TE Vwgh Erkenntnis 1994/10/20 94/06/0136

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Veröffentlicht am 20.10.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des H in B, vertreten durch R als vom Bezirksgericht Bregenz zu SW 8/85 gemäß § 273 ABGB bestellter Sachwalter, dieser vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 3. Juni 1984, Zl. II 4101-6-94, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bausache (mitbeteiligte Parteien: 1) Stadtgemeinde Dornbirn, vertreten durch den Bürgermeister, 2) K in X), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem Vorbringen in der Beschwerde, dem vorgelegten angefochtenen Bescheid sowie aus dem vom Pflegschaftsgericht über Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofes übermittelten Beschluß betreffend die Bestellung des Sachwalters (SW 8/85-167 des Bezirksgerichtes Bregenz) ergibt sich:

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Liegenschaft in Dornbirn. Mit Bescheid vom 8. November 1993 erteilte der Bürgermeister der Stadt Dornbirn dem Nachbarn des Beschwerdeführers die Baubewilligung für den Umbau bzw. für die Umwidmung des bestehenden Dachraumes zu Wohnraum und für die Errichtung von überdachten Autoabstellplätzen auf einem näher bezeichneten Grundstück. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 16. November 1993 zugestellt. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers berichtete dem Sachwalter des Beschwerdeführers (diesem war mit Beschluß des Bezirksgerichtes Bregenz vom 8. Oktober 1990, SW 8/85-167, ein Sachwalter gemäß § 273 Abs. 3 Z. 2 ABGB unter anderem zur Vertretung vor Behörden und Ämtern, sowie vor Gerichten bestellt worden) mit Schreiben vom 17. November 1993 und ersuchte um Mitteilung, ob berufen werden solle oder nicht. Da sich der Sachwalter innerhalb der Berufungsfrist nicht mit dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in Verbindung setzte, ging der Vertreter davon aus, daß keine Berufung zu erheben sei. Am 9. Dezember 1993 kontaktierte der Beschwerdeführer den Rechtsvertreter und erkundigte sich über den Stand des Bauverfahrens, wobei ihm berichtet wurde, daß der genannte Bescheid vom 8. November 1993 "vor längerer Zeit" zugestellt, und daß dagegen kein Rechtsmittel erhoben worden sei, "weil keines gewünscht worden sei". Daraufhin erklärte der Beschwerdeführer "seinem Rechtsvertreter", daß er von diesem Bescheid nichts wisse und jedenfalls ein Rechtsmittel erheben werde. Am 20. Dezember 1993 teilte der Sachwalter dem Rechtsvertreter mit, daß er das Berichtsschreiben vom 17. November 1993 gar nicht erhalten habe und ihm daher der Bescheid vom 8. November 1993 nicht bekannt sei. Gestützt auf dieses Vorbringen und unter Anführung entsprechender Bescheinigungsmittel beantragte der Beschwerdeführer (durch seinen Vertreter) mit dem am 23. Dezember 1993 zur Post gegebenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid vom 8. November 1993 und führte zugleich die Berufung aus. Mit Bescheid vom 30. Dezember 1993 wies die Baubehörde erster Instanz den Wiedereinsetzungsantrag ab. Die dagegen erhobene Berufung wurde von der Berufungskommission in Bauangelegenheiten der Stadt mit Bescheid vom 3. Februar 1994 als unbegründet abgewiesen (und die Berufung als verspätet zurückgewiesen).

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Gesetzeslage aus, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Wiedereinsetzungsgrund nach § 71 Abs. 1 lit. a AVG nur dann vorliegen könne, wenn das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis für die Fristversäumung kausal gewesen sei, weiters, daß bei Bestehen eines Bevollmächtigungsverhältnisses der Bevollmächtigte dem Mandanten gleichzuhalten sei. Sei also der Bevollmächtigte nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert, die Frist einzuhalten, so sei eine allfällige Verhinderung des Gewaltgebers allein für die Fristversäumnis im allgemeinen nicht kausal, also auch nicht geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund darzustellen. Im vorliegenden Fall berufe sich der Beschwerdeführer in Wahrheit darauf, daß das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis in dem durch die damalige Situation zwangsläufig herbeigeführten Irrtum seines Bevollmächtigten über eine Untersagung der Einbringung der Berufung durch konkludente Handlung bestehe (verwiesen werde auf § 863 ABGB). Tatsache sei, daß der Beschwerdeführer während des Laufes der Berufungsfrist für die Einbringung der Berufung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten gewesen sei, dessen Vollmacht die Einbringung der Berufung gedeckt hätte. Ein Hindernis, trotz "offener Vollmacht" die Berufung einzubringen, hätte allenfalls darin gelegen sein können, daß der Gewaltgeber im Innenverhältnis dem Gewalthaber die Einbringung dieses Rechtsmittels ohne seine vorherige ausdrückliche Zustimmung untersagt hätte (verwiesen wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. 9.463/A). Solches sei aber nicht behauptet worden. Im vorliegenden Fall liege auch keine Untersagung der Einbringung der Berufung durch konkludente Handlungen vor, und zwar schon deshalb nicht, weil eine konkludente Handlung vorausgesetzt hätte, daß dem Beschwerdeführer das Schreiben des Bevollmächtigten innerhalb der Rechtsmittelfrist zugekommen wäre. Die zentrale Frage im gegenständlichen Fall sei somit, ob der Irrtum des Bevollmächtigten darüber, daß der Beschwerdeführer keine Berufung wünsche, als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG anzusehen und ob er unverschuldet sei. Die belangte Behörde schließe sich hiebei den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes "in einem sehr ähnlichen Fall" an, in dem ausgeführt worden sei, daß die Rückfrage des Bevollmächtigten beim Gewaltgeber ein Hilfsmittel für die interne Willensbildung des Bevollmächtigten darstelle. Es werde auch im gegenständlichen Fall nicht behauptet, daß diese Rückfrage dem Bevollmächtigen im Innenverhältnis bindend aufgelegt gewesen wäre, geschweige denn in der Form, daß ein Stillschweigen des Mandanten als ein Verbot der Rechtsmittelerhebung anzusehen gewesen wäre. Wenn der Bevollmächtigte dennoch diesen Weg gewählt habe, dann müsse das damit verbundene Risiko eines Fehlschlages dem Beschwerdeführer zugerechnet werden. Darin, daß der Bevollmächtigte bei seiner Anfrage, ob er ein Rechtsmittel einbringen solle, eine angesichts der Befristung des Rechtsmittels von vornherein mit einem Fehlerrisiko - insbesondere dem der mangelhaften Zustellung der Anfrage - behaftete Form gewählt habe, dem Stillschweigen des Mandanten eine bestimmte Deutung beizumessen, könne kein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG erblickt werden (verwiesen wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1980, Zl. 3.315/78). Was den Grad des Verschuldens anbelange, so sei die belangte Behörde nicht der Auffassung des Beschwerdeführers, daß es sich in diesem Falle nur um einen minderen Grad des Versehens handle und die von der Berufungskommission zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr aktuell sei. Bei der Ausführung, daß sich die Mandanten, wenn sie ein Rechtsmittel erheben wollten, immer rechtzeitig melden würden, werde übersehen, daß der erstinstanzliche Bescheid überhaupt nur dem Bevollmächtigten zugestellt worden sei, sodaß das Risiko der Nichtzustellung ungleich schwerer wiege. Die belangte Behörde teile die Ansicht der Berufungskommission, daß die unterlassene Rückfrage bzw. eine Unterlassung der Einbringung der Berufung nicht nur als ein minderer Grad des Versehens angesehen werden könne. Im übrigen gehe der Verwaltungsgerichtshof auch in seiner Judikatur zur neuen Fassung des § 71 Abs. 1 lit. a AVG von einer erhöhten Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes aus (verwiesen wird auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 1991, Zl. VB ZfVb 1992/6/2.200); insbesondere werde "im genannten Erkenntnis" auch ausgesprochen, daß die Prüfungspflicht des Rechtsanwaltes nicht vom Grad der Verläßlichkeit seines Mandanten abhängen könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen

inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG ist der Partei, der durch die Versäumung einer Frist einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Auch die Beschwerde enthält keine Behauptung dahingehend, daß die vom Beschwerdeführer (durch den Sachwalter) dem Rechtsvertreter erteilte Vollmacht auf das Verfahren erster Instanz eingeschränkt oder ihm die Erhebung einer Berufung ohne ausdrückliche Weisung sogar untersagt worden wäre. War aber der Rechtsvertreter demnach auch zur Erhebung der Berufung ermächtigt, so hinderte ihn der Umstand, daß diesbezüglich - so die Behauptung - aufgrund eines Versehens nicht noch vorher ein Kontakt mit dem Sachwalter hergestellt werden konnte, nicht daran, die Berufungsfrist einzuhalten (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 1985,

Zlen. 84/11/0002-0004, vom 29. April 1993, Zlen. 93/12/0030, 0031, 0035 wie auch vom 26. Jänner 1994, Zlen. 93/01/1372, 1373). Dem Rechtsvertreter hätte im übrigen auch bewußt sein müssen, daß eine auf das Schreiben unterbliebene Reaktion des Sachwalters ihre Ursache (auch bei einer richtigen Adressierung) nicht nur darin hätte haben können, daß der Sachwalter nicht beabsichtige, eine Berufung zu erheben, sondern allenfalls auch darauf zurückzuführen sein könnte, daß ihn die Sendung, beispielsweise wegen seiner Ortsabwesenheit oder aber auch wegen eines Versehens in der Sphäre des Sachwalters nicht erreicht habe; dessen ungeachtet hat er es unterlassen, vorsorglich Berufung zu erheben (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1982, Zlen. 81/02/0085, 0091 und vom 16. Februar 1983, Zl. 82/03/0055 wie auch den bereits zitierten Beschluß vom 26. Jänner 1994). Auf die Frage, ob das Berichtschreiben am Postweg verloren ging oder nicht, wie auch auf die Zuverlässigkeit der österreichischen Post kommt es nicht entscheidend an; maßgeblich ist vielmehr: Wenn die Berufungsfrist versäumt worden ist, obwohl der Rechtsfreund an einer Einhaltung der Frist nicht gehindert war, so muß dies der Beschwerdeführer gegen sich gelten lassen (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9.226/A wie auch abermals den bereits genannten Beschluß vom 26. Jänner 1994). Da somit kein Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG an der Einhaltung der Frist bestand, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob den Rechtsvertreter ein Verschulden trifft. Demnach hat die belangte Behörde - jedenfalls im Ergebnis - die Vorstellung zutreffend als unbegründet abgewiesen.

Da somit die Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994060136.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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