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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
ABGB §1452;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 16. April 1992, Zl. MD-VfR - B XXIII - 2/90, betreffend einen baupolizeilichen Beseitigungsauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.880,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 340/3, V-Gasse 17. Der Nachbarin J gehört das links an das gegenständliche Grundstück angrenzende Grundstück Nr. 339/2 (V-Gasse 15). Am 12. April 1976 suchte der Beschwerdeführer um die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines fundierten Zaunsockels u.a. an der seitlichen Grundstücksgrenze zur genannten Nachbarin an. Die Nachbarin erklärte mit Schreiben vom 10. April 1976, mit der Errichtung einer in Höhe von 0 bis 1 m verlaufenden, gemauerten Einfriedung auf dem Grundstück des Beschwerdeführers einverstanden zu sein. Sie wurde allerdings zur Bauverhandlung vom 12. Mai 1976 nicht geladen.
Mit Bescheid vom 18. Mai 1976 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, die Bewilligung, nach dem mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plan an der linken und an der hinteren Grundgrenze eine fundierte Einfriedung herzustellen. Gemäß § 128 Abs. 1 der BauO für Wien wurde vom Erfordernis einer Benützungsbewilligung für die bauliche Herstellung Abstand genommen. Der vidierte Plan weist entlang der 20,42 m langen, gerade verlaufenden Grundstücksgrenze die 25 cm breite Einfriedung aus.
Auf dem im Akt erliegenden Bescheid betreffend die erteilte Baubewilligung befindet sich der baubehördliche Stempelaufdruck vom 2. Oktober 1978: "Plangemäß ausgeführt Bedingungen erfüllt".
Am 25. Juli 1989 zeigte die Nachbarin dem Magistrat der Stadt Wien, MA 37, u.a. an, daß bei der Freilegung der Grenze zum Beschwerdeführer an seiner Grenzmauer eklatante Schäden festgestellt worden seien. Das Fundament seiner Betonmauer befinde sich zentimeterweit auf ihrem Grundstück; auch ihr Maschenzaun sei einbetoniert worden. Die "Mauer" neige sich teilweise zu ihrem Grundstück und bröckle ab.
Der nach Durchführung einer Verhandlung von der MA 37 mit Bescheid vom 17. August 1989 erteilte Beseitigungsauftrag, betreffend u.a. vorschriftswidrige Teile des Fundaments der Betonmauer, wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. September 1989 gemäß § 66 Abs. 2 AVG wegen unzureichender Konkretisierung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Baubehörde erster Instanz zurückverwiesen.
Am 26. September 1989 legte die Nachbarin ein Vermessensgutachten des Dipl. Ing. Dr. H.M. vom 25. September 1989 vor, welches den Grenzverlauf zwischen den beiden Liegenschaften betraf. Der Gutachter verwies auf einen von ihm erstellten Teilungsplan vom 26. August 1987, aus dem sich auch dieser Grenzverlauf ergebe. Anläßlich der Bescheiderlassung seitens des Vermessungsamtes sei dieser Grenzverlauf in den Grenzkataster umgewandelt worden. Daraus sei mit absoluter Sicherheit abzuleiten, daß entweder die Zustimmung des Beschwerdeführers zum Grenzverlauf vorgelegen oder kein Einspruch des Beschwerdeführers im Zuge des Verfahrens beim Vermessungsamt Wien hinsichtlich des konkreten Grenzverlaufes erhoben worden sei. Die Kontrolle des Punktes 22 an der Baulinie der V-Gasse bzw. des östlichen Grenzpunktes 35 durch eine neuerliche Vermessung in der Natur habe eine Übereinstimmung dieser Koordinaten mit den Koordinaten seines Teilungsplanes innerhalb der seitens der Vermessungsverordnung vorgesehenen Toleranzen ergeben. Eine detailierte Aufnahme des Mauerverlaufes zwischen den Punkten 22 und 35 habe eine Ausbuchtung der auf dem Grundstück 340/3 befindlichen Mauer gegen das Grundstück 339/2 in einem Ausmaß bis zu 7 cm gezeigt. Dazu wurde eine Detailskizze vorgelegt, welche allerdings keinen Maßstab enthält. Daraus sind einerseits der geradlinige Grenzverlauf zwischen den Punkten 35 und 22 und andererseits die Meßpunkte (offenbar an der Mauer) Nr. 18, 16, 14 und 23 erkennbar.
Anläßlich der im zweiten Rechtsgang von der MA 37 durchgeführten Verhandlung vom 1. Dezember 1989 wurde festgestellt, daß an der linken Grundgrenze eine fundierte Einfriedung hergestellt worden sei (Bescheid vom 18. Mai 1976). Unter Zugrundelegung des Vermessungsprotokolles von Dipl. Ing. Dr. H.M. weise die Einfriedungsmauer gegen das Nachbargrundstück Ausbuchtungen bis zu 7 cm auf.
Der bei der Verhandlung einschreitende Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erklärte, der vorgelegte Vermessungsplan sei unrichtig. Es sei nicht ersichtlich, wo die tatsächliche Grundgrenze in der Natur gelegen sei. Aus dem Plan gingen in keiner Weise Vermessungstoleranzen hervor. Er beantragte, durch Augenschein festzustellen, daß die straßenseitig gelegene Mauer 4 cm links der linken Kante der Begrenzungsmauer ende, sowie daß der Zaun der Nachbarin am Ende der gegenständlichen Liegenschaft 6,5 cm links der gegenständlichen Begrenzungsmauer errichtet sei. Der Zaun der Nachbarin habe 1976 die Markierung der unstrittigen Grenze dargestellt.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 1989 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, MA 37, dem Beschwerdeführer den Auftrag, innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Zustellung des Bescheides die ca. 20,40 m lange Einfriedungsmauer an der linken Grundgrenze, die Ausbuchtungen in einer unterschiedlichen Weite bis zu 7 cm gegen die Nachbarliegenschaft aufweise, zu beseitigen.
In seiner dagegen erstatteten Berufung führte der Beschwerdeführer u.a. aus, daß der Grenzpunkt am Zusammenstoß der straßenseitigen Einfriedungen um etwa 4 cm weiter links als in der Skizze des Gutachters angegeben liege; am östlichen Ende werde eine Abweichung von 6,5 cm nicht wiedergegeben, was sich in der Skizze ebenfalls zu Ungunsten des Beschwerdeführers auswirke. Bei Beachtung dieser Endpunkte wäre mit größter Wahrscheinlichkeit eine Grenzverletzung nicht mehr gegeben oder sie läge in der Größenordnung von wenigen Zentimetern. 1976 sei die Grenze durch einen bereits bestehenden und noch vorhandenen Maschenzaun der Nachbarin markiert worden; die Einfriedung des Beschwerdeführers weise zu den Stehern des Nachbarzaunes einen Abstand von einigen Zentimetern auf. Zum Zeitpunkt der Vermessung am 19. August 1987 sei die Errichtung der Mauer längst abgeschlossen gewesen und völlig unverändert gegenüber dem Zeitpunkt der Errichtung im Jahr 1976 geblieben. Veränderungen hätten sich erst ab Juni 1989 durch die Anschüttungen am Grund der Nachbarin ergeben. Zur Beseitigung der Einfriedung des Beschwerdeführers wäre der Abbau des Nachbarzaunes und die Entfernung der Anschüttung erforderlich.
In der Folge wurde der Baubewilligungsbescheid vom 18. Mai 1976 der Nachbarin am 11. April 1990 zugestellt. Sie erhob dagegen mit der Begründung Berufung, daß sie keine Vorladung bekommen hätte und die Einfriedung nicht auf der bewilligten Stelle errichtet worden sei; diesbezüglich verwies sie auf die Vermessung des Geometers. Dieser Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 5. Juli 1990 keine Folge. Die Einwendung, die Einfriedung sei nicht an der bewilligten Stelle errichtet worden, sei nicht zielführend, da das Baubewilligungsverfahren auch dann, wenn das zu bewilligende Vorhaben tatsächlich bereits ausgeführt sei, ein Projektgenehmigungsverfahren darstelle. Maßgebend sei somit nicht das in der Natur vorhandene Bauwerk, sondern jenes Bauwerk, das nach den Einreichplänen errichtet werden solle. Nach Plan und Bescheid aber solle die Bauführung ausschließlich auf der Liegenschaft des Beschwerdeführers erfolgen; eine allfällig Abweichung vom Konsens sei nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens, sondern des ohnehin anhängigen Auftragsverfahrens.
Mit Schreiben vom 4. April 1991 teilte die MA 37 der belangten Behörde mit, daß ausführungs- und längenmäßig die fundierte Einfriedung laut Einreichplan errichtet worden sei. Die Einfriedung sei mit Schalsteinmauerwerk ausgeführt. Sollten die Ausbuchtungen abgeschrämmt werden, verbleibe nach Entfernung der Mantelstärke des Schalsteines ein Betonkern von ca. 13 cm. Dadurch würde die Standsicherheit der Einfriedung nicht mehr gegeben sein. Eine Verstärkung der Mauer sei zwar technisch möglich, würde aber einen wirtschaftlich nicht zu vertretenden Aufwand erfordern.
Auf Ersuchen der belangten Behörde erstattete ein Amtssachverständiger des Magistrates der Stadt Wien, MA 41, am 28. Oktober 1991 ein Gutachten, dem er eine (gleichfalls nicht maßstabsgerechte) Skizze beilegte. In diesem Gutachten heißt es:
"Im beiliegendem Auszug aus dem Grundstücksverzeichnis ist das Grundstück 339/2 durch den Buchstaben "G" gekennzeichnet. Dies bedeutet, daß das genannte Grundstück in den Grenzkataster aufgenommen worden ist, was nur nach einer nicht negativen Stellungnahme der Anrainer zum Grenzverlauf möglich gewesen ist. Als Grundlage für die Aufnahme dieses Grundstücks in den Grenzkataster diente der Teilungsplan des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen H.M. mit der GZ 11229. ...
Als Meßpunkte hat die MA 41-Stadtvermessung die auf dem Teilungsplan des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen H.M. mit der GZ 11229 mit 22 und 35 bezeichneten Punkte, sowie die auf der dem Schreiben desselben Ingenieurkonsulenten vom 25. September 1989 beigelegten Skizze mit 23, 14, 16 und 18 bezeichneten Punkte verwendet. Laut Teilungsplan und Grenzkataster ist die Grundstücksgrenze zwischen den Punkten 22 und 35 eine Gerade. Es wurde daher zuerst die unveränderte Lage dieser beiden Punkte durch das Messen der Frontmaße zum Punkt 22 und des Abstandes zwischen den Punkten 22 und 35 festgestellt. Die in der Natur zwischen den Punkten 22 und 35 verlaufende fundierte Einfriedung verläuft nicht wie es der Kataster zeigt geradlinig, sondern hat eine relative Abweichung auf das Grundstück 339/2 gegenüber der geradlinigen Grundstücksgrenze. Die von der MA 41-Stadtvermessung durch zweimalige Messung festgestellten Abweichungen der Mauer bis maximal 51 mm gegenüber der geradlinigen Grundstücksgrenze sind auf Beilage 1, einer Skizze zur Grenzfeststellung, eingetragen worden.
Als abschließendes Ergebnis stellt daher die MA 41-Stadtvermessung fest, daß durch die Meßergebnisse sowohl des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen H.M. als auch der MA 41-Stadtvermessung, die innerhalb der nach der Vermessungsverordnung liegenden Toleranz liegen, als gesichert anzunehmen ist, daß die an der genannten Grundstücksgrenze errichtete Mauer in einer Größenordnung bis zum 5 cm auf dem Grundstück 339/2 steht, obwohl sie sich zur Gänze auf dem Grundstück 340/3 befinden sollte."
Zu diesen Ermittlungsergebnissen führte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 1991 u. a. aus, am straßenseitigen Ende der maßgebenden Grenzlinie habe die Einfriedung des Beschwerdeführers wegen eines über die Grundgrenze ragenden Zaunstehers der Nachbarin unmittelbar hinter der straßenseitigen Einfriedung um 4 cm zurückspringen müssen, um der Nachbarin damals die aufwendige Beseitigung dieses Zaunstehers zu ersparen. Zur Zeit der Errichtung der Einfriedung habe laut Vermessungsplan von Dipl. Ing. A. der Zaun der Nachbarin die Grenzlinie markiert. In einem lokalen Koordinatensystem seien die entsprechenden Koordinaten festgehalten worden. Am straßenfernen Ende sei die Einfriedung des Beschwerdeführers etwa 6 bis 7 cm vom Nachbarzaun abgerückt worden, um Platz für eine Schalung zu gewinnen, ohne den Nachbarzaun abtragen zu müssen. Die Skizze der MA 41 stelle die längs der Grenzlinie angenommenen Polygonpunkte nicht maßstäblich dar. Es sei zwar einsichtig, daß die Maßstäbe längs der beiden Koordinatenachsen differieren müßten, jedoch solle die Darstellung längs einer Achse jeweils im gleichen Maßstab sein. Dann wäre zu sehen, daß die Einfriedung an sich gerade sei und nur an den Enden zurückspringe. Ausgehend vom Zaun der Nachbarin wäre keinerlei Grenzüberschreitung gegeben; dadurch, daß statt der früheren Markierung die einige Zentimeter entfernte Einfriedung des Beschwerdeführers im Grenzkataster verankert worden sei, sei eine Situation hergestellt worden, welche von der davor bestandenen abweiche und sich zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirke. Da eine entsprechende Grenzverhandlung nicht stattgefunden habe, werde er eine Wiederaufnahme des Verfahrens beim Vermessungsamt beantragen und ersuchen, die Entscheidung im baupolizeilichen Verfahren bis zum Vorliegen eines entsprechenden Bescheides aufzuschieben.
Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Bescheid der Behörde erster Instanz vom 1. Dezember 1989 dahingehend ab, daß der Spruch lautete:
"Der Magistrat erteilt gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien dem Eigentümer des Hauses und der Liegenschaft, V. Gasse ONr.17, EZ 5651 und der Einfriedung an der linken Grundgrenze dieser Liegenschaft nachstehenden Auftrag:
Innerhalb einer Frist von 12 Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides sind die auf der Grundstücknummer 339/2 der
Liegenschaft EZ 1970 (siehe die beiliegende Skizze ... vom
18. November 1991, die einen Bestandteil dieses Bescheides bildet) reichenden Ausbuchtungen des Fundamentes der Einfriedung zu beseitigen und es ist die Einfriedung mit einer Sockelstärke von 25 cm entsprechend der Baubewilligung vom
18. Mai 1976, ... bestätigt durch den Berufungsbescheid der
Bauoberbehörde für Wien vom 5. Juli 1990,
MDR - B XXIII - 26/90, herzustellen."
In der Begründung wurde ausgeführt, der Einreichplan für die Einfriedung, den die MA 37 in ihrem Bescheid vom 18. Mai 1976 zugrundelegte, habe an der linken Grundgrenze eine geradlinige Einfriedung auf dem Grundstück 340/3 des Beschwerdeführers vorgesehen. Der Verlauf dieser Grundgrenze sei im maßgeblichen Zeitpunkt, somit bei Erlassung des Bescheides der Bauoberbehörde für Wien vom 5. Juli 1990 bereits durch den Teilungsplan des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen Dipl. Ing. Dr. H.M. vom 26. August 1987 bestimmt gewesen, welcher als Grundlage für die Aufnahme des Grundstückes 339/2 in den Grenzkataster gedient habe. Da nach den unbedenklichen Feststellungen der MA 41-Stadtvermessung die tatsächlich vorhandene Einfriedung die Grundgrenze in einem Ausmaß, wie in der Skizze dargestellt, überrage, entspreche sie nicht der Baubewilligung, welche eine Bauführung ausschließlich auf dem eigenen Grund des Bauwerbers vorgesehen habe. Gem § 129 Abs. 10 der BauO für Wien sei der Beschwerdeführer als Eigentümer der Einfriedung zur Behebung dieser Konsenswidrigkeit verpflichtet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich u.a. in seinem Recht darauf verletzt, daß ihm nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 129 Abs. 10 BauO für Wien ein baubehördlicher Auftrag erteilt werde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 18/1976 (im folgenden: BO), lautet:
"Abweichungen von den Bauvorschriften sind zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. In Schutzzonen sind überdies Abweichungen von den Bebauungsbestimmungen im Bebauungsplan, für die eine Baubewilligung weder nachgewiesen noch infolge des erinnerlichen Bestandes des Gebäudes vermutet werden kann, zu beheben und die Gebäude und baulichen Ziergegenstände in stilgerechten und den Bebauungsbestimmungen enstprechenden Zustand zu versetzen. Lassen sich Art und Umfang von vermuteten Abweichungen von den Bauvorschriften nicht durch bloßen Augenschein feststellen, ist der Eigentümer (jeder Miteigentümer) eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage verpflichtet, über das Vorliegen der vermuteten Abweichungen und gegebenenfalls über deren Art und Umfang den Befund eines Sachverständigen vorzulegen. Der dem Befund zugrunde gelegte Sachverhalt muß durch die Behörde überprüfbar sein."
Bei konsensloser Bauführung darf nach ständiger hg. Rechtsprechung ein Beseitigungsauftrag nur erlassen werden, wenn im Zeitpunkt der Errichtung und im Zeitpunkt des Auftrages Bewilligungspflicht bestand und keine Baubewilligung vorlag (vgl. die bei Geude-Hauer, Wiener Bauvorschriften, 506, wiedergegebenen Nachweise aus der hg. Judikatur). Im Beschwerdefall ist zunächst die Frage zu klären, ob die seinerzeitige Ausführung dem damals geltenden Konsens, also der damals im Verhältnis zwischen Bauwerber und Baubehörde aufrechten Baubewilligung entsprach. Eine andere Betrachtung wäre nur dann geboten, wenn (etwa) die Berufung eines Nachbarn erfolgreich zur Abweisung des Bauansuchens geführt hätte und somit der Konsens (ex tunc) aus dem Rechtsbestand beseitigt worden wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag zunächst die Auffassung der belangten Behörde nicht zu teilen, daß im Beschwerdefall durch die Abweisung der Berufung jene Grundbesitzverhältnisse maßgebend gewesen seien, die im Jahre 1990 gegeben waren. Die belangte Behörde hat nämlich übersehen, daß der Bauwerber aufgrund der 1976 erteilten Baubewilligung das Bauvorhaben ausführen durfte, woran auch die im Jahre 1990 erfolgte Abweisung der Berufung der Nachbarin nichts änderte, weil das von der Behörde erster Instanz bewilligte Projekt unverändert blieb; eingereicht wurde aber ein Plan, dem die damals geltenden Grenzen zugrunde lagen.
Eine Konsenswidrigkeit als Grundlage des baupolizeilichen Auftrages nahm die Behörde ja auch deshalb an, weil die Baubewilligung eine Bauführung ausschließlich auf eigenem Grund des Beschwerdeführers deckte; aufgrund ihres Beweisverfahrens gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, daß wegen der festgestellten Ausbuchtung die Grundgrenze um bis zu 5 cm überschritten werde. Dabei ging die belangte Behörde von der Verbindlichkeit des Grenzkatasters (§ 8 Z. 1 Vermessungsgesetz, BGBl. Nr. 306/1968) aus; der Beschwerdeführer behauptet allerdings, daß die Umwandlung des Grundsteuerkatasters in einen Grenzkataster erst mit einem Bescheid des Vermessungsamtes Wien vom 10. März 1992 erfolgt sei, welchen er mit Berufung bekämpft habe. Die Behörde nahm offenbar - ein Bescheid oder sonstiger Verwaltungsakt des Vermessungsamtes ist hier nicht aktenkundig - einen gültigen Grenzkataster seit dem Teilungsplan aus 1987 an, mit welchem der Grenzverlauf (zwischen den Punkten 22 und 35) festgelegt worden sei.
Da aber das eingereichte Projekt 1976 bewilligt und auch damals ausgeführt wurde, kann der jedenfalls erst später durch den Grenzkataster bestimmte Grenzverlauf zur Beurteilung der Konsenswidrigkeit nicht herangezogen werden. Vielmehr hätte die Behörde unter Bedachtnahme auf die vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen die Vorfrage (§ 38 AVG; vgl. etwa hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1989, Zl. 88/05/0189 ff) klären müssen, wie DAMALS die Grenze verlief und ob diese Grenze durch die Ausführung überschritten wurde.
Weiters wird als Vorfrage gemäß § 38 AVG zu klären sein, ob nicht Eigentumserwerb gemäß § 418 dritter Satz ABGB durch die Bauführung erfolgte. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann nämlich der Grenzüberbau zum Eigentumserwerb am Nachbargrund führen (Spielbüchler in Rummel, Kommentar zum ABGB I2, Rz 9 zu § 418). Während der Oberste Gerichtshof früher (unter Hinweis auf Klang in Klang, Kommentar zum ABGB2/II, 291) offenbar allein auf die Kenntnis des Grundeigentümers von der Bauführung abstellte (siehe beispielsweise EvBl 1967/301), auch wenn der Grundeigentümer über die Berechtigung des Bauführers im Irrtum war (JBl 1969, 340), so wird nunmehr gefordert, daß der Grundeigentümer den Bauführer bauen läßt, obwohl er weiß, daß er auf fremden Grund baut (EvBl 1975, 261); es wird also gefordert, daß der Grundeigentümer in Kenntnis seines eigenen Rechtes zusieht, wie dem Bauführer aus Unkenntnis dieses Rechtes Nachteile zu erwachsen drohen (JBl. 1989, 582).
Im vorliegenden Fall wußte die Nachbarin nicht nur von der Bauführung, sie erteilte sogar ausdrücklich ihre Zustimmung. Ob sie allerdings auch mit einer allfälligen Grenzüberschreitung einverstanden war, steht keinesfalls fest, sodaß die analoge Anwendung der §§ 415f ABGB (Miteigentum) in Betracht zu ziehen ist (Spielbüchler aaO).
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß nur die Ersitzung von Teilen eines im Grenzkataster enthaltenen Grundstückes (§ 50 Vermessungsgesetz) ausgeschlossen ist, nicht andere Erwerbsvorgänge, wie etwa nach § 418 ABGB (Angst, Das neue Vermessungsgesetz, ÖJZ 1969, 339).
Jedenfalls belastete die belangte Behörde dadurch, daß sie trotz entsprechender Behauptungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren den Grenzverlauf im Jahr 1976 nicht feststellte, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG).
Im fortgesetzen Verfahren wird die belangte Behörde daher zunächst erheben müssen, ob tatsächlich eine Konsenswidrigkeit durch Überschreitung der im Zeitpunkt der Errichtung bestehenden Grenze vorlag. Dabei wird zu beachten sein, daß ein Amtsvermerk die plangemäße Errichtung bestätigt; der Beschwerdeführer wird gehalten sein, einen von ihm genannten Vermessungsplan des Dipl. Ing. A. vorzulegen. Sollte sich eine Grenzüberschreitung herausstellen, müssen die Eigentumsverhältnisse geklärt werden. Sollte sich der durch die Punkte 22 und 35 bestimmte Grenzverlauf heraustellen, müßte noch festgestellt werden, ob sich die Abweichung durch Ausbuchtung nicht in dem Rahmen hält, den § 7 Vermessungsverordnung (BGBl. Nr. 181/1976) als Fehlergrenze vorsieht; schließlich bleibt zu prüfen, ob die Strichstärke im Plan allenfalls die Abweichung deckt.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1992050122.X00Im RIS seit
29.01.2002Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010