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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des A in F, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 23. März 1993, Zl. 1-908/93/E5, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit und Soziales), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft (BH) vom 5. Juli 1993 schuldig erkannt, als § 9 VStG Verantwortlicher in vier Fällen gegen die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes verstoßen zu haben; dafür wurden vier Geldstrafen a S 10.000,-- verhängt.
Die Zustellung dieses Straferkenntnisses an den Anwalt des Beschwerdeführers erfolgte am 10. September 1993. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde am 27. September 1993 zur Post gegeben.
Die belangte Behörde gab dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. November 1993 Gelegenheit, zur offenbaren Verspätung der Berufung Stellung zu nehmen. Hierauf brachte der Anwalt des Beschwerdeführers einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, welcher jedoch mit Bescheid der BH vom 10. Februar 1994 gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen wurde. Die BH ging in ihrer Entscheidung davon aus, daß den Anwalt des Beschwerdeführers ein Verschulden durch Unterlassung der nötigen Sorgfalt treffe, weil nicht sichergestellt gewesen sei, daß der Eingangsstempel auf dem erstinstanzlichen Straferkenntnis richtig angebracht wurde.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. März 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge; gleichzeitig wurde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der BH vom 5. Juli 1993 als verspätet zurückgewiesen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde offenbar von der Richtigkeit des Tatsachenvorbringens im Wiedereinsetzungsantrag aus, welches sie wie folgt wiedergab:
"Der Beschuldigte führt zur Begründung seines Antrages aus, daß sein Vertreter Rechtsanwalt Dr. B am 10.9.1993 den Bescheid vom 5.7.1993 beim Gendarmerieposten behoben habe. Der 10.9.1993 sei ein Freitag gewesen. Dr. B habe an diesem Tage bereits am Nachmittag mit der Arbeit aufgehört, um das Wochenende anzutreten. Auf dem Weg nach X habe er noch den gegenständlichen Bescheid behoben. Er habe den Bescheid in seine Aktentasche gegeben, um ihn dann am darauffolgenden Montag zur weiteren Bearbeitung (Anbringen des Eingangsstempels durch die hiefür zuständige Sekretärin, Fristvormerkung usw) in seine Kanzlei mitzunehmen. Am 13.9.1993 hätte sich Dr. B morgens in die Kanzlei begeben. Auf dem Weg dorthin habe er bei der Einlaufstelle des Gerichtes die "Gerichtspost" behoben, welche er gleichfalls in seine Aktentasche gegeben habe. Er habe dann seiner für den Posteinlauf zuständigen Sekretärin die ganze Post übergeben. Diese Sekretärin habe die gesamten Poststücke mit dem Einlaufstempel des 13.9.1993 versehen. Es sei dabei übersehen worden, daß bei der ganzen Post - regelmäßig ein "ansehnlicher Stoß" - ein Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 5.7.1993 gewesen sei, der bereits am vorangegangenen Freitag behoben worden sei. Dieses Versehen sei auch darauf zurückzuführen, daß am Montagmorgen bekanntermaßen gerade auch in Anwaltskanzleien besondere Hektik bzw Betriebsamkeit herrsche. Kaum in der Kanzlei angekommen, werde auch Dr. B am Monatmorgen regelmäßig von einer Vielzahl von Telefonaten oder auch von persönlich vorsprechenden Klienten geradezu "überfallen". In solcher Hektik wäre es zum vorbeschriebenen Versehen gekommen. Ausgehend vom versehentlich unrichtigen Eingangsstempel sei die Frist für die Berufung am 27.9.1993 vorgemerkt worden. Die Berufung sei demnach an diesem 27.9.1993 zur Post gegeben worden. Das vorbeschriebene Versehen in der Kanzlei des Beschuldigtenvertreters stelle ein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis dar, wobei auf Grund der AVG-Novelle 1990 eine Wiedereinsetzung auch zulässig sei, wenn (nur) ein minderer Grad des Versehens vorliege. Die Fristversäumung unter den obigen Umständen resultiere gewiß nur aus einem solchen minderen Grad des Versehens bzw leichter Fahrlässigkeit. Dr. B sei seit 7 Jahren als selbständiger Anwalt tätig. Davor sei er 5 Jahre als Rechtsanwaltsanwärter tätig gewesen. In all diesen Jahre habe er noch niemals auch nur irgendeine Rechtsmittelfrist versäumt. Dies dokumentiere, daß er ansonsten sehr gewissenhaft sei und gegenständliches Versehen nur ein einmaliges, mindergradig anzulastendes Versäumnis darstelle."
Nach Ansicht der belangten Behörde liege jedoch im vorliegenden Fall kein minderer Grad des Versehens vor. Es sei dem Vertreter des Beschwerdeführers vorzuwerfen, daß er es verabsäumt habe, Vorkehrungen dafür zu treffen, daß das am 10. September 1993 behobene Schriftstück nicht mit dem Eingangsstempel 13. September 1993 (wie die Gerichtspost von diesem Tag) versehen werde. Daran vermöge auch die besondere Betriebsamkeit am Montagmorgen nichts zu ändern. Im übrigen sei dem Anwalt dieser Umstand bekannt gewesen, sodaß er bereits am Tage der Behebung des Schriftstückes geeignete Vorkehrungen hätte treffen können, etwa einen Vermerk auf dem Schriftstück oder eine sonstige Notiz. Gerade das richtige Zustelldatum für die Einhaltung verfahrensrechtlicher Fristen müsse einem Rechtsanwalt als besonders bedeutsam bewußt sein. Es handle sich somit um ein Ereignis, das bei Aufwendung der zumutbaren Sorgfalt voraussehbar und leicht vermeidbar gewesen wäre. Dazu komme, daß bei einer nachträglichen, entsprechend sorgfältigen Prüfung dem Anwalt unbedingt hätte auffallen müssen, daß das von ihm persönlich am 10. September 1993 behobene Schriftstück das Einlaufdatum 13. September 1993 aufweise. Daran knüpfte die belangte Behörde weitere Hinweise auf die Pflicht des Anwaltes, Rechtsmittelfristen genau zu kontrollieren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer erneut auf seine ansonsten gegebene Gewissenhaftigkeit in Fristensachen und auf die hervorragende Organisation seiner Kanzlei hinwies. Selbstverständlich sei die vorliegende Fristenversäumnis schuldhaft zustandegekommen, doch habe es sich um eine Fehlleistung gehandelt, welche gelegentlich auch sorgfältigen Menschen passiere; von grober Fahrlässigkeit könne hier nicht gesprochen werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 51/1991 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Zl. 1212/76 = Slg. 9226/A) trifft das Verschulden des Parteienvertreters bei der Wiedereinsetzung die Partei.
Im Beschwerdefall geht der Beschwerdeführer selbst davon aus, daß die Versäumung der Berufungsfrist bei der gegebenen Sachlage auf ein Verschulden seines Rechtsanwaltes zurückzuführen ist. Wie im Verwaltungsverfahren versucht der Beschwerdeführer jedoch auch in der Beschwerde darzutun, daß seinen Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens treffe, welcher der Stattgebung der Wiedereinsetzung nicht im Wege stehe.
Von einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden kann aber dann keine Rede sein, wenn die zur Einhaltung von Fristen erforderliche Sorgfalt gröblich verletzt wird (vgl. zum Erfordernis größtmöglicher Sorgfalt bei der Einhaltung von Rechtsmittelfristen etwa die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1992,
Zlen. 92/02/0273, 0274, und vom 22. April 1994, Zl. 94/02/0095, 0096; zur gröblichen Verletzung dieser Sorgfalt etwa die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1992, Zl. 92/17/0079, vom 22. September 1992, Zlen. 92/11/0184, 0185, und vom 24. März 1994, Zl. 93/18/0599). Gerade in Kenntnis des außergewöhnlichen Vorgangs einer Abholung eines Zustellstücks durch den Anwalt persönlich bei der Gendarmerie an einem Freitagnachmittag und in Kenntnis der regelmäßig an einem Montagmorgen in seiner Kanzlei auftretenden Hektik wäre der Vertreter des Beschwerdeführers verhalten gewesen, gleich bei Übernahme des Poststücks auf diesem das Eingangsdatum zu vermerken oder auf andere Weise dafür vorzusorgen, daß dieses Poststück nicht mit anderen, erst am Montag zugestellten vermengt wird (vgl. dazu den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Mai 1993, Zl. 93/06/0090).
Dagegen vermag der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg mit dem Argument anzukämpfen, sein Anwalt habe sich in Fristensachen bisher immer gewissenhaft verhalten und auch durch die Organisation seiner Kanzlei dafür gesorgt, daß bisher keine Fristversäumung vorgefallen sei. Anders als etwa im Falle der Überwachungspflicht des Anwalts gegenüber seinen Angestellten, die bei gesicherter Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Angestellten erst im Falle auftretender Fehlleistungen strenger zu beurteilen sein mag, kann ein gröberes Versehen des Anwaltes selbst bei der Fristenwahrung nicht etwa deshalb einer milderen Beurteilung unterzogen werden, weil ihm ein solches Versehen vorher nie unterlaufen ist.
Ein einem Parteienvertreter widerfahrendes Ereignis gibt nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei ab, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. dazu den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1993, Zl. 89/14/0254). Die belangte Behörde hat daher durch die Bestätigung der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages des Beschwerdeführers nicht das Gesetz verletzt.
Die Beschwerde war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994090141.X00Im RIS seit
20.11.2000