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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des F in H, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 20. Juli 1993, Zl. Frb-4250/93, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 17. Mai 1989 war gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Z.1 iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 i.d.g.F., (FrPolG), ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
Begründend hatte die belangte Behörde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1985 bis 1989 dreimal wegen Begehung von Eigentumsdelikten rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden wäre, zuletzt wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet hätte eine massive Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit mit sich gebracht. Zum Schutz des Eigentums anderer Personen und zur Verhinderung weiterer einschlägiger strafbarer Handlungen wäre die Erlassung des Aufenthaltsverbotes i.S. des Art. 8 Abs. 2 MRK erforderlich gewesen. Bei der kriminellen Energie, die dem Beschwerdeführer offensichtlich zu eigen wäre (der bewaffnete Raubüberfall wäre über Tage und Wochen geplant worden), sei auch für die Zukunft nicht auszuschließen, daß er wieder straffällig werde. Unbeschadet dessen, daß der Beschwerdeführer seit seinem 4. Lebensjahr im Bundesgebiet gelebt hätte und sich auch seine Eltern und Geschwister hier aufgehalten hätten, wäre die belangte Behörde unter sorgfältigster Abwägung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten persönlichen Gesichtspunkte (langer Aufenthalt, familiäre Bindungen, Beschäftigung) zu dem Schluß gekommen, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes im öffentlichen Interesse dringend geboten sei.
2. Mit Eingabe vom 1. April 1993 an die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes. Zur Begründung verwies er auf die ihm seit 1989 laufend erteilten Vollstreckungsaufschübe, sein seit seiner Entlassung aus der Haft im Oktober 1989 aufrechtes Beschäftigungsverhältnis, sein Wohlverhalten seit dieser Zeit und auf die Tatsache, daß er mit einer türkischen Staatsangehörigen (die als Krankenschwester in H arbeite) befreundet sei, die von ihm (voraussichtlich im Juni 1993) ein Kind erwarte.
3. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 20. Juli 1993 gab die belangte Behörde diesem Antrag gemäß § 26 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, keine Folge.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Die starken privaten und familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich seien ebenso wie seine Beschäftigung bereits bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt worden. Ein neu zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigender Umstand sei, daß der Beschwerdeführer mit einer seit 1988 im Bundesgebiet aufhältigen türkischen Staatsangehörigen befreundet sei und mit dieser ein (am 27. Mai 1993 geborenes) Kind habe; sie lebten jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Auf der anderen Seite seien die vom Beschwerdeführer begangenen Eigentumsdelikte noch nicht getilgt. Obwohl sich der Beschwerdeführer seit seiner Entlassung aus der Haft wohlverhalten habe, könne von einem Wegfall der Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht gesprochen werden. Die rechtskräftigen Bestrafungen seien nach wie vor als "bestimmte Tatsache", nunmehr i.S. des § 18 Abs. 1 FrG, zu werten. Angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen "Gerichtsdelikte", insbesondere des bewaffneten Raubüberfalles, wäre eine positive Zukunftsprognose zweifelsohne noch verfrüht. Zu beachten sei auch, daß (nach § 20 Abs. 1 FrG) im Rahmen der Interessenabwägung die öffentlichen Interessen gegenüber der Rechtslage nach § 3 Abs. 3 FrPolG von größerem Gewicht seien. Trotz weiteren rechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie der neu hinzugekommenen Bindungen sei aufgrund des gewichtigen öffentlichen Interesses an einer möglichsten Hintanhaltung von Eigentumsdelikten die Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgefallen.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser trat die Beschwerde, nachdem er deren Behandlung abgelehnt hatte (Beschluß vom 30. November 1993, B 1556/93-8), dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab (Beschluß vom 7. Februar 1994, B 1556/93-10).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem "Recht auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes (§ 26 FrG)" verletzt, macht inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
1.2. Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit den §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein relevanter Eingriff im Sinne des § 19 FrG vorliegt und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1994, Zl. 93/18/0622, mwN).
2. Zu Recht vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß die Gründe, die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblich gewesen seien, nicht weggefallen seien, würde doch das in den rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, insbesondere in jener wegen Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 StGB (Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. Dezember 1988), begründete öffentliche Interesse nach wie vor die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer rechtfertigen (§ 18 Abs. 2 Z. 1 FrG). Die im Grunde des § 18 Abs. 1 leg. cit. für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sprechenden maßgeblichen Interessen sind im Hinblick darauf, daß dem etwa vierjährigen Wohlverhalten des Beschwerdeführers ein bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ca. ein halbes Jahr währender unerlaubter Aufenthalt gegenübersteht, etwa gleich groß geblieben.
3.1. Mit Blick auf § 19 FrG meint die Beschwerde, daß nach so vielen Jahren des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers keine zwingenden öffentlichen Interessen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes bestünden. Wenn ein "wirklich zwingendes öffentliches Interesse an diesem Aufenthaltsverbot bzw. seiner Durchsetzung bestanden hätte", dann wäre das Aufenthaltsverbot jedenfalls nicht über mehrere Jahre hinweg nicht exekutiert worden.
3.2. Diesem Vorbringen vermag der Gerichtshof nicht beizupflichten. Wenngleich es zutrifft, daß dem Beschwerdeführer ab Ende des Jahres 1989 bis Anfang des Jahres 1993 zweimal ein Vollstreckungsaufschub gewährt und viermal eine Bewilligung zum Wiederbetreten des Bundesgebietes erteilt worden ist (§ 6 Abs. 2 bzw. § 6 Abs. 1 FrPolG), kann daraus nicht abgeleitet werden, die Behörde habe damit zu erkennen gegeben, daß sie das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer nicht für dringend geboten erachtet habe. Vielmehr läßt der Akteninhalt keinen Zweifel daran, daß die besagten Aufschübe und Bewilligungen jeweils nur aus triftigen Gründen bzw. zur Regelung wichtiger, dem privaten Bereich zugehöriger Angelegenheiten, also jeweils für begrenzte Zwecke und Zeiträume, erteilt worden sind. Ein derartiges behördliches Vorgehen - wie immer man es vorliegend im einzelnen rechtlich beurteilen mag - implizierte jedenfalls nicht den Wegfall der gegebenen Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes. Daß letzteres im Beschwerdefall zu bejahen ist, ergibt sich daraus, daß diese Maßnahme - ungeachtet des damit verbundenen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers - zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung im Bereich des Fremdenwesens (der Beschwerdeführer hält sich nach Ausweis der Akten immerhin seit 1. Februar 1993 entgegen dem bestehenden Aufenthaltsverbot, also unrechtmäßig im Bundesgebiet auf), dringend geboten ist.
4.1. Was die Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG anlangt, so verweist der Beschwerdeführer darauf, daß sich "seine Anknüpfungspunkte zur Republik Österreich deutlich intensiviert (haben)". Dies beginne bei der zwischenzeitlich eingegangenen Lebensgemeinschaft und dem aus dieser Gemeinschaft "entstandenen" Kind, wobei sowohl die Kindesmutter als auch das Kind in Österreich wohnhaft und aufenthaltsberechtigt seien. Hinzu komme, daß der Beschwerdeführer in Österreich berufstätig sei. Damit würden die privaten Interessen des Beschwerdeführers die maßgeblichen öffentlichen Interessen überwiegen.
4.2. Hinsichtlich der dargestellten familiären Situation des Beschwerdeführers ist festzuhalten, daß diese im bekämpften Bescheid ausdrücklich zu seinen Gunsten berücksichtigt worden ist. Dazu ist freilich auch die - unwidersprochen gebliebene - Feststellung der belangten Behörde zu beachten, daß der Beschwerdeführer, die Kindesmutter und das Kind nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebten - ein Umstand, welcher der Bindung des Beschwerdeführers an die genannten Personen kein allzu großes Gewicht verleiht. Daß der Beschwerdeführer einer Beschäftigung nachgehe, stellt keine (wesentliche) Änderung des maßgebenden Sachverhaltes dar, war doch schon bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes die Beschäftigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu seinen Gunsten berücksichtigt worden. Gleiches gilt für die lange Dauer seines Aufenthaltes in Österreich; die seit Verhängung des Aufenthaltsverbotes verstrichene Zeit vermag dieses Kriterium nur unwesentlich zu verstärken. Den somit insgesamt bloß geringfügig größer gewordenen privaten Interessen des Beschwerdeführers stehen die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes gegenüber, die von solchem Gewicht sind, daß nicht gesagt werden kann, die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen schwerer als die nachteiligen Folgen der Aufhebung dieser Maßnahme.
5. Aus dem Gesagten folgt, daß dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet. Die Beschwerde war demnach gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994180091.X00Im RIS seit
20.11.2000