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43/01 Wehrrecht allgemein;Norm
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2 idF 1992/690;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 22. April 1994, Zl. 740.060/1-2.7/93, betreffend Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 17. Februar 1993 auf Befreiung von der Präsenzdienstpflicht gemäß § 36a Abs. 1 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 in der Fassung BGBl. Nr. 690/1992 (WG) abgewiesen.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschrifen und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 36a Abs. 1 Z. 2 WG können taugliche Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
Die belangte Behörde anerkannte das Vorliegen wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung im Hinblick auf die von ihm geführten Betriebe - das ist ein von ihm Anfang 1993 übernommener Weinbaubetrieb mit Weingärten im Ausmaß von ca. 8 ha, den der Beschwerdeführer bereits seit 1988 pachtweise führte und der bis dahin von seinem Vater geführt worden war, weiters ein Gastronomiebetrieb, der vorher von seiner Mutter geführt wurde, und schließlich ein Weinhandelsbetrieb. Die belangte Behörde erachtete aber die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers als nicht besonders rücksichtswürdig im Sinne des Gesetzes, weil der Beschwerdeführer bei der Übernahme der Betriebe die ihm als Wehrpflichtigem obliegende Harmonisierungspflicht verletzt habe. Zur Vorbereitung auf ein College und für ein Hochschulstudium sei ihm der Antritt des Grundwehrdienstes zweimal aufgeschoben worden, zuletzt mit Bescheid vom 10. Oktober 1988 bis 15. Mai 1993. Der Beschwerdeführer sei in einem Anhang zu diesem Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß er mit seiner Einberufung zur Leistung des Grundwehrdienstes ab dem Juli-Termin 1993 zu rechnen habe. Dessen ungeachtet habe er die elterlichen Betriebe übernommen. Ein zwingender Grund hiefür sei nicht ersichtlich. Die ins Treffen geführte Unterstützungsbedürftigkeit des Vaters des Beschwerdeführers aufgrund dessen festgestellter gesundheitsbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 % könne an der rechtlichen Beurteilung nichts ändern. Zu dessen Unterstützung seien nämlich nicht nur der Beschwerdeführer, sondern auch die übrigen Familienmitglieder im Rahmen ihrer Möglichkeiten berufen, und zwar neben der Mutter des Beschwerdeführers auch seine beiden Geschwister und seine Ehefrau. Es wäre Sache des Vaters des Beschwerdeführers gewesen, diesen Personen die für die Mithilfe im Weinbaubetrieb erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln.
Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, das gänzliche Ausscheiden seiner Eltern aus dem Landwirtschafts- und dem Gastronomiebetrieb sei für ihn ein zwingender, unvorhersehbarer Grund zur Übernahme dieser Betriebe gewesen. Eine Dispositionsmöglichkeit habe für ihn gar nicht bestanden. Aufgrund des Ausscheidens seiner Eltern habe er auch sein Studium abbrechen müssen. Verfehlt sei weiters die Annahme, sein Vater hätte durch die übrigen Familienmitglieder ausreichend unterstützt werden können, sowie der Hinweis der Behörde auf eine Dipositionspflicht der Familienangehörigen und eine über den Bereich des Unterhaltsrechtes hinausgehende Beistandspflicht. Im übrigen wäre ihnen die erforderliche Unterstützung seines Vaters gar nicht möglich und zumutbar. So sei die Schwester des Beschwerdeführers Lehrerin, sein Bruder als Offizier des Österreichischen Bundesheeres überwiegend im Ausland tätig. Die Ehefrau des Beschwerdeführers befinde sich im Karenzurlaub und habe ein Kleinkind zu betreuen. Alle diese Personen - wie auch seine Mutter - besäßen außerdem nicht die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen in der Landwirtschaft. Sie seien daher nicht in der Lage, anstelle des Vaters den Landwirtschaftsbetrieb zu führen. Die belangte Behörde hätte aufgrund der betrieblichen Unabkömmlichkeit des Beschwerdeführers die begehrte Befreiung aussprechen müssen.
Nach der von der belangten Behörde zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Wehrpflichtiger seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, daß für den Fall seiner Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden und nicht etwa durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder durch das Eingehen finanzieller Verpflichtungen erst geschaffen werden. Den Wehrpflichtigen trifft also die Verpflichtung, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Wehrpflicht zu harmonisieren. Verletzt er diese Harmonisierungspflicht, können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig angesehen werden. Von einer Verletzung der Harmonisierungspflicht in diesem Sinn kann allerdings unter anderem dann nicht gesprochen werden, wenn der Wehrpflichtige ohne die Pachtung des Betriebes seiner Eltern wegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen zu befreien gewesen wäre, weil der Wehrpflichtige in diesem Falle durch die Pachtung des Betriebes die für den Fall der Einberufung vorhersehbaren Schwierigkeiten keineswegs vergrößert oder gar erst geschaffen hätte, wären sie doch auch sonst ebenso unvermeidlich gewesen, auch wenn es sich dabei nicht - wie aufgrund der Pachtung - um eigene wirtschaftliche Interessen des Wehrpflichtigen gehandelt hätte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1991, Zl. 90/11/0183 mit weiteren Judikaturhinweisen).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage entspricht die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe durch die Übernahme des Weinbaubetriebes und des Gastronomiebetriebes ohne zwingenden Grund die ihm obliegende Harmonisierungspflicht verletzt, dem Gesetz. (Die Annahme einer Verletzung der Harmonisierungspflicht hinsichtlich seines (nach der Aktenlage offenbar von ihm selbst, und zwar während eines Aufschubes aufgebauten) Weinvertriebes wird vom Beschwerdeführer - zu Recht - nicht bekämpft).
Der Einwand des Beschwerdeführers, er sei zur Übernahme der elterlichen Betriebe wegen des Ausscheidens seiner Eltern gezwungen gewesen, läßt außer acht, daß es nicht bloß auf die Tatsache des Ausscheidens, sondern auf den Grund hiefür ankommt. Dies zeigt schon die Überlegung, daß es andernfalls in der Hand eines Wehrpflichtigen und seiner Eltern läge, (gegebenenfalls so wie im Beschwerdefall vor dem Ende eines Aufschubes aus dem betreffenden Betrieb auszuscheiden und diesen dem Wehrpflichtigen zu übertragen oder an ihn zu verpachten, um so einen Befreiungsgrund zu schaffen. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob das Ausscheiden der Eltern des Beschwerdeführers auf Umständen beruhte, unter denen ihnen die vorläufige Weiterführung des jeweiligen Betriebes - allenfalls mit Unterstützung der übrigen Familienmitglieder - unmöglich oder unzumutbar war. Dafür fehlt jedoch ein Anhaltspunkt. Die Beschwerde tritt der Annahme der belangten Behörde, ein schlüssiger Grund für das Ausscheiden der Eltern des Beschwerdeführers aus den von ihnen geführten Betrieben (zu den jeweiligen Zeitpunkten) sei nicht erkennbar, nicht entgegen und auch der Aktenlage ist kein derartiger Grund zu entnehmen.
Hinsichtlich ihrer Annahme, der Beschwerdeführer wäre auch im Falle der Fortführung des Weinbaubetriebes durch seinen Vater nicht aufgrund familiärer Interessen zu befreien gewesen, hat die belangte Behörde zu Recht auf jene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen, wonach nicht nur der zur Leistung des Präsenzdienstes heranstehende Wehrpflichtige, sondern auch die übrigen Familienmitglieder zur Unterstützung des Angehörigen, der auf die Mithilfe des wehrpflichtigen Sohnes angewiesen ist, verpflichtet sind (vgl. die Erkenntnisse vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120, und vom 1. Dezember 1992, Zl. 92/11/0110). Soweit die Beschwerde eine solche Unterstützungspflicht der Familienangehörigen zu bestreiten scheint, ist ihr diese Rechtsprechung entgegenzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt weiters in ständiger Rechtsprechung (vgl. die Erkenntnisse vom 28. Juni 1988, Zl. 88/11/0040, und vom 1. Dezember 1992, Zl. 92/11/0113 mit weiterem Judikaturhinweis), daß auch der auf die Unterstützung durch den Wehrpflichtigen angewiesene Elternteil bei seinen wirtschaftlichen Dispositionen auf dessen Wehrpflicht entsprechend Bedacht zu nehmen hat und daß andernfalls kein besonders rücksichtswürdiges familiäres Interesse im Sinnes des Gesetzes vorliegt.
Im gegebenen Zusammenhang geht es nicht um die Möglichkeit, den übrigen Familienangehörigen die zur Führung des Weinbaubetriebes erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln (dessen Führung obläge ja weiterhin dem Vater des Beschwerdeführers), sondern darum, ob es diesen Familienangehörigen möglich und zumutbar wäre, den Vater während der präsenzdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers in dem aufgrund seines Gesundheitszustandes erforderlichen Umfang zu unterstützen. Dabei handelt es sich laut der von der belangten Behörde eingeholten Stellungnahme eines Militärarztes vom 29. September 1993 insbesondere um die Ausführung schwerer körperlicher Tätigkeiten. In welchem Ausmaß aber solche Tätigkeiten im Weinbaubetrieb anfallen, ist dem angefochtenen Bescheid ebensowenig zu entnehmen wie das Ausmaß der den übrigen Familienmitgliedern möglichen und zumutbaren Mitarbeit im Weinbaubetrieb. Hiebei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß zum einen nach den Ermittlungsergebnissen der Bruder des Beschwerdeführers vorwiegend im Ausland tätig ist und es zum anderen fraglich erscheint, ob die in Betracht kommenden weiblichen Familienangehörigen tatsächlich jene schweren körperlichen Tätigkeiten leisten könnten, die dem Vater des Beschwerdeführers aufgrund des festgestellten Gesundheitszustandes nicht mehr zuzumuten sind. Solange zur aufgezeigten Fragestellung konkrete Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen werden, ist es für den Verwaltungsgerichtshof nicht in ausreichendem Maße nachvollziehbar, daß die Aufrechterhaltung des Weinbaubetriebes durch den Vater des Beschwerdeführers in der von der Behörde angenommenen Weise möglich wäre.
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 und 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß die Umsatzsteuer mit der Zuerkennung des Schriftsatzaufwandes zur Gänze abgegolten ist und Stempelgebührenersatz nur für eine Kopie des angefochtenen Bescheides zuzusprechen ist, da weitere Beilagen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994110174.X00Im RIS seit
14.01.2001