Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über den Antrag des H in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur Zl. 94/08/0025 eingebrachten Beschwerde den Beschluß gefaßt:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
Mit Berichterverfügung vom 23. Februar 1994, Zl. 94/08/0025-3, wurde die zur genannten Zahl eingebrachte Beschwerde der Rechtsvertreterin des Antragstellers gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Behebung folgender Mängel binnen vier Wochen zurückgestellt:
"Es ist der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt in einer zeitlich geordneten Darstellung des Verwaltungsgeschehens wiederzugeben (§ 28 Abs. 1 Z. 3 VwGG); d.h. anzuführen, ob der Devolutionsantrag vom 14. Jänner 1992 tatsächlich nur die bei der erstinstanzlichen Behörde zwischen dem 8. 10. 1991 und dem 9. 1. 1992 gestellten Anträge betrifft.
Es ist die vom Beschwerdeführer selbst verfaßte Beschwerde mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes zu versehen (§ 24 Abs. 2 VwGG).
Ein ergänzender Schriftsatz ist in zweifacher Ausfertigung vorzulegen.
Die zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) ist auch dann wieder vorzulegen, wenn zur Ergänzung ein neuer Schriftsatz eingebracht wird."
Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers entsprach diesem Auftrag insofern nur teilweise, als sie zwar einen ergänzenden Schriftsatz in zweifacher Ausfertigung und die vom Beschwerdeführer selbst verfaßte Beschwerde (wieder) vorlegte, letztere aber nicht mit ihrer Unterschrift versah.
Daraufhin wurde wegen der nur teilweisen Befolgung des Mängelbehebungsauftrages das Beschwerdeverfahren mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1994, Zl. 94/08/0025-7, eingestellt. Dieser Beschluß wurde der Rechtsvertreterin des Antragstellers am 13. Juli 1994 zugestellt.
Mit dem vorliegenden, am 27. Juli 1994 zur Post gegebenen Antrag begehrt der Antragsteller, vertreten durch seine bisherige Rechtsvertreterin, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur vollständigen Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages mit nachstehender Begründung:
"Der Grund für die nicht vollständige Erfüllung des Verbesserungsauftrages war, daß zunächst zur Erfüllung des Verbesserungsauftrages, nämlich mittels Schriftsatzes eine zeitlich geordnete Darstellung des Verwaltungsgeschehens abzugeben, ein außergewöhnlich umfangreiches Aktenstudium erforderlich war, weil der Beschwerdeführer anläßlich einer mehrstündigen Besprechung mehrere Aktenordner über die verfahrensgegenständlichen Eingaben bzw. die verschiedenen Verwaltungsverfahren vorgelegt hatte und selbst nicht in der Lage war, den Sachverhalt aus eigenem vollständig darzulegen bzw. aufzuklären. Dies hatte wiederum zur Folge, daß die mit der Konzeption des Schriftsatzes befaßte Konzipientin in der Kanzlei der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers das Konzept für den Schriftsatz erst am Tag vor Ablauf der Frist zur Erfüllung des Verbesserungsauftrages fertigstellen konnte. Die Überprüfung und Korrektur durch die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers mußte daher am letzten Tag der Frist vorgenommen werden, was im Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen Arbeitsanfall in der Kanzlei und der daraus resultierenden Überlastung der Schreibabteilung dazu führte, daß der Schriftsatz erst in den Abendstunden fertiggestellt werden konnte. Darüber hinaus hatte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers an diesem Abend noch einen Termin wahrzunehmen, sodaß unter diesen Umständen außergewöhnlicher Zeitdruck und Streß entstand, aufgrund dessen es geschehen konnte, daß bei der Abfertigung des Schriftstückes es irrtümlich unterblieb, daß die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers auch auf die dem Schriftsatz gemäß Verbesserungsauftrag beizulegende Urschrift der Beschwerde ihre Unterschrift setzte. Selbst bei Anwendung aller im Verkehr mit Behörden gebotenen Sorgfalt kann es unter außergewöhnlichen Umständen zu einem derartigen Versehen kommen, das der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers im übrigen noch niemals unterlaufen ist, wie auch überhaupt noch keine Fristen von ihr übersehen wurden. Der Beschwerdeführer war daher durch ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis unverschuldet daran gehindert, dem Verbesserungsauftrag vollständig fristgerecht nachzukommen."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e gebildeten Dreiersenat erwogen:
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der ständigen (auch nach der Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG durch die VwGG-Novelle BGBl. Nr. 564/1985 insofern aufrechterhaltenen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den Beschluß vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/12/0238, mit weiteren Judikaturhinweisen, sowie Pichler, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, Anw. 1990, 178 ff) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes (auch eines bei einem Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters: vgl. u.a. den Beschluß vom 8. November 1988, Zlen. 88/11/0159, 0236) dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber unterlassen hat. Grundsätzlich muß in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, daß u. a. auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert erscheint. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfaßt in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den Verwaltungsgerichtshof in Befolgung des Verbeserungsauftrages übermittelten Aktenstücke (vgl. dazu u. a. die Beschlüsse vom 22. September 1983, Zl. 83/08/0108, und vom 29. Juni 1993, Zl. 93/08/0140).
Der Begriff des minderen Grades des Versehens in § 46 Abs. 1 VwGG ist grundsätzlich der leichten Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB gleichzustellen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an rechtskundige berufliche Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. u.a. den Beschluß vom 3. März 1994, Zl. 94/18/0003).
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gesteckt ist (vgl. die Beschlüsse vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134, und vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/12/0238, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Denn bei Anlegung des bei rechtskundigen beruflichen Parteienvertretern gebotenen strengen Maßstabes hätte die der Vertreterin des Antragstellers letztlich obliegende Verpflichtung zur vollständigen und richtigen Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages primär erfordert, sich spätestens bei der Unterfertigung des von der Schreibabteilung fertiggestellten ergänzenden Schriftsatzes zu vergewissern, ob damit dem Mängelbehebungsauftrag, um dessen Erfüllung es ja ging, zur Gänze entsprochen wurde. Wäre die Rechtsvertreterin des Antragstellers dieser primären und naheliegenden Verpflichtung nachgekommen, so wäre es - ungeachtet des behaupteten außergewöhnlichen Zeitdruckes - nicht zur Unterlassung der keinen besonderen Zeitaufwand erfordernden Unterfertigung der vom Beschwerdeführer selbst verfaßten Beschwerde gekommen. Dadurch daß sie den fristgebundenen ergänzenden Schriftsatz unterfertigt (und ihn damit zur Absendung freigegeben) hat, ohne zu prüfen, ob er hiezu bereits geeignet war, handelte sie auffallend sorglos im Sinne des § 1324 ABGB. Es liegt daher im gegenständlichen Fall ein den Grad minderen Versehens überschreitendes Verschulden der Rechtsvertreterin des Antragstellers vor, das diesem zuzurechnen ist.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994080168.X00Im RIS seit
20.11.2000