TE Vfgh Beschluss 1992/6/9 G37/92, G38/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.1992
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RAO §2 Abs2
RechtsanwaltsprüfungsG §2 Abs1
RechtsanwaltsprüfungsG §6

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend die erforderliche Verwendungszeit eines Rechtsanwaltsanwärters mangels Betroffenheit des Antragstellers infolge Außerkrafttretens der angefochtenen Norm bzw wegen Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Antragsteller ist Doktor der Rechte nach der Rigorosenordnung vom 15. April 1872 und derzeit Rechtsanwaltsanwärter.

Mit den vorliegenden, auf Art140 B-VG gestützten Anträgen vom 28. Februar 1992 an den Verfassungsgerichtshof begehrt der Antragsteller, §2 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) idF BGBl. Nr. 474/1990 (in eventu lediglich den §2 Abs2 RAO, in eventu lediglich den letzten Satz des §2 Abs2 RAO, in eventu lediglich die ersten beiden Sätze des §2 Abs2 RAO, in eventu lediglich den ersten Satz des §2 Abs2 RAO) sowie den letzten Satz des §2 Abs1 des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes (RAPG) idF BGBl. Nr. 556/1985 als verfassungswidrig aufzuheben.

2.1. Bei den angefochtenen Bestimmungen der RAO handelt es sich um eine Neufassung des §2 leg.cit. idF BGBl. Nr. 570/1973. Die maßgeblichen Bestimmungen der alten und neuen Rechtslage haben folgenden Wortlaut:

§2 Abs1 bis 3 RAO idF BGBl. Nr. 570/1973 lautete:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hiervon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, ist auch eine im Sinn des Abs1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland anzurechnen, wenn diese Verwendung für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist."

Durch ArtII Z2 des RAPG und ArtII Z2 des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 474/1990 (in Kraft getreten laut seinem ArtV Z1 mit dem 1. Jänner 1991), erhielten diese Bestimmungen folgenden Wortlaut:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat sieben Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens fünf Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. Hat ein Rechtsanwaltsanwärter an einer inländischen Universität den akademischen Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum sechs Jahre und der bei einem Rechtsanwalt zu verbringende Zeitraum vier Jahre."

(§2 Abs3 blieb unverändert)

Mit Wirksamkeit ab 1. April 1992 (also nach Antragstellung) wurden die Abs2 und 3 des §2 RAO abermals, und zwar durch Bundesgesetz BGBl. Nr. 176/1992, geändert. Sie lauten nunmehr:

"(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist."

2.2. §2 Abs1 RAPG idF BGBl. Nr. 556/1985 lautet:

"§2. (1) Die Rechtsanwaltsprüfung besteht aus zwei Teilprüfungen. Die erste Teilprüfung kann nach Erlangung des Doktorats der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von zwei Jahren und neun Monaten, hievon mindestens neun Monate bei einem inländischen Gericht und mindestens ein Jahr und sechs Monate bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden. Die zweite Teilprüfung kann nach bestandener erster Teilprüfung und einer weiteren praktischen Verwendung im Ausmaß von einem Jahr und sechs Monaten, hievon mindestens ein Jahr bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden."

Mit Bundesgesetz, BGBl. Nr. 176/1992, wurde bestimmt, daß die beiden ersten Sätze des §2 Abs1 RAPG ab 1. April 1992 wie folgt lauten:

"Die Rechtsanwaltsprüfung besteht aus zwei Teilprüfungen. Die erste Teilprüfung kann nach Erlangung des Doktorates der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von zwei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens ein Jahr bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden."

ArtIII des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 176/1992 lautet:

"Artikel III

Übergangsbestimung

Wurde die erste Teilprüfung vor dem 1. April 1993 erfolgreich abgelegt, so genügen als praktische Verwendung zwischen den beiden Teilprüfungen sechs Monate bei einem Rechtsanwalt, doch kann die zweite Teilprüfung nicht vor Zurücklegung einer praktischen Verwendung in der anrechenbaren Gesamtdauer von vier Jahren abgelegt werden. An Ausbildungsveranstaltungen haben Rechtsanwaltsanwärter, die diese Übergangsregelung in Anspruch nehmen, insoweit teilzunehmen, als dies in dem zur Verfügung stehenden Zeitraum möglich und zumutbar ist."

3. Der Antragsteller bringt zum Nachweis der Prozeßvoraussetzungen vor, er habe am 6. Juli 1987 den akademischen Grad eines Doktors der Rechte erlangt. Am 1. Oktober 1987 habe er seine praktische Verwendung gemäß §2 RAO mit der Gerichtspraxis begonnen, seit 1. September 1988 sei er "ununterbrochen (mit geringfügigen Unterbrechungen)" in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen. Am 25. November 1991 habe er die erste Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung bestanden.

Die bekämpften Gesetzesbestimmungen seien für den Antragsteller ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden, und es erfolge durch diese ein unmittelbarer Eingriff in seine Rechtssphäre.

Ein anderer zumutbarer Weg, Rechtsschutz gegen die verfassungswidrigen Normen zu erlangen, stehe ihm nicht zur Verfügung. Insbesondere sei es ihm nicht zumutbar, einen Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu stellen, da von vornherein aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage feststehe, daß ein solcher Antrag unter Berufung auf eben diese Bestimmungen abgewiesen werden würde.

Sodann werden die gegen die angegriffenen Regelungen bestehenden Bedenken im einzelnen dargelegt.

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Anträge stellt, der Verfassungsgerichtshof wolle die Gesetzesprüfungsanträge wegen mangelnder Antragslegitimation zurückweisen, in eventu aussprechen, daß §2 Abs1 letzter Satz RAPG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird und für den Fall der Aufhebung gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen. Hinsichtlich §2 Abs2 RAO sah die Bundesregierung im Hinblick auf das hg. Erkenntnis vom 3. März 1992, G315/91 ua., von einer meritorischen Äußerung ab.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Sowohl der zu G37/92 als auch der zu G38/92 protokollierte Antrag ist unzulässig.

5.1. Zu G37/92 (Antrag auf Aufhebung des §2 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 (in eventu Teile dieser Bestimmung)):

Nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG bildet eine Voraussetzung des sogenannten Individualantrages auf Gesetzesprüfung, daß das Gesetz - ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides - für die anfechtende Person wirksam geworden ist; grundsätzlich das gleiche gilt gemäß dem kraft des letzten Satzteiles in Art140 Abs1 B-VG sinngemäß heranzuziehenden Art89 Abs3 B-VG, welcher von der - außer Kraft getretenen anzuwendenden Rechtsvorschrift spricht.

Unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens ist es nun ausgeschlossen, daß §2 Abs2 RAO (bzw. Teile desselben) in der mit Ablauf des 31. März 1992 außer Kraft getretenen Fassung für den Einschreiter noch wirksam ist. Dem Antragsteller fehlt darum die nicht bloß im Zeitpunkt der Antragseinbringung, sondern auch in dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erforderliche Legitimation zur Anfechtung, sodaß sein Antrag zu G37/92 zurückzuweisen ist (vgl. dazu VfSlg. 12182/1989 und die die gleiche Rechtslage im Bereich der Verordnungsanfechtung betreffenden Beschlüsse VfSlg. 9868/1983 und VfGH vom 28.6.1990, V109/89).

5.2. Zu G38/92 (Antrag auf Aufhebung des letzten Satzes des §2 Abs1 RAPG):

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10481/1985, 11684/1988).

Unabhängig von der Frage, ob die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragsteller derzeit aktuell (vgl. ArtIII des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 176/1992) beeinträchtigt, steht dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Wahrung seiner Rechte offen. Er könnte nämlich um die Zulassung zur zweiten Teilprüfung der Rechtsanwaltsprüfung beim Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission gemäß §6 RAPG ansuchen und gegen den hierüber ergehenden letztinstanzlichen Bescheid Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erheben und auf diesem Wege seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung geltend machen. Dieser Weg brächte für den Antragsteller nach Lage der Verhältnisse keine außerordentliche Härte mit sich, ist ihm also zumutbar (vgl. dazu VfSlg. 8156/1977, 8212/1977 und 8396/1978, welche die Antragslegitimation wegen Unzumutbarkeit bzw. besonderer Härte bejahen). Es gibt insbesondere auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich das Administrativverfahren bis zum Ende der in §2 Abs1 letzter Satz RAPG normierten Frist hinziehen würde.

Auch die Anfechtung des §2 Abs1 letzter Satz RAPG ist daher unzulässig.

6. Die Anträge sind daher zur Gänze zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsprüfung Zulassung, Rechtsanwälte Ausbildung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G37.1992

Dokumentnummer

JFT_10079391_92G00037_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten