TE Vfgh Erkenntnis 1992/3/10 G259/91

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Veröffentlicht am 10.03.1992
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Index

35 Zollrecht
35/02 Zollgesetz 1955

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ZollG 1988 §59 Abs5 zweiter Satz

Leitsatz

Aufhebung der im ZollG 1988 normierten Zustellfiktion (Zustellung an den Anmelder gilt als Zustellung an den Empfänger) betreffend zollamtliche Bestätigungen wegen Gleichheitswidrigkeit; Unsachlichkeit der Regelung wegen nicht erkennbarer Rechtsschutzmöglichkeit zur Abwehr der Wirkung der Zustellfiktion

Spruch

§59 Abs5 zweiter Satz des Bundesgesetzes über die Zölle und das Zollverfahren (Zollgesetz 1988 - ZollG), BGBl. Nr. 644, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1992 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B31/91 das Verfahren über eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

a) Der Beschwerdeführer vereinbarte mit einem deutschen Autohändler den Kauf eines PKW. Mit der Durchführung des Transportes nach Österreich und der Verzollung beauftragte der Autohändler eine Spedition. Die Spedition meldete am Grenzübergang den PKW zur Durchführung des Zollverfahrens an und nannte den Beschwerdeführer als Empfänger des einzuführenden Fahrzeuges. Das Zollamt Walserberg-Autobahn setzte mit der - als Abgabenbescheid geltenden - "zollamtlichen Bestätigung" vom 14. April 1988 die Eingangsabgaben (Einfuhrumsatzsteuer, Außenhandelsförderungsbeitrag) fest. Für die Entrichtung dieser (grundsätzlich sofort fälligen) Eingangsabgabenschuld wurde gemäß §175 Abs4 Zollgesetz 1988 (ZollG), BGBl. 644, eine Zahlungsfrist von drei Wochen bewilligt. Die Spedition - über die in der Folge ein Konkursverfahren eröffnet worden war - entrichtete die ihr vorgeschriebenen Abgaben nicht.

Aus diesem Grunde forderte das Zollamt Wien den Beschwerdeführer (als Warenempfänger) mit Schreiben vom 1. August 1988 zur Entrichtung des Eingangsabgabenrückstandes auf (Solidarhaftung gemäß §174 Abs4 ZollG). Der Beschwerdeführer behauptet, damit erstmals von der zollamtlichen Bestätigung vom 14. April 1988 Kenntnis erlangt zu haben und erhob gegen diese am 16. August 1988 Berufung; nicht er, sondern der Autohändler sei - entsprechend den vereinbarten Modalitäten über die Abwicklung des Kaufes - der Warenempfänger.

Mit Bescheid des Zollamtes Walserberg-Autobahn vom 5. Oktober 1988 wurde diese Berufung zurückgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß die (zweimonatige) Berufungsfrist abgelaufen und die Berufung daher verspätet sei. Inhaltlich stützte sich die Behörde auf die Zustellfiktion des §59 Abs5 zweiter Satz ZollG, auf die unten noch ausführlich eingegangen wird.

b) Gegen diesen Zurückweisungsbescheid erhob der Beschwerdeführer am 20. Oktober 1988 Berufung, über die durch Bescheid der Finanzlandesdirektion Salzburg vom 9. November 1990 entschieden wurde. Mit diesem Bescheid wurde die Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid als unbegründet abgewiesen: Die zollamtliche Bestätigung sei der "Anmelderin" (das ist die Spedition) am 14. April 1988 zugestellt worden; gemäß §59 Abs5 ZollG gelte sie damit auch als dem in der Anmeldung als "Empfänger" genannten Beschwerdeführer zugestellt. Für Anmelderin und Empfänger (den Beschwerdeführer) habe somit bereits am 14. Juni 1988 die zweimonatige Berufungsfrist (§245 Abs1 BAO) geendet.

c) Gegen diesen Berufungsbescheid der Finanzlandesdirektion Salzburg vom 9. November 1990 wendet sich die eingangs erwähnte, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat am 15. Juni 1991 beschlossen, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §59 Abs5 zweiter Satz ZollG einzuleiten (Näheres s.u. II.2.).

3. Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie - mit näherer Begründung (s.u. II.3.) beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle §59 Abs5 zweiter Satz ZollG nicht als verfassungswidrig aufheben. Für den Fall der Aufhebung begehrt die Bundesregierung, gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II. 1. Die hier maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß §3 Abs2 iVm Abs1 ZollG finden die Bestimmungen des Zollgesetzes nicht nur auf Zölle, sondern grundsätzlich auch auf sonstige, nach Maßgabe der betreffenden Abgabengesetze von den Zollämtern zu erhebende Abgaben sinngemäß Anwendung. (Dazu zählen etwa Einfuhrumsatzsteuer und Außenhandelsförderungsbeitrag.)

Nach §52 Abs1 ZollG sind Waren beim Zollamt zur Durchführung des Zollverfahrens nach den näheren Bestimmungen dieses Bundesgesetzes schriftlich oder mündlich anzumelden (Anmeldung).

Die Gesamtheit der Amtshandlungen des Zollamtes zur Durchführung des Zollverfahrens ist die Zollabfertigung (§47 Abs2 ZollG).

§59 ZollG lautet auszugsweise (die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle ist hervorgehoben):

    "§59. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt

ist, hat das Zollamt über die Durchführung der beantragten

Abfertigung (§47 Abs2) eine zollamtliche Bestätigung zu

erteilen. . . .

    (2) - (4) . . .

(5) Zollamtliche Bestätigungen gelten, soweit sie eine Abgabenschuld betreffen, als Abgabenbescheide. Mit der Zustellung an den Anmelder gelten sie auch als dem Empfänger zugestellt, wenn dieser in der zollamtlichen Bestätigung oder in der dieser zugrunde liegenden Anmeldung als Empfänger genannt ist.

(6) Zollamtliche Bestätigungen können auch durch Ausfolgung bei einem Zollamt oder beim Bundesrechenamt zugestellt werden. Im Fall der Ausfolgung bei einem Zollamt kann eine Empfangsbestätigung unterbleiben, wenn das Datum der Ausfertigung gleich dem der Ausfolgung ist."

§174 ZollG regelt die Entstehung der Zollschuld:

"§174. (1) Die Zollschuld ist die Verpflichtung zur Entrichtung des Zolles.

(2) Die Zollschuld entsteht, ausgenommen in den Fällen des Abs3, für den Anmelder durch mündliche oder schriftliche Anordnung, einen bestimmten Zollbetrag zu entrichten.

(3) Die Zollschuld entsteht kraft Gesetzes

. . .

c) für den, der durch unrichtige oder unvollständige Angaben in der Anmeldung oder in der Erklärung zur Ermittlung des Zollwertes, in den Fällen des §52 Abs3 in den zur Abfertigung vorgelegten Unterlagen bewirkt, daß eine zollpflichtige Ware zollfrei oder unter Festsetzung eines geringeren Zollbetrages vom Zollamt ausgefolgt wird, hinsichtlich des unerhoben gebliebenen Zollbetrages;

    d) . . .

    . . .

(4) Die nach Abs2 oder nach Abs3 litc für den Anmelder entstandene Zollschuld entsteht im selben Zeitpunkt auch für den Empfänger, falls dieser in der schriftlichen Anmeldung oder bei mündlicher Anmeldung im zollamtlichen Abfertigungsbefund genannt ist. Der Anmelder kann sich in diesen Fällen von der für ihn entstandenen Zollschuld durch den Nachweis befreien, daß der Empfänger die Ware übernommen hat.

(5) . . ."

§175 enthält Bestimmungen über die Fälligkeit der Zollschuld:

"§175.(1) Die Zollschuld wird mit ihrem Entstehen fällig.

(2) - (3) . . .

(4) Die Finanzlandesdirektion kann zur Beschleunigung des Warenverkehrs und zur Vereinfachung des automationsunterstützten Zahlungsverkehrs auf Antrag für die Entrichtung des Zolles eine Zahlungsfrist von drei Wochen bewilligen, wenn die Einbringlichkeit des Zolles gesichert ist.

(5) - (6) . . ."

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß (s.o. I.2.) vorläufig angenommen, daß sich aus diesem klaren und eindeutigen Wortlaut folgender Gesetzesinhalt ergebe:

"Die Zollschuld entsteht gemäß §174 Abs2 ZollG für den Anmelder mit der mündlichen oder schriftlichen Anordnung, einen bestimmten Zollbetrag zu entrichten. Diese Anordnung kann, wie im Beschwerdefall, etwa durch die Ausfolgung der zollamtlichen Bestätigung beim Zollamt - und damit durch ihre Zustellung an den Anmelder (§59 Abs6 ZollG) - erfolgen.

Gemäß §174 Abs4 entsteht die (gemäß Abs2) für den Anmelder entstandene Zollschuld im selben Zeitpunkt auch für den Empfänger, wenn dieser in der schriftlichen Anmeldung genannt ist.

Anmelder und Empfänger werden damit Gesamtschuldner.

Das durch §174 Abs2 und 4 normierte (ex lege entstehende) Gesamtschuldverhältnis kann dem Empfänger gegenüber allerdings nur dann wirksam werden, wenn die zollamtliche Bestätigung (ein Bescheid) auch ihm zugestellt wurde (vgl. Manhart/Fuchs, Das österreichische Zollrecht2, Wien 1975, S 278/3). Offenbar aus verwaltungsökonomischen Gründen soll aber der Zollverwaltung erspart bleiben, die zollamtliche Bestätigung auch dem Empfänger tatsächlich zuzustellen; vielmehr normiert §59 Abs5 eine Zustellfiktion: Mit der Zustellung an den Anmelder gilt nämlich ein solcher Bescheid auch als an den Empfänger zugestellt, wenn dieser in der zollamtlichen Bestätigung oder in der dieser zugrundeliegenden Anmeldung als Empfänger genannt ist.

Mit dem Zeitpunkt der Zustellung dieser Bestätigung an den Anmelder beginnt auch für den Empfänger die zweimonatige Berufungsfrist (§245 Abs1 BAO) zu laufen."

b) Von diesem Gesetzesinhalt ausgehend, äußerte der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß zwar keine Bedenken dagegen, daß der Anmelder und der (tatsächliche) Empfänger für die Zollschuld solidarisch haften.

Sodann wird im Beschluß ausgeführt:

"Er (der Verfassungsgerichtshof) hält es aber vorläufig mit dem Gleichheitsgrundsatz (und dem sich daraus ergebenden Sachlichkeitsgebot) sowie dem rechtsstaatlichen Prinzip für unvereinbar, daß die Haftung des (tatsächlichen) Empfängers auch dann eintritt, wenn ihm kein Bescheid zugestellt wurde. Es dürfte nämlich nicht garantiert sein, daß er von der 'zollamtlichen Bestätigung', die als Abgabenbescheid gilt, Kenntnis hat, zumal der Empfänger zum Anmelder (etwa dem Spediteur) in keiner Beziehung stehen muß.

Es gäbe - so meint der Verfassungsgerichtshof vorläufig - legistische Möglichkeiten, eine Regelung zu treffen, die zwar einerseits eine Solidarhaftung des Anmelders und des Empfängers vorsieht, andererseits aber - anders als die derzeit geltenden Bestimmungen - auch dem Empfänger gewährleistet, daß er von seinem Berufungsrecht wirkungsvoll Gebrauch machen und so eine für ihn günstigere Sachentscheidung herbeiführen kann.

So sei beispielsweise auf §7 Abs1 iVm §224 Abs1 BAO (Geltendmachung der Haftung zu Gesamtschuldnern durch Erlassung eines eigenen Haftungsbescheides) und auf §28 iVm den §§122, 141, 144 und 150 Abs2 FinStrG (auch dem Haftungspflichtigen ist von vornherein der Strafbescheid zuzustellen) verwiesen."

3. Die Bundesregierung hält dem in ihrer Äußerung entgegen:

"Der Verfassungsgerichtshof hat gegen die in Prüfung gezogene gesetzliche Bestimmung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick darauf, 'daß die Haftung des (tatsächlichen) Empfängers (für die Zollschuld) auch dann eintritt, wenn ihm kein Bescheid zugestellt wird. Es dürfte nämlich nicht garantiert sein, daß er von der 'zollamtlichen Bestätigung', die als Abgabenbescheid gilt, Kenntnis hat, zumal der Empfänger zum Anmelder in keiner Beziehung stehen muß.'

Dazu erscheint es zunächst bedeutsam, klarzustellen, wer mit dem Begriff 'Empfänger' gemäß §59 Abs5 in Verbindung mit §174 Abs4 des Zollgesetzes zu verstehen ist. Es ist davon auszugehen, daß der Begriff mit dem gleichlautenden Terminus in §52 Abs2 lit. b des Zollgesetzes identisch ist. Darunter ist aber in der Regel derjenige zu verstehen (vgl. VwSlg. 5506 F/1980, 5990 F/1985), 'für den die Waren aufgrund des der Einfuhr zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts bestimmt sind, also der Vertragspartner des Versenders, im Falle eines Kaufvertrages sohin der Käufer.' Die in Prüfung gezogene Zustellfiktion kann sich daher im Regelfall nur auf eine Person beziehen, die aufgrund eines grenzüberschreitenden Warengeschäftes von dem Umstand des Grenzübertrittes von Waren und damit auch von der sich daraus ergebenden allfälligen Zollverpflichtung Kenntnis hat. Anders ist die Situation nur in jenen Fällen, in denen im Zeitpunkt des Grenzübertrittes der Waren kein die Einfuhr begründendes Rechtsgeschäft vorliegt. In diesen Fällen ist der Empfänger im Sinne der genannten zollgesetzlichen Bestimmungen der tatsächliche Empfänger der Waren, was im Regelfall der die Waren Versendende sein wird (zB. die Einfuhr von Waren zur Lagerung in einem inländischen Vertriebslager des Versenders).

Im Hinblick auf die in Prüfung gezogene Bestimmung in §59 Abs5 des Zollgesetzes ist daher auf folgendes hinzuweisen: Der Abgabenbescheid gilt gemäß §59 Abs5 zweiter Satz des Zollgesetzes 'als dem Empfänger' zugestellt und die Gesamtschuld entsteht gemäß §174 Abs4 des Zollgesetzes 'für den Empfänger' dann, wenn 'dieser in der zollamtlichen Bestätigung oder in der dieser zugrunde liegenden Anmeldung als Empfänger genannt ist.' Die Zustellfiktion gemäß §59 Abs5 des Zollgesetzes wird daher nur unter der Voraussetzung wirksam, daß die in der Anmeldung als Empfänger genannte Person auch wirklich derjenige ist, für den die Waren aufgrund des der Einfuhr zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes oder - falls ein solches nicht vorliegt - der tatsächliche Empfänger ist. Andernfalls leiten sich aus der Zustellfiktion von vornherein keinerlei Wirkungen ab!

Dazu kommt noch, daß es in den Fällen, in denen der solcherart definierte Empfänger und der Anmelder unterschiedliche Personen sind und die Zustellfiktion somit unter Umständen zum Tragen kommt, im Regelfall zwischen dem Empfänger und einem Speditionsunternehmen, den ÖBB oder der ÖPTV zu einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung kommt, derzufolge dieses Unternehmen gegenüber der Zollbehörde als Anmelder tätig werden soll. Im Rahmen dieser Vereinbarung wird zwischen den Vertragspartnern stets auch eine Vereinbarung darüber getroffen, ob der Anmelder den als Eingangsabgabe zu entrichtenden Betrag nachträglich abrechnen soll oder diesen im vorhinein erhält.

Für diese Fälle, in denen der solcherart definierte Empfänger und der Anmelder unterschiedliche Personen sind, trifft nun die in Prüfung gezogene Regelung eine verwaltungsökonomisch motivierte Zustellfiktion. Da der Empfänger jedenfalls von dem grenzüberschreitenden Warengeschäft, für dessen zollrechtliche Abwicklung er oder der Versender einen Dritten einschalten, weiß und von diesem Dritten im Rahmen der Abrechnung bei der Lieferung der Waren von der Zollschuld und der zollamtlichen Bestätigung Kenntnis erlangt bzw. erlangen kann, hielt es der Gesetzgeber für nicht erforderlich, auch dem Empfänger - für den Fall, daß der Anmelder die Eingangsabgabenschuld nicht ohnedies schon leistet - eine zollamtliche Bestätigung über die Zollschuld zuzustellen, wodurch die Vollstreckung der Zollschuld erheblich verzögert würde. Die Regelung einer Zustellfiktion für den, der die Eingangsabgaben tatsächlich wirtschaftlich zu tragen hat, erschien im vorliegenden Fall insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil der Primärschuldner auf Grund der zollrechtlichen Regelung (nämlich der Anmelder) für die Eingangsabgaben für den Fall, daß Anmelder und Empfänger nicht ident sind, nicht der ist, der die Eingangsabgaben tatsächlich wirtschaftlich zu tragen hat. Es wurde zwar die Durchführung der Zollabfertigung auch durch Personen, die an dem der Einfuhr zugrundeliegenden Rechtsgeschäft nicht beteiligt bzw. nicht Eigentümer oder sonst dinglich oder obligatorisch Berechtigte der Waren sind, vom Gesetzgeber zugelassen (§51 Abs1 des Zollgesetzes), dies sollte aber nicht dazu führen, daß die Möglichkeit der Vollstreckung nicht entrichteter Eingangsabgaben durch die Heranziehung eines solchen Anmelders gegenüber dem Empfänger, der wirtschaftlich die Eingangsabgaben zu tragen hat, verzögert würde.

Aufgrund der genannten rechtsgeschäftlichen Verträge zwischen dem Warenempfänger und dem Anmelder oder dem Warenempfänger und dem Versender ist nach Auffassung der Bundesregierung aber auch gewährleistet, daß der Empfänger von der zollamtlichen Bestätigung, die als Abgabenbescheid gilt, tatsächlich Kenntnis erlangt, da der Empfänger zum einen auf Grund des im Regelfall vorliegenden Einfuhrgeschäftes vom Grenzübertritt der Waren und einer allfälligen, für ihn eintretenden Eingangsabgabenschuld gemäß §174 Abs2 und 4 des Zollgesetzes wissen muß und er zum anderen bei der tatsächlichen Übergabe der Waren durch den Anmelder bei der Abrechnung mit diesem von der zollamtlichen Bestätigung bzw. von der Leistung oder Nichtleistung der Eingangsabgaben Kenntnis erlangt bzw. erlangen kann. Auf Grund der tatsächlichen Übergabe der Waren weiß der Empfänger überdies mit Sicherheit, daß eine zollrechtliche Abfertigung der Waren stattgefunden hat. Diese Überlegungen gelten auch für den Fall, daß der Anmelder vom Versender beauftragt wird, die Zollangelegenheit zu erledigen. Auch in diesem Fall ist der Empfänger im Sinne der obigen Definition jedenfalls infolge des seine Empfängereigenschaft begründenden Rechtsgeschäftes mit dem Versender über den bevorstehenden Warenimport und die im Zusammenhang damit zu erwartende Abgabenvorschreibung an den Anmelder, für die er mithaftet, informiert und erhält er durch die Übergabe der Waren jedenfalls Kenntnis davon, daß eine zollrechtliche Abwicklung der Waren stattgefunden hat und dem Anmelder eine zollamtliche Bestätigung zugestellt wird.

Nur in den Fällen, in denen der Empfänger in der Anmeldung unrichtig bezeichnet wird (also nicht der rechtsgeschäftlich legitimierte oder der tatsächliche Empfänger genannt wird, ein Umstand, den das Zollamt bei der Abfertigung aufgrund der vorgelegten Unterlagen, insbesondere der Rechnungen, nicht immer ohne weiteres erkennen kann), besteht keine Information dieser Person über die bestehende Zollschuld, sodaß sie erst durch eine allfällige Zahlungsaufforderung des Zollamtes von dem an den Anmelder ergangenen Abgabenbescheid Kenntnis erlangt. Da aber - wie dargelegt - §59 Abs5 zweiter Satz des Zollgesetzes und §174 Abs4 des Zollgesetzes nur denjenigen verpflichtet, der aufgrund des der Einfuhr zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes der Warenempfänger ist oder - wenn ein solches Rechtsgeschäft nicht vorliegt - der tatsächliche Empfänger ist, kann gegenüber diesem die in Prüfung gezogene Zustellfiktion gar nicht wirksam werden und eine solche Person daher für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung keine Rolle spielen. Wird eine solche Person zur Zahlung einer Eingangsabgabenschuld gemäß §174 Abs4 des Zollgesetzes aufgefordert, so kann sie bei der Behörde einen Antrag auf Feststellung darüber begehren, daß sie nicht Empfänger im Sinne des §174 Abs4 in Verbindung mit §59 Abs5 des Zollgesetzes ist und daher die Zustellfiktion ihr gegenüber nicht wirksam werden konnte. Darüber hat die Behörde ein Verwaltungsverfahren abzuführen, gegen deren letztinstanzliche Entscheidung der Verwaltungsgerichtshof angerufen werden kann.

Es erscheint weiters beachtlich, daß die in Prüfung gezogene Zustellfiktion nur in Ausnahmefällen (meist bei Konkurs des Anmelders) überhaupt zum Tragen kommt, weil die beauftragten Anmelder als primäre Abgabenschuldner im Regelfall die bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgaben entrichten und diese Auslagen entsprechend dem bestehenden Auftragsverhältnis beim Empfänger geltend machen.

Zur Rechtfertigung der angefochtenen Zustellfiktion kann abschließend noch ins Treffen geführt werden, daß die Rechtsmittelfrist bei zollamtlichen Bestätigungen, die als Bescheide gelten, gemäß §245 Abs1 der Bundesabgabenordnung ausnahmsweise zwei Monate beträgt. Im Hinblick auf den Umstand, daß Transportunternehmen beförderte Waren im eigenen Geschäftsinteresse so schnell wie möglich abliefern und sich der Empfänger dabei angesichts der gemäß §174 Abs4 des Zollgesetzes eintretenden Solidarhaftung beim Anmelder selbst oder beim ausländischen Versender nach der zollamtlichen Bestätigung und der Leistung der Eingangsabgaben erkundigen kann, erscheint eine zweimonatige Rechtsmittelfrist für den Empfänger der Waren ausreichend, um Rechtsmittel gegen die dem Anmelder zugestellte zollamtliche Bestätigung in Anspruch nehmen zu können. Für den Fall, daß der Empfänger in der zollamtlichen Bestätigung unrichtig bezeichnet ist, - darauf hat sich der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Abgabenbehörde berufen - ist nochmals auf die vorangegangenen Ausführungen zum unrichtig bezeichneten Empfänger zu verweisen."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben.

Hiebei hätte er ua. den den angefochtenen Bescheid vornehmlich tragenden §59 Abs5 zweiter Satz ZollG anzuwenden; diese in Prüfung gezogene bundesgesetzliche Bestimmung ist also präjudiziell.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. a) Die Äußerung der Bundesregierung stellt den Zweck der Zustellfiktion des §59 Abs5 zweiter Satz ZollG klar: Die Regelung ist "verwaltungsökonomisch motiviert"; müßte die zollamtliche Bestätigung (auch) an den Empfänger zugestellt werden, so würde damit die "Vollstreckung der Zollschuld erheblich verzögert".

Es steht zwar - was keiner weiteren Begründung bedarf - dem Gesetzgeber zu, verwaltungsökonomische Überlegungen anzustellen; solche Überlegungen können jedoch nicht jede Regelung sachlich rechtfertigen.

b) Die Zustellung der zollamtlichen Bestätigung - eines Bescheides - (auch) an den Warenempfänger sei - so meint die Bundesregierung - deshalb entbehrlich, weil dieser in der Regel vom Grenzübertritt der Ware Kennntis habe; es sei dem Empfänger daher möglich und auch zumutbar, sich gegebenenfalls nach der zollamtlichen Bestätigung zu erkundigen; dazu komme, daß die Rechtsmittelfrist zwei Monate beträgt.

Der Verfassungsgerichtshof meint mit der Bundesregierung, daß der Warenempfänger von der zollamtlichen Bestätigung meist ohnehin (rechtzeitig) Kenntnis erlangt, typischerweise indem sie ihm zusammen mit der Ware vom Spediteur ausgefolgt wird. Aber auch wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, kann einem Warenempfänger im Interesse einer verwaltungsökonomischen Regelung zugemutet werden, sich zeitgerecht aus eigener Initiative darüber zu informieren, ob eine für ihn wirksame zollamtliche Bestätigung vorliegt.

c) Anders sind jedoch jene Fälle zu beurteilen, in denen die in der zollamtlichen Bestätigung (bzw. der ihr zugrundeliegenden Anmeldung) genannte Person nicht tatsächlich der Warenempfänger ist oder dies zumindest behauptet. Die Bundesregierung bestreitet nicht, daß es derartige Fälle gibt.

In der Äußerung der Bundesregierung wird zutreffend dargetan, daß die Zustellfiktion des §59 Abs5 zweiter Satz ZollG nur dann Wirkung entfaltet, wenn die in der zollamtlichen Bestätigung (oder in der dieser zugrundeliegenden Anmeldung) als Empfänger genannte Person auch tatsächlich der Warenempfänger ist. Eine fälschlicherweise als Warenempfänger bezeichnete Person hat aber in der Regel keine Veranlassung, sich für die Existenz einer zollamtlichen Bestätigung zu interessieren; dies wird - wie im Anlaßfall - meist die Versäumung der Berufungsfrist nach sich ziehen. Da die an diese Person gerichtete Aufforderung, die mit der zollamtlichen Bestätigung vorgeschriebenen Eingangsabgaben zu bezahlen, kein (Haftungs-)Bescheid ist und daher ein Rechtsmittel gegen die Aufforderung nicht in Frage kommt, bestünde für die Person nur die Möglichkeit, einen Antrag auf Feststellung einzubringen, daß sie nicht der Warenempfänger und daher die Zustellfiktion für sie nicht wirksam sei; darüber hätte die Behörde bescheidmäßig abzusprechen.

Dieser einzige von der Bundesregierung aufgezeigte, für den Betroffenen bestehende rechtliche Weg, die Wirkung der Zustellfiktion abzuwehren, ist jedoch - wie der Anlaßfall beweist - weder für die Behörden, noch für den Normunterworfenen auch bei sorgfältigem Studium der Rechtsvorschriften erkennbar. Unter diesen Umständen mangelt dem fälschlicherweise als Warenempfänger Bezeichneten im Effekt jeglicher Rechtsschutz; das aber ist unsachlich.

Die faktische Unmöglichkeit, behördliches Unrecht abzuwenden, hat ihren Sitz in der in Prüfung gezogenen Vorschrift, die eine Zustellfiktion normiert, ohne dafür vorzusorgen, daß ohne besondere Schwierigkeiten einsichtig ist, wie ihr Nichtzutreffen im Einzelfall rechtlich geltend gemacht werden kann.

3. §59 Abs5 zweiter Satz ZollG war daher wegen Widerspruch zu dem sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebenden Sachlichkeitsgebot als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Zollrecht, Finanzverfahren, Zustellung, Rechtsschutz, Zustellfiktion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G259.1991

Dokumentnummer

JFT_10079690_91G00259_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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