TE Vfgh Erkenntnis 1992/3/6 G309/91

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Veröffentlicht am 06.03.1992
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs6
EStG §9 Abs3
AbgÄG 1988 ArtI Z2
AbgÄG 1988 ArtII

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der rückwirkend inkraftgesetzten Verminderung des Ausmaßes des der Investitionsrücklage entsprechenden steuerfreien Betrages für - den Gewinn durch Überschußrechnung ermittelnde - Einkommensteuerpflichtige gemäß ArtI Z2 AbgÄG 1988

Spruch

ArtI Z2 des Abgabenänderungsgesetzes 1988, BGBl. Nr. 739, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

§9 Abs3 erster Satz des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 440, in der Fassung vor dem Abgabenänderungsgesetz 1988 tritt wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Einkommensteuergesetz 1972, BGBl. 440, sah im Absatz 1 seines unter der Überschrift "Investitionsrücklage" stehenden §9 für die Fälle der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach §4 Abs1 oder §5 die Möglichkeit vor, steuerfreie Rücklagen im Ausmaß bis zu 25 v.H. des Gewinns (vor Bildung der Gewerbesteuerrückstellung und nach Abzug aller anderen Betriebsausgaben) zu bilden. Der Absatz 3 dieses Paragraphen traf eine korrespondierende Regelung bei Gewinnermittlung nach §4 Abs 3, derzufolge ein der Investitionsrücklage entsprechender Betrag bis zu 25 v.H. des Gewinnes aufgrund eines Antrages in der Steuererklärung steuerfrei zu bleiben hatte. Bezüglich der Auflösung der gebildeten Rücklage (des steuerfrei gelassenen Betrages) bestimmte der Absatz 2 im §9 folgendes:

"(2) Die Rücklage ist entweder

1. gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abnutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit dem Betrag aufzulösen, der als vorzeitige Abschreibung (§8) von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgüter zulässig wäre oder

2. gegen den Betrag aufzulösen, der als Investitionsfreibetrag (§10) geltend gemacht werden könnte.

Rücklagen (Rücklagenteile), die nicht bis zum Ablauf des der Bildung der Rücklage folgenden vierten Jahres bestimmungsgemäß verwendet wurden, sind im vierten Jahr nach der Bildung der Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen. Bei der gewinnerhöhenden Auflösung erhöht sich der aufzulösende Betrag um 20 v.H. Dieser Prozentsatz vermindert sich um je 5 v.H. für jedes Wirtschaftsjahr, um das die Rücklage (der Rücklagenteil) früher aufgelöst wird. Die Erhöhung des aufgelösten Betrages hat im Falle der Betriebsaufgabe, der entgeltlichen Übertragung eines Betriebes sowie im Falle der Einbringung eines Betriebes in eine Kapitalgesellschaft zu entfallen."

Gemäß ArtI Z1 des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988, BGBl. 405, mit dem das Einkommensteuergesetz 1972 abgeändert wird, trat im §9 Abs1 an die Stelle des Prozentsatzes von "25 vH" der Prozentsatz von "10 vH" (und anstelle der Wortfolge "vor Bildung der Gewerbesteuerrückstellung" die Wortfolge "vor Abzug der Gewerbesteuer"); ArtI Z1 war zufolge des ArtII dieser Novelle bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1988 anzuwenden.

Diese Novellierung wurde im Bericht und Antrag des Finanzausschusses 685 BlgNR 17. GP wie folgt begründet:

"Im Zuge der Neufassung des Einkommensteuergesetzes ab 1. Jänner 1989 wird das Ausmaß der möglichen Investitionsrücklage gemäß §9 EStG 1988 auf 10 % der Bemessungsgrundlage (im wesentlichen des Gewinnes) reduziert. Bisher war die Bildung einer Rücklage mit bis zu 25 % möglich. Gleichzeitig fällt die Möglichkeit der Inanspruchnahme vorzeitiger Abschreibungen zur Gänze weg.

Da in Zukunft nur mehr verminderte Verwendungsmöglichkeiten (in Form des Investitionsfreibetrages) gegeben sind, soll die Investitionsrücklage bereits im Jahr 1988 auf 10 % reduziert werden. Gleichzeitg soll damit vermieden werden, daß durch die Bildung von Investitionsrücklagen im bisherigen vollen Ausmaß Gewinnverlagerungen in die Wirtschaftsjahre ab 1989, die bekanntlich wesentlich niedrigere Steuersätze vorsehen, vorgenommen werden und dadurch kurzfristig größere Steuerausfälle entstehen."

Das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1988, BGBl. 739, mit dem das Einkommensteuergesetz 1972, das Gewerbesteuergesetz 1953 sowie die Einkommensteuergesetznovelle 1975 geändert werden (Abgabenänderungsgesetz 1988), verfügte in seinem Abschnitt I folgende Änderung des Einkommensteuergesetzes 1972:

"ABSCHNITT I

Artikel I

Das Einkommensteuergesetz 1972, BGBl. Nr. 440, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 405/1988, wird wie folgt geändert:

1. §9 Abs1 erster Satz lautet:

'(1) Wird der Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung gemäß §4 Abs1 oder §5 ermittelt, so können steuerfreie Rücklagen im Ausmaß bis zu 10 vH des Gewinnes vor Abzug der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und nach Abzug aller anderen Betriebsausgaben gebildet werden.'

2. Im §9 Abs3 erster Satz tritt an die Stelle des Prozentsatzes von '25 vH' der Prozentsatz von '10 vH'.

Artikel II

ArtI ist bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1988 anzuwenden."

Das eben auszugsweise wiedergegebene Gesetz wurde in dem am 30. Dezember 1988 ausgegebenen 280. Stück des Bundesgesetzblattes kundgemacht; sein Abschnitt I wurde im Bericht des Finanzausschusses 830 BlgNR 17. GP folgendermaßen erläutert:

"Im Zusammenhang mit der Beschlußfassung über das Einkommensteuergesetz 1988 wurde die dort ab 1989 vorgesehene Herabsetzung des zulässigen Höchstsatzes der Investitionsrücklage von 25 % auf 10 % wegen der in Zukunft eingeschränkten Verwendungsmöglichkeiten schon für 1988 vorgesehen (ArtI Z1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 405/1988, mit dem das Einkommensteuergesetz 1972 geändert wurde).

Durch die vorliegende Novellierung des Einkommensteuergesetzes 1972 soll klargestellt werden, daß

-

lediglich die Gewerbeertragsteuer, nicht jedoch die Lohnsummensteuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Investitionsrücklage zu berücksichtigen ist und

-

diese Herabsetzung des zulässigen Prozentsatzes auch für den steuerfreien Betrag gemäß §9 Abs3 EStG 1972 gilt."

              2.              Der beim Verfassungsgerichtshof zu B674/89 beschwerdeführende Rechtsanwalt, welcher den Gewinn durch Überschußrechnung ermittelt, machte in seiner Einkommensteuererklärung für 1988 einen steuerfreien Betrag von 160.000 S geltend; dieser Betrag wurde im Zug der Veranlagung auf 140.629 S gekürzt. Entsprechend einer Anregung des Finanzamtes Salzburg- Stadt hob die Finanzlandesdirektion für Salzburg sodann den Einkommensteuerbescheid dieses Finanzamtes für 1988 in Handhabung des §299 Abs2 BAO auf. Dieser in Ausübung des Aufsichtsrechtes ergangene Bescheid vom 19. April 1989 wurde ua. damit begründet, daß "die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988, mit dem das EStG 1972 abgeändert wurde, verletzt" worden seien. ArtI Z1 dieses Gesetzes schränke die Bildung von steuerfreien Rücklagen bzw. Beträgen auf ein Ausmaß von bis zu 10 vH des Gewinnes ein; diese Bestimmung sei gemäß ArtII bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1988 anzuwenden.

Der Bescheid der Finanzlandesdirektion ist Gegenstand der erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof beschloß aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des ArtI Z2 des AbgabenänderungsG 1988 einzuleiten. Er nahm vorläufig an, daß er über die Beschwerde meritorisch zu entscheiden und dabei die angeführte Gesetzesstelle anzuwenden hätte; da der bekämpfte Bescheid einen Fall der Gewinnermittlung durch Überschußrechnung nach §4 Abs3 EStG 1972 betreffe, stütze sich diese Entscheidung anscheinend nicht - wie in der Bescheidbegründung angenommen werde - auf die EStG-Novelle BGBl. 405/1988, sondern auf das (später erlassene) Abgabenänderungsgesetz 1988.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken legte der Gerichtshof im Einleitungsbeschluß wie folgt dar:

"In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen (s. zB VfGH 29.6.1990 B1561/89 mit Bezugnahme auf VfGH 5.10.1989 G228/89; vgl. auch die zusammenfassende Darstellung der Judikatur zum Vertrauensschutz in VfGH 14.3.1991 G225/88 und weitere Zahlen), daß gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen, durch welche die Rechtsposition der Steuerpflichtigen für die Vergangenheit verschlechtert wird, dann gegen den Gleichheitssatz verstoßen, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in berechtigtem Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht werden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden); ob und inwieweit im Ergebnis ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hänge also vom Ausmaß des Eingriffs und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab.

Im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung der in Prüfung gezogenen Gesetzesvorschrift unter diesen Aspekten neigt der Gerichtshof zur Meinung, daß ein Verstoß gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot vorliegt.

Die erst am 30. Dezember 1988 kundgemachte, jedoch für das praktisch bereits abgelaufene Kalenderjahr wirksame Vorschrift nahm dem Steuerpflichtigen in einer ins Gewicht fallenden Weise (nämlich durch Verminderung des Hundertsatzes von 25 auf 10) rückwirkend die Möglichkeit, sich zwischen einer steuerbegünstigten Investition während des Kalenderjahres oder einer dem gleichen Zweck dienenden Rücklage zu entscheiden. Entgegen der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erk Zl. 89/14/0117 vom 27.6.1989 vertretenen Auffassung kann wohl nicht ausschließlich auf solche Investitionsentscheidungen abgestellt werden, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Gesetzes bereits getroffen waren.

Der Verfassungsgerichtshof findet auch keinen triftigen Grund für die Annahme, daß es der Gleichheitssatz gebiete oder rechtfertige, einen anscheinend im Bereich der Novelle BGBl. 405/1988 unterlaufenen Fehler (nämlich die Nichteinbeziehung jener Abgabepflichtigen, die den Gewinn nach §4 Abs3 ermitteln, in die Gesamtregelung) ausschließlich zu Lasten der betroffenen Gruppe von Steuerpflichtigen zu beheben. Wie der Gerichtshof weiters vorläufig annimmt, vermögen folgende (die Herabsetzung der Investitionsrücklage gleichsam als das Ergebnis eines einzigen einheitlich zu wertenden legislativen Aktes ansehenden) Ausführungen des VwGH in dessen eben bezogenem Erkenntnis diese Überlegungen nicht zu entkräften:

'Der Verwaltungsgerichtshof hegt auch sonst keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der eingangs erwähnten, das Ausmaß der Investitionsrücklage vermindernden gesetzlichen Bestimmungen. Der Bericht des Finanzausschusses 685 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVII. GP, begründet die Herabsetzung damit, daß in Zukunft (durch das Einkommensteuergesetz 1988) nur mehr verminderte Verwendungsmöglichkeiten der Investitionsrücklage (in Form des Investitionsfreibetrages) gegeben sind (siehe auch 830 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVII. GP); gleichzeitig soll durch die Herabsetzung vermieden werden, daß durch die Bildung von Investitionsrücklagen im bisherigen vollen Ausmaß Gewinnverlagerungen in die Wirtschaftsjahre ab 1989, die bekanntlich wesentlich niedrigere Steuersätze vorsehen, vorgenommen werden und dadurch kurzfristig größere Steuerausfälle entstehen. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in dieser Begründung eine ausreichende sachliche Rechtfertigung für die Verminderung des Ausmaßes der Investitionsrücklage ...'"

III. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung mit dem Begehren, die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Im einzelnen führte sie folgendes aus:

"1. Zu dem Argument, daß die angefochtene Vorschrift dem Steuerpflichtigen 'in einer ins Gewicht fallenden Weise' rückwirkend die Möglichkeit nahm, sich zwischen einer steuerbegünstigten Investition während des Kalenderjahres oder einer dem gleichen Zweck dienenden Rücklage zu entscheiden, wird folgendes zur Erwägung gestellt:

Das einkommensteuerrechtliche Instrument der Investitionsrücklage gemäß §9 EStG 1972 (analog dazu des steuerfreien Betrages für Einnahmen-Ausgaben-Rechner) hat als ergänzende Vorschrift zu den anderen Investitionsbegünstigungen die Funktion, daß ein nicht kontinuierlich investierender Steuerpflichtiger in den Jahren, in denen er nicht investiert, steuerbegünstigt Vorsorge für künftige Investitionen treffen kann. Investiert ein Steuerpflichtiger nämlich kontinuierlich, so wird auf Grund der Kürzungsbestimmungen des §9 EStG (alt und neu) eine Möglichkeit zur Bildung einer Investitionsrücklage gar nicht gegeben sein. Investiert ein Steuerpflichtiger dagegen nicht kontinuierlich, so würden (bei sonst gleichbleibender Gewinnsituation) große Gewinnunterschiede mit entsprechenden unterschiedlichen Steuerbelastungen entstehen. Die Investitionsrücklage ist also in ihrer Funktion den unmittelbaren Investitionsbegünstigungen (bis einschließlich 1988 vorzeitige Abschreibung oder Investitionsfreibetrag, ab 1989 im wesentlichen nur mehr Investitionsfreibetrag) nicht gleichgestellt, sondern stellt als Vorwegnahme von Investitionsbegünstigungen der Folgejahre eine Durchbrechung des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung dar.

Die Bestimmung des §9 EStG 1972 ist somit keine eigenständige Begünstigungsvorschrift, ihre Inanspruchnahme im Jahr ihrer Bildung steht daher nicht auf derselben Stufe mit der in demselben Jahr auf Grund einer Investition erfolgenden Inanspruchnahme einer vorzeitigen Abschreibung oder eines Investitionsfreibetrages. Die Bildung einer Investitionsrücklage ersetzt nicht eine vorzeitige Abschreibung oder einen Investitionsfreibetrag des Jahres ihrer Bildung, sondern (ab 1988 nur mehr) den Investitionsfreibetrag im Zeitraum der vier folgenden Jahre. Dies zeigt sich besonders darin, daß die Auflösung einer Investitionsrücklage bzw. die Verrechunung eines steuerfreien Betrages immer nur gegen Investitionsbegünstigungen zu erfolgen hat, die auf Grund der in den vier folgenden Jahren erfolgten Investitionen zugestanden wären, und daß im Falle der Nichtverwendung der Investitionsrücklage innerhalb der vier Folgejahre eine Nachversteuerung mit einem von der Dauer der Nichtverwendung der Investitionsrücklage innerhalb der vier Folgejahre eine Nachbesteuerung mit einem von der Dauer der Nichtverwendung abhängigen Zuschlag (5 bis 20 %) zu erfolgen hat, der allfällige 'ungerechtfertigt' in Anspruch genommenen Steuerstundungen ausgleichen soll.

Die Geltendmachung einer Investitionsrücklage oder eines steuerfreien Betrages kann also nicht als eigenständige Maßnahme der Investitionsplanung in der Form eingesetzt werden, daß Investitionen deshalb unterlassen werden, weil ohnedies die Möglichkeit zur Bildung einer Investitionsrücklage besteht, sondern höchstens als Maßnahme der Investitionsplanung in der Form, daß ein Steuerpflichtiger nicht zu überstürzten Investitionen vor Jahresende gezwungen wird. Immer steht die Bildung einer Investitionsrücklage damit im Zusammenhang, daß ihre bestimmungsgemäße Verwendung in den vier folgenden Jahren erforderlich ist, die nur nach den Bedingungen erfolgen kann, die im Jahr ihrer Verwendung und nicht im Jahr ihrer Bildung bestehen. Für die Entscheidung zur Inanspruchnahme einer Investitionsrücklage - die der Verfassungsgerichtshof im Unterbrechungsbeschluß anspricht - ist daher nicht das Ausmaß einer zulässigen Investitionsrücklage, sondern das Ausmaß der möglichen bestimmunsgemäßen Verwendung in den folgenden vier Jahren entscheidend. Dieses Ausmaß der möglichen bestimmungsgemäßen Verwendung wurde durch das am 29. Juli kundgemachte EStG 1988, BGBl. Nr. 400/1988, ab 1. Jänner 1989 in der Form eingeschränkt, daß die vorzeitige Abschreibung gestrichen wurde (die bis zu 80 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten betragen konnte) und für die Verwendung der Investitionsrücklage nur mehr der Investitionsfreibetrag (von höchstens 20 %) zur Verfügung steht. die Änderung dieses für die Entscheidung für eine Investitionsrücklage maßgeblichen Faktors war den Steuerpflichtigen (auch den sogenannten Einnahmen-Ausgaben-Rechnern gemäß §4 Abs3 EStG 1972) ab diesem Zeitpunkt bekannt.

Mit der Höhe des erzielten Jahresgewinnes steht die Investitionsrücklage nur insofern in Zusammenhang, als ihre Bildung von einem entsprechenden Jahresgewinn abhängt. Die Entscheidung, ob Investitionen getätigt werde sollen oder nicht, kann darüberhinaus auch meist nicht auf Grund der Höhe des im Investitionsjahr zu erwartenden Gewinnes getroffen werden, daß dieser erst zu einem Zeitpunkt abschätzbar ist, zu dem es für eine Investitionsentscheidung mit erheblicher steuerlicher Wirksamkeit für das laufende Jahr bereits zu spät ist. Eine rückwirkende Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durch die in Prüfung gezogene Norm 'in einer ins Gewicht fallenden Weise' liegt daher nicht vor. Die von der mit der EStG 1972-Novelle, BGBl. Nr. 405/1988, beschlossenen Kürzung des Ausmaßes der Investitionsrücklage nicht betroffenen Einnahmen-Ausgaben-Rechner gehören überdies überwiegend Berufsgruppen an (Kleinstgewerbe, freie Berufe), bei denen der Einsatz von Investitionsgütern von erheblich geringerer wirtschaftlicher Bedeutung ist als für die bilanzierenden Steuerpflichtigen (die zum überwiegenden Teil der gewerblichen oder industriellen Wirtschaft zuzurechnen sind.)

2. Weiters hält es der Verfassungsgerichtshof nicht für gerechtfertigt, den anscheinend im Bereich der Novelle des EStG 1972, BGBl. Nr. 405/1988, unterlaufenen Fehler ausschließlich zu Lasten der betroffenen Gruppe von Steuerpflichtigen zu beheben. In diesem Zusammenhang ist zum und zur Bedeutung dieses Versehens des Gesetzgebers in §9 Abs3 EStG 1972 folgendes auszuführen:

Wie dargelegt hängt die Bildung der Investitionsrücklage bzw. des steuerfreien Betrages gemäß §9 Abs1 bzw. Abs3 leg.cit. eng mit den Möglichkeiten ihrer Verwendung in der Zukunft zusammen. Da diese Möglichkeiten durch das EStG 1988 mit 1. Jänner 1989 stark eingeschränkt wurden, sollte diesem Umstand durch die Novelle des EStG 1972, BGBl. Nr. 405/1988, Rechnung getragen werden, um bereits vor Inkrafttreten des EStG 1988 die Möglichkeiten der Geltendmachung zukünftiger Investitionsbegünstigungen in Form von Investitionsrücklagen zu reduzieren. Es wurde damit dem Umstand Rechnung getragen, daß angesichts der drastischen Einschränkung der Investitionsbegünstigungen auf den Investitionsfreibetrag in der Höhe von 20 % ab 1. Jänner 1989 die Investitionsrücklagen aus dem unmittelbar vorangehenden Jahr unverhältnismäßig hoch gewesen wären, sodaß ihre Realisierung in voller Höhe von vorneherein im Lichte der zukünftigen Investitionsbeschränkungen grundsätzlich ausgeschlossen gewesen wäre.

Weiters sollte auch folgende durch den Übergang zum EStG 1988 mögliche steuerliche Gestaltungsmöglichkeit vermieden werden: daß nämlich die Investitionsrücklage zu den höheren Grenzsteuersätzen des EStG 1972 gebildet wird und zu den niedrigeren Grenzsteuersätzen des EStG 1988 aufgelöst wird. So bringt die Bildung einer Investitionsrücklage in Höhe von 25 % des Gewinnes (ohne daß tatsächlich die Absicht besteht, eine Investition zu tätigen) in einem Jahr, in dem der Grenzsteuersatz bei 62 % gelegen ist (wie im Jahr 1988) und deren freiwillige gewinnerhöhende Auflösung - selbst mit einem Zuschlag von 5 % der Rücklage - im darauffolgenden Jahr, in dem der Grenzsteuersatz nur mehr bei 50 % liegt (im Jahr 1989), einen nicht unerheblichen Steuervorteil mit sich, der aber mit dem Charakter der Investitionsrücklage als Investitionsbegünstigung in keinerlei Zusammenhang steht.

Die zitierte Novelle ist insoweit unvollkommen geblieben, als sie eine Verminderung des höchstzulässigen Ausmaßes der Investitionsrücklage nur für jene Steuerpflichtigen vorsah, die ihren Gewinn gemäß §4 Abs1 und §5 EStG 1972 ermitteln. Dieser Fehler hatte offensichtlich seinen Grund darin, daß der Bestimmung des §9 Abs3 EStG 1972 durch seine enge Verknüpfung mit §9 Abs1 und 2 leg.cit. in der Verwaltungspraxis kaum mehr eine eigenständige Funktion zuerkannt wurde. Der zweite Satz des §9 Abs3 EStG 1972 verweist nämlich ausdrücklich auf die Bestimmungen des §9 Abs1 und 2 EStG 1972 'über die Begrenzung, Verwendung und Auflösung' der Rücklagen. Es wurde daher übersehen, daß der Prozentsatz für die Bildung des steuerfreien Betrages in dieser Bestimmung gesondert angeführt war.

Gerade im Hinblick auf diese Gründe für das Versehen des Gesetzgebers muß es für den Gesetzgeber zulässig sein, eine Gleichheitswidrigkeit, die durch ein solches Versehen eingetreten ist, rückwirkend zu sanieren. Es erscheint vielmehr im Lichte des Gleichheitssatzes, nach dem Gleiches gleich behandelt werden muß, im Lichte der vorliegenden Umstände eine rückwirkende Regelung in einem solchen Fall als die einzige Möglichkeit. Ohne die nunmehr in Überprüfung stehende, korrigierende Regelung des Abgabenänderungsgesetzes 1988 wäre es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung der Einnahmen-Ausgaben-Rechner gegenüber den Bilanzierern gekommen, die ihrerseits nicht (auch nicht durch das Versehen des Gesetzgebers) gerechtfertigt werden könnte. Andererseits hielt der Gesetzgeber die Senkung der Investitionsrücklage schon im Jahr 1988 angesichts der Änderungen in diesem Bereich ab dem 1. Jänner 1989 aus den bereits genannten Gründen (siehe Pkt. 2 zweiter und dritter Absatz) für unerläßlich."

IV. 1. Das Gesetzesprüfungsverfahren erweist sich als zulässig.

Die Bundesregierung räumt ein, daß die Verminderung des Ausmaßes des der Investitionsrücklage entsprechenden steuerfreien Betrages für Einkommensteuerpflichtige, welche den Gewinn durch Überschußrechnung ermitteln, erst durch das AbgabenänderungsG 1988 herbeigeführt wurde. Sie bekräftigt damit implizit die schon dem Einleitungsbeschluß zugrundeliegende Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, daß der im Anlaßbeschwerdeverfahren angefochtene Bescheid in materieller Hinsicht insoweit nicht etwa auf Bestimmungen der Einkommensteuer-Novelle BGBl. 405/1988, sondern auf ArtI Z2 des AbgabenänderungsG 1988 beruht. Außer der Präjudizialität dieser Gesetzesvorschrift sind auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen des aus Anlaß der Beschwerdesache eingeleiteten Normenkontrollverfahrens gegeben.

2.a) Die im Prüfungsbeschluß dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken sind begründet; der Verfassungsgerichtshof hält an ihnen ohne Einschränkung fest.

Der Gerichtshof bleibt auf dem in ständiger Rechtsprechung eingenommenen Standpunkt (s. zB VfGH 29.6.1990 B1561/89 mit Bezugnahme auf VfGH 5.10.1989 G228/89; vgl. auch die zusammenfassende Darstellung der Judikatur zum Vertrauensschutz in VfGH 14.3.1991 G225/88 und weitere Zahlen), daß gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen, durch welche die Rechtsposition der Steuerpflichtigen für die Vergangenheit verschlechtert wird, dann gegen den Gleichheitssatz verstoßen, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in berechtigtem Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht werden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden); ob und inwieweit im Ergebnis ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hängt also vom Ausmaß des Eingriffs und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab. Im Sinne dieser Judikatur verstößt die in Prüfung gezogene Gesetzesvorschrift gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Die erst am 30. Dezember 1988 kundgemachte, jedoch für das praktisch bereits abgelaufene Kalenderjahr wirksame Vorschrift nahm nämlich dem Steuerpflichtigen in einer ins Gewicht fallenden Weise (und zwar durch die Verminderung des Hundertsatzes von 25 auf 10) die Möglichkeit, sich in voller Kenntnis der steuerlichen Folgen seines Verhaltens zwischen einer steuerbegünstigten Investition während des Kalenderjahres oder einer dem gleichen Zweck dienenden Rücklage zu entscheiden. In diesem Zusammenhang hält es der Gerichtshof nicht für gerechtfertigt, ausschließlich darauf abzustellen, daß Entscheidungen zu bestimmten Investitionen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Gesetzes bereits getroffen waren.

Der Verfassungsgerichtshof findet auch keinen triftigen Grund für die Annahme, daß es der Gleichheitssatz geböte oder rechtfertigte, einen im Bereich der Novelle BGBl. 405/1988 unterlaufenen Fehler (nämlich die Nichteinbeziehung jener Abgabepflichtigen, die den Gewinn nach §4 Abs3 ermitteln, in die Gesamtregelung) ausschließlich zu Lasten der betroffenen Gruppe von Steuerpflichtigen zu beheben.

b) Die gegen diese Rechtsauffassung erhobenen Einwendungen der Bundesregierung (- deren Äußerung zum überwiegenden Teil keinen verfassungsrechtlich relevanten Gehalt hat -) greifen nicht durch.

Die Bundesregierung bestreitet das Gewicht des Eingriffes in die Rechtsposition der betroffenen Einkommensteuerpflichtigen einerseits mit dem Argument, daß nicht das Ausmaß der zulässigen Investitionsrücklage (- hier und im folgenden ist stets der dieser Rücklage entsprechende steuerfreie Betrag des nichtbilanzierenden Steuerpflichtigen gemeint -) sondern das Ausmaß der möglichen bestimmungsgemäßen Verwendung in den folgenden vier Jahren entscheidend sei; die Verwendung der Investitionsrücklage sei mit dem am 29. Juli 1988 kundgemachten EinkommensteuerG 1988 durch die Streichung der vorzeitigen Abschreibung eingeschränkt worden, sodaß nur mehr der Investitionsfreibetrag (von höchstens 20 %) zur Verfügung stehe.

Dem Verfassungsgerichtshof erscheint dieser Einwand jedoch schon deshalb als nicht stichhältig, weil er die Höhe des Investitionsbeitrages in den Vordergrund stellt, die Dauer der möglichen Verwendung der Investitionsrücklage in insgesamt vier Jahren hingegen nur nebenher erwähnt, ihr also nicht die bei entsprechender wirtschaftlicher Betrachtung der Gesamtsituation zukommende finanzielle Bedeutung beimißt. Ferner läßt die Bundesregierung die im eingangs zitierten Bericht und Antrag des Finanzausschusses so genannte "Gewinnverlagerung" durch den Steuerpflichtigen außer Betracht, der durch eine den Gewinn erhöhende Auflösung der gebildeten Investitionsrücklage iS des (dem §9 Abs2 EStG 1972 im wesentlichen nachgebildeten) §9 Abs2 EStG 1988 eine Nachversteuerung herbeiführen und demnach seine steuerliche Lage innerhalb bestimmter zeitlicher und sachlicher Grenzen (nämlich bis zur Höchstdauer von vier Jahren) selbst gestalten kann.

Das Gewicht des hier zu betrachtenden Eingriffs hält die Bundesregierung andererseits deshalb für gering, weil der für die Bildung einer Investitionsrücklage maßgebliche Jahresgewinn für den Steuerpflichtigen "erst zu einem Zeitpunkt abschätzbar ist, zu dem es für eine Investitionsentscheidung mit erheblicher steuerlicher Wirksamkeit für das laufende Jahr bereits zu spät ist.". Zu diesem Vorbringen genügt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs die Feststellung, daß das gesamte Institut der Investitionsrücklage notwendig auf bestimmten Prämissen beruht, darunter wesentlich auf der, daß der Jahresgewinn in einer für die wirtschaftliche Disposition hinreichenden Weise im vorhinein abgeschätzt werden kann.

Wenn die Bundesregierung die Rückwirkung der getroffenen Regelung verfassungsrechtlich damit zu rechtfertigen versucht, daß eine gleichheitswidrige Bevorzugung der Einnahmen-Ausgaben-Rechner gegenüber den Bilanzierenden (insbesondere wegen der möglichen "Gewinnverlagerung" in das von niedrigeren Grenzsteuersätzen beherrschte Regime des EStG 1988) saniert werden sollte, vermag ihr der Verfassungsgerichtshof gleichfalls nicht beizupflichten. Dieses Argument beruht nämlich auf der nicht nachgewiesenen, sondern bloß behaupteten Annahme, daß eine bloß vorübergehende, aus einem legislativen Versehen resultierende Bevorzugung eines Kreises von Steuerpflichtigen unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes nicht begründbar wäre. Die Bundesregierung hebt in ihrer Äußerung - wenngleich in einem anderen als dem hier gegebenen Zusammenhang - selbst hervor, die von der Novelle BGBl. 405/1988 "nicht betroffenen Einnahmen-Ausgaben-Rechner gehör(t)en ... überwiegend Berufsgruppen an (Kleinstgewerbe, freie Berufe), bei denen der Einsatz von Investitionsgütern von erheblich geringerer wirtschaftlicher Bedeutung ist als für die bilanzierenden Steuerpflichtigen (die zum überwiegenden Teil der gewerblichen oder industriellen Wirtschaft zuzurechnen sind)", und anerkennt damit im Ergebnis die - wie schon erwähnt - versehentlich herbeigeführte, befristete unterschiedliche Behandlung von Steuerpflichtigen unter einem bestimmten wirtschaftlichen Aspekt als begründbar.

V. ArtI Z2 des AbgabenänderungsG 1988 ist sohin als verfassungswidrig aufzuheben.

Unter einem ist - zur Vermeidung einer Gesetzeslücke - gemäß Art140 Abs6 erster Satz B-VG auszusprechen, daß §9 Abs3 erster Satz des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. 440, in der Fassung vor dem AbgabenänderungsG 1988 (im zeitlichen Geltungsbereich jenes Gesetzes) wieder in Wirksamkeit tritt.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche beruht auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG.

VI. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Einkommensteuer, Investitionsrücklage, Vertrauensschutz, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Aufhebung Wirkung, Rückwirkung, Gewinnermittlung (Einkommensteuer)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G309.1991

Dokumentnummer

JFT_10079694_91G00309_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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