TE Vfgh Erkenntnis 1992/3/5 G300/91, G301/91, G302/91, G303/91, G304/91, G305/91, G306/91, G307/91

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Veröffentlicht am 05.03.1992
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Index

13 Staatsvertragsdurchführung, Kriegsfolgen
13/02 Vermögensrechtliche Kriegsfolgen

Norm

B-VG Art65 Abs2 lita
B-VG Art133 Z4
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
VerteilungsG Bulgarien §19
VerteilungsG DDR §19

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Bestimmung über die Bestellung der Mitglieder der Bundesverteilungskommission beim BMF im VerteilungsG Bulgarien; Ernennungsrecht des Bundespräsidenten verfassungsrechtlich nicht geboten; Zulässigkeit der Regelung der Art der Bestellung von Mitgliedern einer Kollegialbehörde durch den einfachen Gesetzgeber

Spruch

§19 des Bundesgesetzes vom 18. März 1964, BGBl. Nr. 129, über die Verwendung der zufließenden Mittel aus dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Bulgarien zur Regelung offener finanzieller Fragen (Verteilungsgesetz Bulgarien) wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Verfassungsgerichtshof sind mehrere Verfahren über Beschwerden anhängig, die sich gegen Bescheide des Feststellungssenates der Bundesverteilungskommission beim Bundesministerium für Finanzen (im folgenden kurz: Bundesverteilungskommission) wenden. Die Bescheide sprechen über das Bestehen von Entschädigungsansprüchen nach dem Verteilungsgesetz DDR, BGBl. 189/1988, ab. Auf die zur Entscheidung über derartige Ansprüche zuständige Bundesverteilungskommission sind gemäß §19 Abs2 leg.cit. die §§18 bis 24 des Verteilungsgesetzes Bulgarien, BGBl. 129/1964, sinngemäß anzuwenden.

b) Im einzelnen liegen den Verfassungsgerichtshofbeschwerden die folgenden Sachverhalte zugrunde:

aa) Die Bundesverteilungskommission stellte mit Bescheiden vom 11. Juli 1990 gemäß §24 des VerteilungsG DDR fest, daß die von Dipl.Arch. N S und Dr. I E nach §20 leg.cit. angemeldeten Entschädigungsansprüche zu Recht bestünden und die die Ansprüche begründenden Verluste nach den §§10 bis 18 leg.cit. jeweils

S 132.300,-- betrügen.

Dieselbe Behörde stellte mit Bescheiden vom 5. März 1991 gemäß §24 des VerteilungsG DDR fest, daß die von S M, R Z und R H nach §20 leg.cit. angemeldeten Entschädigungsansprüche zu Recht bestünden und die die Ansprüche begründenden Verluste nach den §§10 bis 18 leg.cit. jeweils S 209.630,86 betrügen.

Mit Bescheiden vom 11. Juli 1990 (H S), vom 23. November 1990 (W W) und (gleichfalls) vom 23. November 1990 (R C) stellte die Bundesverteilungskommission gemäß §24 des VerteilungsG DDR fest, daß die von den Genannten nach §20 leg.cit. angemeldeten Entschädigungsansprüche nicht zu Recht bestünden.

bb) Gegen diese acht Bescheide der Bundesverteilungskommission erhoben Dipl.Arch. N S (zu B1395/90), Dr. I E (zu B1396/90), H S (zu B92/91), W W (zu B212/91), R C (zu B308/91), S M (zu B557/91), R Z (zu B560/91) und R H (zu B561/91) auf Art144 Abs1 B-VG gestützte, an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerden. Darin wird die Verletzung näher bezeichneter, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und der Sache nach auch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Rechtsvorschriften (zu B1395/90 und B1396/90 vor allem deshalb, weil die Beschwerdeführerinnen Anspruch auf Naturalrestitution der enteigneten Liegenschaft hätten; zu B92/91 unter anderem deshalb, weil der Modus der Bestellung der Mitglieder der Bundesverteilungskommission dem Art65 Abs2 lita B-VG widerspreche; zu B212/91 und B308/91 vor allem deshalb, weil die Stichtagsvoraussetzungen des §4 Abs2 VerteilungsG DDR verfassungswidrig seien; zu B557/91, B560/91 und B561/91 insbesondere deshalb, weil es der Bundesverteilungskommission an der iS des Art6 EMRK erforderlichen Tribunalqualität mangle, die Kommissionsmitglieder nicht von den verfassungsrechtlich dafür zuständigen Organen ernannt würden und sich die Verhältnisse seit Abschluß des Vermögensvertrages mit der DDR wesentlich geändert hätten) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat am 4. Oktober 1991 beschlossen, aus Anlaß dieser acht Beschwerden gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des §19 des Verteilungsgesetzes Bulgarien, BGBl. 129/1964, zu prüfen (Näheres s. u. II.2.).

3.a) Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie - mit näherer Begründung (s.u. II.3.) - die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung verteidigt und den Antrag stellt, diese nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung begehrt sie, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

b) Die Bundesverteilungskommission gab im Gesetzesprüfungsverfahren (als beteiligte Partei) eine Stellungnahme ab, in der sie ähnlich wie die Bundesregierung argumentiert.

II. 1.a) aa) Das VerteilungsG DDR regelt die Frage der Zusammensetzung der - zur Entscheidung über die Entschädigungsansprüche berufenen - Bundesverteilungskommission nicht eigenständig, sondern verweist im §19 auf das VerteilungsG Bulgarien.

§19 VerteilungsG DDR lautet:

"§19. (1) Zur Entscheidung über Ansprüche auf Entschädigung und zur Verteilung der im §1 genannten Mittel ist die nach dem Verteilungsgesetz Bulgarien, BGBl. Nr. 129/1964, errichtete Bundesverteilungskommission berufen. Sie entscheidet in Feststellungssenaten und in einem Verteilungssenat.

(2) Die §§18 bis 24 des Verteilungsgesetzes Bulgarien sind sinngemäß anzuwenden."

bb) Die §§18 ff. VerteilungsG Bulgarien - die demnach auch die Zusammensetzung der Bundesverteilungskommission zur Entscheidung über Ansprüche nach dem VerteilungsG DDR regeln - lauten (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§18. (1) Die Bundesverteilungskommission besteht aus einem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und der erforderlichen Anzahl von sonstigen Mitgliedern.

(2) Der Vorsitzende der Bundesverteilungskommission, sein Stellvertreter und die Vorsitzenden der Feststellungssenate und des Verteilungssenates müssen Richter sein.

(3) Feststellungssenate der Bundesverteilungskommission können auch bei einer Finanzlandesdirektion gebildet werden.

(4) Die Mitglieder der Bundesverteilungskommission sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.

(5) Die Entscheidungen der Bundesverteilungskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungsweg.

§19. (1) Die richterlichen Mitglieder der Bundesverteilungskommission werden vom Bundesministerium für Justiz bestellt.

(2) Die nichtrichterlichen Beisitzer der Bundesverteilungskommission sind aus zwei Gruppen von Mitgliedern heranzuziehen, welche je in einer Liste zu vereinigen sind.

(3) Die Mitglieder der ersten Gruppe werden vom Bundesministerium für Finanzen aus solchen Beamten der Verwendungsgruppen A oder B des Dienst- oder Ruhestandes des Bundesministeriums für Finanzen oder der Finanzlandesdirektionen ernannt, die mit der Prüfung oder mit den Erhebungen über die Ansprüche nicht befaßt sind.

(4) Die Mitglieder der zweiten Gruppe sind von den gesetzlichen Berufsvertretungen jedes Bundeslandes zu entsenden. Das Bundesministerium für Finanzen hat nach Anhörung der Berufsvertretungen die Anzahl der von den einzelnen Berufsvertretungen zu entsendenden Mitglieder unter Berücksichtigung der Bedeutung und des Umfanges der für die Angehörigen der einzelnen Berufsgruppen eingetretenen Vermögensverluste zu bestimmen, wobei jede Berufsvertretung eines Bundeslandes mindestens ein Mitglied entsenden kann.

§20. (1) In die Bundesverteilungskommission dürfen nur Personen entsendet werden, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, eigenberechtigt und vom Wahlrecht in die gesetzgebenden Organe nicht ausgeschlossen sind.

(2) Mitglieder der Bundesverteilungskommission, die nicht Bundesbeamte sind, leisten bei Amtsantritt vor dem Vorsitzenden der Bundesverteilungskommission das Gelöbnis: 'Ich gelobe, daß ich bei den Verhandlungen der Bundesverteilungskommission ohne Ansehung der Person unparteiisch nach bestem Wissen und Gewissen vorgehen werde und daß ich, was mir durch die Verhandlungen und in diesen von den Verhältnissen des Anmelders bekannt wird, strengstens geheimhalten werde.' Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.

§21. (1) Die Feststellungssenate der Bundesverteilungskommission entscheiden durch einen Richter als Vorsitzenden und durch je ein Mitglied der ersten und der zweiten Gruppe als Beisitzer.

(2) Der Verteilungsssenat der Bundesverteilungskommission entscheidet durch einen Richter als Vorsitzenden und einen weiteren Richter sowie durch je zwei Mitglieder der ersten und der zweiten Gruppe als Beisitzer.

(3) Das Bundesministerium für Finanzen hat für jeden Senat die Richter und die Mitglieder der ersten und der zweiten Gruppe samt der erforderlichen Anzahl von Ersatzmitgliedern zu bestimmen. Für einen Feststellungssenat der Finanzlandesdirektion sind als Beisitzer der zweiten Gruppe solche Mitglieder zu bestimmen, die aus einem zum Amtsbereich der Finanzlandesdirektion gehörigen Bundesland entsendet wurden.

(4) Sämtliche Mitglieder der Bundesverteilungskommission sind jeweils für zwei Jahre berufen. Eine neuerliche Berufung ist zulässig.

    §22. . . . (Bestimmungen über die Reisegebühren der

Kommissionsmitglieder)

    §23. . . . (Verfahrensnormen)."

b) Für den vorliegenden Fall sind folgende Bestimmungen des B-VG von Bedeutung (Näheres siehe unten):

Art65 B-VG nennt zunächst in Abs1 verschiedene Befugnisse des Bundespräsidenten und normiert anschließend in Abs2 lita:

"Artikel 65. (1) . . .

(2) Weiter stehen ihm - außer den ihm nach anderen Bestimmungen dieser Verfassung übertragenen Befugnissen - zu:

a) die Ernennung der Bundesbeamten, einschließlich der Offiziere, und der sonstigen Bundesfunktionäre, die Verleihung von Amtstiteln an solche;

b) - d) ...

(3) Inwieweit dem Bundespräsidenten außerdem noch Befugnisse hinsichtlich Gewährung von Ehrenrechten, außerordentlichen Zuwendungen, Zulagen und Versorgungsgenüssen, Ernennungs- oder Bestätigungsrechten und sonstigen Befugnissen in Personalangelegenheiten zustehen, bestimmen besondere Gesetze."

2. Der Verfassungsgerichtshof ging im Einleitungsbeschluß vom 4. Oktober 1991 vorläufig davon aus, daß er in den Beschwerdeverfahren unter anderem §19 VerteilungsG Bulgarien anzuwenden hätte.

Gegen diese - sohin als präjudiziell erachtete - Bestimmung äußerte er in diesem Beschluß nachstehende verfassungsrechtliche Bedenken:

"Gemäß Art65 Abs2 lita B-VG steht dem Bundespräsidenten u. a. 'die Ernennung der Bundesbeamten, einschließlich der Offiziere, und der sonstigen Bundesfunktionäre' zu. Diese Aufgabe darf anscheinend der (einfache) Gesetzgeber nicht anderen Organen zuweisen.

Während 'Bundesbeamte' die im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehenden Bediensteten sind, handelt es sich bei den 'sonstigen Bundesfunktionären' anscheinend eben nicht um beamtete Organwalter des Bundes, sondern um Personen, die auf andere Weise berufen sind, Organfunktionen im Bereich der Bundesverwaltung auszuüben (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6, Wien 1988, RZ 643; Berchtold, Der Bundespräsident, Wien 1969, S 166).

Anscheinend ist dem Bundespräsidenten jedenfalls dann die Berufung in die Organfunktion vorbehalten, wenn sie durch 'Ernennung' (d.i. durch einseitigen, öffentlich-rechtlichen Akt) auf eine gewisse Dauer (also nicht bloß zur Entscheidung eines Einzelfalles) erfolgt.

Der Verfassungsgerichtshof meint im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung, daß auch die Mitglieder einer nach Art133 Z4 B-VG eingerichteten Kollegialbehörde - um eine solche handelt es sich bei der Bundesverteilungskommission - als 'sonstige Bundesfunktionäre' im Sinne des Art65 Abs2 lita B-VG zu qualifizieren und daher vom Bundespräsidenten zu ernennen sind. §19 des VerteilungsG Bulgarien sieht aber - anscheinend in Widerspruch zu dieser Verfassungsbestimmung - die Bestellung durch bestimmte Bundesminister bzw. die 'Entsendung durch gesetzliche Berufsvertretungen' vor."

3. Die Bundesregierung hält dem in ihrer Äußerung vom 14. Jänner 1992 im wesentlichen entgegen:

"Eine befriedigende Klärung des Begriffes 'sonstige Bundesfunktionäre' in Art65 Abs2 lita B-VG ist bisher in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht gelungen. Die Materialien zum B-VG geben zu diesem Begriff mit einer Ausnahme keine weiterführenden Hinweise. Die Bundesregierung teilt grundsätzlich die Auffassung BERCHTOLDS, Der Bundespräsident, 1969, 165 f, daß sich dieser Begriff zumindest so weit eingrenzen läßt, als darunter Personen zu verstehen sind, die Organfunktionen ausüben, die der Bundesverwaltung angehören und die zum Bund weder in einem öffentlich-rechtlichen noch in einem privatrechtlichen Verhältnis stehen. Auch die Erläuterungen dieses Begriffes durch FROEHLICH im Verfassungsausschuß (siehe ERMACORA, Quellen zum österreichischen Verfassungsrecht (1920), 1967, 311), wo er als Beispiele für die sonstigen Bundesfunktionäre den Präsidenten des Patentamtes, staatliche Kommissäre, einen etwaigen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften und den Präsidenten oder Vizepräsidenten einer verstaatlichten Bank nennt, geben keine Klarheit über diesen Begriff.

Die Frage, ob im Lichte der Äußerung FROEHLICH's eine den Begriff weitergehend einschränkende Auslegung möglich ist, kann nach Auffassung der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, da die Bestellung, Entsendung oder Ernennung von Mitgliedern von Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag durch andere Organe als den Bundespräsidenten aus folgenden Gründen für verfassungsrechtlich zulässig erachtet werden:

Art133 Z4 B-VG, nach dem ua. der Bundesgesetzgeber zur Einrichtung der in dieser Bestimmung näher definierten Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag zuständig ist, kann als eine grundsätzliche Ausnahmeregelung zur Regelung über die Ernennung ua. von sonstigen Bundesfunktionären durch den Bundespräsidenten gemäß Art65 Abs2 lita B-VG gedeutet werden. Dafür spricht, daß - soweit ersichtlich - die Mitglieder sämtlicher Kollegialbehörden dieser Art, die bis zur Zweiten B-VG-Novelle 1929, BGBl. Nr. 392/1929, eingerichtet worden waren, nicht durch den Bundespräsidenten, sondern durch andere Organe (insbesondere Bundesminister) bestellt wurden.

Die Zweite B-VG-Novelle 1929 ist deshalb von zentraler Bedeutung für die Auslegung der Regelung der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, weil erst bei dieser Verfassungsnovelle die damals in Art129 Abs4 Z. 4 B-VG angeführte Ausnahme betreffend diese Kollegialbehörden sozusagen ihre endgültige Fassung erhielt, in der zum ersten Mal ausdrücklich normiert wurde, daß die Einrichtung solcher Kollegialbehörden dem einfachen Bundes- und Landesgesetzgeber zusteht (vgl. PERNTHALER, Die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, 1977, 21ff, insb. 23f). Der Verfassungsgesetzgeber 1929 kannte die mittlerweile vom einfachen Gesetzgeber geschaffenen Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag und wollte diese Kollegialbehörden verfassungsrechtlich absichern, da bis dahin nicht unumstritten war, daß der einfache Gesetzgeber zur Einrichtung solcher Kollegialbehörden zuständig war. Im Lichte dieser besonderen Umstände ist es zulässig, diese Verfassungsbestimmung mit Hilfe jener einfachen Gesetze auszulegen, in denen solche Kollegialbehörden bis zur Zweiten Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1929 eingerichtet wurden.

Ausgehend allein von jenen Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, die in ADAMOVICH - FROEHLICH, Die Österreichischen Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder, 1925, 47 und 1930, 120 f, angeführt sind, ergibt sich, daß die Bestellung keines einzigen Mitgliedes dieser Behörden durch den Bundespräsidenten erfolgte, sondern daß der (die) zuständige(n) Bundesminister oder andere Organe die Mitglieder bestellte(n) oder entsendete(n).

. . . (Es folgt die Aufzählung einiger Gesetze aus den Jahren 1920 bis 1929)

Im Einklang mit dieser Auffassung steht auch die bisherige ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu 'Bestellungen' oder 'Entsendungen' von Personen in ihre Organfunktion (vgl. ua. VfSlg. 3134/1956, 5985/1969, 6061/1969), in der der Verfassungsgerichtshof die Anordnung des Gesetzgebers, daß bestimmte Personen von bestimmten Organisationen entsendet oder bestellt werden können, als Nominierung dieser Mitglieder in die Funktion durch das Gesetz selbst angesehen hat. Diese Judikatur bezog sich offensichtlich auch auf Organfunktionen im Bereich der Bundesverwaltung (vgl. dazu insb. VfSlg. 3134/1956, 5368/1966 und die allgemeine Aussage über die Zulässigkeit der Entsendung von Mitgliedern in Kollegialbehörden durch Körperschaften oder sonstige Einrichtungen in VfSlg. 8136/1977, S 94). Der Verfassungsgerichtshof hat etwa im Erkenntnis VfSlg. 5985/1969 die Auffassung vertreten, daß gegen eine solche gesetzliche Nominierung eines Mitgliedes eines Kollegialorganes verfassungsrechtlich kein Einwand bestehe, da es dem Gesetzgeber durch die Verfassung nicht verwehrt wäre, die Mitgliedschaft in einer Kollegialbehörde an eine bestimmte Stellung in einer Kammer oder einer Gemeinde zu binden. Es machte dabei keinen Unterschied, ob der Bestellungsakt durch den Vorsitzenden einer anderen Behörde oder durch eine berufliche Interessenvertretung vorgenommen wird (vgl. VfSlg. 5985/1969).

Bei §19 Abs1 und 3 des angefochtenen Gesetzes handelt es sich zum einen um eine Bestellung, zum anderen um eine Entsendung bestimmter Mitglieder in die Verteilungskommission. Auch die Ernennung von Beamten des Finanzministeriums durch den Bundesminister für Finanzen gemäß §19 Abs2 des Verteilungsgesetzes Bulgarien scheint sich als ein solches Sachverhaltselement darzustellen, an das das Gesetz die Norm knüpft, daß der so Ernannte die Eigenschaft erlangt, Mitglied der Kollegialbehörde zu sein.

Schließlich sind noch die zahlreichen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zu erwähnen, die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag des Bundes betreffen, deren Mitglieder zum Teil von Bundesministern, zum Teil von Interessenvertretungen bestellt werden, in denen die vom Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren im Lichte des Art65 Abs2 lita B-VG aufgeworfenen Bedenken nicht erhoben wurden (vgl. für viele VfSlg. 11512/1987, 11682/1988, 11872/1988, 11879/1988, 11933/1988 und 12108/1988).

Nach Auffassung der Bundesregierung liegen daher die aufgeworfenen Bedenken im Hinblick auf die Art der Bestellung von Mitglieder in Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag nicht vor."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Anlaßbeschwerden sind zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei wird er u.a. auch zu beurteilen haben, ob die angefochtenen Bescheide von der zuständigen Behörde in der richtigen Zusammensetzung erlassen wurden. In diesem Zusammenhang hätte er jene gesetzlichen Vorschriften anzuwenden, die die Bestellung der Mitglieder der belangten Behörde (einer Kollegialbehörde) regeln. Diese Regelung trifft der §19 VerteilungsG Bulgarien, der eine untrennbare Einheit darstellt. Bei einer Gesamtbetrachtung ist nicht die Verweisungsnorm des §19 VerteilungsG DDR zu prüfen, sondern die verwiesene Norm des §19 VerteilungsG Bulgarien (vgl. zB VfSlg. 9906/1983, S 630 f.; 10385/1985, S 280 f.).

Da neben der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken haben sich aber nicht als zutreffend herausgestellt:

Der sprachliche Zusammenhang, der im Art65 Abs2 lita B-VG (s.o. II.1.b) zwischen dem Begriff "Bundesbeamte" (einschließlich der Offiziere) einerseits und dem Begriff "die sonstigen Bundesfunktionäre" andererseits besteht (arg.: "sonstige"), legt folgende Auslegung nahe: Unter den Letztgenannten sind solche Personen zu verstehen, die Organfunktionen im Bereich der Bundesverwaltung ausüben und die - in dieser Eigenschaft - zwar (im Unterschied zu "Bundesbeamten einschließlich der Offiziere") weder in einem öffentlich-rechtlichen noch in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehen (vgl. BERCHTOLD, Der Bundespräsident, Wien 1969, S 165 f.), aber sonst dieser Gruppe von Organwaltern in wesentlichen Belangen vergleichbar sind. Keineswegs erfaßt demnach der Begriff "die sonstigen Bundesfunktionäre" die Mitglieder einer Kollegialbehörde, die ihre Funktion zeitlich begrenzt und nicht als Hauptberuf ausüben.

Dieser Befund wird durch die - in der Äußerung der Bundesregierung (s.o. II.3.) wiedergegebenen - Erläuterungen dieses Begriffes in den Beratungen des Verfassungsausschusses bekräftigt, wo als Beispiele für "die sonstigen Bundesfunktionäre" keine Mitglieder von Kollegialbehörden angeführt werden, obwohl bereits damals zahlreiche kollegial eingerichtete Behörden des Bundes bestanden (vgl. zB ADAMOVICH-FROEHLICH, Die österreichischen Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder, Wien 1925, S. 46); daher wäre es nahegelegen, die Mitglieder solcher Kollegialbehörden als Beispiele für die "sonstigen Bundesfunktionäre" zu nennen, wenn sie von diesem Begriff hätten erfaßt werden sollen.

Das bedeutet, daß die Berufung in die Funktion des Mitgliedes einer Kollegialbehörde (auch einer solchen mit richterlichem Einschlag nach Art133 Z4 B-VG) nicht gemäß Art65 Abs2 lita B-VG durch den Bundespräsidenten erfolgen muß, sondern daß es dem einfachen Gesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz zur Einrichtung und zur Regelung der Organisation dieser Behörde zukommt, auch die Art der Bestellung ihrer Mitglieder festzulegen. Hiebei kann er auch von der ihm durch Art65 Abs3 B-VG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen und eine Bestimmung normieren, wonach das Ernennungsrecht dem Bundespräsidenten zusteht. Verfassungsrechtlich geboten ist eine solche Regelung jedoch nicht.

Der in Prüfung gezogene §19 des VerteilungsG Bulgarien war sohin nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Entschädigung, Bundespräsident, Ernennungsrecht (des Bundespräsidenten), Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G300.1991

Dokumentnummer

JFT_10079695_91G00300_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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