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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Mai 1993, Zl. 4.338.978/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Mai 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines nigerianischen Staatsangehörigen, der am 30. April 1992 in das Bundesgebiet einreiste und am 4. Mai 1992 einen Asylantrag stellte - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Juli 1992 - mit dem festgestellt worden war, daß bei ihm die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vorlägen - abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 13. Mai 1992 hinsichtlich seiner Fluchtgründe im wesentlichen angegeben, er habe in seinem Heimatland weder einer politischen noch einer militärischen Organisation angehört; er sei auch weder in der Ausübung seiner Religion behindert worden noch sei er Angehöriger einer Minderheit. Sein im Jahr 1982 verstorbener Großvater sei im Dorf E "Dorfvorsteher" gewesen und habe zwei Söhne (den Vater und den Onkel des Beschwerdeführers) hinterlassen. Der um eine Stunde ältere (früher geborene) Vater des Beschwerdeführers habe als "Ältester in der Familie" gegolten; er sei automatisch "Dorfvorsteher" geworden. Der Vater des Beschwerdeführers sei römisch-katholisch, sein Onkel (der um eine Stunde jüngere Zwillingsbruder seines Vaters) sei Moslem. Das Dorf habe sich in einen christlichen und einen moslemischen Teil gespalten. Der Vater des Beschwerdeführers sei am 13. März 1992 von Anhängern seines Bruders (Onkel des Beschwerdeführers) getötet worden. Als einziger Sohn sei der Beschwerdeführer nunmehr der Rechtsnachfolger seines Vaters; sein Onkel habe nicht gewollt, daß er diese Erbschaft antrete. Der Onkel des Beschwerdeführers habe versucht, ihn "aus dem Weg zu räumen". Da ihm aber sein Leben wichtiger als das Erbe gewesen sei, habe er sein Heimatland verlassen. Zur Polizei habe er kein Vertrauen gehabt, weil diese "ebenso korrupt wie gefährlich sei". Im Falle seiner Rückkehr würden ihn die Anhänger seines Onkels töten.
In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer gerügt, daß die Behörde auf seine vorgebrachten Fluchtgründe nicht eingegangen sei. Aus diesem Grund hat der Beschwerdeführer in der Berufung seine Fluchtgründe im wesentlichen noch einmal dahingehend dargelegt, er habe sein Heimatland verlassen, weil ihm sein Onkel nach dem Leben trachte. Sein Onkel hätte nach seinem Tod "Anspruch auf den Titel". Er wäre einmal durch einen von seinem Onkel gedungenen "Killer" in der Nacht beinahe getötet worden; damals habe er eine schwere Kopfverletzung erlitten. Die Polizei sei sehr korrupt und erhalte immer wieder Geld von seinem Onkel. Nach dem Tod seines Vaters habe sich die Polizei geweigert, etwas zu seinem Schutz zu unternehmen. Er "glaube", daß den nächtlichen Tötungsversuch "gerade ein Polizist versucht habe". Da es (in seinem Heimatland) keinen sicheren Ort vor dieser Verfolgung gebe, habe er Nigeria verlassen. Er habe sowohl der Polizei als auch seinem Onkel mitgeteilt, daß er (nach dem Tod seines Vaters) auf den "Titel" keinen Anspruch erhebe und "in Ruhe gelassen werden wolle"; mit dieser Vorgangsweise seien aber die Dorfbewohner nicht einverstanden gewesen. Sein Onkel sei sehr einflußreich und begütert; dieser sei "verrückt danach, Führer meiner Leute zu werden". Der Beschwerdeführer sei hier, weil er seinen Frieden haben und lange leben wolle.
Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind die am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängigen Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Lediglich die am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängigen Verfahren sind gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. nach den Bestimmungen des Asylgesetz 1991 zu Ende zu führen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde - sie habe vorliegend bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden gehabt - war das gegenständliche Asylverfahren im Hinblick auf den am 15. Juli 1992 erlassenen (zugestellten) erstinstanzlichen Bescheid (gegen den der Beschwerdeführer am 22. Juli 1992 fristgerecht berufen hatte) aber am 1. Juni 1992 nicht beim Bundesminister für Inneres sondern noch in erster Instanz anhängig, sodaß die belangte Behörde im vorliegenden Fall daher richtigerweise das Asylgesetz (1968) anzuwenden gehabt hätte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Die belangte Behörde war daher - anders als nach § 20 Abs. 1
Asylgesetz 1991 - gehalten, ihren Sachverhaltsfeststellungen nach Maßgabe des Ergebnisses der Beweiswürdigung das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren in gleicher Weise zugrunde zu legen wie dessen Vorbringen in erster Instanz.
Der Beschwerdeführer rügt wohl zutreffend, daß die belangte Behörde das Asylgesetz 1991 zu Unrecht angewendet hat, er vermag darüber hinaus aber nicht aufzuzeigen, inwieweit er dadurch in seinen Rechten verletzt wurde. Die unrichtige Gesetzesanwendung führt jedenfalls nicht zwangsläufig dazu, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt wurde. Da die belangte Behörde im wesentlichen deshalb zu ihrer abweislichen Entscheidung gelangte, weil sie die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneinte, wobei diese Bestimmung gegenüber dem (richtigerweise anzuwendenden) nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff keine inhaltliche Änderung darstellt, konnte sich die unrichtige Gesetzesanwendung im vorliegenden Fall im Ergebnis erst dann zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken, wenn sein Berufungsvorbringen rechtlich geeignet gewesen wäre, als wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention qualifiziert zu werden. Da dem im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen aber (wie noch zu zeigen sein wird) keine derartigen Umstände zu entnehmen waren, wurde der Beschwerdeführer durch die unrichtige Gesetzesanwendung in seinen Rechten nicht verletzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1994, Zl. 94/20/0171).
Ausgehend somit vom gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren kann der belangten Behörde aus folgenden Erwägungen im Ergebnis nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie zur Auffassung gelangte, daß ihm mangels Flüchtlingseigenschaft kein Asyl zu gewähren sei:
Flüchtling im Sinne der bereits zitierten von der belangten Behörde richtigerweise anzuwendenden Vorschrift (§ 1 Asylgesetz (1968), Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemessen an dieser Rechtslage hat der Beschwerdeführer (sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in seiner Berufung) aber gar nicht vorgebracht, daß er aus einem dieser vorerwähnten Konventionsgründe verfolgt worden sei, bzw. daß ihm Maßnahmen drohten, die auf einen dieser Gründe zurückzuführen seien. Als Fluchtgründe sind dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers bloß eine von seinem Onkel ausgehende Bedrohung, die aus einem Erbschaftsstreit resultiert, zu entnehmen. Diese Bedrohung bzw. dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung kann allerdings keinem der genannten Konventionsgründe unterstellt werden. Auch in seiner Berufung hat der Beschwerdeführer als Fluchtgründe nichts anderes vorgebracht, als die aus dem Erbschaftsstreit resultierende und von seinem Onkel ausgehende Bedrohung. Die überdies vorgebrachten Mutmaßungen des Beschwerdeführers, das versuchte Attentat sei von einem Polizisten verübt worden, bzw. die Polizei sei käuflich und unterstütze seinen Onkel, vermögen jedoch daran nichts zu ändern, daß der dargelegten Bedrohung unverändert ein Familienstreit um die Funktion des Dorfältesten, aber nicht einer der genannten Konventionsgründe und damit bloß asylrechtlich unerhebliche Umstände zugrunde liegen. Des weiteren kann auch aus der in der Berufung vorgebrachten Untätigkeit der Polizei nach dem Tod seines Vaters eine dem Beschwerdeführer (Asylwerber) betreffende Duldung von asylrechtlich relevanten Umständen nicht abgeleitet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0294).
Die in der Beschwerde erstmals vorgetragenen Behauptungen, der Beschwerdeführer sei "religiöser Verfolgung" ausgesetzt gewesen, müssen schon deshalb ins Leere gehen, weil sie durch ein im Verwaltungsverfahren erstattetes Vorbringen gar nicht gedeckt sind. Im übrigen räumt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde (freilich an anderer Stelle) sogar selbst ein, die ihm drohenden Maßnahmen würden aus den "persönlichen Machtbestrebungen seines Onkels" erfolgen. Demnach hat der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben sein Heimatland aber nicht wegen einer von staatlichen Stellen drohenden Verfolgung sondern bloß aus Furcht vor seinem Onkel (und dessen Anhängern) verlassen.
Soweit der Beschwerdeführer erstmals in seiner Beschwerde aus den allgemeinen Verhältnissen in seinem Heimatland asylrechtlich relevante Umstände für sich ableiten will und der belangten Behörde insoweit fehlende Ermittlungen als Verfahrensfehler anlastet, entfernt er sich von seinen im Verwaltungsverfahren erstatteten Sachvorbringen und verstößt damit gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Die belangte Behörde war überdies auch deshalb nicht gehalten Ermittlungen über diese allgemeinen Umstände anzustellen, weil daraus eine konkrete, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung nicht abgeleitet werden könnte.
Die belangte Behörde wäre somit, hätte sie das Berufungsvorbringen rechtlich gewürdigt, zu keinem anderen Bescheid gelangt.
Die sich als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190389.X00Im RIS seit
20.11.2000