TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/22 G65/92

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Veröffentlicht am 22.06.1992
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
EStG 1988 §3 Abs1 Z4 litc

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Bestimmungen über die Beschränkung der Steuerfreiheit von Unfallrenten ab einem bestimmten Grad der Behinderung im EStG 1988

Spruch

In §3 Abs1 Z4 litc des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, in der Fassung des Pensionskassengesetzes, BGBl. Nr. 281/1990, werden die Ausdrücke "20 %" und der zweite Halbsatz ("erhält ein Steuerpflichtiger ... dieser Behinderung steuerfrei") als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anders als das Einkommensteuergesetz 1972 unterwirft das Einkommensteuergesetz 1988 die Unfallrenten der Steuerpflicht. §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 ließ allerdings in der - rückwirkend in Kraft gesetzten - Neufassung des Abgabenänderungsgesetzes 1989 zusammen mit den in litc bezogenen anderen Teilen der Z4 steuerfrei

"b) Erstattungsbeträge aus einer gesetzlichen Sozialversicherung für Kosten der Kranken- und Unfallheilbehandlung

...

c) 20 % anderer als in litb, litd und litf genannter Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversorgung oder einer ausländischen Unfallversorgung, die einer inländischen gesetzlichen Unfallversorgung entspricht, sowie 20 % dem Grunde und der Höhe nach gleichartiger Bezüge aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen; erhält ein Steuerpflichtiger auf Grund seiner Behinderung derartige Bezüge und beträgt die der Bemessung der Unfallrente zugrundeliegende nachgewiesene Behinderung mehr als 20 %, so sind die Bezüge im Prozentsatz dieser Behinderung steuerfrei

d) Zusatzrenten für Schwerversehrte ...

...

f) Übergangsgelder aus der gesetzlichen Sozialversicherung ..."

Schon das Pensionskassengesetz, BGBl. 281/1990, änderte die litc neuerlich und zwar gleichfalls rückwirkend für Veranlagungs(Abzugs)zeiträume nach dem 31. Dezember 1988, indem es aus dem letzten Halbsatz nach dem Strichpunkt die Wortfolge "erhält ein Steuerpflichtiger aufgrund seiner Behinderung derartige Bezüge und" entfernte.

Mit der Einkommensteuergesetznovelle BGBl. 28/1991 wurde die Z4 des §3 Abs1 EStG 1988 abermals geändert und die in Prüfung gezogene Vorschrift (mit Wirkung für Veranlagungen ab 1991 und den Abzug für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 31. Dezember 1990 enden) neu gefaßt; sie lautet nunmehr:

"c) Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung oder aus einer ausländischen gesetzlichen Unfallversorgung, die einer inländischen gesetzlichen Unfallversorgung entspricht, sowie dem Grunde und der Höhe nach gleichartige Bezüge aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen".

1. Der Beschwerdeführer bezieht seit 1974 eine Kriegsopferrente aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 %. Nach behinderungsbedingten Unfällen in den Jahren 1980 und 1981 erhält er außerdem seit 1984 eine "Gesamtdauerrente" nach dem Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) im Ausmaß von 30 % der Vollrente auf Basis einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 %. Während aber die Kriegsopferrente gemäß §3 Abs1 Z1 EStG 1988 ("Versorgungsleistungen an Kriegsbeschädigte ... aufgrund der versorgungsrechtlichen Bestimmungen") von der Einkommensteuer befreit ist, wird von 70 % der Gesamtdauerrente nach dem B-KUVG Lohnsteuer einbehalten.

Der im Devolutionsweg ergangene Bescheid der Finanzlandesdirektion weist den Antrag auf Rückzahlung der 1989 einbehaltenen Lohnsteuer - weil die Unfallrente für eine Dienstbeschädigung gewährt werde, die von einer Schwerkriegsbeschädigung ausgelöst worden sei - mit der Begründung ab, das EStG 1988 habe die grundsätzliche Steuerpflicht für Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung eingeführt und das Abgabenänderungsgesetz 1989 habe sie nur eingeschränkt. Versehrtenrenten seien lediglich nach dem Ausmaß der Behinderung steuerfrei (§3 Abs1 Z4 litc EStG 1988). Würden mehrere Versehrtenrenten gewährt, so sei nur der der jeweiligen Rente zugrundeliegende Grad der Behinderung für die Steuerbefreiung maßgeblich.

Die Beschwerde gegen diesen Bescheid macht geltend, die in Rede stehende Rente dürfe der Einkommensteuer nicht unterzogen werden, weil sie nicht Einkommen, sondern Abgeltung für den (teilweisen) Verlust der Arbeitsfähigkeit sei; jedenfalls sei es aber unsachlich, trotz des Zusammenhanges dieser Rente mit einer Kriegsbeschädigung nicht die der Kriegsopferrente zugrundeliegende 90 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern nur eine 30 %ige Minderung anzunehmen.

2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Gerichtshof die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des litc des §3 Abs1 Z4 EStG 1988 beschlossen. In der vorläufigen Annahme, daß er sie bei Beurteilung der Beschwerde in der Fassung des Pensionskassengesetzes - also vor der Einkommensteuernovelle 1991 - anzuwenden hätte, hat er das Bedenken geäußert, daß diese Bestimmung gegen den Gleichheitssatz verstößt.

Der Bericht des Finanzausschusses zum Abgabenänderungsgesetz 1989 (1162 BlgNR, 17.GP 3) hatte die Änderung wie folgt motiviert:

"Die volle Besteuerung von Unfallrenten hat in der Praxis gezeigt, daß insbesondere bei Personen mit einem hohen Grad an Behinderung Härtefälle auftreten. Es wird nunmehr vorgesehen, daß von sämtlichen nach der derzeitigen Rechtslage steuerpflichtigen Leistungen 20 % dieser Leistungen steuerfrei sind. Dieser steuerfreie Sockelbetrag gilt unter anderem auch für solche Leistungen aus der Unfallversorgung, die nicht dem Behinderten selbst, sondern anderen Personen zustehen (z.B. Witwen- und Waisenrenten, Sterbegelder).

Erhält ein zu mehr als 20 % Erwerbsgeminderter selbst Leistungen aus der Unfallversorgung, so sollen diese in jenem prozentmäßigen Ausmaß steuerfrei sein, das dem prozentmäßigen Grad der Behinderung entspricht. Eine allfällige Zusatzrente für Schwerversehrte bleibt immer in vollem Umfang steuerfrei. Beispielsweise wären bei einem 30 %igen Ausmaß der Behinderung 30 % der Bezüge steuerfrei, bei einem 60 %igen Ausmaß der Behinderung 60 % der Grundrente und die gesamte Zusatzrente und bei einer 100 %igen Behinderung die gesamte Grundrente und die gesamte Zusatzrente steuerfrei."

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen formulierte der Gerichtshof seine Bedenken wie folgt:

Geht man von der allgemeinen Zielsetzung des EStG 1988 aus, die vorher generelle Steuerfreiheit der Bezüge aus einer gesetzlichen Kranken- oder Unfallversorgung dahingehend einschränken, 'daß derartige Transferleistungen insoweit steuerpflichtig werden, als sie Einkommensersätze darstellen', so ist auf die besondere Funktion der Versehrtenrente zu sehen, die der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 9936/1984 bei Beurteilung der zu ihren Gunsten verfügten Pfändungsbeschränkungen hervorgehoben hat. Insbesondere Bezieher von Versehrtenrenten, die aufgrund einer niedrigen Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt werden, scheiden vielfach nicht aus dem Berufsleben aus, sodaß die Rente häufig keinen Einkommensersatz darstellt."

Tomandl (System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 2.3.3.2.3.1., 5. ErgLfg., S. 329) umschreibt - wie der Prüfungsbeschluß ausführt - die Funktion der Versehrtenrente so:

"Anvisiert wird zwar der eintretende Verdienstentfall, was vor allem in der Bildung der Bemessungsgrundlage zum Ausdruck kommt. Die hier vorgenommene abstrakte Schadensberechnung bedeutet in Fällen leichterer Körperschäden allerdings meist nur den Ausgleich von Erschwernissen, künftigen Berufsunsicherheiten und des Verschleißes an körperlicher Substanz, da Leichtverletzte in aller Regel voll weiter arbeiten und keinen Vermögensschaden erleiden. Schwerversehrte erhalten demgegenüber wegen der Berechnungsformel und der Bemessungshöchstgrenze nicht einmal immer den tatsächlichen Verdienstentgang ersetzt; die Beeinträchtigung künftiger Aufstiegschancen wird durch die Versehrtenrente nicht entschädigt."

Es schien dem Gerichtshof daher,

"... daß die oben wiedergegebene Motivation des Ausschußberichtes, Härtefälle (insbesondere) bei Personen mit einem hohen Grad an Behinderung zu vermeiden, nur einen, und zwar jenen Gesichtspunkt berücksichtigt, der dem Gesetzgeber sogar den größeren rechtspolitischen Spielraum läßt, während eben jene - vielleicht weniger deutlich ins Auge springenden - Fälle vernachlässigt werden, in denen die Versehrtenrente kein Einkommensersatz ist. Steht nämlich gerade bei Renten aufgrund einer niedrigen Minderung der Erwerbsfähigkeit der Ausgleich von Erschwernissen, künftigen Berufsunsicherheiten und des Verschleißes an körperlicher Substanz im Vordergrund, so dürfte die Steuerfreiheit der Bezüge 'im Prozentsatz dieser Behinderung' mit einer Mindestgrenze von 20 % ein untaugliches und daher unsachliches Kriterium für die Abgrenzung steuerpflichtiger Einkommensersätze von steuerfreiem Ausgleich für andere Nachteile sein."

3. Die Bundesregierung hat von einer Äußerung abgesehen.

III. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist nur

in bezug auf die Ausdrücke "20 %" und den zweiten Halbsatz (nach dem Strichpunkt) zulässig, im übrigen aber einzustellen.

Die Bedenken richten sich nur gegen die Beschränkung der Steuerfreiheit auf einen Teil der Bezüge (nämlich 20 % oder den höheren Grad der Behinderung). Diese Beschränkung wird durch die beiden Ausdrücke "20 %" im ersten Halbsatz und den (seit der Änderung durch das Pensionskassengesetz verkürzten) zweiten Halbsatz nach dem Strichpunkt bewirkt. Die Beseitigung dieser Ausdrücke und Wortfolgen läßt einen verfassungsrechtlich unbedenklichen, zwar sprachlich - wegen des Genetivs in "anderer", "genannter" und "gleichartiger" - fehlerhaften, aber inhaltlich eindeutigen Text bestehen, der insbesondere das allfällige Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens auch im Anlaßfall im Sinne der Bedenken wirksam macht und verhindert, daß das Gegenteil - nämlich volle Steuerpflicht der Bezüge - eintritt.

Da gegen den solcherart verbleibenden Text keine Bedenken geäußert werden, ist das Gesetzesprüfungsverfahren insoweit unzulässig.

IV. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind begründet. Die im Spruch genannten Teile der litc des §3 Abs1 Z4 EStG 1988 verstoßen gegen den Gleichheitssatz.

Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken zerstreut hätte. Es kann dahingestellt bleiben, welche - insbesondere öffentlichen - Geldleistungen der Gesetzgeber als Einkommen der Steuer unterwerfen darf. Der in der vorliegenden Regelung unternommene Abgrenzungsversuch innerhalb der Bezüge aus der gesetzlichen oder dieser gleichartigen Unfallversicherung ist jedenfalls untauglich. Da gerade bei Renten aufgrund einer niedrigen Minderung der Erwerbsfähigkeit der Ausgleich von Erschwernissen, künftigen Berufsunsicherheiten und des Verschleißes an körperlicher Substanz im Vordergrund steht, ist die Steuerfreiheit der Bezüge im Ausmaß der Behinderung mit einer Mindestgrenze von 20 % ein unsachliches Kriterium für die angestrebte Abgrenzung steuerpflichtiger Einkommensersätze von steuerfreiem Ausgleich für andere Nachteile.

Die für diese Abgrenzung maßgeblichen Teile der litc des §3 Abs1 Z4 EStG 1988 sind daher verfassungswidrig. Da sie für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Einkommensteuergesetznovelle 1991 noch in Geltung stehen, sind sie aufzuheben.

Die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG, der Ausspruch über das Nichtwiederinkrafttreten früherer Bestimmungen auf Art140 Abs6 B-VG.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Einkommensteuer, Steuerbefreiungen, Einkunftsarten sonstige (Einkommensteuer), Renten, Körperbehinderte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G65.1992

Dokumentnummer

JFT_10079378_92G00065_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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