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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers
Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates Tirol vom 20. Juni 1994, Zl. 1/25-2/1994, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit und Soziales), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 5. April 1994 wurde der Beschwerdeführer wegen dreier Verstöße gegen das AuslBG schuldig erkannt und zur Zahlung von Geldstrafen in der Höhe von insgesamt S 15.000,-- verurteilt.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer laut im Akt erliegenden Rückschein am 29. April 1994 durch Hinterlegung zugestellt.
In seiner dagegen erhobenen, am 18. Mai 1994 zur Post gegebenen Berufung führte der Beschwerdeführer zu deren Rechtzeitigkeit aus:
"Der Berufungswerber befand sich bis einschließlich 5. Mai 1994 auf Urlaub und war ortsabwesend. Als er am 5. Mai 1994 vom Urlaub zurückkehrte, fand er in seinem Briefkasten die Hinterlegungsanzeige. Am darauffolgenden Tage, nämlich am 6. Mai 1994 behob der Berufungswerber das Straferkenntnis. Sohin hat der Berufungswerber erst seit dem 6. Mai 1994 Kenntnis über das gegenständliche Straferkenntnis. Die Berufung ist daher rechtzeitig eingebracht (§ 17 Abs. 3 ZustellG)."
Zur Überprüfung der Rechtzeitigkeit seines Rechtsmittels forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer am 26. Mai 1994 auf, folgende Fragen zu beantworten:
"1. Haben Sie sich zum Zeitpunkt der Zustellung nicht regelmäßig an der Abgabestelle (Zustellort) aufgehalten?
2. Waren Sie zum Zeitpunkt der Zustellung vorübergehend kurz von der Abgabestelle (Zustellort) abwesend, sodaß Sie vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnten?
3. Wann sind Sie an die Abgabestelle (Zustellort) wieder zurückgekehrt?
4. Wann haben Sie das hinterlegte Schriftstück beim Postamt in Empfang genommen?
Sollten Sie einen der in den Punkten 1. und 2. aufgezeigten Umstände geltend machen, hätten Sie dies durch Angabe von Zeugen oder sonstigen Beweismitteln glaubhaft zu machen."
Diese Anfrage beantwortete der Beschwerdeführer mit seiner "Mitteilung" vom 31. Mai 1994, in welcher er sein bereits in der Berufung erstattetes Vorbringen im wesentlichen wiederholte und hinzufügte:
"... Da der Berufungswerber erst am 5. Mai 1994 von seinem Urlaub rückkehrte und das Straferkenntnis am 6. Mai 1994 in Empfang genommen hat, ist die eingebrachte Berufung rechtzeitig. Eine eingebrachte Berufung bis spätestens 20. Mai 1994 wäre daher rechtzeitig gewesen. Die Berufung ist am 18. Mai 1994 eingebracht worden und ist daher rechtzeitig.
Beweis: K."
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. Juni 1994 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG als verspätet zurück. Begründend berief sich die belangte Behörde auf höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach mit der bloßen Behauptung einer Ortsabwesenheit ohne nähere Angaben und Anbot von Beweismitteln das Vorliegen einer unwirksamen Hinterlegung nicht dargetan werden könne. Es sei daher davon auszugehen, daß die postamtliche Hinterlegung am 29. April 1994 die Wirkung einer gültigen Zustellung gehabt habe, weshalb die Berufung bis längstens 13. Mai 1994 zu erheben gewesen wäre. Die am 18. Mai 1994 erhobene Berufung sei daher verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen. Gemäß § 17 Abs. 2 ZustellG ist von der Hinterlegung der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
Auch im Ermittlungsverfahren zur Feststellung des für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels maßgebenden Sachverhaltes hat die Behörde gemäß § 39 Abs. 2 AVG nach dem Grundsatz der Amtswegigkeit vorzugehen. Der Umstand, daß der Zustellempfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle von einem Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, ist von der Behörde von Amts wegen zu prüfen.
Eine derartige Prüfung hat die belangte Behörde mit ihrem Vorhalt vom 26. Mai 1994 in die Wege geleitet, zumal der Beschwerdeführer bereits in der Berufung Ortsabwesenheit im Zeitpunkt der Hinterlegung behauptet hatte. Eine Frage, wo der Beschwerdeführer den behaupteten Urlaub verbracht habe, wurde ihm hiebei nicht gestellt. In seiner Mitteilung vom 31. Mai 1994 hat der Beschwerdeführer dann die Behauptung einer urlaubsbedingten Abwesenheit wiederholt, und er hat dazu seine Einvernahme als Beweismittel angeboten.
Gemäß § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des Falles zweckdienlich ist. Auch die Einvernahme einer Partei ist daher ein taugliches Beweismittel. Die belangte Behörde hat sich aber der Aufgabe, den Beschwerdeführer zur behaupteten Ortsabwesenheit einzuvernehmen, nicht unterzogen, und sie hat auch nicht - was bei Zweifeln an der Glaubwürdigkeit angebracht gewesen wäre - eine anderweitige Ermittlungstätigkeit dahin entfaltet, ob der Beschwerdeführer tatsächlich ortsabwesend gewesen ist, wo er sich aufgehalten hat und wann er an die Abgabestelle zurückgekehrt ist.
Die entscheidende Frage, ob die Zustellung durch Hinterlegung am 29. April 1994 wirksam gewesen ist, ist daher letztlich offen geblieben. Bei dieser Sachlage war die belangte Behörde aber nicht berechtigt, von einer Verspätung der Berufung auszugehen und dieses Rechtsmittel zurückzuweisen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich aus diesen Gründen als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 und 59 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers
Schlagworte
Beweismittel Beschuldigtenverantwortung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ParteienvernehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994090213.X00Im RIS seit
11.07.2001