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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde der R in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 30. September 1992, Zl. MD-VfR - K 36/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Haftung für Getränkesteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. Mai 1992 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4/7, die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Haftungsbescheid vom 12. März 1992 als verspätet zurück. Der genannte Bescheid sei laut Rückschein ab 17. März 1992 beim Postamt W zur Abholung bereitgehalten worden und gelte daher als mit diesem Tag zugestellt. Die Berufungsfrist habe daher mit 17. April 1992 geendet. Die Berufung sei jedoch laut Poststempel erst am 24. April 1992, somit nach Ablauf der Berufungsfrist, zur Post gegeben worden.
Dieser Bescheid wurde dem Rechtsfreund der Beschwerdeführerin am 18. Mai 1992 zugestellt.
Mit dem am 1. Juni 1992 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gemeint: gegen die Versäumung der Berufungsfrist) und begründete ihn wie folgt:
Der oben genannte Haftungsbescheid sei am 16. März 1992 beim Postamt hinterlegt und am 25. März 1992 von der Beschwerdeführerin behoben worden. Anstatt des "ungenannten" (gemeint offenbar: oben genannten) Hinterlegungstermins sei dieser Termin (gemeint: der Termin der Behebung des Schriftstückes beim Postamt) als Beginn der Rechtsmittelfrist kalendiert worden. Dies sei offenbar auf Grund eines sprachlichen Mißverständnisses bzw. im Hinblick auf den hohen Geschäftsbetrieb, welcher in den Büroräumlichkeiten der Beschwerdeführerin geherrscht habe, geschehen. Der mit der Fristwahrung befaßten Dame sei jedoch ein derartiges Versehen bisher noch nicht unterlaufen; sie sei jahrelang mit der Evidenzhaltung von Behörden- und Gerichtsterminen beauftragt. Auf Grund dieses Versehens sei die Berufungsfrist erst mit 25. März 1992 beginnend kalendiert worden. Erst auf Grund der Zurückweisung der eingebrachten Berufung sei das oben geschilderte Mißverständnis zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Bürokraft aufgeklärt worden.
Mit Bescheid vom 15. Juni 1992 wies der Magistrat der Stadt Wien, MA 4/7, den Wiedereinsetzungsantrag ab. Dies im wesentlichen mit der Begründung, die Versäumung der Berufungsfrist sei wegen des Irrtums einer Angestellten hinsichtlich des Zustellungsdatums erfolgt und somit nicht auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen. Vielmehr treffe die Beschwerdeführerin wegen nicht ausreichender Kontrolle einer Angestellten ein Verschulden an der Fristversäumung.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, die genannte Angestellte habe ihre Tätigkeit jahrelang zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt; auch führe die Beschwerdeführerin, soweit zumutbar, Kontrollen durch.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Abgabenberufungskommission vom 30. September 1992 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, als Ursache der Fristversäumnis gebe die Beschwerdeführerin an, daß von ihrer Mitarbeiterin statt des Hinterlegungstermines der Tag der Behebung des Bescheides am Postamt als Beginn der Rechtsmittelfrist kalendiert worden sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein Verschulden eines Kanzleiangestellten des Prozeßbevollmächtigten der Partei eine Wiedereinsetzung zugunsten der Partei nicht ausschließe, auf den gegenständlichen Fall angewendet werden könne. Da die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben den Bescheid am Postamt behoben habe, habe ihr im Hinblick auf diesen Umstand und den Inhalt der Hinterlegungsanzeige klar sein müssen, daß der Zeitpunkt der Behebung nicht den Beginn der Rechtsmittelfrist bilden könne. Wenn sie ungeachtet dieses Wissensstandes ihren Rechtsvertreter nicht ausreichend informiert habe, müsse sie diese Unterlassung selbst vertreten. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin nicht die Art und Weise ihrer behaupteten Kontrolltätigkeit dargelegt. Somit könne nicht davon gesprochen werden, daß die Beschwerdeführerin durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 240 Abs. 1 WAO in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 40/1992 ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 83 bis 85) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Ein minderer Grad des Verschuldens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.
Die Neufassung des § 240 Abs. 1 WAO hat mangels einer anderslautenden Inkrafttretensregelung mit dem Ablauf des Tages, an dem das Stück des Landesgesetzblattes, das die oben genannte Novelle enthält, somit des 16. September 1992, ihre verbindende Kraft erlangt. Die Änderung der Rechtslage ist daher bei allen ab diesem Zeitpunkt wirksam werdenden Entscheidungen über Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu berücksichtigen, auch wenn die Versäumung der Frist - wie im vorliegenden Fall - vor dem genannten Inkrafttretenszeitpunkt erfolgte oder wenn erst nach diesem Zeitpunkt über eine Berufung gegen einen Bescheid über die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages entschieden wird, selbst wenn dieser Bescheid vor dem genannten Inkrafttretenszeitpunkt ergangen ist (vgl. das zum § 308 Abs. 1 BAO ergangene Erkenntnis vom 31. Oktober 1991, Zl. 90/16/0148).
Seit der Neufassung des § 240 Abs. 1 WAO durch die genannte Novelle hindert somit nicht mehr jede Form von Verschulden die Bewilligung der Wiedereinsetzung. Unschädlich ist aber nur ein minderer Grad des Versehens. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Auffallend sorglos handelt ein Wiedereinsetzungswerber dann, wenn er die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht läßt (vgl. die zu § 46 VwGG ergangenen Beschlüsse vom 28. Juni 1989, Zl. 89/16/0093, vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116, und vom 21. Mai 1992, Zl. 92/17/0079, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung).
Das von der Beschwerdeführerin behauptete Mißverständnis zwischen ihr und ihrer Kanzleiangestellten stellt nun schon deshalb keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar, weil im Wiedereinsetzungantrag nicht näher ausgeführt wird, WODURCH dieses Mißverständnis verursacht worden sein soll. Hiebei ist jedoch insbesondere zu beachten, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Beschluß vom 28. Juni 1989, Zlen. 89/16/0105, 0106) die Beschwerdeführerin nicht nur den Vormerk der Berufungsfrist hätte anordnen, sondern als eine die erwähnte Kanzleikraft beschäftigende Unternehmerin - etwa wie ein Rechtsanwalt oder ein Bürgermeister einer Gemeinde - SELBST die Beschwerdefrist kalendermäßig konkret bestimmen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht hätte überwachen müssen. Umstände, die im Beschwerdefall eine andere Beurteilung zuließen - etwa daß die Kanzleiangestellte ausgesprochen weisungswidrig gehandelt hätte -, wurden im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich auch nicht, daß sie irgendeiner Überwachungspflicht im dargestellten Sinne nachgekommen wäre, ja das Bestehen einer solchen Pflicht überhaupt erkannt hätte. Aus diesem Grund kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Verschuldens der Beschwerdeführerin gesprochen werden; dies umso weniger, als es sich bei der kalendarischen Vormerkung einer Rechtsmittelfrist nicht um einen rein manipulativen Vorgang, sondern um eine juristische Tätigkeit handelt.
Auch das erst im Berufungsverfahren erstattete Vorbringen, wonach die Beschwerdeführerin "soweit zumutbar" Kontrollen durchgeführt habe, ist nicht näher konkretisiert und daher schon aus diesem Grunde unbeachtlich.
Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages durch den angefochtenen Bescheid erfolgte somit in nicht rechtswidriger Weise, weshalb, ohne auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin einzugehen, die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch auf deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1992170276.X00Im RIS seit
11.07.2001