Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16. Dezember 1993, Zl. MA 12-14759/91, betreffend Sozialhilfe, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Die Anträge des Beschwerdeführers, der Verwaltungsgerichtshof möge 1) über seine Anträge auf Sozialhilfe vom 14. Jänner 1991 bis 9. Oktober 1991 erkennen und ihm Sozialhilfe in der Höhe von S 41.720,47 sowie die ihm gesetzlich zustehende Mietzinsbeihilfe und die "Heizkosten im angeführten Zeitraum im gesetzlichen Ausmaß" zuerkennen, und 2) erkennen, daß die belangte Behörde schuldig sei, ihm für den durch die gesetzwidrige Vorgangsweise entstandenen Schaden der Verwahrlosung und Verweigerung medizinischer Betreuung und ärztlicher Hilfe eine Genugtuung in der Höhe von S 300.000,-- zu leisten, all dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution, werden zurückgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als mit ihm die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Nichtgewährung von Sozialhilfe für die Zeit vom 14. Jänner bis 31. Jänner 1991 abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Hinsichtlich der Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1993, Zl. 92/08/0235, verwiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die (noch offene, sich auf den Zeitraum ab 14. Jänner 1991 beziehende) Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 10. Jänner 1991 ab und bestätigte diesen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis durch die belangte Behörde zu prüfen gewesen sei, auf welche Zeiträume sich der Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Jänner 1991 bezogen habe, konkret auch die Frage, auf welche Weise die im Antrag angegebene Zeitspanne von vier Tagen Eingang in das Antragsformular gefunden habe. Die durchgeführten ergänzenden Erhebungen hätten ergeben, daß der Beschwerdeführer den zeitlichen Umfang seines Antrages nicht selbst eingegrenzt, sondern grundsätzlich um "Sozialhilfe" angesucht habe. Er habe es vielmehr der bearbeitenden Referentin überlassen, den beantragten Zeitraum mit vier Tagen zu definieren, was er auch mit der Unterschrift unter dem Antrag dokumentiert habe. Offenbar habe sich der Beschwerdeführer in einem Rechtsirrtum dahingehend befunden, daß er vermeint habe, einen über vier Tage hinausgehenden Zuspruch von Sozialhilfe im Wege der Berufung gegen den Bescheid der erstinstanzlichen Behörde zu erreichen. Dieser Weg bleibe ihm jedoch deshalb verwehrt, weil er selbst die Eingrenzung seines Antrages auf vier Tage zur Kenntnis genommen und mit seiner Unterschrift zu seinem Vorbringen gemacht habe. Es sei daher einer neuerlichen Antragstellung nach Ablauf der vier Tage vorbehalten geblieben, einen weiteren Sozialhilfebezug zu erreichen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wie im Vorerkenntnis vom 29. Juni 1993 - unter Bezug auf das ebenfalls den Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0234 - ausgeführt wurde, ist im Beschwerdefall davon auszugehen, daß mit dem Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 10. Jänner 1991 eine abschließende Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers von diesem Tag erfolgte, und daher (zur Beurteilung der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG) klärungsbedürftig, ob der Beschwerdeführer selbst den Antrag auf eine Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf die Zeit von vier Tagen eingeschränkt oder ob die erstinstanzliche Behörde den nicht vom Beschwerdeführer in diesem Sinne eingeschränkten Antrag falsch gedeutet bzw. wegen Klärungsbedürftigkeit der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe für einen längeren Zeitraum selbst eingeschränkt hat. Im letzteren Fall wäre nach dem Vorerkenntnis die Entscheidung wegen der unrichtigen Deutung bzw. unzulässigen Einschränkung insofern rechtswidrig, als nicht auch über den darüber hinaus gehenden Antrag entschieden wurde. Dies hätte die belangte Behörde aber dann entsprechend dem Berufungsvorbringen wahrnehmen und darüber (wenn auch möglicherweise mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen in abweisender Form) entscheiden müssen.
Im nunmehr angefochtenen Bescheid begründet die belangte Behörde die Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Bescheides damit, daß nach den ergänzenden Erhebungen der Beschwerdeführer zwar den zeitlichen Umfang seines Antrages nicht selbst eingegrenzt, sondern grundsätzlich um "Sozialhilfe" angesucht, es aber der bearbeitenden Referentin überlassen habe, den beantragten Zeitraum mit vier Tagen zu definieren, was er auch mit der Unterschrift unter dem Antrag dokumentiert habe. In rechtlicher Hinsicht folge daraus, daß der Beschwerdeführer nicht im Berufungsweg einen Zuspruch von Sozialhilfe über vier Tage hinaus erreichen könne, weil er selbst die (der Referentin überlassene) Eingrenzung seines Antrages auf vier Tage zur Kenntnis genommen und mit seiner Unterschrift zu seinem Vorbringen gemacht habe. Das bedeutet im Sinne der Ausführungen im Vorerkenntnis, daß die belangte Behörde letztlich doch von einer Einschränkung des Antrags durch den Beschwerdeführer ausgegangen ist. Konsequenterweise hätte sie die (noch offene Berufung) als außerhalb der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG liegend zurückweisen müssen. Durch die "Abweisung" der (noch offenen) Berufung wäre der Beschwerdeführer aber dann nicht in Rechten verletzt, wenn er tatsächlich seinen Antrag im obgenannten Sinn letztlich selbst eingeschränkt hätte, weil sich die normative Wirkung der Abweisung der (noch offenen) Berufung darin erschöpfte, es stehe dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages vom 10. Jänner 1991 kein Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit ab 14. Jänner 1991 zu.
Der Beschwerdeführer stellt in seiner eigenhändig verfaßten Beschwerde unter der "Sachverhaltsdarstellung zum Ereignisfall vom 10. Jänner 1991", auf die der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in seiner Beschwerdeergänzung ausdrücklich verweist, in Abrede, daß er es der Referentin überlassen habe, den Zeitraum von vier Tagen zu definieren, und er diese Eingrenzung zur Kenntnis genommen habe. Die Referentin habe vielmehr seinen "MÜNDLICHEN ANTRAG AUF SOZIALHILFE FÜR DEN GESAMTEN MONAT JÄNNER 1991" entgegengenommen und vorerst auf der Vorderseite des Formulars seinen Antrag und auf der Rückseite den Bescheid mit der ziffernmäßig bestimmten Summe, ausgerechnet bis Ende Jänner, unterfertigt. Der Beschwerdeführer habe beide Schriftstücke unterschrieben. Die Referentin habe sich mit den unterschriebenen Urkunden entfernt, sei aber nach einiger Zeit zurückgekehrt und habe ihm eröffnet, daß ihre Vorgesetzte veranlaßt habe, ihm nur für vier Tage Sozialhilfe zu gewähren. In der Zwischenzeit solle er die gegenständlichen Pkw abmelden oder beim Dorotheum schätzen lassen. Im weiteren Handlungsverlauf habe sie den Erstantrag vernichtet und in der Folge den im Akt erliegenden Antrag mit der mehrfach genannten Eingrenzung und den Bescheid neu angefertigt. Damit sei der Beschwerdeführer nicht einverstanden gewesen und habe sich geweigert zu unterschreiben. Ein ihm unbekannter Beamter habe ihm aber sinngemäß eröffnet, er müsse entweder den Antrag mit der Eingrenzung auf vier Tage unterschreiben oder er erhalte überhaupt kein Geld. Durch seine persönliche Not gezwungen habe er dann unterschrieben, aber sowohl dem Antrag als auch dem Bescheid hinzugefügt mit "Antrag auf Kopie".
Aus diesem (an sich als Neuerung zum Geschehen vom 10. Jänner 1991 zu wertenden) Beschwerdevorbringen folgt doch, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht insoweit in Rechten verletzt sein kann, als mit ihm seine (noch offene) Berufung hinsichtlich des Begehrens auf Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides für den Zeitraum ab 1. Februar 1991 abgewiesen wurde, weil er darin behauptet, er habe nur einen Antrag auf Sozialhilfe für Jänner 1991 gestellt. Die Beschwerde war daher insofern gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Im übrigen, also hinsichtlich des Berufungsbegehrens auf Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides für die Zeit vom 14. Jänner bis 31. Jänner 1991, ist der angefochtene Bescheid aber mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet, weil die belangte Behörde eine ausreichende Begründung dafür vermissen läßt, aus welchen Erwägungen sie dazu gelangte, der Beschwerdeführer habe es der bearbeitenden Referentin überlassen, "den beantragten Zeitraum mit vier Tagen zu definieren". Gegen die zweifelsfreie Wertung der bloßen Unterfertigung der Wendung im Antragsformular "Ich beantrage eine Geldaushilfe für LB f. 4 T." (von der die Worte "LB
f. 4 T." nach dem Ermittlungsverfahren von der bearbeitenden Referentin hinzugesetzt wurden) als ein solches "Überlassen" (die belangte Behörde zieht dies freilich ohnedies nur "auch" als Dokumentation eines Überlassens heran) spricht, wie der Verwaltungsgerichtshof schon im Vorerkenntnis betonte, ebenso wie gegen die zweifelsfreie Wertung der Unterfertigung der Kenntnisnahme des mündlich verkündeten Bescheides durch den Beschwerdeführer der von ihm schon in seinen Berufungsschriftsätzen vom 6. November und 24. Dezember 1991 mit Recht herangezogene Umstand, daß er diesen Unterschriften jeweils die Wendung "mit Antrag auf Kopie" hinzugefügt hat. Ein solches "Überlassen" kann aber auch nicht auf die aktenkundigen Ermittlungsergebnisse nach Zustellung des Vorerkenntnisses, nämlich das Schreiben der erstinstanzlichen Behörde an die belangte Behörde vom 21. September 1993 sowie auf den Aktenvermerk vom 2. Dezember 1993 gestützt werden. Im Antwortschreiben vom 21. September 1993 auf das Ersuchen der belangten Behörde vom 15. September 1993 heißt es, es sei dem Beschwerdeführer am 10. Jänner 1991 zur Überbrückung der Notsituation Lebensbedarf für vier Tage gewährt worden. Es sei ihm mitgeteilt worden, daß er die drei Autos, die sich in seinem Besitz befunden hätten, innerhalb dieser Frist abzumelden habe, um am 14. Jänner 1991 die weiteren Voraussetzungen, um Sozialhilfe zu erhalten, zu erfüllen. Da der Beschwerdeführer erst am 20. Dezember 1991 wieder im Sozialreferat vorgesprochen habe, hätten bis dahin auch keine Geldaushilfen gewährt werden können. Die im Antrag aufscheinende Einschränkung "Lebensbedarf für vier Tage" sei von der bearbeitenden Referentin vorgenommen worden. Im Aktenvermerk vom 2. Dezember 1993 heißt es, die im Sozialhilfeantrag vom 10. Jänner 1991 enthaltene Einschränkung sei, wie eine Anfrage beim zuständigen Sozialreferat ergeben habe, von der bearbeitenden Referentin beigefügt worden. Der Beschwerdeführer habe die von ihm begehrte Sozialhilfe zeitlich nicht eingegrenzt, sondern allgemein "Sozialhilfe" beantragt. Daraus geht - im Einklang mit dem Aktenvermerk vom 10. Oktober 1991 - nur hervor, daß die erstinstanzliche Behörde die Auffassung vertreten hat, es könne dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die Klärungsbedürftigkeit der Anspruchsvoraussetzungen auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 10 WSHG (vorläufig) eine Geldaushilfe nur zur Überbrückung bis zu dieser Klärung gewährt werden, nicht aber, daß der Beschwerdeführer die zeitliche Einschränkung seines Antrages der bearbeitenden Referentin mit der Konsequenz einer wirksamen Einschränkung desselben überlassen habe. Sonstige Ermittlungsergebnisse, auf die sich eine diesbezügliche Annahme der belangten Behörde stützen könnte, sind nicht aktenkundig.
Dieser Verfahrensmangel ist auch relevant, weil die belangte Behörde bei Fehlen eines solchen "Überlassens" - unter Bedachtnahme darauf, daß es grundsätzlich nicht der Behörde zusteht, Anträge von Parteien einzuschränken oder zu ihren Ungunsten zu deuten - über den (nach dem nunmehrigen Beschwerdevorbringen von vornherein auf die Zeit bis 31. Jänner 1991 eingeschränkten) Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes (wenn auch bei Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen in abweisender Form, wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits im Vorerkenntnis betonte) hätte entscheiden müssen.
Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die weiteren im Spruch wiedergegebenen Anträge des Beschwerdeführers waren mangels Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zu derartigen Entscheidungen gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in Verbindung mit § 12 Abs. 3 leg. cit. zurückzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 1 und 3 VwGG Abstand genommen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994080026.X00Im RIS seit
20.11.2000