/90, V211/90 sowohl §12 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes als auch die in diesen Verwaltungsverfahren angewendeten Verordnungen in Prüfung hätte ziehen können. Durch die Aufhebung des §12 Abs1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes im Verfahren G 146/90 stehe dem Verfassungsgerichtshof diese Möglichkeit formal nun nicht mehr offen. Es wäre also

"wiederum allein von Umständen im Bereich des Gerichtshofes abhängig, ob ein Beschwerdefall im vorliegenden Zusammenhang Anlaßfall eines Verordnungsprüfungsverfahrens wird (... VfSlg. 10.067/1984)".

III. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden oder die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Vorschriften sprechen würde.

IV. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind auch begründet. Mit der Aufhebung des §12 Abs1 AuslBG haben die in Prüfung gezogenen Verordnungen (Verordnungsteile) ihre gesetzliche Grundlage verloren. Wie im Prüfungsbeschluß näher dargelegt, steht Art140 Abs7 B-VG dieser Rechtsfolge nicht entgegen, weil der Anlaßfall von der weiteren Anwendung des aufgehobenen Gesetzes ausgenommen ist, dem Anlaßfall all jene Fälle gleichzuhalten sind, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung oder nichtöffentlichen Beratung in dem eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig waren, und die Ausnahme des Anlaßfalles (und der gleichzuhaltenden Fälle) auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit in solchen Fällen anwendbarer Verordnungen gilt. Denn es würde sonst in der Tat wieder allein von Umständen im Bereich des Gerichtshofes abhängen, ob ein Beschwerdefall Anlaßfall von Normenprüfungsverfahren wird. Die in VfSlg. 10067/1984 ins Treffen geführten Gründe schlagen auch hier durch.

Die Verordnungen (Verordnungsteile) sind daher gesetzwidrig. Die Geltung der Verordnung BGBl. 331/1989 endete mit Ablauf des 30. Juni 1990, jene der Verordnung BGBl. 605/1989 mit 30. April 1990 (BGBl. 248/1990) und jene der Verordnung BGBl. 77/1990 mit 31. Dezember 1990. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher mit der Feststellung der Gesetzwidrigkeit zu begnügen.

Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

Schlagworte

Geltungsbereich einer Verordnung, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, Ausländerbeschäftigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:V298.1991

Dokumentnummer

JFT_10079698_91V00298_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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