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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsgegenstandLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung eines Teiles des Österreichischen Lebensmittelbuches betreffend Milch und Milchprodukte mangels Erlassung als Verordnung; kein Verordnungscharakter des Österreichischen LebensmittelbuchesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Die antragstellende Gesellschaft vertreibt nach eigener Darstellung in Österreich Lebensmittel, insbesondere das Produkt "Gervais-Hüttenkäse", welches als Milchprodukt mit einem Wassergehalt von 81,9 % zur "internationalen" Produktgattung "Cottage Cheese" gehört.
Am 2. Mai 1990 erfolgte durch den damaligen Bundesminister für Gesundheit und öffentlicher Dienst auf Grund eines Beschlusses der Kommission zur Herausgabe des Österreichischen Lebensmittelbuches (Codexkommission) die Herausgabe der Teilkapitel "Milchmischerzeugnisse", "Ungereifte Käse" und "Topfencremen" des Kapitels B 32 "Milch und Milchprodukte", III. Auflage. Das Teilkapitel "Ungereifte Käse" legt darin für "Cottage Cheese" einen Höchstwassergehalt von 78 % fest. Die Veröffentlichung erfolgte in den "Mitteilungen der österreichischen Sanitätsverwaltung", Heft Nr. 7 - 8/1990.
Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG begehrt die antragstellende Gesellschaft, "den Erlaß der Republik Österreich, Bundeskanzleramt, Zahl 72.032/1-VII/1B/90, soweit er in seinem Teilkapital 'Ungereifte Käse' einen Höchstwassergehalt von 78 % vorschreibt", als gesetzwidrig aufzuheben.
Die antragstellende Gesellschaft erachtet sich durch diesen "Erlaß" in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt, da dieser den Vertrieb von Hüttenkäse nach dem üblichen internationalen Rezept mit einem Wassergehalt von 82 % verhindert.
2. Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz erstattete eine Äußerung, in der er die Zurückweisung des Antrages begehrt, weil das Österreichische Lebensmittelbuch - jedenfalls hinsichtlich des angefochtenen Teiles - nicht als Verordnung erlassen wurde.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
I. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 10224/1984, festgestellt hat, mißt der Gesetzgeber dem Österreichischen Lebensmittelbuch (im folgenden: ÖLMB) - auch in einzelnen Teilen - nicht die Qualität einer Verordnung zu. Dem Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz obliegt nach §51 Lebensmittelgesetz 1975 (im folgenden: LMG 1975) die Herausgabe des ÖLMB. Der Wortlaut des Gesetzes spricht dagegen, daß der Gesetzgeber den Bundesminister mit der Erlassung einer Verordnung beauftragen wollte. Nach dem Gesetz dient das ÖLMB der Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen von dem LMG 1975 unterliegenden Waren. Der Gesetzgeber ordnet nicht die Verbindlichkeit dieser Bezeichnungen, Begriffe, Methoden, Beurteilungsgrundsätze sowie der Richtlinien an. Nach dem gesamten Konzept des LMG 1975, insbesondere aus §51 des Gesetzes, ergibt sich, daß im ÖLMB lediglich Erfahrungswerte zur allgemeinen Kenntnis gebracht werden sollen. Auch aus §10 Abs2 LMG 1975 geht unzweifelhaft hervor, daß - wie immer die Eigenschaft des ÖLMB rechtlich zu beurteilen sein mag - der Gesetzgeber ihm nicht die Qualität einer Verordnung geben wollte.
§10 Abs2 LMG 1975 lautet:
"Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz kann in Vollziehung des Abs1 Teile des Österreichischen Lebensmittelbuches (§51) als Verordnung erlassen."
Damit ist aber eindeutig geklärt, daß dem ÖLMB nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die Eigenschaft einer Verordnung zukommt.
§10 Abs2 LMG 1975 schließt es von vornherein aus, das ÖLMB nach dem Willen des Gesetzgebers als Verordnung zu betrachten. Die Bestimmung ermöglicht es vielmehr nur, Teile des ÖLMB als Verordnung zu erlassen.
Der Verfassungsgerichtshof kann im vorliegenden Fall auch nicht finden, daß die ausdrücklich als "Bekanntgabe" bezeichnete Herausgabe des Kapitels B 32 des ÖLMB "Milch und Milchprodukte" in der Anlage zum Erlaß des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 2. Mai 1990, Z72.032/1-VII/1B/90, ihrem Wortlaut nach dafür spricht, daß der Bundesminister entgegen dem Gesetzesauftrag (, wonach das ÖLMB - lediglich - der Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen von dem LMG 1975 unterliegenden Waren dient,) eine für die Allgemeinheit verbindliche Norm erlassen hat. Der angefochtene Teil des ÖLMB wurde auch nicht als Verordnung gemäß §10 Abs2 LMG erlassen.
Da demnach der angefochtene Teil des ÖLMB nicht die Eigenschaft einer Verordnung hat, ist der auf Art139 Abs1 B-VG gestützte Antrag auf Aufhebung dieses Teiles wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen, ohne daß auf das weitere Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft einzugehen war.
Dieser Beschluß konnte in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnungsbegriff, Lebensmittelrecht, Lebensmittelbuch ÖsterreichischesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:V206.1991Dokumentnummer
JFT_10079383_91V00206_00