TE Vwgh Erkenntnis 1994/9/23 94/17/0124

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Veröffentlicht am 23.09.1994
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Index

L34009 Abgabenordnung Wien;
L37139 Abfallabgabe Müllabgabe Sonderabfallabgabe Sondermüllabgabe
Müllabfuhrabgabe Wien;
L82409 Abfall Müll Sonderabfall Sondermüll Wien;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §243;
BAO §276 Abs2;
BAO §276;
BAO §93 Abs3 litb;
LAO Wr 1962 §189;
LAO Wr 1962 §211 Abs2;
LAO Wr 1962 §211;
LAO Wr 1962 §67 Abs3 litb;
MüllabfuhrG Wr 1965 §13 Abs2;
MüllabfuhrG Wr 1965 §19;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/17/0130

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der X-Versicherungsaktiengesellschaft in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, 1. gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 17. Dezember 1993, Zl. MD-VfR - E 10/93, betreffend Rückzahlung von Müllabfuhrabgabe, 2. gegen die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. Rückzahlung von Müllabfuhrgebühren gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG zu Recht erkannt:

Spruch

Ad 1: Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ad 2: Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung von Müllabfuhrgebühren für die Jahre 1987 bis 1989 ist nach § 19 des Müllabfuhrgesetzes 1965, LGBl. für Wien Nr. 19, zu beurteilen.

Der belangten Behörde wird aufgetragen, den versäumten Bescheid (Entscheidung über den als Berufung gegen die als erstinstanzlicher Abgabenbescheid anzusehende "Berufungsvorentscheidung" des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4 - Referat 4, vom 1. April 1993, Zl. MA 4/4 - E 19/93, anzusehenden Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. April 1993) unter Zugrundelegung dieser Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes binnen acht Wochen zu erlassen.

Ad 1. und 2.: Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 25.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheiden vom 5. Jänner 1988, 9. Jänner 1990 und 5. Oktober 1991 setzte der Magistrat der Stadt Wien, Mag.Abt. 6 - Rechnungsamt, gegenüber der Beschwerdeführerin die Müllabfuhrabgabe betreffend die Liegenschaft W ab 1. Jänner 1988, 1. Jänner 1990 bzw. 1. Oktober 1991 jeweils unter Zugrundelegung (unter anderem) von zwei Sammelgefäßen mit

1.100 l Inhalt und 260 Entleerungen pro Jahr fest.

Am 7. Juli 1992 richtete die Beschwerdeführerin an den Magistrat der Stadt Wien folgendes Schreiben:

"Auf Grund der heute stattgefundenen Überprüfung der Koloniakübel in unserer obgenannten Liegenschaft durch einen Ihrer Inspektoren wurde unserem Hauswart - Herrn S - mitgeteilt, daß laut Abgabenbescheid eine 5 x wöchentliche Entleerung verrechnet wird.

Unser Hauswart hielt bei dieser Gelegenheit ausdrücklich fest, daß in den letzten 6 Jahren seiner Dienstzeit die Müllabfuhr nur 2 x wöchentlich, und zwar Dienstag und Donnerstag erfolgt ist.

Wir ersuchen Sie daher um Überprüfung und um Rückerstattung der zuviel bezahlten Müllgebühren. ..."

Der Magistrat der Stadt Wien kam diesem Ersuchen in der Weise nach, daß er mit zwei Bescheiden je vom 7. Oktober 1992 die Zahl der Einsammlungen hinsichtlich der Gefäße mit

1.100 l Inhalt mit jährlich 104 festlegte und auf Grund dessen die Müllabfuhrabgabe für die Zeit ab 1. Jänner 1990 bzw. 1. Oktober 1991 neu berechnete.

Mit Schreiben an den Magistrat der Stadt Wien vom 15. Jänner 1993 verwies der nunmehrige Beschwerdevertreter namens der Beschwerdeführerin darauf, daß seiner Mandantschaft für die letzten drei Jahre ein Betrag an Müllabfuhrgebühr in Höhe von S 237.545,-- zurückgezahlt worden sei. Es seien aber nicht nur in den letzten drei Jahren, sondern vielmehr in den letzten sechs Jahren Leistungen verrechnet worden, die tatsächlich nicht erbracht worden seien. Er ersuche, eine entsprechende Gutschrift für den noch nicht erfaßten Zeitraum zu erteilen. Mit weiterem Schreiben vom 12. März 1993 urgierte der Beschwerdevertreter diese Erledigung.

Mit Datum 1. April 1993 richtete der Magistrat der Stadt Wien, Mag.Abt. 4 - Referat 4, an die Beschwerdeführerin einen mit "Berufungsvorentscheidung" überschriebenen Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Gemäß § 211 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der derzeit geltenden Fassung, wird das an die Magistratsabteilung 48 gerichtete Begehren der X-Versicherungsaktiengesellschaft ... vom 15. Jänner 1993 und 12. März 1993 betreffend die Zurückzahlung der 'zuviel vorgeschriebenen Beträge für Müllabfuhrabgabe' für weitere 3 Jahre, weil 'in den letzten 6 Jahren Leistungen verrechnet wurden, die tatsächlich nicht erbracht worden sind', als unbegründet abgewiesen."

In der Begründung dieses Bescheides heißt es, auf Grund amtlicher Erhebungen sei festgestellt worden, daß erstmalig am 1. Jänner 1990 die Zahl der Entleerungen der dort befindlichen 1.100-Liter-Gefäße von 260 auf 104 jährliche Entleerungen reduziert worden sei. Da aus der Aktenlage eine "über den 1. Jänner 1990 zurückliegende" Minderleistung nicht feststellbar gewesen sei und die unbewiesene Behauptung der Beschwerdeführerin für sich selbst allein nicht ausreiche, sei das Begehren als unbegründet abzuweisen gewesen.

Diesem Bescheid ist eine auf das Vorliegen einer Berufungsvorentscheidung abgestellte Rechtsmittelbelehrung beigegeben.

Mit Schriftsatz vom 30. April 1993 beantragte die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsfreund, "die Berufungsvorentscheidung" vom 1. April 1993 der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen. Hiezu wird in diesem Schriftsatz ausgeführt, die oben erwähnte Rückerstattung habe den Zeitraum vom 1. Jänner 1990 bis 30. September 1992 betroffen. Nicht berücksichtigt worden seien die Jahre 1987, 1988 und 1989. Die "Berufungsvorentscheidung" übersehe die mündliche Aussage des Herrn S vor einem Organ der Magistratsabteilung 48. Es sei daher unzutreffend, daß die Behauptung der Beschwerdeführerin über die Minderleistung in den Jahren 1987, 1988 und 1989 nicht unter Beweis gestellt worden sei. Es werde nunmehr die Erklärung vom 19. April 1993 vorgelegt, in der Herr S schriftlich bestätige, daß entsprechend seiner eigenen Wahrnehmung seit Beginn seiner Tätigkeit als Hausbesorger am 10. Oktober 1985 die Müllabfuhr im Hause W lediglich zweimal wöchentlich erfolge. Es werde daher beantragt, die Abgabenbehörde wolle die Entscheidung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4, Referat 4, in zweiter Instanz dahingehend abändern, daß dem Antrag auf Rückerstattung der in den Jahren 1987, 1988 und 1989 zuviel entrichteten Müllabfuhrabgabe wegen Minderleistung im Betrag von S 261.300,-- stattgegeben werde.

Die Magistratsabteilung 4, Referat 4, legte mit Schreiben vom 5. Mai 1993 die "rechtzeitig eingebrachte Berufung" mit dem Ersuchen um Entscheidung der Abgabenberufungskommission vor.

Am 17. Mai 1993 richtete die Magistratsdirektion der Stadt Wien, Verfassungs- und Rechtsmittelbüro an die Magistratsabteilung 4/4 folgendes Schreiben:

"In dem vorliegenden Akt befindet sich KEINE Berufung gegen einen Abgabenbescheid. Die MA 4/4 hat offensichtlich irrtümlich über die Anträge auf Rückzahlung der Müllabfuhrabgabe durch Berufungsvorentscheidung erkannt. Diese Berufungsvorentscheidung ist aber durch den rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrag außer Kraft getreten. Es wird daher ersucht, über die Rückzahlungsanträge im Bescheidwege zu erkennen."

Sodann wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4 - Referat 4, mit Bescheid vom 16. Juli 1993 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung von Müllabfuhrguthaben für die Jahre 1987 bis 1989 "gemäß § 185 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der derzeit geltenden Fassung" (neuerlich) ab. Zur Begründung führte die Behörde erster Instanz nach Hinweis auf die Bestimmungen des § 185 Abs. 1 WAO aus, amtliche Erhebungen hätten ergeben, daß die auf gegenständlicher Liegenschaft befindlichen Müllsammelgefäße, wie in den Abgabenbescheiden vorgeschrieben, 260 mal jährlich entleert worden seien. Nach Erhebungen bei der MA 48 sowie bei der MA 6 - Stadtkasse für den 1., 8. und 9. Bezirk, bestehe für die Jahre 1987 bis 1989 kein Guthaben.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte darin im wesentlichen vor, zur Zeit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides sei bereits eine "Berufungsvorentscheidung" erlassen und die Vorlage an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragt worden, weshalb die Behörde erster Instanz bereits sachlich unzuständig gewesen sei. Weiters habe die Behörde erster Instanz der Beschwerdeführerin kein Parteiengehör gewährt und die Akteneinsicht verweigert. Auch sei die beantragte Vernehmung des Zeugen S unterblieben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid bestätigte die Abgabenberufungskommission den Bescheid der MA 4/4 vom 16. Juli 1993 mit der Maßgabe, daß das Antragsdatum, nämlich der 15. Jänner 1993, vor der Wortfolge "auf Rückzahlung" eingefügt werde. Im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, vorweg sei festzustellen, daß die MA 4/4 offensichtlich irrtümlich die "Berufungsvorentscheidung" vom 1. April 1993 erlassen habe, weil im Entscheidungszeitpunkt weder ein erstinstanzlicher Bescheid hinsichtlich des Antrags auf Rückzahlung noch eine Berufung, die gegen diesen Bescheid hätte gerichtet sein müssen, vorgelegen sei. Der MA 4/4 habe demzufolge die Entscheidungskompetenz für die zitierte Berufungsvorentscheidung gefehlt. Die Beschwerdeführerin habe ebenfalls übersehen, daß sie noch keine Berufung erhoben habe, die Gegenstand einer zweitinstanzlichen Entscheidung hätte sein können. Die MA 4/4 als Behörde erster Instanz sei daher gehalten gewesen, mit dem Bescheid vom 16. Juli 1993 über den Rückzahlungsantrag hinsichtlich der Müllabfuhrabgabe zu entscheiden.

Weiters führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, die die Abgabenjahre 1987 bis einschließlich 1989 betreffenden Abgabenbescheide seien in Rechtskraft erwachsen. Auf Grund der Anträge der Beschwerdeführerin vom 7. Juli 1992 und vom 15. Jänner 1993 seien die Abgabenvorschreibungen für den Zeitraum von 1987 bis einschließlich 1989 bescheidmäßig bisher nicht geändert worden. Ein Rückzahlungsanspruch nach § 185 Abs. 1 WAO setze aber das Bestehen eines Guthabens voraus. Die Anerkennung eines solchen Guthabens sei durch die Abgabenbehörde erster Instanz nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin verfüge demzufolge über kein Guthaben auf ihrem Steuerkonto, das nach § 185 Abs. 1 WAO rückzahlbar wäre. Die Frage, ob von der öffentlichen Müllabfuhr in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum lediglich Minderleistungen erbracht worden seien, sei in diesem Verfahren nicht Beweisthema. Verfahrensgegenstand sei lediglich die Feststellung, ob die Beschwerdeführerin ein rückzahlbares Guthaben gegenüber dem Magistrat der Stadt Wien aufweise. Im übrigen wäre es Sache der Beschwerdeführerin gewesen, gegen die Abgabenbescheide aus dem Zeitraum 1987 bis 1989 rechtzeitig zu berufen. Aber auch aus der Regelung nach § 13 Abs. 2 des Müllabfuhrgesetzes 1965 wäre für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen gewesen; dies deshalb, weil zum einen eine bescheidmäßige Änderung der jährlichen Einsammlungen für den bezeichneten Zeitraum nicht erfolgt sei und überdies eine allfällige Minderung der Abgabenvorschreibung "ex lege nur pro futuro" für den Liegenschaftseigentümer wirksam werde.

Mit vorliegender, am 11. Februar 1994 hg. überreichter Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien deshalb geltend, weil sie bisher über den "Vorlageantrag" vom 30. April 1993 nicht entschieden habe. Des weiteren bekämpft sie den Bescheid vom 17. Dezember 1993 und beantragt dessen Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachtet sie sich diesbezüglich in ihrem Recht auf Rückerstattung von Müllabfuhrabgaben für die Jahre 1987 bis 1989 in Höhe von S 261.300,-- verletzt.

Die belangte Behörde erstattete sowohl hinsichtlich der Säumnis- als auch der Bescheidbeschwerde jeweils eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ad. 1.:

Gemäß § 211 Abs. 1 WAO idF LGBl. Nr. 40/1992 kann die Abgabenbehörde erster Instanz, wenn ein Anlaß zur Zurückweisung (§ 208) nicht vorliegt und etwaige Mängel behoben sind (§ 59 Abs. 2 und § 210) die Berufung nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen durch Berufungsvorentscheidung erledigen und hiebei den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abändern oder aufheben oder die Berufung als unbegründet abweisen. Ein solcher Bescheid wirkt wie eine Entscheidung über die Berufung.

Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann gegen eine Berufungsvorentscheidung innerhalb der unerstreckbaren Frist von einem Monat beantragt werden, die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle gilt, wenn ein Antrag nach Abs. 2 rechtzeitig eingebracht wird, die Berufung von der Einbringung des Antrages an wiederum als unerledigt; die Wirksamkeit der Berufungsvorentscheidung bleibt jedoch bis zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung unberührt.

Daraus ergibt sich zunächst, daß die im Schreiben der Magistratsdirektion vom 17. Mai 1993 zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, die "Berufungsvorentscheidung" vom 1. April 1993 sei durch den Vorlageantrag außer Kraft getreten, unzutreffend ist.

Davon abgesehen ist der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, daß es sich beim Bescheid vom 1. April 1993 in Wahrheit nicht um eine Berufungsvorentscheidung im Sinne des § 211 WAO handelt, weil dieser "Berufungsvorentscheidung" kein erstinstanzlicher Bescheid und keine dagegen erhobene Berufung vorangingen. Es liegt lediglich ein unbeachtliches Vergreifen im Ausdruck vor. Dies ergibt sich insbesondere daraus, daß im Spruch der "Berufungsvorentscheidung" auch rein sprachlich nicht über eine (nicht existente) Berufung, sondern erstmals über den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag entschieden wurde. Aus diesem Grund ist auch die dem Bescheid beigegebene unzutreffende Rechtsmittelbelehrung ohne Belang.

Folgerichtig ist auch der "Vorlageantrag" vom 30. April 1993 trotz der Formulierung, es werde beantragt, die "Berufungsvorentscheidung ... der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen", in Wahrheit als Berufung gegen den Bescheid vom 1. April 1993 anzusehen. Denn nicht nur, daß nach § 211 Abs. 2 BAO lediglich die Vorlage der BERUFUNG, nicht jedoch die Vorlage der BERUFUNGSVORENTSCHEIDUNG an die Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgesehen ist, kann der Antrag, die Abgabenbehörde zweiter Instanz wolle die Entscheidung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4, Referat 4, in zweiter Instanz in näher bezeichnetem Sinne abändern, inhaltlich nur als Berufungsantrag gewertet werden.

Im Ergebnis zutreffend macht daher die Beschwerdeführerin geltend, der angefochtene Bescheid vom 17. Dezember 1993 sei schon deshalb rechtswidrig, weil die "Berufungsvorentscheidung" weiterhin dem Rechtsbestand angehöre. Die Abgabenbehörde erster Instanz hat daher durch die Erlassung des Bescheides vom 16. Juli 1993 gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoßen. Da die belangte Behörde diesen Umstand nicht zum Anlaß nahm, den Bescheid der Erstbehörde vom 16. Juli 1993 als rechtswidrig aufzuheben, hat sie ihrerseits den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher zwar nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, wohl aber aus dem zuletzt genannten Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Ad 2.:

Aus oben Gesagtem ergibt sich aber auch, daß die belangte Behörde mit der Entscheidung über den als Berufung aufzufassenden Vorlageantrag vom 30. April 1993 säumig geworden ist, weil sie nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 27 VwGG über DIESE Berufung entschieden hat. Der Bescheid vom 17. Dezember 1993 stellt, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, keine Entscheidung über die Berufung vom 30. April 1993 dar.

Die Säumnisbeschwerde ist daher zulässig; mit dem ungenützten Ablauf der vom Berichter zur Nachholung des versäumten Bescheides gesetzten Frist ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung auf den Verwaltungsgerichtshof über.

Bei der Entscheidung über diese Berufung ist davon auszugehen, daß sich der Antrag der Beschwerdeführerin - entgegen der von der belangten Behörde im Bescheid vom 17. Dezember 1993 vertretenen Auffassung - NICHT auf § 185 Abs. 1 WAO stützt. Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin darauf, daß sie im Schriftsatz vom 15. Jänner 1993 den Antrag gestellt hat, "eine entsprechende Gutschrift" für den noch nicht erfaßten Zeitraum zu erteilen. Dies setzt voraus, daß auch die Beschwerdeführerin der Auffassung ist, ein solches Guthaben bestehe noch nicht. Dieser Umstand könnte daher der Beschwerdeführerin nicht, so wie dies die belangte Behörde im Bescheid vom 17. Dezember 1993 getan hat, entgegengehalten werden. Entgegen der dort vertretenen Auffassung der belangten Behörde ist sehr wohl gerade die Frage, ob von der öffentlichen Müllabfuhr im gegenständlichen Zeitraum Minderleistungen erbracht wurden, Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Ebensowenig kann freilich bei Beurteilung dieses Antrages rechtens der vom Magistrat der Stadt Wien hinsichtlich der Jahre ab 1990 eingeschlagene Weg einer Neufestsetzung der Zahl der Entleerungen gewählt werden. Die darauf bezughabenden Bestimmungen des im verfahrensgegenständlichen Zeitraum noch in Geltung gestandenen Müllabfuhrgesetzes 1965, LGBl. für Wien Nr. 19 idF LGBl. Nr. 9/1970 und 51/1985 lauteten:

"§ 8

Festsetzung der Art und Zahl der Sammelgefäße

sowie der Zahl der Einsammlungen

...

(3) Der Inhalt der Sammelgefäße ist jährlich mindestens 52mal einzusammeln. Wenn es den öffentlichen Interessen, insbesondere den sanitären Notwendigkeiten, der Brandverhütung oder betriebsmäßigen Erfordernissen dienlich ist, kann der Magistrat von der 52maligen Einsammlung abgehen und die Zahl der Einsammlungen diesen Erfordernissen entsprechend, für einzelne Liegenschaften von Amts wegen oder auf Antrag des Liegenschaftseigentümers mit Bescheid erhöhen. Insolange eine derartige Abänderung nicht ausgesprochen wird, ist dem Abgabenbescheid eine 52malige Einsammlung zugrundezulegen.

...

§ 11

Ermächtigung zur Einhebung einer Abgabe

Der Stadt Wien als Gemeinde wird, soweit eine solche Ermächtigung nicht schon bundesgesetzlich eingeräumt ist, die Ermächtigung erteilt, für die Bereitstellung der Einrichtungen der öffentlichen Müllabfuhr bzw. deren Benützung nach den folgenden Bestimmungen auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses eine Abgabe zu erheben.

§ 12

Abgabepflicht

(1) Die Abgabepflicht besteht für die in die öffentliche Müllabfuhr einbezogenen Liegenschaften, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die öffentliche Müllabfuhr tatsächlich benützt wird oder nicht.

(2) Die als Jahresabgabe zu erhebende Abgabe ist durch Multiplikation folgender Zahlen zu errechnen:

a) Zahl der für die Liegenschaft festgesetzten Sammelgefäße,

b) Zahl der für die Liegenschaft geltenden jährlichen Einsammlungen (§ 8 Abs. 3 und 4),

c) Grundbetrag.

...

§ 13

Beginn, Änderungen und Ende der Abgabepflicht

...

(2) Wird die Art oder die Zahl der für die Liegenschaft festgesetzten Sammelgefäße (§ 8 Abs. 1 und 2) oder die Zahl der für die Liegenschaft geltenden jährlichen Einsammlungen (§ 8 Abs. 3 und 4) geändert, so erhöht oder vermindert sich die Abgabe mit dem ersten Tag des Monates, der auf diese Änderung folgt. Wird jedoch auf Grund eines schriftlichen Anbringens des Liegenschaftseigentümers die Art der Sammelgefäße nach § 8 Abs. 1, die Zahl der Sammelgefäße nach § 8 Abs. 2 bzw. die Zahl der jährlichen Einsammlungen nach § 8 Abs. 3 und Abs. 4 neu festgesetzt und ergibt sich daraus eine Abgabenverminderung, so vermindert sich die Abgabe bereits mit dem ersten Tag des Monates, der auf das Einlangen des Anbringens beim Magistrat folgt. ...

...

§ 15

Festsetzung der Abgabe

(1) Die jährliche Abgabe ist durch schriftlichen Bescheid festzusetzen. Die Festsetzung der Abgabe gilt solange, als nicht nach Abs. 3 ein neuer Bescheid erlassen wird.

(2) Der Abgabenbescheid kann noch vor Rechtskraft des Bescheides, mit dem die Art und Zahl der Sammelgefäße (§ 8 Abs. 1 und 2) festgesetzt wird, und, sofern die Zahl der jährlichen Einsammlungen (§ 8 Abs. 3 und 4) mit Bescheid festzusetzen ist, vor dessen Rechtskraft erlassen werden.

(3) Im Fall der Änderung des Grundbetrages, der Änderung der durch Verordnung festgesetzten Zahl der jährlichen Einsammlungen oder der Änderung der in Abs. 2 genannten bescheidmäßigen Festsetzungen ist der Abgabenbescheid von Amts wegen durch einen neuen Bescheid, dem der geänderte Grundbetrag oder die geänderten Festsetzungen zugrundezulegen sind, zu ersetzen. Mit der Erlassung des neuen Bescheides kann gewartet werden, bis die Änderung der in Abs. 2 genannten bescheidmäßigen Festsetzungen rechtskräftig geworden ist."

Nun hat die Beschwerdeführerin nicht etwa einen Antrag im Sinne des § 13 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. auf Herabsetzung der Zahl der jährlichen Einsammlungen gestellt. Ein solcher Antrag wäre auch nicht zielführend gewesen, weil eine aus einer solchen Neufestsetzung sich ergebende Abgabenverminderung "bereits" (d.h. aber auch: erst) mit dem ersten Tag des Monats wirksam wird, der auf das Einlangen des Anbringens beim Magistrat folgt. Eine RÜCKWIRKENDE Änderung der Zahl der Einsammlungen auch von Amts wegen sieht das Gesetz nicht vor; vielmehr ist offensichtlich nur an eine Änderung pro futuro gedacht, wie sich auch aus dem Wort "BEREITS" im Zusammenhang mit der Regelung einer AUF ANTRAG erfolgten Änderung der Zahl der jährlichen Einsammlungen ergibt.

Die Beschwerdeführerin wendet sich sohin nicht gegen die Zahl der im (gemäß § 15 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. bis 31. Dezember 1989 geltenden) Abgabenbescheid vom 5. Jänner 1988 genannten Zahl der jährlichen Entleerungen, wobei zu bemerken ist, daß ein Abgabenbescheid für das Jahr 1987 nicht in den Akten erliegt; ebensowenig ist übrigens aus den Akten erkennbar, ob die im Bescheid vom 5. Jänner 1988 genannte Zahl von 260 Entleerungen auf einer bescheidmäßigen Festsetzung nach § 8 Abs. 3 leg. cit. beruht oder nicht. Die Beschwerdeführerin steht vielmehr auf dem Standpunkt, daß die - an sich offenbar rechtmäßig festgesetzte oder doch zugrundegelegte - Zahl der Einsammlungen seitens des Magistrates der Stadt Wien NACHTRÄGLICH nicht eingehalten wurde und sich aus diesem Grunde eine Abgabenminderung ergeben müsse.

Eine Rechtsgrundlage hiefür findet sich - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung - nun sehr wohl im Gesetz, und zwar im § 19 des Müllabfuhrgesetzes 1965, welcher folgenden Wortlaut hat:

"Beschränkung der Abfuhr

Bei vorübergehender höchstens drei Monate dauernder Einschränkung, Verzögerung oder Unterbrechung der öffentlichen Müllabfuhr wegen höherer Gewalt, aus betrieblichen Gründen, auf Grund behördlicher Vorschriften, wegen Behinderung der Zufahrt bzw. der Abfuhr oder dgl. entsteht kein Anspruch auf Abgabenminderung."

Hiezu hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. März 1971, Zl. 1691/69, ausgesprochen, aus dieser Gesetzesstelle wäre zu schließen, daß bei einer die Dauer von drei Monaten überschreitenden Einschränkung, Verzögerung oder Unterbrechung der öffentlichen Müllabfuhr in gewissen Fällen die Möglichkeit einer Abgabenminderung vorgesehen ist. Aus diesem sohin in zutreffender Weise zu ziehenden Umkehrschluß ergibt sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes weiter, daß ein solcher Anspruch auf Abgabenminderung einerseits bei einer Einschränkung, Verzögerung oder Unterbrechung der öffentlichen Müllabfuhr in der Dauer bis zu drei Monaten dann besteht, wenn sich der Magistrat der Stadt Wien NICHT auf einen der in der genannten Gesetzesstelle angeführten oder (arg.: "oder dgl.") diesen gleichwertigen Gründe zu berufen vermag; andererseits aber auch dann, wenn die Einschränkung, Verzögerung oder Unterbrechung AUS WELCHEN GRÜNDEN immer drei Monate übersteigt.

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG idF BGBl. Nr. 330/1990 konnte der Verwaltungsgerichtshof vorerst sein Erkenntnis auf die Entscheidung dieser Rechtsfrage beschränken und der belangten Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der festgelegten Rechtsanschauung binnen acht Wochen zu erlassen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auch auf § 52 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist und Stempelgebühren nur im erforderlichen Ausmaß zuzusprechen sind.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994170124.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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