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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AAV;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 1. März 1994, Zl. KUVS-1579/3/1993, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften (mitbeteiligte Partei: B in S, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft vom 14. September 1993 wurde die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in ihrer Eigenschaft als handelsrechtlicher Geschäftsführer der F. Ges.m.b.H. einer Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes in Verbindung mit der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung für schuldig befunden und hiefür bestraft.
Mit Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 1. März 1994 wurde der gegen dieses Straferkenntnis von der mitbeteiligten Partei erhobenen Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.
In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Mitbeteiligte sei seit 1. Jänner 1991 handels- und gewerberechtlicher Geschäftsführer der in Rede stehenden Ges.m.b.H. Neben ihm sei ein weiterer handelsrechtlicher Geschäftsführer bestellt; auch diese Bestellung sei zum Tatzeitpunkt aufrecht gewesen. Der Mitbeteiligte sei im Unternehmen für Verkauf, Finanz- und Rechnungswesen verantwortlich. Der weitere Geschäftsführer sei für die technische Leitung zuständig und gehöre als Vertreter der Geschäftsleitung dem sicherheitstechnischen Ausschuß an; der Mitbeteiligte sei nicht Mitglied dieses Ausschusses gewesen. Soweit der Mitbeteiligte zu seiner Rechtfertigung darauf verweise, daß im Unternehmen eine strenge Aufgabenteilung vorgenommen worden sei und er schon aufgrund seiner Ausbildung gar nicht in der Lage gewesen sei, die Belange des technischen Arbeitnehmerschutzes wahrzunehmen, und die Organisationsstruktur deshalb gewählt worden sei, um jeden Bereich weitestgehend abzudecken, so sei dem entgegenzuhalten, daß die Verantwortlichkeit der zur Vertretung nach außen berufenen Organe nicht durch die innerbetriebliche Ressortabgrenzung beseitigt werde. Die Organisationsstruktur stehe allerdings mit den Bestimmungen des § 9 Abs. 2 VStG insoweit im Einklang, als die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt seien, aus ihrem Kreis verantwortliche Beauftragte zu bestellen. Die Bestellung eines eigenen Geschäftsführers für die technische Leitung, der überdies noch dem sicherheitstechnischen Ausschuß angehöre, müsse der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG "wohl zumindest gleichgehalten" werden. Wenngleich der Mitbeteiligte zum Personenkreis des § 9 Abs. 1 VStG gehöre, habe er unter Bedachtnahme auf die besonderen, im übrigen erwiesenen Umstände zu Recht davon ausgehen dürfen, daß er für die Belange des technischen Arbeitnehmerschutzes nicht verantwortlich sei. Ausgehend davon sei es aber nur folgerichtig, wenn er die Bestellung von Bevollmächtigten im Sinne des Arbeitnehmerschutzgesetzes nicht vorgenommen und daher auch nicht überwacht habe, sodaß eine weitere Prüfung in dieser Hinsicht zu unterbleiben habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift ist die vorliegende Beschwerde nicht als verspätet erhoben anzusehen. Soweit der Mitbeteiligte auf die Ausführungen von Geppert, Arbeitsinspektion und Arbeitnehmerschutzrecht (Seite 299) zu § 9 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 verweist, so ist für ihn nichts gewonnen. Der zitierte Autor führt dort zwar aus, auf die Inkenntnissetzung des Bundesministers für soziale Verwaltung als das zur Beschwerdeerhebung berechtigte Organ könne es dabei nicht ankommen, andernfalls würde es - z.B. durch ein zu langes Zuwarten mit der Verständigung - zu einer Verlängerung der an sich unerstreckbaren Beschwerdefrist kommen, doch vermag dem der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten. Dies deshalb, weil die Beschwerdefrist im gegebenen Regelungszusammenhang nach § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG eben erst mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das Organ (hier: der Bundesminister für Arbeit und Soziales) von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat. Daß aber gegen diese Vorschrift des § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2. März 1992, Zl. 91/19/0321, (auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird) ausführlich dargelegt.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als zulässig; sie ist auch berechtigt:
Soweit der Beschwerdeführer zwar vorbringt, der - neben der mitbeteiligten Partei - weitere Geschäftsführer sei nicht als verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 und 4 VStG anzusehen gewesen, so erübrigt sich eine Auseinandersetzung damit, weil die belangte Behörde eine solche Bestellung ohnedies nicht angenommen hat. Es läßt sich aber aus der Begründung des angefochtenen Bescheides entnehmen, daß die belangte Behörde das Strafverfahren allein deshalb eingestellt hat, weil der Mitbeteiligte "unter Bedachtnahme auf die besonderen, im übrigen erwiesenen Umstände zu Recht davon ausgehen (durfte), daß er für die Belange des technischen Arbeitnehmerschutzes nicht verantwortlich ist". Die belangte Behörde hat daher ein Verschulden der mitbeteiligten Partei verneint. Wohl wird in der Begründung des angefochtenen Bescheides insoweit nichts Näheres ausgeführt, doch versteht der Gerichtshof die Ausführungen der belangten Behörde im gegebenen Zusammenhang dahin, daß sie offenbar der mitbeteiligten Partei einen Rechtsirrtum zugebilligt hat. Dies jedoch zu Unrecht:
Ein Rechtsirrtum im Sinne des § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt nämlich nur dann, wenn er erwiesenermaßen unverschuldet ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. März 1992, Zlen. 91/03/0097, 0098). Die in diesem Zusammenhang von der belangten Berhörde zur Verneinung des Verschuldens des Mitbeteiligten ins Treffen geführte "Organisationsstruktur", welche offenbar im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit der beiden handelsrechtlichen Geschäftsführer für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften keine klare Aussage trifft (vgl. das vom Mitbeteiligten in der Berufungsverhandlung vom 1. März 1994 vorgelegte "Organisationsschema"), wurde jedoch vom Mitbeteiligten mitgestaltet (vgl. dessen Aussage in der erwähnten Berufungsverhandlung). Wenn der Mitbeteiligte daher an der Schaffung einer diesbezüglichen "Organisationsstruktur" mitgewirkt hat, so kann sein Verschulden an der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung nicht verneint werden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994020226.X00Im RIS seit
01.06.2001