TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/9 B1279/90

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Veröffentlicht am 09.06.1992
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Hausdurchsuchung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art9
StPO §142 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Hausrecht durch Hausdurchsuchung der vom Ehemann der Beschwerdeführerin gemieteten Wohnung mangels Einholung eines richterlichen Hausdurchsuchungsbefehls; Zurückweisung der Beschwerde hinsichtlich der Entfernung eines Zylinderschlosses mangels Legitimation; Beschwerdeführerin nicht Mieterin

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß Gendarmeriebeamte des Gendarmeriepostens Ardagger am 21. Oktober 1990 die Wohnung Freyenstein ..., Neustadtl/Donau, durchsuchten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Prozeßkosten werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin - sinngemäß auf das Wesentliche zusammengefaßt - vor, daß Gendarmeriebeamte des Gendarmeriepostens Ardagger am Sonntag, dem 21. Oktober 1990, gegen 14,30 Uhr, den (von ihr gelegentlich benützten) PKW ihres Ehegatten F K vor ihrer Sommer- bzw. Ferienwohnung in Freyenstein ..., Neustadtl/Donau, abgestellt wahrgenommen und daher die Anwesenheit ihres Ehegatten in der Wohnung vermutet hätten. Nach mehr als 4-stündiger Überwachung seien die Beamten gegen 18,30 Uhr in die Wohnung (die von einem Schlossermeister durch Aufbohren des (sodann durch ein neues Schloß ersetzten) Zylinderschlosses geöffnet worden war) eingedrungen und hätten diese erfolglos nach ihrem Ehegatten durchsucht. Die Durchsuchung sei rechtswidrig erfolgt, weil Gefahr im Verzug nicht vorgelegen sei; trotz Verlangens sei keine Bescheinigung über die Vornahme der Hausdurchsuchung ausgestellt worden.

Die Beschwerdeführerin begehrt die Feststellung, daß sie durch die Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht sowie dadurch, daß das Zylinderschloß ausgebohrt und durch ein anderes ersetzt wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt wurde.

2. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Amstetten legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der primär die Zurückweisung der Beschwerde wegen fehlender Legitimation sowie hilfsweise deren Abweisung beantragt wird.

Die Beschwerdeberechtigung verneint die belangte Behörde mit dem Argument, daß laut Auskunft des Hauseigentümers gegenüber der Gemeinde (ausschließlich) der Ehegatte der Beschwerdeführerin Mieter der Wohnung sei.

Die Durchsuchung der Wohnung hält die Bezirkshauptmannschaft für rechtmäßig. Die Gendarmeriebeamten hätten um ungefähr 14,30 Uhr festgestellt, daß der PKW des Ehegatten der Beschwerdeführerin, gegen den das Landesgericht für Strafsachen Wien einen mit 3. August 1990 datierten Haftbefehl erlassen hatte, vor dem Wohnhaus abgestellt war; da die Motorhaube noch warm gewesen sei, habe der Verdacht bestanden, daß sich F K in der Wohnung aufhält. Die Wohnung sei trotz Klopfens an Tür und Fenster sowie lauten Rufens nicht geöffnet worden. Da nicht geöffnet worden sei und wegen Fluchtgefahr habe Gefahr im Verzug angenommen werden müssen; die Gendarmeriebeamten hätten sohin eine Hausdurchsuchung aus eigener Macht vorgenommen. Die Türe sei durch den befugten Schlossermeister H S aus Amstetten geöffnet worden. Nach Beendigung der erfolglos verlaufenen Durchsuchung habe der Schlossermeister ein neues Schloß angebracht.

Ein Verlangen nach Ausstellung einer Bescheinigung über die Vornahme der Hausdurchsuchung sei nicht gestellt worden.

II. 1. Aufgrund des in allen wesentlichen Belangen übereinstimmenden Parteienvorbringens steht unter Bedachtnahme auf die vorgelegten Verwaltungsakten und den vom Verfassungsgerichtshof in Ablichtung beigeschafften Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. August 1990 fest, daß Anlaß und Durchführung der Hausdurchsuchung von der Beschwerde zutreffend dargestellt wurden; sie erfolgte ohne Vorliegen eines richterlichen Befehls durch die einschreitenden Sicherheitsorgane im Dienst der Strafjustiz, um den gegen den Ehegatten der Beschwerdeführerin erlassenen Haftbefehl zu vollziehen. Ob die Beschwerdeführerin die Ausstellung einer Bescheinigung über die vorgenommene Hausdurchsuchung ausdrücklich begehrte, kann (aus noch darzulegenden Gründen) auf sich beruhen.

2.a) In rechtlicher Hinsicht ist vorweg zu bemerken, daß das am 1. Jänner 1991 beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig gewesene Beschwerdeverfahren kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) der B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685, nach der bisherigen Rechtslage (di. jene, die bis zum Ablauf des 31. Dezember 1990 gegolten hat) zu Ende zu führen ist.

b) Soweit sich die vorliegende Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung richtet, erweist sie sich, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind (vgl. zB VfGH 27.2.1990 B651/87), als zulässig. Entgegen dem Einwand der belangten Behörde kommt es nicht darauf an, daß die Beschwerdeführerin nicht Mieterin der durchsuchten Räumlichkeiten war; der Schutz des Hausrechtes kommt nämlich auch Inhabern eines Raumes zu (s. VfSlg. 6328/1970 mit Bezugnahme auf VfSlg. 5182/1965), also auch der Ehegattin als Bewohnerin der von ihrem Ehemann gemieteten Wohnung.

Die Beschwerde ist in diesem Umfang auch gerechtfertigt.

Nach §2 Abs2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechts sowie dem damit übereinstimmenden §141 Abs2 StPO kann zwar zum Zweck der Strafrechtspflege eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht (ua.) vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein richterlicher Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen wurde. Wie der Verfassungsgerichtshof hiezu schon ausgesprochen hat, müssen die Sicherheitsorgane in vertretbarer Weise annehmen können, daß sich die gesuchte Person in den zu durchsuchenden Räumen befindet (zB VfSlg. 10082/1982). Diese Voraussetzungen waren bei der damaligen Sachlage an sich gegeben. Gemäß §140 Abs3 StPO darf eine Hausdurchsuchung jedoch in der Regel nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehls unternommen werden und es kann hievon - wie sich aus der ständigen Judikatur des Gerichtshofs ergibt (s. zB VfSlg. 5083/1965, 6488/1971, 10850/1986) - sowohl in den Fällen des Abs1 als auch des Abs2 im §2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechts bloß dann Abstand genommen werden, wenn Gefahr im Verzug ist. Nach der Rechtsprechung gilt für die Prüfung der Frage, ob Gefahr im Verzug besteht, ein strenger Maßstab: Von der grundsätzlichen Regel, daß ein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen ist, darf nur in besonderen (Ausnahms-)fällen, dh. wenn die besonderen Umstände eine Einholung nicht erlauben, abgegangen werden (zB VfGH 4.3.1991 B1191/90 mit weiteren Judikaturhinweisen). Davon kann im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt aber nicht gesprochen werden. Allein der verhältnismäßig lange Zeitraum von mehreren Stunden, der zwischen dem Eintreffen der Gendarmeriebeamten beim Haus und dem Tätigwerden des von ihnen beauftragten, in Amstetten etablierten Schlossers lag, erweist deutlich, daß durchaus die Möglichkeit bestand, sich mit dem Wochenenddienst versehenden Untersuchungsrichter des zuständigen Landesgerichtes St. Pölten fernmündlich in Verbindung zu setzen. Erst dann, wenn ein solcher Versuch fehlgeschlagen wäre, wären die Beamten zum (weiteren) Einschreiten aus eigener Macht befugt gewesen.

c) Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Beschwerdeführerin durch die vorgenommene Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt wurde.

III. Soweit die Beschwerde jedoch eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums wegen der Entfernung des Zylinderschlosses (und dessen Ersetzung durch ein neues Zylinderschloß) geltend macht, ist sie hingegen unzulässig. Die Beschwerdeführerin behauptet selbst nicht, Mieterin der Wohnung zu sein (sie spricht bloß von "meiner Sommerwohnung" und davon, daß sie "Mitbesitzerin" der Wohnung sei), und tritt der durch einen Aktenvermerk über ein Ferngespräch mit einem Bediensteten der Gemeinde Neustadtl/Donau belegten Vorbringen der belangten Behörde nicht entgegen, daß die Wohnung (ausschließlich) von ihrem Ehegatten gemietet wurde. Bei dieser Sachlage ist ein Eingriff in die vermögensrechtliche Rechtssphäre der Beschwerdeführerin durch den in Rede stehenden Teil der Amtshandlung voraussetzungsgemäß nicht möglich. Die Beschwerde war daher insoweit wegen des Fehlens der Beschwerdeberechtigung zurückzuweisen.

V. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §43 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG. Da die Prozeßparteien etwa zu gleichen Teilen obsiegten bzw. unterlagen, waren die Prozeßkosten gegeneinander aufzuheben.

VI. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Hausrecht (Mieter), Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Hausdurchsuchung, VfGH / Legitimation, richterlicher Befehl

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1279.1990

Dokumentnummer

JFT_10079391_90B01279_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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