TE Vfgh Beschluss 1992/6/9 G320/91, G321/91

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Veröffentlicht am 09.06.1992
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RAO §2 Abs2
RechtsanwaltsprüfungsG ArtVI Abs3

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Wortfolge in §2 Abs2 RAO idF BGBl 556/1985 betreffend die Verlängerung der erforderlichen Verwendungszeit eines Rechtsanwaltsanwärters mangels Betroffenheit des Antragstellers infolge Außerkrafttretens der angefochtenen Norm; Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des ArtVI Abs3 RechtsanwaltsprüfungsG (Übergangsbestimmungen) wegen Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides über die (Un-)Zulässigkeit der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Antragsteller ist Rechtsanwaltsanwärter. Bereits mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1990 stellte er den Antrag, die Worte "nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140" im dritten Satz des §2 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. Nr. 96/1868, idF BGBl. Nr. 556/1985 als verfassungswidrig aufzuheben.

Diesen Antrag hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 27. November 1990, G209/90, zurückgewiesen. Die Zurückweisung der Anfechtung wurde mit der fehlenden aktuellen Betroffenheit des Antragstellers begründet.

2. Mit den vorliegenden, auf Art140 B-VG gestützten Anträgen an den Verfassungsgerichtshof vom 12. November 1991 begehrt der Antragsteller, die Worte "nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140" im dritten Satz des §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 und ArtVI Abs3 des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes 1985 (RAPG), BGBl. Nr. 556/1985, als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Bei den angefochtenen Bestimmungen handelt es sich um eine Neufassung des §2 RAO und um Übergangsbestimmungen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtsanwaltsprüfung. Die maßgeblichen Bestimmungen der alten und neuen Rechtslage - die bekämpften Gesetzesstellen sind hervorgehoben - haben folgenden Wortlaut:

§2 Abs1 und 2 RAO idF BGBl. Nr. 570/1973 lautete:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hiervon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen."

§2 Abs1 und 2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 (d.i. die vom Antragsteller bekämpfte Fassung) lautet:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat sieben Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens fünf Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. Hat ein Rechtsanwaltsanwärter vor Antritt der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt an einer inländischen Universität den akademischen Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum sechs Jahre und der bei einem Rechtsanwalt zu verbringende Zeitraum vier Jahre."

§2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 wurde mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1991 dahingehend geändert, daß im dritten Satz dieser Gesetzesstelle die Worte "vor Antritt der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt" zu entfallen haben.

Eine weitere Änderung des §2 Abs2 RAO erfolgte (nach Antragstellung) mit Bundesgesetz BGBl. Nr. 176/1992.

ArtVI Abs3 RAPG hat folgenden Wortlaut:

"(3) Für Rechtsanwaltsanwärter, die vor dem 1. Jänner 1986 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen waren, es in diesem Zeitpunkt sind oder die praktische Verwendung bei Gericht begonnen haben und bis spätestens 1. Jänner 1987 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen worden sind, gelten, sofern sie bis spätestens 1. Jänner 1992 die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte erwirken, hinsichtlich der Dauer der zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderlichen praktischen Verwendung die bisherigen Bestimmungen."

4. Der Antragsteller bringt zum Nachweis der Prozeßvoraussetzungen vor, er habe am 3. Februar 1983 den akademischen Grad eines Doktors der Rechte erlangt. In der Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 31. Oktober 1983 sei er als Rechtspraktikant in praktischer Verwendung beim Bezirksgericht Mauthausen und beim Landesgericht Linz gestanden. Vom 1. Dezember 1983 bis 3. Oktober 1988 sei er als Notariatskandidat bei einem öffentlichen Notar in Linz tätig gewesen. Seit 2. Jänner 1989 stehe er als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt in Linz in praktischer Verwendung. Die Rechtsanwaltsprüfung habe er in Form einer Ergänzungsprüfung zur Notariatsprüfung gemäß §2 Abs1 des Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetzes am 22. März 1990 abgelegt.

Die bekämpften Gesetzesbestimmungen seien für den Antragsteller ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden, und es erfolge durch diese ein unmittelbarer Eingriff in seine Rechtssphäre.

Ein anderer zumutbarer Weg, Rechtsschutz gegen die verfassungswidrigen Normen zu erlangen, stehe ihm nicht zur Verfügung. Insbesondere sei es ihm nicht zumutbar, einen Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu stellen, da von vornherein aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage feststehe, daß ein solcher Antrag unter Berufung auf eben diese Bestimmungen abgewiesen werden würde.

Sodann werden die gegen die angegriffenen Regelungen bestehenden Bedenken im einzelnen dargelegt.

5. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Anträge stellt, der Verfassungsgerichtshof wolle die Gesetzesprüfungsanträge wegen mangelnder Antragslegitimation zurückweisen, in eventu aussprechen, daß die bekämpften Gesetzesstellen nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden, und für den Fall der Aufhebung gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

6. Die Anträge sind unzulässig.

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

6.1. Antrag auf Aufhebung einer Wortfolge in §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985:

Aus dem Wortlaut des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG (arg. "verletzt zu sein behauptet" und nicht etwa "verletzt worden zu sein behauptet") ergibt sich, daß die bekämpfte Gesetzesstelle zumindest zum Zeitpunkt der Antragstellung (noch) eine behauptete und tatsächlich vorliegende (nachteilige) rechtliche Wirkung für den Antragsteller haben muß, mag auch das Gesetz inzwischen außer Kraft getreten sein (Art140 Abs4 B-VG).

Auch eine am Sinn dieser Verfassungsbestimmung orientierte Auslegung führt zum selben Ergebnis:

Der Zweck des Individualantrages besteht darin, daß die behauptete Rechtsverletzung durch Aufhebung der bekämpften Gesetzesstelle beseitigt wird. Würde sich also trotz Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung für die Rechtsposition des Antragstellers nichts ändern, kommt ihm die Antragslegitimation nicht zu (vgl. VfGH vom 28.6.1990, V109/89 und vom 24.2.1992, G13/92).

Dies ist hier der Fall.

Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der Worte "nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140" im dritten Satz des §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985.

§2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 wurde - was für die Beurteilung der Zulässigkeit des vorliegenden Antrages wesentlich ist - bereits mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1991 geändert (vgl. ArtII Z2 und ArtV Z1 leg.cit.).

Die vom Antragsteller behaupteten Eingriffe in seine Rechtssphäre durch §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 lagen daher schon zum Zeitpunkt der Antragstellung (12. November 1991) nicht (mehr) vor.

Würde also die Verfassungswidrigkeit des §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 vom Verfassungsgerichtshof festgestellt werden, träte für die Rechtsposition des Antragstellers keine Änderung ein.

Der Antrag auf Aufhebung einiger Worte im §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 556/1985 war daher schon aus diesem Grund mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

6.2. Antrag auf Aufhebung des ArtVI Abs3 RAPG:

Es mag zwar sein, daß ArtVI Abs3 RAPG für den Antragsteller tatsächlich ohne Erlassung eines Bescheides in einer Weise wirksam geworden ist, daß er seiner Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte entgegensteht. Der Antragsteller ist durch ihn insofern unmittelbar und aktuell - negativ - betroffen, als er zwar vor dem 1. Jänner 1986 die praktische Verwendung bei Gericht begonnen hatte, jedoch gerade nicht bis spätestens 1. Jänner 1987 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen worden ist. Denn für den Fall einer anderen, von der gewählten nur wenige Monate abweichenden Fristsetzung wäre seiner Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mit 1. Jänner 1992 nichts entgegengestanden. In diesem Zeitpunkt könnte der Antragsteller eine mehr als 5-jährige praktische Verwendung und die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nachweisen, sodaß von seiner aktuellen Betroffenheit auszugehen ist.

Aber selbst bei Bejahung der aktuellen Beeinträchtigung stand dem Antragsteller, wie die Bundesregierung zutreffend dartut, ein anderer zumutbarer Weg zur Wahrung seiner Rechte offen. Er hätte nämlich um Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte gemäß §5 RAO ansuchen und gegen den hierüber ergehenden letztinstanzlichen Bescheid Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erheben und auf diesem Wege seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung geltend machen können (vgl. VfGH vom 12.10.1991, G 80,81/91). Dieser Weg hätte für den Antragsteller nach Lage der Verhältnisse keine außerordentliche Härte mit sich gebracht, war ihm also zumutbar (vgl. dazu die Entscheidungen VfSlg. 8156/1977, 8212/1977 und 8396/1978, welche die Antragslegitimation wegen Unzumutbarkeit bzw. besonderer Härte bejahen). Es gibt insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sich das Administrativverfahren bis zum Ende seiner Ausbildungszeit hingezogen hätte. Auch der Umstand, daß der Antragsteller im Administrativverfahren keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, bedeutet keineswegs, daß ihm dieser Weg deshalb unzumutbar gewesen wäre (vgl. VfSlg. 8978/1980, 9170/1981, 9285/1981, 9394/1982, 11348/1987, VfGH vom 12.10.1991, G 80,81/91).

Auch die Anfechtung des ArtVI Abs3 RAPG ist daher unzulässig.

7. Die Anträge sind daher zur Gänze zurückzuweisen.

8. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwälte Ausbildung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G320.1991

Dokumentnummer

JFT_10079391_91G00320_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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