TE Vfgh Beschluss 1992/6/10 KI-3/91

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Veröffentlicht am 10.06.1992
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
StPO §41 Abs3

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde mangels Identität der Sache

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Antragsteller bringt vor, daß gegen ihn beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu Zl. 6b Vr 10.471/1985 eine strafrechtliche Anklage wegen des Verdachtes des Finanzvergehens nach §33 Finanzstrafgesetz anhängig sei. In diesem Verfahren habe der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. G E zum Pflichtverteidiger bestellt. Der Antragsteller habe um dessen Enthebung bei der Abteilung III der genannten Behörde deshalb angesucht, weil er seinen Pflichten als Amtsverteidiger nicht entsprechend nachgekommen sei. Die Behörde habe diesen (zusammen mit einem weiteren, nicht den Gegenstand dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens bildenden) Antrag abgewiesen. Der dagegen erhobenen Vorstellung sei nicht Folge gegeben worden. Dieser Beschluß vom 19. März 1991 (Zl. Vs 1968/90) sei damit begründet worden, der Behörde fehle für eine solche Maßnahme jede Kompetenz, zuständig hiefür seien die Gerichte.

In weiterer Folge habe er einen Antrag auf Enthebung des Dr. G E als Pflichtverteidiger an das Landesgericht für Strafsachen Wien gestellt. Dieses habe mit Beschluß vom 24. April 1991 (Zl. 6b Vr 10.471/85) seine Zuständigkeit zur Überwachung der Verteidigertätigkeit bestritten. Es liege somit ein negativer Kompetenzkonflikt vor, da ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag, Dr. G E zu entheben, verneint hätten.

2. In "Rechtsausführungen zur Lösung des Kompetenzkonflikts" führt der Antragsteller aus, daß die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (für Menschenrechte) für die Zuständigkeit der Gerichte, die einfach-gesetzliche Rechtslage für jene der Rechtsanwaltskammer spreche. Er erachte die einfach-gesetzlichen Bestimmungen für verfassungswidrig (dem Art6 Abs3 EMRK widersprechend).

3. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien sowie das Landesgericht für Strafsachen Wien haben die Akten vorgelegt.

4. Der genannte Ausschuß erstattete auch eine Gegenäußerung dahingehend, daß der Antrag auf Enthebung des Pflichtverteidigers im Lichte des steten Begehrens des Antragstellers auf Selbstverteidigung, welches im einzelnen dargelegt wird, zu sehen sei; zusammenfassend wird dazu vorgebracht:

"Alle späteren Anträge sind in dem Lichte des von Dr. K angestrebten Rechtes auf Selbstverteidigung zu erblicken; seine Bestrebungen richten sich primär nicht gegen die Person des bestellten Verfahrenshelfers Dr. E, sondern gegen die Beigebung eines Verfahrenshelfers schlechthin; für diese unabhängig von der Person des Verfahrenshelfers angestrebte Enthebung jedes Verfahrenshelfers, inhaltlich identisch mit der angestrebten Aufhebung der Beigebung eines Verfahrenshelfers überhaupt, ist das Gericht und nicht der Ausschuß zuständig."

Abschließend wird beantragt, dem Kompetenzfeststellungsantrag keine Folge zu geben.

5. Unter dem 28. Februar 1992 unterrichtete der Antragsteller den Verfassungsgerichtshof darüber, daß seine bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte eingebrachte Beschwerde gegen die lange Dauer des gerichtlichen Strafverfahrens als zulässig erklärt worden sei und ersuchte um alsbaldige Erledigung seines Antrages.

6. Mit Schreiben vom 16. März 1992 schließlich teilte der Antragsteller dem Verfassungsgerichtshof mit, daß der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Februar 1992, 92/01/0033, seine Beschwerde gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. März 1991 als unbegründet abgewiesen habe. In Verbindung mit dem weiteren Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom selben Tage, 92/01/0032, ergebe sich, daß der Verwaltungsgerichtshof eine Zuständigkeit des Gerichtes annehme, über seinen Enthebungsantrag zu entscheiden. Zwar hätte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes die Verwaltungsbehörde den Antrag auf Enthebung des Amtsverteidigers zurückzuweisen gehabt, doch sei der Antragsteller durch die Abweisung seines Antrages mangels Fehlens eines Rechtsanspruches nicht in seinen Rechten verletzt worden.

Demgegenüber vertrete jedoch das Oberlandesgericht Wien in seinem inzwischen ergangenen Beschluß vom 30. August 1991, Zl. 25 Bs 346/91, 25 Fs 2/91, einen entgegengesetzten Standpunkt. Das Oberlandesgericht habe zwar die Beschwerde des Antragstellers als unzulässig zurückgewiesen, jedoch dem Erstgericht gemäß §15 StPO aufgetragen, den Antrag auf Enthebung des Pflichtverteidigers als Antrag auf Umbestellung des Pflichtverteidigers der zuständigen Rechtsanwaltskammer zwecks Entscheidung durch deren zuständige Organe zuzuleiten.

Durch die Anrufung einer Rechtsmittelinstanz bzw. des Verwaltungsgerichtshofes sei der entstandene negative Kompetenzkonflikt nicht behebbar.

7. Schließlich trug der Antragsteller unter dem 11. Mai 1992 abermals Teile des bisherigen Verfahrensablaufes dar und ersuchte um alsbaldige Entscheidung des behaupteten Kompetenzkonfliktes.

II. Der Antrag ist nicht zulässig:

Gemäß Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden.

Ein verneinender Kompetenzkonflikt liegt nur dann vor, wenn zwei Behörden in derselben Sache angerufen wurden, beide Behörden die Entscheidung der Sache abgelehnt haben, aber eine zu Unrecht (vgl. VfSlg. 4554/1963, 11862/1988). Dies kommt auch in der Bestimmung des §51 VerfGG dadurch zum Ausdruck, daß das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die Kompetenzfrage die Aufhebung der diesem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte auszusprechen hat.

Voraussetzung eines negativen Kompetenzkonfliktes ist somit die Identität des Entscheidungsgegenstandes. Eine solche liegt hier jedoch nicht vor.

Der Antragsteller hatte mit Schreiben vom 11. Februar 1991 an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag auf Enthebung seines Amtsverteidigers (gemäß §41 Abs3 StPO), hilfsweise auf Erteilung eines Auftrages an diesen gemäß §23 RAO gestellt, welcher von der Abteilung III des genannten Ausschusses mit Bescheid vom 19. Februar 1991 abgewiesen worden war. Der Ausschuß gab der Vorstellung des Antragstellers keine Folge. Er deutete den Antrag im Sinne der länger anhaltenden Bemühungen des Antragstellers dahingehend, zur Ermöglichung der Selbstverteidigung des Antragstellers möge die Beigebung eines Amtsverteidigers als solche aufgehoben werden; er wies in Wirklichkeit den solcherart aufgefaßten Antrag mit der Begründung zurück, daß dafür nicht der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer, sondern das Gericht zuständig sei.

Hingegen wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag vom 25. März 1991, den bestellten Pflichtverteidiger zu entheben und die Bestellung eines anderen Verteidigers in die Wege zu leiten, mit der Begründung zurück, hiefür sei die Rechtsanwaltskammer zuständig.

Den beiden angerufenen Behörden lagen deshalb verschiedene Anträge zur Entscheidung vor und sie haben jeweils über eine andere Sache entschieden.

III. Da demnach mangels Identität des Entscheidungsgegenstandes ein verneinender Kompetenzkonflikt nicht vorliegt, war der Antrag gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Strafprozeßrecht, Verteidigung, Rechtsanwälte Pflichtverteidigung, Pflichtverteidigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:KI3.1991

Dokumentnummer

JFT_10079390_91K00I03_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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