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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des R in D, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 2. Dezember 1993, Zl. GA 7-1210/8/93, betreffend Nachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der (damals 70-jährige) Beschwerdeführer stellte am 25. September 1992 beim Finanzamt Krems den Antrag auf Nachsicht einer fälligen Abgabenschuld von (damals) S 2,590.010,--, im wesentlichen mit der Begründung, er sei vermögenslos und aus Altersgründen nicht in der Lage, seine Abgabenschuldigkeiten zu bezahlen.
Das Finanzamt räumte angesichts einer monatlichen Pension des Beschwerdeführers von nur DM 760,27 zwar Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ein, wies aber auf Grund der Entstehung des Abgabenrückstandes (Verletzung der gebotenen abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht) sowie im Hinblick auf den Grundsatz der Steuergerechtigkeit das Nachsichtsansuchen ab. Das Finanzamt verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, daß gegen den Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Krems Strafanzeige "wegen vollendeter Abgabenhinterziehung und fahrlässiger Abgabenverkürzung" erstattet worden sei.
Dagegen berief der Beschwerdeführer wobei er geltend machte, die Begründung der Abweisung sei nicht schlüssig erfolgt. Insbesondere führte der Beschwerdeführer ins Treffen, daß eine teilweise Bezahlung des Abgabenrückstandes (in der Höhe von S 730.000,--) erfolgt sei und daß sich im Zuge der Berufungsentscheidung (vom 18. Februar 1993) eine Verringerung des Abgabenrückstandes auf nunmehr S 1,789.872,-- ergeben habe.
Die belangte Behörde ging vor allem wegen der geringen Höhe der Pension des Beschwerdeführers ausdrücklich von einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung aus, gelangte aber im Rahmen der Ermessensübung aus Zweckmäßigkeitsgründen zur Abweisung der Beschwerde. Wörtlich begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung wie folgt:
"Mit Berufungsentscheidung vom 18. Februar 1993 hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz der Berufung gegen die Festsetzungsbescheide zwar teilweise stattgegeben, auf dem Abgabenkonto des Bw. verblieb aber noch immer ein Rückstand von S 1,789.872,--.
Der Berufungssenat gelangte in dieser Entscheidung zu der Erkenntnis, daß mehrfach ein steuerliches Fehlverhalten des Bw. vorliegt. So wurden z.B. Betriebsausgaben doppelt abgesetzt bzw. Einnahmen nicht erfaßt. Weiters lagen den erklärten Warenbeständen keine entsprechenden Aufzeichnungen zu Grunde. Dieser grobe Inventurmangel war geeignet, die Richtigkeit der erklärten Warenbestände überhaupt in Zweifel zu ziehen. Ferner mußten die Reisekosten auf Grund der Mängel in den Reiseabrechnungen geschätzt werden etc."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Erteilung der Nachsicht verletzt.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, worin die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabenpflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Gemäß § 20 leg. cit. müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Hat die Abgabenbehörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung von Abgabenschuldigkeiten unbillig, ist (wie im vorliegenden Fall) bejaht, so ist damit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben. Bei solchen Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauchs - nicht der Fall gewesen ist. Ermessensentscheidungen sind daher von der Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides für die Ermessensübung maßgebende Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, daß den Parteien des Verwaltungsverfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 89/14/0135). Die Entscheidungselemente der Ermessensübung dürfen nicht auf Grund bloßer Vermutungen oder auf Grund des Anscheins, sondern NUR AUF GRUND
ENTSPRECHENDER, VERFAHRENSRECHTLICH EINWANDFREI GETROFFENER
FESTSTELLUNGEN in die Entscheidung einfließen (so z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1992, Zl. 91/13/0172 unter Berufung auf Stoll, BAO-Handbuch 587). Dabei kommt der Wahrung des Parteiengehörs die entsprechende Bedeutung zu (Stoll aaO.).
Davon, daß die oben wörtlich wiedergegebene Begründung des angefochtenen Bescheides diesen Postulaten entspräche, kann nun überhaupt keine Rede sein. Insbesondere hat es die belangte Behörde verabsäumt, dem Beschwerdeführer jene Fakten aus dem mit der Berufungsentscheidung vom 18. Februar 1993 abgeschlossenen Abgabenverfahren konkret vorzuhalten, derentwegen sie (allerdings ohne konkrete Feststellungen) zu einer für den Beschwerdeführer negativen Ermessensübung gelangte. Sie hat damit dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, schon im Verwaltungsverfahren jene Argumente geltend zu machen, die er jetzt in seiner Verwaltungsgerichtshofbeschwerde im Zusammenhang damit vorbringt, daß er behauptet, nicht er sei für die anläßlich der Betriebsprüfung bemängelten Umstände verantwortlich gewesen, sondern vielmehr sein Steuerberater.
Da es nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zu seiner Aufhebung führen muß.
Mit Rücksicht auf die durch die oben zitierte hg. Rechtsprechung klargestellte Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994150018.X00Im RIS seit
20.11.2000