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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AuslBG;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des O, in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. September 1993, Zl. IV-247.127/FrB/93, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I
1. Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 15. September 1993 erklärte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) gemäß § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, den dem Beschwerdeführer, einem jugoslawischen Staatsangehörigen, am 31. März 1978 unbefristet erteilten Sichtvermerk für ungültig.
Die belangte Behörde vertrat dazu begründend die Ansicht, aus dem Verhalten des Beschwerdeführers - er sei wegen mehrerer Straftaten rechtskräftig gerichtlich verurteilt und wegen zahlreicher Gesetzesverstöße von der Verwaltungsbehörde rechtskräftig bestraft worden - ergebe sich, daß er offensichtlich nicht gewillt oder in der Lage sei, österreichische Rechtsvorschriften zu beachten, er diese vielmehr ständig verletze.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 28. Februar 1994, B 1833/93).
In dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten ergänzenden Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Entgegen der Beschwerdemeinung und mit der belangten Behörde ist der Gerichtshof der Auffassung, daß das sich in zahlreichen, über viele Jahre erstreckenden Gesetzesverstößen (hiebei handelt es sich keineswegs nur um geringfügige Übertretungen; vgl. etwa jene gegen die Gewerbeordnung, jeweils wegen unbefugter Konzessionsausübung, und die Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes) manifestierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit durchaus die Annahme rechtfertigt, daß sein Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung gefährden würde (§ 10 Abs. 1 Z.4 FrG).
2. Unbeschadet dessen ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 3. März 1994, Zl. 94/18/0021, und vom 19. Mai 1994, Zl. 93/18/0380). Diesem Gebot hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht entsprochen: Obwohl ihr bekannt war, daß sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1970 in Österreich aufhält, verheiratet ist und zwei minderjährige Kinder hat, die alle in einem gemeinsamen Haushalt leben (vgl. dazu die Niederschrift vom 15. September 1993), hat sie es unterlassen, diese Umstände bei ihrer Entscheidung mitzuberücksichtigen.
3. Da die belangte Behörde nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt hat, leidet der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
4. Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994180234.X00Im RIS seit
20.11.2000