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95 TechnikNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Aufhebung der Regelung über die Einverleibungsgebühr für Mitglieder der Ingenieurkammer in der Umlagenordnung 1989 der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland mangels gesetzlicher Deckung einer Staffelung der Gebührenhöhe nach dem EintrittsalterSpruch
Der Punkt I.5. "Einverleibungsgebühr" der Umlagenordnung 1989, beschlossen von der Vollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland am 21. November 1988, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer im zu B29/91 protokollierten Anlaßverfahren ist als Architekt Mitglied der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Zum Zeitpunkt der Verleihung der Befugnisse eines Architekten hatte er das 56. Lebensjahr überschritten.
Mit Bescheid vom 15. November 1990 hat der Vorstand der genannten Kammer die vom Beschwerdeführer zu entrichtende Einverleibungsgebühr mit S 122.304,-- festgesetzt.
Dagegen richtet sich die Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm (des Punktes I.5. der Umlagenordnung 1989) in seinen Rechten beschwert erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde am 13. Dezember 1991 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit des Punktes I.5. "Einverleibungsgebühr" der Umlagenordnung 1989, beschlossen von der Vollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland am 21. November 1988, von Amts wegen zu prüfen.
3. Im Verordnungsprüfungsverfahren hat die Vollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland in einer Äußerung die in Prüfung gezogene Regelung verteidigt, jedoch keine Anträge gestellt. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als zuständige oberste Behörde des Bundes hat keine Äußerung abgegeben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach dem genannten Beschluß der Vollversammlung über die Umlagenordnung 1989 haben die Kammermitglieder gemäß §45 Ingenieurkammergesetz unter anderem eine Einverleibungsgebühr zu leisten. Der die Einverleibungsgebühr regelnde Punkt I.5. der Umlagenordnung 1989 lautet:
"5. Einverleibungsgebühr
5.1. soferne vor dem Eintrittsjahr das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet war, beträgt diese das 10-fache der zum Zeitpunkt der Befugnisverleihung geltenden Zeitgrundgebühr
5.2. für jedes begonnene weitere Lebensjahr erhöht sich die Einverleibungsgebühr bis zum vollendeten 40. Lebensjahr um das 3-fache
5.3. für jedes begonnene weitere Lebensjahr erhöht sich die Einverleibungsgebühr bis zum vollendeten 50. Lebensjahr um das 7-fache
5.4. für jedes begonnene weitere Lebensjahr erhöht sich die Einverleibungsgebühr bis zum vollendeten 55. Lebensjahr um das 13-fache
5.5. und bis zum vollendeten 60. Lebensjahr um das 32-fache der zum Zeitpunkt der Befugnisverleihung geltenden Zeitgrundgebühr."
Die Umlagenordnung 1989 wurde allen Kammermitgliedern zugesandt bzw. neuen Kammermitgliedern bei ihrer Eintragung ausgefolgt (vgl. hiezu VfSlg. 10602/1985).
Der so kundgemachten Bestimmung kommt Verordnungscharakter zu; sie stellt im Anlaßverfahren die Rechtsgrundlage für die Berechnung der Höhe der Einverleibungsgebühr im dort angefochtenen Bescheid dar.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat seine Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Regelung wie folgt dargelegt:
"Nach dem letzten Satz des §45 Abs1 IngenieurkammerG, BGBl. 71/1969, ist (u.a.) die Einverleibungsgebühr unter Bedachtnahme auf den Jahresvoranschlag und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesamtheit der Kammermitglieder in angemessener Höhe festzusetzen.
Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß die Einverleibungsgebühr ihrer Art nach - anders als Gebühren für Leistungen oder Mitgliedsbeiträge - einen einmaligen Beitrag gleichsam als Eintrittsgebühr darstellt, welche allgemein der Abgeltung der mit einer Mitgliedschaft bei der Ingenieurkammer verbundenen Vorteile dient. Bei einer solchen Art von Gebühr scheint aber der Verordnungsgeber nicht ermächtigt zu sein, eine Staffelung der Gebührenhöhe vorzunehmen, schon gar nicht nach dem Eintrittsalter des Mitgliedes.
Die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung scheint also ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden zu sein."
3. Die Vollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland führt in ihrer Äußerung folgendes aus:
"Der Verfassungsgerichtshof geht in seinen vorläufigen Annahmen zutreffend davon aus, daß die Einverleibungsgebühr allgemein der Abgeltung der mit der Mitgliedschaft bei der Ingenieurkammer verbundenen Vorteile dient.
Unter Berücksichtigung von Studiendauer und nachzuweisender Praxiszeit nach dem Studienabschluß liegt das übliche Eintrittsalter von technischen Akademikern, die sich zur Berufsausübung als Ziviltechniker entschließen, zwischen 30 und 35 Jahren. Ab diesem Zeitpunkt tragen die Mitglieder durch ihre jährlich zu leistenden Kammerumlagen mit aufrechter oder auch ruhender Befugnis dazu bei, daß die mit einer Kammermitgliedschaft verbundenen Vorteile durch die Interessenvertretung verwirklicht bzw. laufend verbessert werden können. Hier sei besonders auf die Anhebung der Gebühren, die Schaffung neuer Gebührenordnungen, den Abschluß von Vereinbarungen mit großen Auftraggebergruppen, die Ausweitung der Tätigkeitsbereiche der Ziviltechnikerschaft oder auch die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Berufshaftpflichtversicherung und ähnliches verwiesen.
Geht man davon aus, daß ein technischer Akademiker seinen Beruf als Angestellter ausübt, ohne zunächst eine Mitgliedschaft bei der Kammer anzustreben und sich ein anderer technischer Akademiker trotz seiner Mitgliedschaft zur Ingenieurkammer entschließt in einem Angestelltenverhältnis zu verbleiben und daher seine Befugnis ruhend zu melden, so trägt letzterer zur Verbesserung der Situation des Berufsstandes durch seine Umlagenzahlungen laufend bei. Entschließen sich beide nach beispielsweise 15 Berufsjahren, die Befugnis im ersten Fall zu erwerben und auszuüben und im zweiten Fall die Ausübung anzumelden, so finden beide Personen die gleichen Startbedingungen vor. Der Unterscheid, der allerdings besteht, liegt darin, daß der bisher angestellte Nichtziviltechniker keinerlei Beitragsleistungen an die Standesvertretung erbracht hat, der andere angestellte Ziviltechniker aber sehr wohl. Diese Benachteiligung des angestellten Ziviltechnikers - wobei davon ausgegangen werden kann, daß die Einkommen beider Personen während ihrer Tätigkeit als Angestellte gleich hoch waren, der Besitz einer Befugnis hat bei der kollektivvertraglichen Einstufung keine Bedeutung - soll durch die unterschiedliche Höhe der Einverleibungsgebühr gemindert werden.
Zur Verdeutlichung sei ein weiteres Beispiel erwähnt, das zwar von einer gesetzlich unerlaubten freiberuflichen Betätigung ausgeht, die aber bedauerlicherweise im Bereich der Architektur verhältnismäßig häufig anzutreffen ist: ein unbefugt tätiger technischer Akademiker, der keinerlei Beiträge zur Standesvertretung bezahlt, aber über von der Standesvertretung angestrengte Verwaltungsstrafverfahren oder Klagen nach dem UWG nach Jahren dazu gebracht werden kann, durch Erwerb einer Befugnis einen gesetzmäßigen Zustand herzustellen, wäre gegenüber gesetzestreuen, befugten Personen bei gleicher Höhe der Einverleibungsgebühr nicht unbeträchtlich bevorzugt.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es sich somit aus der Sicht des Verordnungsgebers um keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung aus dem Grunde des Alters, sondern darum handelte, ungleiches nicht gleich zu behandeln, was dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung widersprechen würde. Der Verordnungsgeber hat somit dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend gehandelt und ihn über eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen des Alters gestellt, da einzig über eine altersmäßige Differenzierung der gewünschte Effekt der Gleichbehandlung zu erzielen war."
4. Die Vollversammlung der Ingenieurkammer versucht in ihrer Äußerung an den Verfassungsgerichtshof darzustellen, daß die in Prüfung gezogene Regelung sachlich sei. Abgesehen davon, daß - wenn die Einverleibungsgebühr allgemein der Abgeltung der mit der Mitgliedschaft bei der Ingenieurkammer verbundenen Vorteile dient - das in einem späteren Lebensalter eintretende Mitglied diese Vorteile im allgemeinen nur für einen kürzeren Zeitraum in Anspruch nehmen kann, trifft dies nicht die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes.
Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich keine Bedenken in Richtung einer mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbarenden Differenzierung geäußert. Er hat (lediglich) eine gesetzliche Grundlage dafür vermißt, daß bei einem einmaligen Beitrag von der Art der Einverleibungsgebühr seitens des Verordnungsgebers überhaupt eine Staffelung der Gebührenhöhe (im speziellen auch nicht eine solche nach dem Eintrittsalter) vorgenommen werden kann. Darauf geht aber die Vollversammlung der Ingenieurkammer in ihrem Schriftsatz nicht ein.
Da im verfassungsgerichtlichen Verfahren auch sonst keine gesetzliche Grundlage für die Staffelung der Einverleibungsgebühr hervorgekommen ist, wird die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben.
5. Der Ausspruch über die unverzügliche Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt durch die zuständige oberste Behörde des Bundes beruht auf Art139 Abs5 B-VG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ziviltechniker, Ingenieurkammer, Einverleibungsgebühr, Gebühr (Einverleibung Ingenieurkammer)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:V317.1991Dokumentnummer
JFT_10079385_91V00317_00