TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/3 93/15/0001

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.1994
beobachten
merken

Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

EStG 1972 §19 Abs1;
EStG 1972 §22 Abs1 Z2 idF 1981/620;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerde der M in S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 8. Oktober 1992, Zl. B 20-3/92, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Einkommensteuer für das Jahr 1984, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war im Jahr 1984 Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Sie war am Stammkapital der Gesellschaft zunächst mit einem Anteil von 22,5 % beteiligt. Am 13. Dezember 1984 erwarb sie weitere Stammanteile und war sodann am Stammkapital mit einem Anteil von 50,02 % beteiligt. Das zur Gesellschaft bestehende Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin endete infolge Übertrittes in den Ruhestand am 2. September 1984.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1984 hatte die Beschwerdeführerin ihre Einkünfte als Geschäftsführer (darunter die Abfertigung von S 798.300,--) als solche aus nichtselbständiger Arbeit erklärt. Mit Bescheid des Finanzamtes vom 22. Jänner 1986 wurde die Beschwerdeführerin erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt, wobei das Finanzamt von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in der erklärten Höhe von S 610.650,-- ausging.

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 27. Jänner 1988 wurde das Verfahren betreffend die Einkomensteuer 1984 wiederaufgenommen und ein neuer Sachbescheid erlassen. Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft; sie sind nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde.

Mit Bescheid vom 14. August 1991 wurde das Verfahren betreffend die Einkommensteuer für 1984 neuerlich gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen. Mit dem gleichzeitig erlassenen neuen Sachbescheid schrieb das Finanzamt Einkommensteuer - insoweit abweichend vom aufgehobenen Bescheid - ausgehend von Einkünften aus selbständiger Arbeit in der Höhe von S 1,720.074,-- und Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in der Höhe von S 87.682,-- vor. Begründend wurde dargelegt, erst durch die Vorlage des Anteilbuches der Gesellschaft beim Finanzamt am 16. Oktober 1990 habe sich herausgestellt, daß die Beschwerdeführerin im Jahre 1984 mit mehr als 25 % am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sei. Die von der Gesellschaft bezogenen Einkünfte seien im Hinblick auf die wesentliche Beteiligung der Beschwerdeführerin nicht - wie bisher - als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sondern als Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 22 Abs. 1 Z. 2 EStG 1972 zu qualifizieren.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie führte aus, ihre wesentliche Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft sei dem Finanzamt schon auf Grund der Körperschaftsteuererklärung der Gesellschaft für das Jahr 1985 und des Jahresabschlusses 1984/1985 bekannt gewesen. Sie sei am 2. September 1984 in den Ruhestand getreten und habe zu diesem Zeitpunkt auch ihre Abfertigung bezogen. Eine wesentliche Beteiligung habe sie erst am 13. Dezember 1984 erworben. "Zumindest" wäre die Abfertigung dem halben Steuersatz zu unterziehen.

In ihrem nach Erlassung einer abweisenden Berufungsvorentscheidung gestellten Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß sie lediglich in der Zeit vom 13. Dezember bis 31. Dezember 1984 an der Gesellschaft wesentlich beteiligt gewesen sei. Aus dem Dienstverhältnis sei sie bereits am 2. September 1984 ausgeschieden. Unter Hinweis auf Literatur vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, dem Gesetz werde ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt, wenn der Erwerb einer wesentlichen Beteiligung auf die steuerliche Behandlung von Einkünften aus einem Dienstverhältnis rückwirke, das im Zeitpunkt des Erwerbes der Beteiligung bereits beendet gewesen sei. Das EStG 1988 stelle klar, daß eine solche Rückwirkung nicht einzutreten habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Wiederaufnahmsbescheid als unbegründet ab. Der Berufung gegen den neuen Sachbescheid gab die belangte Behörde nur insoweit Folge, als sie die von der Beschwerdeführerin bezogene Abfertigung in der Höhe von S 798.300,-- dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 37 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 unterzog. Nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage vertrat die belangte Behörde begründend die Auffassung, es sei aus der Sicht des jeweiligen Abgabenverfahrens zu beurteilen, ob ein Wiederaufnahmsgrund vorliege. Es hindere die Wiederaufnahme somit nicht, wenn bestimmte Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde in einem anderen Verfahren bereits vorgelegen seien. Sowohl der Hinweis der Beschwerdeführerin auf Vorgänge des Körperschaftsteuerverfahrens der Gesellschaft als auch jener auf Lohnsteuerprüfungen sei daher nicht zielführend. Unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bestehe ein öffentliches Interesse, materiell unrichtige durch materiell richtige Abgabenbescheide zu ersetzen. Umstände, die es rechtfertigten, aus Billigkeitsgründen von der Wiederaufnahme abzusehen, seien nicht ersichtlich. In der Sache vertrat die belangte Behörde die Auffassung, nach § 22 Abs. 1 Z. 2 EStG 1972 löse das Bestehen einer wesentlichen Beteiligung in irgendeinem Zeitpunkt des Veranlagungszeitraumes die Behandlung der im gesamten Zeitraum angefallenen Bezüge als Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit aus. Dies gelte auch für die Abfertigung, bei der erst die Auflösung des Arbeitsverhältnisses anspruchsbegründend sei.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 22 Abs. 1 Z. 2 zweiter und dritter Satz EStG 1972 idF des Abgabenänderungsgesetzes 1981, BGBl. Nr. 620/1980, sind Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit stets die Gehälter und sonstige Vergütungen jeder Art, die von einer Kapitalgesellschaft an wesentlich Beteiligte für ihre sonst alle Merkmale eines Dienstverhältnisses (§ 47 Abs. 3) aufweisende Beschäftigung gewährt werden. Eine Person ist dann wesentlich beteiligt, wenn ihr Anteil am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft in einem Zeitpunkt des Veranlagungszeitraumes mehr als 25 v.H. beträgt.

Zur zitierten Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 18. März 1991, Zl. 90/14/0009, unter Hinweis auf die herrschende Lehre (Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch2, § 22 Tz 38;

Schögl-Wiesner-Nolz-Kohler, EStG8, 200;

Dollak-Bauer-Simon-Zaussinger, EStG11 341) und unter ausdrücklicher Ablehnung gegenteiliger Meinungen (Gaier, RdW 1986, 156; Lechner, RdW 1986, 190; Weinberger, ÖStZ 1986,

266) die Auffassung vertreten, daß eine in irgendeinem Zeitpunkt eines bestimmten Veranlagungszeitraumes vorliegende - allenfalls nur kurzfristige - wesentliche Beteiligung am Stamm- oder Grundkapital einer Kapitalgesellschaft dazu führt, daß sämtliche im Veranlagungszeitraum von der Gesellschaft bezogenen Vergütungen des Gesellschafter-Geschäftsführers als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu qualifizieren sind. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Diese Auffassung hat der Gerichtshof in den Erkenntnissen vom 2. Mai 1991, Zl. 89/13/0069 und Zl. 89/13/0070, aufrechterhalten.

Sachverhaltsbezogen ist hervorzuheben, daß den zitierten Erkenntnissen durchwegs Fälle zugrundelagen, in denen im jeweiligen Veranlagungszeitraum wenigstens teilweise zeitliche Kongruenz der Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers im Rahmen eines Dienstverhältnisses zur Gesellschaft und dessen wesentlicher Beteiligung bestand; es konnte somit - wenigstens einen Teil des jeweiligen Veranlagungszeitraumes betreffend - davon ausgegangen werden, daß die "Tätigkeit" von einem "wesentlich Beteiligten" ausgeübt werde.

Dem Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 89/13/0114, lag ein Fall zugrunde, in dem dem Gesellschafter-Geschäftsführer Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zugeflossen waren, in dem eine wesentliche Beteiligung an der Gesellschaft bestanden hatte. Anspruchsbegründend war jedoch die Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers in der Zeit vor dem Erwerb der wesentlichen Beteiligung gewesen. Diesen zuletzt erwähnten Umstand erachtete der Gerichtshof als ausschlaggebend für die Qualifikation der strittigen Einkünfte als solche aus nichtselbständiger Tätigkeit. Begründend wurde die Auffassung vertreten, § 22 Abs. 1 Z. 2 EStG 1972 stelle erkennbar auf Vergütungen für bestimmte TÄTIGKEITEN ab. Die Subsumtion von Tätigkeitsvergütungen unter die Einkünfte aus sonstiger selbständiger Tätigkeit hänge daher von der Art der ausgeübten Tätigkeit ab. Tatbestandsmerkmal der Tätigkeiten, deren Vergütung unter § 22 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. falle, sei die wesentliche Beteiligung des tätigen Steuerpflichtigen an jener Kapitalgesellschaft, für die er die Tätigkeit ausübe. Nur die Tätigkeit eines wesentlich Beteiligten falle unter die zitierte Bestimmung. Diese Verknüpfung der Tätigkeit mit der Person des Tätigen ergebe sich nicht nur aus dem notwendigen Bezug jeder einkommensteuerlich relevanten Tätigkeit zu einem bestimmten Steuersubjekt; auch der Wortlaut der zitierten Bestimmung spreche für eine solche Auslegung. So werde im zweiten Satz des § 22 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. ausdrücklich von Vergütungen jeder Art gesprochen, "die ... an wesentlich Beteiligte für ihre ... Beschäftigung gewährt werden". Die Beschäftigung müsse demnach von einem wesentlich Beteiligten ausgeübt werden. Auch im letzten Satz der zitierten Vorschrift werde ein wesentlicher Zusammenhang zwischen ausgeübter Tätigkeit und wesentlicher Beteiligung hergestellt. Die wesentliche Beteiligung müsse somit im Tätigkeitszeitraum oder - im Falle der Anwendung des letzten Satzes der zitierten Vorschrift - während mehr als der Hälfte eines zehnjährigen Zeitraumes vor Beendigung der Tätigkeit bestanden haben.

Für den Beschwerdefall ergibt sich aus der dargestellten Rechtsprechung folgendes:

Zwar fällt die Tätigkeit der Beschwerdeführerin, die den Anspruch auf die strittigen Vergütungen begründet, und der Erwerb der wesentlichen Beteiligung in ein und denselben Veranlagungszeitraum. Dennoch liegt kein Fall vor, in dem - im Sinne des Erkenntnisses vom 18. März 1991, Zl. 90/14/0009 - im Hinblick auf den Erwerb der wesentlichen Beteiligung im Veranlagungszeitraum die in diesem bezogenen Vergütungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Z. 2 EStG 1972 Einkünfte aus selbständiger Arbeit wären, weil es an dem nach dem Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 89/13/0114, vorausgesetzten Merkmal der wenigstens teilweisen zeitlichen Kongruenz von "Tätigkeit" und "wesentlicher Beteiligung" in ein und demselben Veranlagungszeitraum fehlt. Vielmehr ergibt sich aus der Anwendung der im zuletzt zitierten Erkenntnis entwickelten Grundsätze auf den Beschwerdefall, daß die Beendigung der anspruchsbegründenden Tätigkeit vor dem Erwerb der wesentlichen Beteiligung der Anwendung von § 22 Abs. 1 Z. 2 EStG 1972 entgegensteht.

Die belangte Behörde ging in der Sache somit von einer dem Gesetz nicht entsprechenden Rechtsansicht aus. Davon ausgehend entspricht auch der Wiederaufnahmsbescheid nicht dem Gesetz; denn es handelte sich beim Erwerb einer wesentlichen Beteiligung durch die Beschwerdeführerin unter den sonstigen Gegebenheiten des Beschwerdefalles um keinen Umstand, der allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch vom früheren Sachbescheid abweichenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993150001.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten