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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
BauO Wr §129 Abs10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der A-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. I, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 25. August 1993, Zl. MD-VfR-B XXIII-36/92, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 25. August 1993 wurde der Beschwerdeführerin als Eigentümerin des Hauses W, X-Y-Gasse Nr. 100, unter Berufung auf § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien aufgetragen, den ohne vorher erwirkte Bewilligung abgetragenen ebenerdigen "Gebäudetrakt an der linken Grundstücksgrenze unmittelbar an das Hauptgebäude anschließend, beinhaltend eine Küche und ein Kabinett in einer Größe von ca. 9,0 x 5,0 m konsensgemäß wieder herzustellen".
In der Begründung ihres Bescheides wies die Berufungsbehörde darauf hin, daß schon der älteste, im Archiv der Baubehörde vorhandene Plan ein Auswechslungsplan gewesen sei, welcher den Genehmigungsvermerk vom 16. März 1872, Nr. 151, der Gemeinde Mauer trage und ein ebenerdiges Gebäude in der Y-Gasse, an dessen Gassentrakt entlang der linken Grundgrenze ein Seitentrakt angeschlossen gewesen sei, zeige, welcher einen Raum für den Hausbesorger, einen Pferdestall mit zwei Boxen sowie daran anschließend noch einen Abort mit zwei Sitzzellen und eine Remise umfaßt habe. Vom Gassentrakt aus, in dem zwei Wohnungen untergebracht gewesen seien, sei der Seitentrakt nicht direkt zugänglich gewesen. Im Jahre 1895 sei eine Aufstockung des Gassentraktes bewilligt worden. Aus dem vorhandenen Planmaterial sei nicht ersichtlich, daß gleichzeitig irgendeine sonstige Änderung des Gebäudes vorgenommen worden wäre. Erst mit dem Bescheid vom 8. Juli 1958 seien wieder bauliche Abänderungen bewilligt worden. Jener Bauteil an der seitlichen Grundgrenze, der nach dem ersten vorhandenen Plan die Abortanlage und die Remise umfaßt habe, später aber offensichtlich zu einer Abortanlage mit dahinter liegendem Abstellraum, Waschküche und Schuppen umgestaltet worden sei, sollte abgetragen werden. Darüber hinaus sei vorgesehen gewesen, sowohl im Erdgeschoß als auch im Dachgeschoß in den jeweiligen Veranden Aborte einzurichten. Die Abwässer sollten wie die der Küche im Erdgeschoß in den Straßenkanal geleitet werden. Bemerkenswert sei, daß der Plan aus dem Jahre 1958 jene Räume, die im ursprünglichen Bauplan als Küchen vorgesehen gewesen seien, als Zimmer und als Vorraum ausweise. Die einzige Küche des Erdgeschosses sei im Seitentrakt untergebracht und nehme etwa jenen Raum ein, der ursprünglich für den Hausbesorger gedacht gewesen sei. An ihn habe ein Kabinett in jenem Bereich angeschlossen, in welchem früher der Pferdestall eingerichtet gewesen sei. Zwischen der Küche im ehemaligen Hausbesorgerzimmer und dem anschließenden Kabinett im Gassentrakt, das ursprünglich die Bezeichnung Alkoven getragen habe, sei ein Türdurchbruch hergestellt worden. Im Obergeschoß seien nach dem Plan vom 8. Juli 1958 ein Zimmer, eine Küche und eine Veranda mit dem eingebauten neuen Abort vorhanden gewesen. Die Details der Pläne aus dem 19. Jahrhundert und des Planes aus dem Jahre 1958 würden zwar nicht vollständig übereinstimmen, doch sei zumindest klar erkennbar, daß es sich bei dem 1958 noch verbliebenen Seitentrakt um jenen Teil der Baulichkeit gehandelt habe, der ursprünglich das Hausbesorgerzimmer und den Pferdestall umfaßt habe. Die Verbindung mit dem Gassentrakt sei nun sogar eine engere gewesen, da der erwähnte Türdurchbruch hergestellt gewesen sei. Die Herstellung dieses Durchbruches wäre unter der Geltung der Bauordnung für Wien bereits bewilligungsbedürftig gewesen, doch sei zu beachten, daß für das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Mauer bis zum 12. Februar 1939 die Bauordnung für Niederösterreich aus dem Jahre 1883 gegolten habe, die zwar jede Beseitigung und Aufführung von Zwischenmauern für bewilligungspflichtig erklärt habe (§ 16 Abs. 4 lit. e), nicht aber das Ausbrechen von Türen in solchen Zwischenmauern. Die Raumeinteilung und Raumwidmung, wie sie im Plan vom 8. Juli 1958 dargestellt sei, weise auf das Bestehen von zwei Wohnungen im Haus X-Y-Gasse 100 hin, wobei eine als Wohnungsbestandteil unverzichtbare Küche im Seitentrakt eingerichtet und mit dem anschließenden Kabinett direkt verbunden gewesen sei. Weder der Gassentrakt noch der Seitentrakt würden in sich geschlossene selbständige Gebäude darstellen, sodaß auch ihr rechtliches Schicksal ungeteilt bleiben müsse. Der tatsächliche Untergang des Seitentraktes, sei es durch Abbruch oder durch Einsturz, hätte daher nur dann zum Untergang des Konsenses geführt, wenn die Bausubstanz des als Einheit zu sehenden Gebäudes zum überwiegenden Teil beseitigt worden wäre. Davon könne keine Rede sein. Durch die Beseitigung des Seitentraktes, welcher zuletzt eine Küche und ein Kabinett umfaßt habe, sei nicht der Konsens des Hauses X-Y-Gasse 100 untergegangen, sondern bloß ein konsenswidriger Zustand herbeigeführt worden. Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sei die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des Gebäudes unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet, den konsenswidrigen Zustand zu beheben. Dies bedeute hier die Verpflichtung, den Seitentrakt an der linken Grundgrenze konsensgemäß wiederherzustellen. Mangels anderer Unterlagen werde der Konsens den Plänen von 1872 und 1958 zu entnehmen sein. Abschließend wies die Berufungsbehörde noch darauf hin, daß es der Beschwerdeführerin freistehe, den Versuch einer rechtlichen Sanierung des bestehenden Zustandes durch Erwirkung einer Baubewilligung für das durch die Beseitigung des Seitentraktes abgeänderte Gebäude zu unternehmen. Durch eine derartige Bewilligung würde die Verpflichtung zur Wiederherstellung des Seitentraktes gegenstandslos.
Mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 29. November 1993, Zl. B 1773/93-3, wurde die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese - gemäß § 34 Abs. 2 VwGG ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, daß die belangte Behörde nicht berechtigt gewesen sei, ihr unter Berufung auf § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien vorzuschreiben, "den
eingestürzten Seitentrakt ... wieder herstellen zu lassen".
Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin aus nachstehenden Erwägungen nicht im Recht:
Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 30. September 1986, Zl. 83/05/0193, BauSlg. Nr. 764, ausgesprochen, daß die Regelung des § 129 Abs. 10 erster Satz leg. cit. aus zwei Teilen besteht; nur der zweite Halbsatz regelt die Entfernung von vorschriftswidrigen Bauten, während der erste Halbsatz die Veranlassung der Behebung jeglicher "Abweichung von Bauvorschriften" umfaßt und daher auch zu einem Auftrag zur Herstellung führen kann. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Bau konkreten materiell-rechtlichen Vorschriften der Bauordnung widerspricht, sondern vielmehr darauf, ob eine nach dieser Bauordnung erforderliche Baubewilligung vorliegt und diese den konkreten Bau deckt.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür und wurde von der Beschwerdeführerin auch gar nicht behauptet, daß der durch die Abtragung des in Rede stehenden ebenerdigen Gebäudetraktes geschaffene bauliche Zustand durch eine Baubewilligung gedeckt wäre, weshalb die belangte Behörde berechtigt war, unter Berufung auf die zitierte baurechtliche Vorschrift den Auftrag zur Wiederherstellung dieses Gebäudetraktes zu erteilen.
In Erwiderung auf die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin ist daran zu erinnern, daß im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens ein Lokalaugenschein durchgeführt worden ist, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob der wiederherzustellende "Gebäudetrakt" abgebrochen worden oder eingestürzt ist, und ob es sich dabei um ein Gebäude gehandelt hat, da allein entscheidend ist, daß - nach dem Einsturz oder Abbruch - im Sinne des § 129 Abs. 10 erster Satz leg. cit. insofern eine "Abweichung von Bauvorschriften" gegeben war, als der verbliebene Teil des Gebäudes nicht dem Baukonsens entsprochen hat und daher ein Auftrag zur Wiederherstellung des konsensgemäßen Zustandes zu erteilen war. Es ist nicht zu erkennen, daß der in Rede stehende Gebäudetrakt "nie konsensmäßig hergestellt wurde und vorhanden war", da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der im Akt erliegende, mit dem behördlichen Genehmigungsvermerk vom 8. Juli 1958 versehene und in der vorstehenden Sachverhaltsdarstellung bereits erwähnte Plan, welcher dem Bescheid über die Bewilligung baulicher Änderungen vom gleichen Tag zugrunde gelegen war, nicht den konsensgemäßen Zustand hinsichtlich des gegenständlichen Gebäudetraktes wiedergibt. Abgesehen davon handelt es sich bei dieser Behauptung der Beschwerdeführerin um ein dem - aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitenden - Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entgegenstehendes Vorbringen, weshalb der belangten Behörde angesichts des geschilderten Sachverhaltes auch keine im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wesentliche, also zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften angelastet werden kann, wenn sie nicht geprüft hat, "ob die
Einreichung ... des Jahres 1958 ... überhaupt in ihrer gesamten
planlichen Darstellung zum Konsens wurde".
Es kann der belangten Behörde daher auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie unter Zugrundelegung dieses Planes davon ausgegangen ist, daß der Seitentrakt kein in sich geschlossenes Gebäude darstellt, weshalb ihr auch darin zu folgen ist, daß durch die Beseitigung dieses Gebäudetraktes nicht der Konsens des Hauses untergegangen, sondern lediglich, wie schon erwähnt, ein konsenswidriger Zustand herbeigeführt worden ist. Daß das "Hauptgebäude", wie die Beschwerdeführerin meint, "ohne den Seitentrakt bestehen kann", vermag an dieser rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der vorliegende baupolizeiliche Auftrag zu Recht erteilt worden ist, weshalb die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt worden ist. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Abschließend soll aber nicht unerwähnt bleiben, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend auf die Möglichkeit der baurechtlichen Sanierung des bestehenden Zustandes durch Erwirkung einer nachträglichen Baubewilligung hingewiesen hat.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Konsenslosigkeit und Konsenswidrigkeit unbefugtes Bauen BauRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994050014.X00Im RIS seit
03.05.2001Zuletzt aktualisiert am
03.04.2011