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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Keine Stattgabe der Anfechtung einer Gemeinderatswahl; Verbreitung nichtamtlicher Stimmzettel im Zuge der Wahlwerbung kein Teil des Wahlverfahrens; Wahlanfechtung mangels Behauptung über die Zahl der angeblich ungültigen Stimmzettel nicht ausreichend substantiiertSpruch
Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Bescheid vom 25. März 1991 (Beschluß der Landesregierung: 19. März), ZII/1-303-91, löste die Niederösterreichische Landesregierung den Gemeinderat der Gemeinde Gartenbrunn, Verwaltungsbezirk Mistelbach, gemäß §94 Abs2 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-5 (inzwischen - nach einer Druckfehlerberichtigung - 1000-6), auf. Die Auflösung wurde unter der Nummer 1485/50-0 im Landesgesetzblatt kundgemacht (darin wird als Bescheiddatum der 19. März 1991 angegeben).
1.1.2. Am 15. September 1991 fand die mit Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. März 1991, LGBl. 0350/59-0, ausgeschriebene Neuwahl zum Gemeinderat der Gemeinde Gartenbrunn statt.
Dieser Wahl lagen von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und von der Liste Unterstinkenbrunn eingebrachte, von der Gemeindewahlbehörde überprüfte und gemäß §34 der NÖ Gemeindewahlordnung 1974 (GWO), LGBl. 0350-6, veröffentlichte Wahlvorschläge zugrunde.
1.1.3. Laut Feststellung der Gemeindewahlbehörde entfielen von den 707 abgegebenen gültigen Stimmen - 406 wurden als ungültig gewertet - auf die
ÖVP 606 (17 Mandate),
SPÖ 89 ( 2 Mandate),
FPÖ 12 ( 0 Mandate),
Liste Unterstinkenbrunn 0 ( 0 Mandate).
Dieses Wahlergebnis wurde am 16. September 1991 kundgemacht.
1.2.1. Als zustellungsbevollmächtigter Vertreter der Liste Unterstinkenbrunn erhob F P am 27. September 1991 gemäß §57 GWO (Administrativ-)Beschwerde an die Landes-Hauptwahlbehörde beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Er führte aus, es seien mehr als 74 Stimmzettel als gültig für die ÖVP gewertet worden, die nicht die Bezeichnung dieser Partei, sondern den Namen ihres Spitzenkandidaten mit dem Zusatz "Bgm." als Abkürzung für dessen Funktion (Bürgermeister) enthielten. Aus §46 Abs4 GWO ergebe sich aber, daß gedruckte Stimmzettel, die Worte, Bemerkungen oder Zeichen neben einer Bewerberbezeichnung (nicht aber neben einer Parteibezeichnung) aufweisen, ungültig seien. Überdies sei "Bürgermeister" keine Berufsangabe iSd §29 Abs2 Z2 GWO. Da derartige Namensstimmzettel öffentlich aufgelegt und verteilt worden seien, könnten auch Wähler, die diese Zettel nicht verwendeten, in ihrem Wahlverhalten beeinflußt worden sein; die Wahl müsse daher ab dem Beginn der Stimmabgabe für ungültig erklärt werden.
1.2.2. Die Landes-Hauptwahlbehörde beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gab mit ihrem Bescheid vom 30. Oktober 1991, ZII/1-303/5-91, der Wahlanfechtung nicht statt.
§46 Abs4 GWO sei so auszulegen, daß Stimmzettel, die nur den Namen eines Bewerbers der gewählten Parteiliste unzweideutig dartun, auch dann gültig seien, wenn die Abkürzung einer Funktionsbezeichnung beigefügt sei. Überdies könne aber die behauptete Rechtswidrigkeit keinen Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt haben. Selbst wenn man nämlich die 60 abgegebenen Stimmzettel der beschriebenen Art als ungültig werte, ergebe sich daraus keine Veränderung des Mandatsstandes, sondern nur - auf Grund des Wahlpunkteermittlungsverfahrens (§54 GWO) - eine Umstellung unter den ersten drei auf der Liste der ÖVP gewählten Wahlwerbern.
1.3.1.1. Mit der vorliegenden, auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtung beantragt die Liste Unterstinkenbrunn, "der Verfassungsgerichtshof wolle . . . das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Gartenbrunn vom 15. September 1991 vom Beginn der Stimmabgabe an als rechtswidrig aufheben".
1.3.1.2. Begründend bringt die Anfechtungswerberin dazu - gerafft wiedergegeben - vor, §46 Abs4 GWO sei so auszulegen, daß Stimmzettel mit Worten, Bemerkungen oder Zeichen, die weder eine deutliche Bezeichnung einer Partei noch den Namen eines Bewerbers darstellten, nur bei handschriftlicher Ausfüllung gültig seien. Vorgedruckte Stimmzettel, die bloß den Namen eines Bewerbers (nicht aber die Bezeichnung einer Partei) und weitere Worte, Bemerkungen oder Zeichen enthielten, seien ungültig. Für die Stimmzettel der schon geschilderten Art (so. 1.2.1.) gelte dies umso mehr, als die Bezeichnung "Bgm." als Abkürzung für "Bürgermeister" keine Berufs-, sondern nur eine Funktionsbezeichnung sei (vgl. VfSlg. 9085/1981). Daß derartige Stimmzettel öffentlich auflagen, könne auch Wähler, die sie nicht verwendeten, in ihrer Wahlentscheidung beeinflußt haben. Die Wahl müsse daher ab dem Beginn der Stimmabgabe aufgehoben werden. Die Anfechtungswerberin räumt ein, daß sich das Wahlergebnis nicht änderte, würden nur die beschriebenen Stimmzettel für ungültig erklärt, das Abstimmungsverfahren aber nicht wiederholt.
1.3.2. Die Landes-Hauptwahlbehörde beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung legte die Wahlakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin, die Wahlanfechtung als unbegründet abzuweisen.
Sie bestritt, daß die von der Anfechtungswerberin gewählte Auslegung des §46 Abs4 GWO richtig sei, und meinte, die Bezeichnung "Bgm." sei weder ein Wort noch eine Bemerkung noch ein Zeichen iS dieser Bestimmung. Daß Stimmzettel der beschriebenen Art "öffentlich auflagen", sei der Wahlwerbung der Parteien zuzurechnen und werde von der GWO nicht erfaßt; diese Werbung sei kein Teil des Wahlverfahrens.
2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
2.1.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 11732/1988). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
2.1.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden.
2.1.1.3. Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Gartenbrunn beim Verfassungsgerichtshof ausschließenden Instanzenzug sieht §57 Abs1 und 2 GWO vor. Danach kann die Wahl binnen vierzehn Tagen nach Verlautbarung des Wahlergebnisses ua. vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei, die rechtzeitig einen Wahlvorschlag vorgelegt hat, mit Beschwerde bekämpft werden, und zwar "sowohl wegen behaupteter Unrichtigkeit der Ermittlung als auch wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren".
Über die bei der Gemeindewahlbehörde schriftlich zu erhebende Beschwerde entscheidet in erster und letzter Instanz die Landes-Hauptwahlbehörde (§57 Abs6 GWO).
2.1.2.1. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt 1.2. ergibt, wurde die von F P am 27. September 1991 gemäß §57 GWO wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erhobene Beschwerde mit Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde vom 30. Oktober 1991 als unbegründet abgewiesen.
2.1.2.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der Gemeinderatswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist somit der 31. Oktober 1991, das ist der Tag der Zustellung des Bescheids der Landes-Hauptwahlbehörde an die rechtsfreundlichen Vertreter F P's.
Die am 28. November 1991 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Wahlanfechtungsschrift ist also rechtzeitig.
2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
2.2.1. Die GWO kennt nichtamtliche Stimmzettel sowie amtliche leere Stimmzettel, die in der Wahlzelle aufgelegt werden müssen (§37 Abs2 letzter Satz GWO; vgl. VfSlg. 7731/1975). Die bemängelten Stimmzettel sind nichtamtliche Stimmzettel, die im Zuge der Wahlwerbung verbreitet worden waren (vgl. VfGH 8.10.1990 WI-3/90). Selbst wenn sie ungültig sein sollten, bleibt es einer Wählergruppe unbenommen, im Zuge der Wahlwerbung auch solche Zettel als Werbematerial zu verbreiten. Die Landes-Hauptwahlbehörde ist daher im Recht, wenn sie meint, die Verbreitung dieser Stimmzettel sei der Wahlwerbung zuzurechnen und kein Teil des Wahlverfahrens.
2.2.2. Die Liste Unterstinkenbrunn wendet sich auch dagegen, daß Stimmzettel in nicht genannter Zahl - wie sie meint: zu Unrecht - als gültig angesehen wurden.
In der Administrativbeschwerde (S 4) sprach der zustellungsbevollmächtigte Vertreter der anfechtenden Wählergruppe zwar von "mehr als 74", ds. mindestens 75 als ungültig reklamierten Stimmen. In der Wahlanfechtung selbst wurden aber gar keine Behauptungen über die Zahl der angeblich ungültigen Stimmzettel aufgestellt, sodaß sie insoweit nicht ausreichend substantiiert ist (vgl. zB VfSlg. 9441/1982, 9650/1983, 10217/1984, 10226/1984, 11255/1987).
2.2.3. Die Wahlanfechtung war daher als unbegründet abzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Wahlen, StimmzettelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:WI16.1991Dokumentnummer
JFT_10079385_91W0I016_00