TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/9 B987/91, B988/91, B989/91, B990/91, B1030/91, B1031/91

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Veröffentlicht am 09.06.1992
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
FremdenpolizeiG §5 Abs1
FremdenpolizeiG §5a Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mangels selbständiger Prüfung aller gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schubhaft durch den angerufenen unabhängigen Verwaltungssenat (vgl. E v 12.03.92, B1334/91, sowie E v 12.03.92, G346/91 ua.)

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben, der Bescheid vom 22. Juli 1991, Z Senat-F-91-008, nur hinsichtlich der Punkte 3 bis 6 seines Spruches.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern M A B und (O) D I O die mit je 30.000 S bestimmten Verfahrenskosten, den Beschwerdeführern C O W und E O O die mit je 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten jeweils zu Handen der Beschwerdevertreter binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1.1. Der pakistanische Staatsangehörige M A B - Beschwerdeführer zu B987/91 und zu B1030/91 - reiste am 26. Mai 1991, von Jugoslawien kommend, nach Österreich ein. Er wurde am 27. Mai 1991 von Gendarmeriebeamten (in Traiskirchen) festgenommen und bis 21. Juni 1991 in gerichtlicher Verwahrungs- und Untersuchungshaft (in Wr. Neustadt) angehalten. Seit diesem Tag wurde er von Organen der Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt (im polizeilichen Gefangenenhaus) festgehalten.

Mit Bescheid vom 9. Juli 1991, der Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt zugestellt am 11. Juli 1991, gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich einer Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft gemäß §5 a FrPolG statt, weil der Haft kein Schubhaftbescheid zugrundegelegen habe.

Mit Bescheid vom 11. Juli 1991, dem Beschwerdeführer zugestellt am 12. Juli 1991, erließ die Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt "zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung" einen Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG. Am 15. Juli 1991 ergriff der in Schubhaft befindliche Fremde neuerlich gemäß §5 a FrPolG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, der dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 22. Juli 1991 - in den beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen Spruchpunkten 3 bis 6, nämlich soweit die Beschwerde die Anhaltung seit 12. Juli 1991 betraf - als "unbegründet" abwies.

1.1.1.2. Am 27. August 1991 ergriff der weiterhin in Schubhaft angehaltene Fremde eine dritte Beschwerde gemäß §5 a FrPolG an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, weil ihm (zum verhängten Aufenthaltsverbot) ein Vollstreckungsaufschub gemäß §6 Abs2 FrPolG gewährt worden sei. Der Unabhängige Verwaltungssenat wies auch dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 3. September 1991 als "unbegründet" ab.

1.1.2. Der ghanesische Staatsangehörige C O W - Beschwerdeführer zu B988/91 - wurde am 26. April 1991 von Gendarmeriebeamten (in Traiskirchen) festgenommen und bis 28. Juni 1991 in gerichtlicher Verwahrungs- und Untersuchungshaft (in Wr. Neustadt) angehalten. An diesem Tag erließ die Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt "zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung" einen Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG. Am 17. Juli 1991 ergriff der daraufhin in Schubhaft genommene Fremde gemäß §5 a FrPolG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, der dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 24. Juli 1991 als "unbegründet" abwies.

1.1.3. Der ghanesische Staatsangehörige E O O - Beschwerdeführer zu B989/91 - wurde am 3. Juni 1991 von Gendarmeriebeamten (in Traiskirchen) festgenommen und bis 28. Juni 1991 in gerichtlicher Verwahrungs- und Untersuchungshaft (in Wr. Neustadt) angehalten. An diesem Tag erließ die Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt "zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung" einen Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG. Am 15. Juli 1991 ergriff der daraufhin in Schubhaft angehaltene Fremde gemäß §5 a FrPolG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, der dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 22. Juli 1991 als "unbegründet" abwies.

1.1.4.1. Der nigerianische Staatsangehörige (O) D I O - Beschwerdeführer zu B990/91 und zu B1031/91 - reiste am 1. Feber 1991, von Ungarn kommend, nach Österreich ein. Er wurde am 27. Mai 1991 von Gendarmeriebeamten (in Traiskirchen) festgenommen und bis 3. Juli 1991 in gerichtlicher Verwahrungs- und Untersuchungshaft (in Wr. Neustadt) angehalten. An diesem Tag erließ die Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt "zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung" einen Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG. Am 16. Juli 1991 ergriff der daraufhin in Schubhaft angehaltene Fremde gemäß §5 a FrPolG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, der auch dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 23. Juli 1991 als "unbegründet" abwies.

1.1.4.2. Am 30. August 1991 erhob der Fremde neuerlich Beschwerde gemäß §5 a FrPolG an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, weil ihm (zum verhängten Aufenthaltsverbot) ein Vollstreckungsaufschub gemäß §6 Abs2 FrPolG gewährt worden sei. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich wies dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 4. September 1991 als "unbegründet" ab.

1.2.1. Gegen diese sechs Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich - gegen den unter Punkt

1.1.1.1. erwähnten Bescheid nur hinsichtlich seiner Spruchpunkte 3 bis 6 - richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden der vier Fremden an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§5 a/§11 Abs2 FrPolG) und in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Verwaltungsakte begehrt.

1.2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete Gegenschriften, in denen er für die Abweisung der Beschwerden eintrat.

2. Über die Beschwerden wurde erwogen:

2.1. Ein Beschwerderecht nach §5 a Abs1 FrPolG steht (nur) jenen Personen zu, die - tatsächlich - in Schubhaft genommen und angehalten werden. Diese einfachgesetzliche Regelung entspricht der Verfassungsvorschrift des Art6 Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl. 684/1988, die jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, somit allen bereits festgenommenen oder angehaltenen Personen (nicht aber in Freiheit befindlichen Adressaten eines Schubhaftbescheides), die Anrufung eines Gerichtes oder einer anderen unabhängigen Behörde garantiert. Die Befugnis, den unabhängigen Verwaltungssenat mit Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid anzurufen, räumt §5 a FrPolG seinem klaren Wortlaut nach dem Bescheidadressaten nicht ein. Gegenstand einer Beschwerde nach §5 a Abs1 FrPolG ist daher nicht ein derartiger Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG - ihn zu überprüfen obliegt gemäß §11 Abs2 und 3 FrPolG allein der Sicherheitsdirektion als Berufungsinstanz -, sondern die Festnahme und Anhaltung (des Fremden) selbst. Der Verfassungsgerichtshof - der gegen §5 a Abs1 und §11 Abs2 FrPolG aus der Sicht dieser Beschwerdesachen keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt - ist, wie schon in seinem Erkenntnis vom 12. März 1992, G346/91, G5,6/92, näher dargelegt, der Auffassung, daß der unabhängige Verwaltungssenat als Haftprüfungsinstanz nach §5 a FrPolG über die Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung (in die jede - tatsächliche - Inhaftnahme für wenn auch noch so kurze Zeit mündet) im Zeitpunkt seiner Entscheidung - so aber die Haft schon früher endete: in dem unmittelbar vor der Freilassung liegenden Zeitpunkt - zu befinden hat. Der Prüfungsmaßstab, den der über die Beschwerde absprechende unabhängige Verwaltungssenat seiner Kontrolle zugrundelegen muß, kann angesichts des Gesetzeswortlautes und in Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Art6 PersFrG nicht zweifelhaft sein: §5 a FrPolG gibt dem Schubhäftling das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat als Beschwerdeinstanz mit der Behauptung der "Rechtswidrigkeit" der Festnahme/Anhaltung anzurufen. Demgemäß hat diese unabhängige Behörde die Frage der (formellen wie materiellen) Rechtmäßigkeit der Anhaltung (im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, gegebenenfalls im Zeitpunkt unmittelbar vor der Freilassung) nach jeder Richtung hin selbständig zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit, also nicht etwa nur qualifiziert rechtswidriges behördliches Handeln, festzustellen und aufzugreifen. Daß der Inhaftnahme des Fremden die Erlassung eines Schubhaftbescheides (der vollstreckbar wurde) vorausgegangen sein und zugrundeliegen muß, ist dabei nur eine der mehreren gesetzlichen Voraussetzungen der (fortdauernden) Haftanhaltung, deren Zutreffen der unabhängige Verwaltungssenat in Behandlung einer Beschwerde nach §5 a Abs1 FrPolG ohne Bindung an die Rechtsauffassung der nach §5 Abs1 FrPolG eingeschrittenen Behörde in einem eigenständigen Haftprüfungsverfahren (auf Beschwerde des Häftlings hin) voll zu prüfen hat.

2.2.1. Dieser Verpflichtung kam die belangte Behörde nicht nach. Sie verweigerte den Beschwerdeführern vielmehr - wie aus den maßgebenden Gründen ihrer Bescheide hervorgeht - die ihr kraft §5 a FrPolG aufgetragene (umfassende) Prüfung der Frage, ob hier alle gesetzlichen Schubhaftvoraussetzungen erfüllt seien, weil sie in Verkennung ihrer im FrPolG festgelegten Zuständigkeit der verfehlten Rechtsauffassung anhing, sie habe nicht die Haftvoraussetzungen selbständig an Hand des Gesetzes zu kontrollieren, sondern sich auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob der Festnahme/Anhaltung überhaupt ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid zugrundeliege und ob die Gründe, die zur Erlassung dieses Bescheides geführt hatten, inzwischen weggefallen seien. Statt dessen hätte die belangte Behörde nach dem eingangs Gesagten in Wahrnehmung ihrer Haftprüfungskompetenz auf Grund des Gesetzes eigenständig darüber befinden müssen, ob alle formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Anhaltung der Beschwerdeführer in Schubhaft zutrafen.

2.2.2. Soweit sich die belangte Behörde also - ungeachtet der Formulierung des Spruches ihrer Bescheide - einem Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Haft entzog, verweigerte sie den Beschwerdeführern gesetzwidrig eine Sachentscheidung und verletzte sie dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG (VfSlg. 11958/1989 uva.).

2.2.3. Die angefochtenen Bescheide - der unter Punkt 1.1.1.1. erwähnte Bescheid nur hinsichtlich seiner Spruchpunkte 3 bis 6 - waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben (vgl. VfGH 12.3.1992 B1334/91), ohne daß es notwendig war, auf das jeweilige Beschwerdevorbringen selbst noch weiter einzugehen.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; von den zugesprochenen Kostenbeträgen entfallen, soweit sie die Beschwerdeführer M A B und (O) D I O betreffen, jeweils 5.000 S, soweit sie die Beschwerdeführer C O W und E O O betreffen, jeweils 2.500 S auf Umsatzsteuer.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Schubhaft, Unabhängiger Verwaltungssenat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B987.1991

Dokumentnummer

JFT_10079391_91B00987_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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