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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art138 Abs1 litaLeitsatz
Verneinender Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde; Feststellung der Zuständigkeit des Gerichtes infolge Säumnisklage zur Entscheidung über die Leistungszuständigkeit eines Sozialversicherungsträgers im Bereich der Unfallversicherung als eine ArtVorfrage in einer LeistungssacheSpruch
1. Zur Entscheidung der Frage, ob die Sozialversicherungsanstalt der Bauern verpflichtet ist, dem Antragsteller Leistungen wegen eines im Juni 1943 erlittenen Unfalles zu erbringen, ist das Kreisgericht Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht zuständig.
2. Der Beschluß des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Dezember 1990, Zl. 4 Cgs 77/90-7, wird aufgehoben.
3. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Antragsteller, zu Handen seines Rechtsvertreters, die Kosten dieses Rechtsstreites in Höhe von S 15.000,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten zufolge erlitt der Antragsteller im Juni 1943 bei einer Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern einen Unfall, der den Verlust der linken Hand zur Folge hatte. Er bezieht von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) eine Versehrtenrente.
b) aa) Am 7. Juni 1988 begehrte der Antragsteller bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVA der Bauern),
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die Zuständigkeit der SVA der Bauern anzuerkennen,
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ihn einer gutachterlichen Untersuchung zuzuführen,
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ihm eine Dauerrente unter Berücksichtigung des §181 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) idF der 40. ASVG-Novelle zu gewähren.
Der Antragsteller stützt diesen Antrag darauf, daß sein Akt bei der Auflösung der land- und forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt (1. Jänner 1974), von der er bisher die Rente bezogen hatte, irrtümlich dem Zuständigkeitsbereich der AUVA zugeordnet worden sei. Aufgrund des Unfallherganges und der Tatsache, daß sich der Unfall im familieneigenen Betrieb ereignet hat, "wäre jedenfalls die Zuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern gegeben, zumal dieser (Anm.: der Betrieb) heute dem §3 BSVG (Bauern-Sozialversicherungsgesetz) zu unterstellen wäre." Es sei daher auch die Bestimmung des §181 Abs2 ASVG idF der 40. ASVG-Novelle anzuwenden.
Über diesen Antrag erging von der SVA der Bauern - ungeachtet mehrfacher Urgenzen - kein Bescheid.
bb) Da also die SVA der Bauern eine bescheidmäßige Erledigung des Antrages vom 7. Juni 1988 unterlassen und bloß formlos auf ihre (vermeintliche) Unzuständigkeit hingewiesen hatte, wandte sich der Antragsteller zunächst an den Landeshauptmann von Oberösterreich. Er begehrte mit Schreiben vom 25. November 1988,
"der Landeshauptmann von Oberösterreich möge die Zuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern für die mir aus dem Unfall vom 30.6.1943 erfließenden Leistungsrechte feststellen."
Der Landeshauptmann wies mit Bescheid vom 30. November 1988 den Antrag mangels sachlicher Zuständigkeit gemäß §413 Abs1 Z2 ASVG zurück. Begründet wurde der Bescheid damit, daß der Landeshauptmann gemäß dieser Gesetzesbestimmung lediglich in der Pensionsversicherung, nicht aber in der Unfallversicherung über die Leistungszuständigkeit entscheiden könne.
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales wies mit Bescheid vom 10. April 1989 die dagegen vom Antragsteller erhobene Berufung ab und bestätigte den zurückweisenden Bescheid des Landeshauptmannes.
Gegen den Bescheid des Bundesministers erhob der Antragsteller Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser wies mit Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0159, die Beschwerde als unbegründet ab. (Näheres s.u. II.B.1.b).
cc) In der Folge erhob der Antragsteller am 9. Mai 1990 gemäß §67 Abs1 Z2 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) beim Kreisgericht Ried i.I. (als Arbeits- und Sozialgericht) eine Säumnisklage gegen die SVA der Bauern. Die Klage wird damit begründet, daß die beklagte Partei es unterlassen habe, den Antrag des Antragstellers vom 7. Juni 1988 (s.o. 1.b.aa) bescheidmäßig zu erledigen. Das Klagebegehren lautet:
"Ich beantrage daher das Urteil: Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei rückwirkend ab 1.7.1988 eine Versehrtenrente unter Berücksichtigung des §181 Abs2 ASVG zu gewähren. Die bisher fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Beträge an jedem Monatsersten im vorhinein zu bezahlen.
Sollte das Gericht hinsichtlich der Versicherungszuständigkeit ein verwaltungsrechtliches Vorverfahren beim Landeshauptmann für Oberösterreich erwägen, erlaube ich mir darauf hinzuweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 13.3.1990 die Zuständigkeit des Landeshauptmannes für diese Fragen abgelehnt hat."
Mit Beschluß vom 28. Dezember 1990 wies das Kreisgericht Ried i. I. als Arbeits- und Sozialgericht die Klage gemäß §73 ASGG mangels Zulässigkeit des Rechtsweges zurück: Dem §413 Abs1 Z2 ASVG zufolge könne die Frage der Leistungszuständigkeit nicht vom Gericht - und zwar auch nicht als Vorfrage - entschieden werden. Das Gericht sei in einer Verwaltungssache im Sinne des §355 ASVG angerufen worden, sodaß Unzulässigkeit des Rechtsweges gegeben sei. (Näheres s.u. II.B.1.c).
2. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, es hätten sohin in derselben Sache sowohl das Gericht als auch die Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit verneint; es liege deshalb ein negativer Kompetenzkonflikt vor.
Er stellt daher den auf Art138 Abs1 lita B-VG gestützten Antrag, diesen Kompetenzkonflikt zu entscheiden, die dem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte aufzuheben und die Prozeßkosten zuzusprechen.
3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, der Landeshauptmann von Oberösterreich und das Kreisgericht Ried i.I. legten die bezughabenden Akten vor.
Der Landeshauptmann erstattete eine Äußerung, in der er seine im zugrundeliegenden Verfahren vertretene Rechtsauffassung bekräftigt und die Sachidentität (in der Bedeutung des Art138 Abs1 lita B-VG iVm §46 Abs1 VerfGG) in Zweifel zieht.
II. Über den Antrag wurde erwogen:
A. Zur Zulässigkeit des Antrages
1. Gemäß Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Nach dieser Verfassungsbestimmung iVm §46 Abs1 VerfGG liegt ein negativer (verneinender) Kompetenzkonflikt u. a. dann vor, wenn "in derselben Sache" ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit abgelehnt haben. Die Erschöpfung des Instanzenzuges ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3348/1958, 3756/1960, 3798/1960) nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrages auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes.
2. Zu klären ist also, ob Identität der "Sache" iS des §46 Abs1 VerfGG vorliegt.
a) Die vom Einschreiter einerseits an den Landeshauptmann (s.o. I.1.b.bb), andererseits an das Kreisgericht (s.o. I.1.b.cc) gestellten Anträge weichen zwar verbal voneinander ab. Ihrem Inhalt nach sind sie aber ident.
In beiden Verfahren geht es nämlich dem Antragsteller leicht und deutlich erkennbar primär um die Klärung der Frage, ob die AUVA (die ihm bisher eine Versehrtenrente ausbezahlt hat) oder aber die SVA der Bauern (von der er sich eine höhere Versehrtenrente erhofft) zur Leistung verpflichtet (zuständig) ist. Erst nachdem diese Frage gelöst ist, kann nämlich über Bestand und Umfang des Anspruches auf die Versicherungsleistung entschieden werden.
b) Der Verfassungsgerichtshof hat sich zwar in dem einen positiven Kompetenzkonflikt (§42 VerfGG) behandelnden Erkenntnis VfSlg. 1341/1930, S 94 f., (bekräftigt mit Erkenntnis VfSlg. 9060/1981), ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob auch eine Angelegenheit, die für eine der in den Kompetenzkonflikt involvierten Behörden lediglich den Gegenstand einer Vorfrage - im prozeßrechtlichen Sinn - bildet, eine "Sache" iS des §42 Abs1 VerfGG sein kann.
Dieses Erkenntnis bietet aber im gegebenen Zusammenhang für die Lösung der Frage, ob Identität der Sache vorliegt, keine Hilfe:
Einerseits handelte es sich damals um einen positiven Kompetenzkonflikt, während im nunmehr vorliegenden Fall ein negativer Kompetenzkonflikt geltend gemacht wird; andererseits ging es seinerzeit um eine Vorfrage im engsten Sinn (eine Frage, die von einer anderen Behörde zum Gegenstand einer selbständigen Entscheidung gemacht werden könnte), während im nunmehrigen Fall die zu lösende Zuständigkeitsfrage überhaupt nicht Gegenstand eines formell selbständigen Verfahrens sein kann (s. dazu unten B.2. und B.3.a).
c) In den dem vorliegenden Antrag vorangegangenen Verfahren haben sowohl der Landeshauptmann (bestätigt durch den Berufungsbescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales) als auch das Kreisgericht (als Arbeits- und Sozialgericht) inhaltlich in derselben Sache die Zuständigkeit abgelehnt; die Verwaltungsbehörden in der Weise, daß sie den explizit auf Feststellung der Leistungszuständigkeit der SVA der Bauern gerichteten Antrag mangels Zuständigkeit zurückwiesen; das Gericht, indem es die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung einer bestimmten Versehrtenrente mit der tragenden Begründung zurückwies, es sei nicht kompetent, über die davorliegende Frage der Leistungszuständigkeit zu befinden. Die Frage der Leistungszuständigkeit ist nun aber eine solche, die die Rechtssphäre des Antragstellers berührt, obgleich über sie im Bereich der Unfallversicherung von keiner Behörde in einem formell selbständigen Verfahren entschieden werden kann (s.u. B.2. und B.3.a).
Unter den geschilderten Umständen muß bei einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung angenommen werden, daß es sich im vorliegenden Fall um einen verneinenden Kompetenzkonflikt (§46 Abs1 VerfGG) handelt, zu dessen Lösung der Verfassungsgerichtshof zuständig ist.
3. Der Antrag auf Entscheidung des Kompetenzkonfliktes ist - weil auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind - somit zulässig.
B. In der Sache selbst
1.a) §413 ASVG lautet im hier maßgebenden Zusammenhang:
"§413. (1) Der Landeshauptmann entscheidet
1. . . .
2. unter Ausschluß eines Bescheidrechtes der beteiligten Versicherungsträger über die Versicherungszugehörigkeit oder Versicherungszuständigkeit, in der Pensionsversicherung auch über die Leistungszugehörigkeit oder Leistungszuständigkeit auf Antrag eines beteiligten Versicherungsträgers, einer anderen Partei oder eines Gerichts, wenn Zweifel oder Streit darüber bestehen, welcher Versicherung eine Person versicherungs- oder leistungszugehörig ist oder welcher Versicherungsträger für sie versicherungs- oder leistungszuständig ist.
(2) - (6) . . .".
b) Der Verwaltungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0159, die Beschwerde des Antragstellers ab, die dieser gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales erhoben hatte. Mit diesem Bescheid war die Zurückweisung des Antrags auf Feststellung der Leistungszuständigkeit der SVA der Bauern durch den Landeshauptmann bestätigt worden (s.o. I.1.b.bb). Der Verwaltungsgerichtshof hat sein Erkenntnis im wesentlichen wie folgt begründet:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Frage, ob sich aus der genannten Gesetzesbestimmung (gemeint ist der soeben zitierte §413 Abs1 Z2 ASVG) auch eine Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Entscheidung über die Leistungszuständigkeit in der Unfallversicherung ableiten läßt, bereits mehrmals beschäftigt, so etwa im Erkenntnis vom 16. Februar 1972, VwSlg. 8169/A (in diesem Erkenntnis allerdings nur am Rande) und (ausführlich) im Erkenntnis vom 5. Juni 1981, Zl. 08/2868/79, auf das unter Erinnerung an Art14 Abs4 der hg. Geschäftsordnung verwiesen wird.
In diesem zuletzt zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung vertreten, daß nach der genannten Gesetzesstelle in der Unfallversicherung keine (ergänze: gesonderte) Feststellung der Leistungszuständigkeit durch den Landeshauptmann vorgesehen sei. Der Verwaltungsgerichtshof hält an dieser Auffassung fest. Die Frage der Zuständigkeit ist daher - abgesehen von den hier nicht streitgegenständlichen Fällen des negativen oder positiven Kompetenzkonfliktes - von der in der Hauptsache jeweils zuständigen Behörde (Versicherungsträger) im Sinne des - gemäß §182 BSVG in Verbindung mit §357 Abs1 ASVG auch im Verfahren vor den Versicherungsträgern anzuwendenden - §6 AVG 1950 wahrzunehmen.
In seinem (den Gegenstand des Verfahrens bildenden) Antrag an die mitbeteiligte Partei (d.i. die SVA der Bauern) vom 7. Juni 1988 behauptet der Beschwerdeführer (d.i. der Antragsteller in diesem verfassungsgerichtlichen Kompetenzfeststellungsverfahren) ausschließlich, daß sein Rentenanspruch bei Auflösung des früher zuständig gewesenen Versicherungsträgers nicht auf den richtigen Versicherungsträger übergeleitet worden sei; damit wird aber ausschließlich eine Frage der Leistungszuständigkeit (und nicht - auch nicht teilweise - der Versicherungszugehörigkeit) releviert, für die keine Sonderzuständigkeit des Landeshauptmannes besteht.
Der Antrag des Beschwerdeführers an den Landeshauptmann von Oberösterreich vom 25. November 1988 war daher zurückzuweisen, wie die Verwaltungsbehörden richtig erkannt haben. Dem angefochtenen Bescheid haftet daher die geltend gemachte Rechtswidrigkeit nicht an.
. . .".
c) Das Kreisgericht Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht begründete seinen Beschluß (mit dem die Klage auf Zuerkennung einer Versehrtenrente und auf implizite Feststellung der Leistungszuständigkeit der SVA der Bauern zurückgewiesen wurde - s. o. I.1.b.cc) im wesentlichen folgendermaßen:
"Nach §413 Abs1 Z2 ASVG entscheidet der Landeshauptmann, wenn Zweifel oder Streit darüber besteht, welcher Versicherung eine Person versicherungs- oder leistungszugehörig oder welcher Versicherungsträger für sie versicherungs- oder leistungszuständig ist. Die Frage der Leistungszuständigkeit kann vom Gericht auch nicht als Vorfrage entschieden werden (OLG Linz 16.1.1990, 12 Rs 226/89 SVSlg. 33.497, SSV-NF 2/22).
Die Leistungszuständigkeit in der Unfallversicherung deckt sich mit der Versicherungszuständigkeit im Sinne des §413 Abs1 Z2 ASVG. Denn darunter kann nur die sachliche Zuständigkeit zur Durchführung der Unfallversicherung nach dem §28 ASVG gemeint sein, also nicht nur die Pflichtversicherung im Sinne der §§3 BSVG, 4 f ASVG, sondern auch die Unfallversicherung jener Personen, die (insbesondere §176 Abs1 Z3 und 6 und Abs3 ASVG) beitragsfrei Unfallversicherungsschutz genießen (SVSlg. 26.493, 32.012).
Insoferne ist daher die die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (Landeshauptmann) verneinende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes unzutreffend, sodaß im vorliegenden Fall - zumal eine rechtskräftige die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde verneinende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes bereits vorliegt (Anm.: siehe hiezu oben I.1.b.bb sowie die vorstehende lit. b) - auch die Anwendung des §74 Abs1 ASGG, Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens, nicht möglich ist.
Vielmehr wurde das Gericht in einer Verwaltungssache im Sinne des §355 ASVG angerufen, sodaß Unzulässigkeit des Rechtsweges gegeben ist.
. . .".
2. Es geht also um die Auslegung des §413 Abs1 Z2 ASVG.
Der Verfassungsgerichtshof stellt sich auf den Boden der - zuvor (Pkt. 1.b) wiedergegebenen - Interpretation des Verwaltungsgerichtshofes und übernimmt die schlüssigen Begründungen des zitierten Erkenntnisses vom 13. März 1990 sowie jene der Erkenntnisse VwSlg. 8169 A/1972, S 85, und vor allem VwGH 5.6.1981, Zl. 08/2868/79, S 7 f.
Der Wortlaut des §413 Abs1 Z2 ASVG schließt den vom Kreisgericht Ried i.I. angenommenen (gegenteiligen) Inhalt dieser Gesetzesbestimmung aus: Das Gesetz unterscheidet hier klar, eindeutig und strikt zwischen der "Versicherungszugehörigkeit oder Versicherungszuständigkeit" einerseits und der "Leistungszugehörigkeit oder Leistungszuständigkeit" andererseits; es ermächtigt den Landeshauptmann nur für den Bereich der Pensionsversicherung, nicht bloß über die erstgenannten, sondern darüber hinaus auch über die zweitgenannten Belange zu entscheiden (arg.: "..., in der Pensionsversicherung auch über die Leistungszugehörigkeit oder Leistungszuständigkeit"); es schließt damit die Ermächtigung des Landeshauptmannes aus, etwa auch im Bereich der Unfallversicherung den leistungszuständigen Versicherungsträger festzustellen (in diesem Sinne: SVSlg. 23.808 (OLG Wien 29.10.1974, 16 R 157/74)).
3.a) Auch keine andere Gesetzesbestimmung erlaubt einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht, eine solche Feststellung in einem gesonderten Verfahren zu treffen.
Die Leistungszuständigkeit im Bereich der Unfallversicherung ist daher in jenem Verfahren zu erörtern, dessen Erledigung die Klärung dieser Frage (als einer ArtVorfrage) erfordert.
b) Im gegebenen Zusammenhang ist dies das auf Leistung einer Versehrtenrente an den Antragsteller bezughabende Verfahren. Es handelt sich somit um eine Leistungssache iS des §354 Z1 ASVG.
Diese Bestimmung lautet nämlich:
"§354. Leistungssachen sind die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um
1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach §367 Abs1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§245) oder die Leistungszuständigkeit (§246) in Frage steht;
2. - 4. ...".
Daß nach der eben zitierten Bestimmung eine Leistungssache nur dann vorliegt, wenn nicht (u.a.) "die Leistungszuständigkeit (§246)" in Frage steht, ist für den vorliegenden Fall ohne Belang, da sich §246 ASVG ausschließlich auf die Leistungszuständigkeit im Bereich der Pensionsversicherung, nicht aber auf jene im Bereich der Unfallversicherung bezieht.
c) Über Leistungssachen hat der Sozialversicherungsträger zu entscheiden. Erachtet er sich für unzuständig, so hat er den Antrag zurückzuweisen. Wenn er nicht binnen einer bestimmten Frist nach Eingang des Antrags auf Zuerkennung der Leistung (bei der Unfallversicherung innerhalb von sechs Monaten) einen Bescheid erlassen hat, so kann vom Versicherten beim Arbeits- und Sozialgericht Säumnisklage erhoben werden (§65 Abs1 Z1 iVm §67 Abs1 Z2 ASGG). Damit geht die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf dieses Gericht über. Dieses hat daher - als eine ArtVorfrage - auch darüber abzusprechen, welcher Sozialversicherungsträger leistungszuständig ist. Eine Unterbrechung des Gerichtsverfahrens gemäß §74 Abs1 ASGG bzw. §413 Abs4 ASVG (die "Vorfragenentscheidungsverbote" normieren) kommt nicht in Betracht, weil nach dem Gesagten die Klärung der Frage der Leistungszuständigkeit im Bereich der Unfallversicherung weder unter den Tatbestand der einen noch jenen der anderen Norm zu subsumieren ist.
Diese Auslegung des Gesetzes wird durch die Überlegung bekräftigt, daß sonst für den Fall einer Säumnis des Sozialversicherungsträgers der Antragsteller des Rechtsschutzes entbehrte.
d) Zur Entscheidung der Frage, welcher Sozialversicherungsträger verpflichtet ist, dem Antragsteller Leistungen wegen eines im Juni 1943 erlittenen Unfalles zu erbringen, ist mithin das Kreisgericht Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht insoweit zuständig, als es untersuchen muß, ob der gegenüber der SVA der Bauern geltend gemachte Anspruch zu Recht besteht.
e) Das Kreisgericht Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht verneinte also seine Kompetenz zu Unrecht.
Der diesem Erkenntnis entgegenstehende Beschluß des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Dezember 1990, Zl. 4 Cgs 77/90-7, war gemäß §51 VerfGG aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung fußt auf §52 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
VfGH / Kompetenzkonflikt, Behördenzuständigkeit, Sozialversicherung, Unfallversicherung, Versehrtenrente, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Arbeits- u Sozialgerichtsbarkeit, Zuständigkeit der GerichteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:KI4.1991Dokumentnummer
JFT_10079690_91K00I04_2_00