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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfall im weiteren Sinn. Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §412 Abs2 ASVG mit E v 28.02.92, G293/91.Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit Bescheid vom 5. August 1991 schrieb die Burgenländische Gebietskrankenkasse der beschwerdeführenden Gesellschaft als Dienstgeberin unter Berufung auf §§409 und 410 iVm §§4 Abs1 und 2, 34 Abs1, 49 Abs1 und 2, 54 Abs1, 56 ASVG sowie §1 ArbeitslosenversicherungsG Sozialversicherungsbeiträge einschließlich weiterer Beiträge wegen Nichtmeldung bzw. Unterversicherung sozialversicherungspflichtiger Dienstnehmer sowie gemäß §113 Abs1 ASVG einen Beitragszuschlag vor. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch und stellte gleichzeitig den Antrag, jenem gemäß §412 Abs1 und 2 ASVG aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies der Landeshauptmann von Burgenland diesen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit näherer Begründung unter Anwendung des §412 Abs2 ASVG idF BGBl. 13/1962 (mithin idF vor der 50. Novelle zum ASVG, BGBl. 676/1991) ab.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Anwendung des verfassungswidrigen §412 Abs2 ASVG geltend gemacht.
Mit Erkenntnis vom 28. Feber 1992 G293/91 ua. sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß §412 Abs2 ASVG, BGBl. 189/1955, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 13/1962 verfassungswidrig war.
II. Die Beschwerde ist begründet.
1. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 28. Feber 1992 statt.
Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 15. November 1991 - also noch vor der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.
Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
Es ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde sowie daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500 enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B1281.1991Dokumentnummer
JFT_10079378_91B01281_00