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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des K in B, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 28. Dezember 1993, Zl. Frb-4250/93, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 i.V. mit § 21 FrG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, daß der Beschwerdeführer, der im Sommer 1986 nach Österreich gekommen sei, vom September 1986 bis Jänner 1988 in neun Fällen Frauen, die in den Nachtstunden allein zu Fuß unterwegs gewesen seien, durch Berührungen am Gesäß, an der Brust oder im Genitalbereich beziehungsweise durch Umfassen und Ansichziehen "bedrängt" habe. Die deswegen eingeleitete gerichtliche Voruntersuchung sei gemäß § 109 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 28. April 1992 sei der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe am 1. Jänner 1992 eine namentlich genannte Frau "1) mit Gewalt, indem er sie kräftig am Oberarm erfaßte, zu sich heranzog und sie trotz heftiger Gegenwehr festhielt, um sie zu küssen, zu einer Duldung, nämlich von ihm geküßt zu werden, zu nötigen versucht; 2) in Tateinheit durch das zu Faktum 1) geschilderte Verhalten am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig eine Verletzung, nämlich ein Hämatom am Oberarm bewirkt." Hiefür sei er zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je S 200,-- verurteilt worden, wobei die Strafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei. Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beschwerdeführers sei mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 30. Juli 1992 keine Folge gegeben worden. Der Beschwerdeführer habe - so führte die belangte Behörde weiter aus - mit jedem Vorfall "zielgerichteter" gehandelt. Habe er sich anfangs damit zufrieden gegeben, die Frauen am Gesäß zu berühren, habe er ihnen in späteren Vorfällen auch an die Brust und schließlich auch auf den Genitalbereich gegriffen. Beim Vorfall vom 1. Jänner 1992 habe er erstmals Gewalt in einem solchen Ausmaß angewendet, daß er in die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person eingegriffen und eine Körperverletzung hervorgerufen habe. Die jeweils schärfere Vorgangsweise und die Begehung einer Straftat auch im Erwachsenenalter verhinderten eine mögliche positive Zukunftsprognose. Dies werde auch durch die Feststellung des Oberlandesgerichtes Innsbruck bestätigt, daß von einer entsprechenden Neigung des Beschwerdeführers, fremde Frauen sexuell zu belästigen, auszugehen sei. Es sei daher die Annahme gerechtfertigt, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde und anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer sei 1972 in Bludenz geboren. Als Zweijähriger sei er zurück in die Türkei gebracht worden. Seit 1986 lebe er wieder in Österreich. Hier seien auch seine Eltern und ein Bruder aufhältig. Seit dem Sommer 1992 sei der Beschwerdeführer verlobt. Die Hochzeit sei für den Sommer 1993 geplant gewesen und nun auf 1994 verschoben worden. Derzeit übe der Beschwerdeführer auch eine Beschäftigung aus. Er sei sohin als integriert zu betrachten. Dennoch sei der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zum Schutze der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele im Sinne des § 19 FrG dringend geboten. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigten die Annahme, daß der Beschwerdeführer weiterhin eine Gefahr darstelle. Die Verhinderung weiterer Taten durch ihn, insbesondere im Bereich der Selbstbestimmung und körperlichen Integrität von Menschen, sei von einem solchen öffentlichen Interesse, daß nicht davon auszugehen sei, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation und die seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und der Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß sein während der Pubertät gesetztes Verhalten in den Jahren 1986 bis 1988 nicht mit dem Vorfall im Jahr 1992 im Zusammenhang gebracht werden dürfe, weil er sich zwischenzeitig wohlverhalten habe. Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizutreten: Die Vorfälle in den Jahren 1986 bis 1988 einerseits und im Jahr 1992 andererseits liegen zeitlich nicht so weit auseinander, um den aus der Gleichartigkeit des Vorgehens gezogenen Schluß auf eine Neigung des Beschwerdeführers, fremde Frauen sexuell zu belästigen, nicht begründet erscheinen zu lassen. Mögen bei den erstangeführten Vorfällen auch Pubertäts- und Anpassungsschwierigkeiten mitgespielt haben, so läßt doch die bereits im Erwachsenenalter begangene Straftat des Jahres 1992 eindeutig das Vorliegen einer Neigung in der angeführten Richtung erkennen. Daran ändert nichts, daß es bei der Nötigung am 1. Jänner 1992 in strafrechtlicher Hinsicht nur beim Versuch geblieben ist. Dem Hinweis des Beschwerdeführers auf die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht ist entgegenzuhalten, daß die zur Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde an die diesem Ausspruch zugrundeliegende Beurteilung des Gerichtes nicht gebunden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1994, Zl. 94/18/0180). Eine Bedachtnahme auf die geplante Eheschließung des Beschwerdeführers und deren allfällige Auswirkungen auf dessen Psyche kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei dieser Heirat um ein ungewisses, in der Zukunft liegendes Ereignis handelt.
Der Beschwerdeführer irrt auch, wenn er meint, die Subsumtion des festgestellten Sachverhaltes unter § 18 Abs. 1 FrG müsse "geradezu als Umgehung des § 18 Abs. 2 FrG" gewertet werden, weil das Strafverfahren wegen der in den Jahren 1986 bis 1988 begangenen "Delikte" eingestellt worden sei, er nunmehr lediglich zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden sei und eine zusammengefaßte Bewertung der Taten in den Jahren 1986 bis 1988 und der gerichtlichen Verurteilung nicht zulässig sei. Hinsichtlich des letzteren Argumentes ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Im übrigen übersieht der Beschwerdeführer, daß die im Grunde des § 18 Abs. 1 FrG relevante Rechtsfigur des Gesamt(fehl)verhaltens mit dem Strafrecht nicht derart verküpft ist, daß sie lediglich im Fall der Bestrafung oder zumindest der Strafbarkeit des Fehlverhaltens zum Tragen kommt. Entscheidend für die Zulässigkeit des Abstellens auf das Gesamt(fehl)verhalten, also der "direkten" Gebrauchnahme von § 18 Abs. 1 FrG (ohne "Dazwischentreten" eines der Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 bis 8 leg. cit), ist vielmehr, ob die jeweils in Auge gefaßten Verhaltensweisen des Fremden von der Rechtsordnung in solcher Weise verpönt sind, daß sie zusammengefaßt betrachtet die im § 18 Abs. 1 leg. cit. näher umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/18/0247). Dies trifft aber auf das durch die oben beschriebene Neigung geprägte Gesamtverhalten des Beschwerdeführers zu.
Aufgrund der in diesem Verhalten zum Ausdruck kommenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Sicherheit ist auch die von der belangten Behörde getroffene Beurteilung, daß das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen dringend geboten sei, nicht zu beanstanden. Zu dieser Beurteilung bedurfte es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht der Beiziehung eines medizinisch-psychologischen Sachverständigen. Das Ausmaß der beim Vorfall vom 1. Jänner 1992 im Vorgehen des Beschwerdeführers gelegenen "kriminellen Energie" ist nicht entscheidend, kann doch bei der vorliegenden Neigung des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden, daß es bei einem weiteren Vorfall zu schwereren Folgen kommt.
Im Rahmen der nach § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung hat die belangte Behörde alle vom Beschwerdeführer aufgezeigten Umstände - Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, Ausmaß der Integration, Familie und Verlobte in Österreich, Beschäftigung - berücksichtigt. Zu weiteren Erhebungen in dieser Richtung bestand keine Veranlassung. Wenn die belangte Behörde mit Rücksicht auf das große Gewicht der hier maßgebenden öffentlichen Interessen, insbesondere an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und an der körperlichen Integrität von Menschen, dennoch zum Ergebnis kam, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, vermag ihr der Verwaltungsgerichtshof nicht entgegenzutreten. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers kann bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht bloß von einer "unbesonnenen Tat, die zur Verurteilung führte", die Rede sein.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994180081.X00Im RIS seit
11.07.2001