TE Vwgh Erkenntnis 1994/10/28 93/17/0399

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Veröffentlicht am 28.10.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
21/05 Börse;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
BAO §93;
BörseG 1989 §19 Abs2;
FinStrG §82;
FinStrG §83;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerde der L-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Generalsekretärs der Wiener Börsekammer vom 13. Oktober 1993, Zl. 6534-6558/93, betreffend Ruhen der Mitgliedschaft zur Wiener Wertpapierbörse, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Wiener Börsekammer hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Spruch des angefochtenen, an die Beschwerdeführerin gerichteten Bescheides des Generalsekretärs der Wiener Börsekammer vom 13. Oktober 1993 lautet:

"Über Ihre Gesellschaft wird das Ruhen der Mitgliedschaft zur Wiener Wertpapierbörse ausgesprochen."

In der Begründung dieses Bescheides heißt es im wesentlichen, am 13. September 1993 habe der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin und die Vertreter der Ersten österreichischen Spar-Casse - Bank AG übereinstimmend mitgeteilt, daß die Beschwerdeführerin der Ersten östereichischen Spar-Casse - Bank bzw. der Ersten Invest-Consult Gesellschaft m.b.H. rund 20 Millionen Schilling an Differenzschaden schulde. Nachdem eine in Aussicht genommene Vereinbarung bis 6. Oktober 1993 nicht getroffen worden sei, sei der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 7. Oktober 1993 eine Frist bis 13. Oktober 1993, 10.00 Uhr, gegeben worden, eine Vereinbarung über die Regelung der Schulden an die Erste österreichische Spar-Casse - Bank AG nachzuweisen. Am 13. Oktober 1993 sei mitgeteilt worden, daß das Sanierungskonzept nicht akzeptiert worden sei. Es sei sowohl dem Geschäftsführer als auch dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, daß nunmehr das Ruhen ausgesprochen werden müsse.

Nach Ausführungen betreffend die Bilanz der Beschwerdeführerin und Hinweis auf die Bestimmung des § 19 Abs. 1 BörseG heißt es in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter, es sei offensichtlich, daß eine Schuld von S 20 Millionen die Beschwerdeführerin schwer überschulde und letztere, sofern nicht Kapital zugeführt oder die Schuld von S 20 Millionen von der Beschwerdeführerin "weggenommen" werde, konkursreif sei. Damit sei sowohl der Tatbestand des § 14 Abs. 1 als auch jener des § 18 "Abs." (richtig: Z.) 1 BörseG gegeben. Da sohin offenbar die Voraussetzungen für einen Ausschluß gegeben sein dürften, sei ein Ausschlußverfahren einzuleiten gewesen. Gemäß § 19 Abs. 2 BörseG könne der Präsident für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft verfügen. Mit Entschließung vom 20. August 1990, Kundmachung Nr. 927, habe der Präsident gemäß § 10 Abs. 3 BörseG dem Generalsekretär den Ausspruch des Ruhens der Mitgliedschaft der Mitglieder an der Wertpapier- und Warenbörse zur selbständigen Behandlung übertragen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt, daß das Ruhen ihrer Mitgliedschaft bei der Wiener Wertpapierbörse nicht ausgesprochen werde. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Wiener Börsekammer, vertreten durch den Präsidenten und den Generalsekretär, erstattete eine als "Stellungnahme" bezeichnete Gegenschrift.

Mit weiterem Schriftsatz vom 25. April 1994 brachte die Wiener Börsekammer, vertreten durch den Generalsekretär-Stellvertreter, zur Kenntnis, daß die Beschwerdeführerin mit Berufungsbescheid der Vollversammlung der Wiener Börsekammer vom 23. März 1994 als Mitglied der Wiener Wertpapierbörse ausgeschlossen worden sei.

Über Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes betreffend eine allfällige Gegenstandslosigkeit der vorliegenden Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 1. Juni 1994 vor, sie sei nicht klaglos gestellt; bei einer Aufhebung des Berufungsbescheides vom 23. März 1994 durch den Verwaltungsgerichtshof könnte der Bescheid über das Ruhen der Mitgliedschaft einer Aufnahme der Tätigkeit an der Wiener Börse entgegenstehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Börsegesetzes 1989, BGBl. Nr. 555 (BörseG), obliegt die Leitung und Verwaltung einer Börse einer mit Bundesgesetz als juristische Person des öffentlichen Rechts einzurichtenden Börsekammer.

Gemäß § 4 leg. cit. sind die Organe der Börsekammer

1.

die Vollversammlung;

2.

die nach § 6 einzurichtenden Ausschüsse der Vollversammlung;

3.

der Präsident.

Gemäß § 6 Abs. 2 BörseG ist an einer Börse nach § 1 Abs. 2 leg. cit. (Wertpapierbörse) unter anderem ein Kartenausschuß einzurichten, der für die Zulassung und den Ausschluß von Börsemitgliedern sowie für die Festsetzung von Kautionen und Sicherheiten zuständig ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. kann der Präsident Entscheidungen in Angelegenheiten, für die die Vollversammlung oder ein Ausschuß zuständig sind, treffen, sofern dadurch nicht das Statut geändert wird und wenn die zuständigen Organe nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden können und bei Unterbleiben einer sofortigen Entscheidung

1.

der Börse oder ihren Mitgliedern eine erhebliche Gefahr droht,

2.

die Börse oder ihre Mitglieder einen erheblichen Nachteil erleiden würden oder

3.

ein geordneter Börsehandel oder Interessen des anlagesuchenden Publikums gefährdet wären.

Gemäß § 14 leg. cit. darf die Zulassung als Börsemitglied nur erteilt werden, wenn

1.

keine Tatsachen vorliegen, die es zweifelhaft machen, daß der Antragsteller die für die Teilnahme am Börsehandel erforderliche Zuverlässigkeit besitzt,

...

Gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit. kann der Präsident im Interesse einer raschen und zweckmäßigen Geschäftsbehandlung und unter Bedachtnahme auf die Bedeutung der einzelnen Angelegenheiten dem Generalsekretär bestimmte Gruppen von Angelegenheiten zur selbständigen Behandlung übertragen; die Übertragung ist im Veröffentlichungsorgan der Börse zu verlautbaren. Der Präsident kann jedoch jede Angelegenheit, zu deren selbständigen Behandlung der Generalsekretär ermächtigt wurde, im Einzelfall an sich ziehen oder sich die Genehmigung der Entscheidung vorbehalten.

Gemäß § 18 Z. 1 leg. cit. sind die Börsemitglieder unter anderem verpflichtet, bei ihrer Geschäftstätigkeit die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes zu wahren.

Gemäß § 19 Abs. 1 leg. cit. sind Börsemitglieder auszuschließen, wenn

1.

bei ihnen die Zulassungsvoraussetzungen zum Zulassungszeitpunkt nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind,

2.

sie ihren Pflichten nicht nachkommen.

Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann der Präsident für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft verfügen.

Gemäß § 49 Abs. 1 BörseG ist die Wiener Börse zugleich Wertpapierbörse und allgemeine Warenbörse und wird von der Wiener Börsekammer geleitet und verwaltet. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist die Wiener Börsekammer eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 1.

Vorweg sei bemerkt, daß die Beschwerde nicht etwa deshalb zurückzuweisen war, weil als belangte Behörde darin die "Wiener Börsekammer" anstatt richtigerweise der "Generalsekretär der Wiener Börsekammer" genannt ist.

Welche Behörde belangte Behörde des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur aus der zutreffenden Bezeichnung der Behörde durch den Beschwerdeführer ersehen werden, sondern ist auch aus dem Inhalt der Beschwerde insgesamt und den der Beschwerde angeschlossenen Beilagen sowie aus der in dem Verwaltungsgerichtshof bekannten Rechtslage betreffenden Vollzugsbereich um die Behördenorganisation erschließbar. Jene Behörde ist Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, welche bei verständiger Wertung des gesamten Beschwerdevorbringens einschließlich der der Beschwerde angeschlossenen Beilagen als belangte Behörde zu erkennen ist (vgl. das gleichfalls die Wiener Börsekammer betreffende hg. Erkenntnis vom 23. September 1994,

Zlen. 94/17/0278, 0308, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).

Der Verwaltungsgerichtshof ist - ebenso wie im ähnlich gelagerten, mit dem zuletzt genannten Erkenntnis entschiedenen Fall - gerade unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei der Wiener Börsekammer nicht um eine Behörde (das heißt um ein bestimmte Merkmale aufweisendes ORGAN EINES RECHTSTRÄGERS), sondern um einen RECHTSTRÄGER handelt, der Auffassung, daß sich (insbesondere auf Grund des angeschlossenen angefochtenen Bescheides) die im Spruch dieses Erkenntnisses genannte Behörde als belangte Behörde eindeutig ergibt.

Zutreffend weist die Beschwerdeführerin in ihrer Äußerung vom 1. Juni 1994 zur Klaglosstellungsanfrage darauf hin, daß ihre Beschwer durch den ihren Ausschluß von der Mitgliedschaft aussprechenden Berufungsbescheid der Vollversammlung der Wiener Börsekammer vom 23. März 1994 nicht weggefallen ist. Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt nach Aufhebung eines angefochtenen Bescheides das Verfahren in jene Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte (ex-tunc-Wirkung). Sollte daher der Verwaltungsgerichtshof den genannten Berufungsbescheid zufolge der von der Beschwerdeführerin dagegen zur hg. Zl. 94/17/0295 eingebrachten Beschwerde aufheben, träte der Ausspruch über das gemäß § 19 Abs. 2 BörseG für die Dauer des Ausschlußverfahrens zu verfügende Ruhen der Mitgliedschaft wieder in Rechtswirksamkeit.

In ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin unter anderem geltend, der angefochtene Bescheid sei deshalb gesetzwidrig, weil er vom Generalsekretär erlassen worden sei. Die Entschließung vom 20. August 1990, Kundmachung Nr. 927, sei durch den bloßen Abdruck im Verordnungsblatt der Wiener Börse nicht ordnungsgemäß kundgemacht. Zur Widerlegung dieser Behauptung genügt der Hinweis auf die oben wiedergegebene Bestimmung des § 10 Abs. 3 BörseG.

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, es sei durch den angefochtenen Bescheid auch § 19 Abs. 2 BörseG verletzt, weil im Zeitpunkt der Bescheiderlassung überhaupt kein Ausschlußverfahren eingeleitet gewesen sei.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof gleichfalls im bereits mehrfach erwähnten Erkenntnis vom 23. September 1994, Zlen. 94/17/0278, 0308, dargetan hat, kommt nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts der Einleitung eines bestimmten Verfahrens dann Bescheidcharakter zu, wenn daran in anderen Rechtsvorschriften bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind bzw. damit eine rechtliche Voraussetzung für weitere Verwaltungsakte geschaffen wird. Danach ist auch die Vorschrift des § 19 Abs. 2 BörseG zu beurteilen. Obwohl in dieser Vorschrift die Einleitung des Ausschlußverfahrens nicht ausdrücklich geregelt ist, wird doch durch die Bezugnahme dieser Gesetzesstelle auf die "Dauer des Ausschlußverfahrens" dessen Einleitung logisch vorausgesetzt. Die dem Präsidenten der Börsekammer eingeräumte Möglichkeit, für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft zu verfügen, hat daher die Einleitung des Ausschlußverfahrens zur rechtlichen Voraussetzung, zumal auch für die Einleitung des Ausschlußverfahrens mangels einer abweichenden gesetzlichen Regelung eine andere Behörde, nämlich der Kartenausschuß, zuständig ist. Die Einleitung des Ausschlußverfahrens hat daher in Bescheidform zu ergehen, so wie dies zwar im damals zu entscheidenden, nicht jedoch auch im vorliegenden Beschwerdefall geschehen ist.

Wenn die Wiener Börsekammer in ihrer "Stellungnahme" vom 19. Jänner 1994 in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß es sich bei dem im § 19 Abs. 2 BörseG vorgesehenen Ruhen der Mitgliedschaft um eine Maßnahme handelt, die zum Schutze der übrigen Börsemitglieder und des anlagesuchenden Publikums unter Umständen innerhalb kürzester Zeit getroffen werden muß, und daß die Einberufung des Ausschusses eine gewisse Zeit erfordert, ist ihr zu erwidern, daß für diesen Fall die oben bereits zitierte Bestimmung des § 9 Abs. 3 BörseG eingreift. Danach kann der Präsident in Angelegenheiten für die die Vollversammlung oder ein Ausschluß zuständig sind, Entscheidungen treffen, sofern dadurch nicht das Statut geändert wird und wenn die zuständigen Organe nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden können.

Da im Beschwerdefall die bescheidmäßige Einleitung des Ausschlußverfahrens als gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung für die Entscheidung über das Ruhen der Mitgliedschaft fehlt, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen der Streitteile einzugehen war. Hiebei konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der von den Streitteilen beantragten Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch auf deren Art. III Abs. 2 (zur Frage der Eigenschaft der Wiener Börsekammer als "Rechtsträger" im Sinne des § 47 Abs. 5 VwGG vgl. gleichfalls das mehrfach zitierte Erkenntnis vom 23. September 1994 und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993170399.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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