TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/17 93/18/0581

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Veröffentlicht am 17.11.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991;
AVG §46;
AVG §66 Abs4;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z6;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §21;
VStG §31;
VStG §51 Abs6;
VStG §55 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Y in B, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 22. September 1993, Zl. III 104/93, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 22. September 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit den §§ 19, 20 und 21 FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von 5 Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 3. August 1991 bei der Grenzkontrollstelle Spielfeld/Straß eingereist. Die Einreise sei ihm gestattet worden, weil er im Besitz des von der österreichischen Botschaft in Ankara am 26. Juli 1991 ausgestellten, bis 26. August 1991 gültigen Sichtvermerkes mit dem Vermerk "LKW-Fahrer" gewesen sei. Am 5. August 1991 habe sich der Beschwerdeführer an der Adresse seines Bruders in Telfs polizeilich gemeldet. Er habe am 26. August 1991 am Gendarmerieposten Telfs einen bei der Caritas verfaßten Asylantrag abgegeben, weil er Kurde sei und deshalb nicht mehr in die Türkei zurückkehren könne. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 1991 sei festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung sei von ihm anläßlich einer persönlichen Vorsprache am 28. Dezember 1992 zurückgezogen worden, weil er als Küchenhilfe arbeite und eine Beschäftigungsbewilligung habe.

Zur Ausstellung des Einreisesichtvermerkes des Beschwerdeführers vom 26. Juli 1991 habe die österreichische Botschaft in Ankara auf Anfrage mitgeteilt, daß die Sichtvermerkserteilung, wie sich später herausgestellt habe, aufgrund einer Gefälligkeitsbestätigung einer Transportfirma erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe dazu am 8. Oktober 1991 niederschriftlich angegeben:

"Am 23.7.1991 wollte ich bei der österreichischen Botschaft in Ankara legal um einen Sichtvermerk für die Einreise nach Österreich ansuchen. Damals warteten viele andere Landsleute vor der Botschaft, die ebenfalls einen Sichtvermerk wollten. Von diesen habe ich die Voraussetzungen und Bedingungen, die zur Erlangung eines Sichtvermerkes notwendig sind, erfahren. Da ich diese Voraussetzungen nicht erbringen konnte, habe ich dann nicht mehr angesucht. Vor der Botschaft wurde ich von einem Türken angesprochen, der mir erklärte, daß er mir für 5 Mio. türkische Lira - umgerechnet ca. S 12.000,-- - ein österreichisches Visum besorgen kann. Ich war damit einverstanden, nachdem ich legal das Visum nicht bekommen hätte. Ich übergab dem Türken meinen Reisepaß. Nach drei Tagen haben wir uns vor der Botschaft zur Übergabe des Reisepasses verabredet. Ich mußte keinen Sichtvermerksantrag unterschreiben. Die ganzen Formalitäten hat dieser Mann gemacht. Wie verabredet, habe ich mich dann mit dem Mann getroffen und er hat mir den Reispaß mit dem österreichischen Sichtvermerk übergeben. Bei der Übergabe kam es zur Geldübergabe der 5 Mio. Lira. Auf welche Weise der Türke den österreichischen Sichtvermerk erlangt hat, kann ich nicht sagen. ..."

Die Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet und sein anschließender Aufenthalt bis 26. August 1991 im Bundesgebiet seien zwar formell rechtmäßig, materiell aber völlig rechtswidrig, weil er mit dem Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist sei, den er sich um den Betrag von ca. S 12.000,-- durch einen anderen Türken bei der österreichischen Botschaft in Ankara "besorgen" habe lassen. Die Rechtswidrigkeit dieser Vorgangsweise sei ihm bewußt gewesen, er sei dafür voll verantwortlich. Seit 27. August 1991 sei der Aufenthalt des Beschwerdeführers materiell und formell rechtswidrig. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers, nämlich seine vorsätzlich materiell rechtswidrige Einreise, sein anschließender, ebenfalls vorsätzlich materiell rechtswidriger Aufenthalt bis 26. August 1991 sowie sein materiell und formell rechtswidriger Aufenthalt seit 27. August 1991 bzw. das vorsätzliche Besorgenlassen des Einreisesichtvermerks, seien "bestimmte Tatsachen" im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG, die die Annahme rechtfertigten, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde.

Zum Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot werde auf den relativ kurzen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich verwiesen und darauf, daß sich seine Gattin und zwei Kinder in der Türkei aufhielten. Aus diesem Sachverhalt sei der Schluß zu ziehen, daß das Aufenthaltsverbot keinen relevanten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 19 FrG darstelle; dies mit der Folge, daß nicht mehr darauf eingegangen werden müsse, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei, und sich die ansonsten nach § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung erübrige. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspräche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen, sie orientiere sich an der Frist des § 55 Abs. 1 VStG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 18 Abs. 2 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder (Z. 6) gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 Abs. 1 und 3 zu verschaffen.

Die Beschwerde führt aus, daß der Beschwerdeführer beabsichtigt habe, seinen Bruder zu besuchen. In Österreich sei ihm während seines Aufenthaltes von verschiedenen Seiten mitgeteilt worden, daß er aufgrund der Tatsache, daß er Kurde sei, gar nicht mehr in die Türkei zurückkehren könne, weil ihn dort sehr schlimme Sanktionen erwarten würden. Es könne daher nicht die Rede davon sein, daß er sich den Sichtvermerk nur dazu beschaffen habe lassen, um sich längere Zeit in Österreich aufzuhalten und um einer Beschäftigung nachzugehen.

Die belangte Behörde hat unter Zugrundelegung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers geprüft, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Bei dem von der belangten Behörde angenommenen und in der Beschwerde nicht bestrittenen, oben wiedergegebenen Sachverhalt, der gemäß § 41 Abs. 1 VwGG der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugrundezulegen ist, ist der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG als verwirklicht anzusehen. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 8. Oktober 1991 ist von seinem positiven Wissen über die Unrichtigkeit der Angabe des Reisezweckes bei der Antragstellung auf Erteilung des Sichtvermerkes auszugehen. Der Beschwerdeführer bediente sich zur Beschaffung des Sichtvermerkes der entgeltlichen Hilfe eines nicht berufsmäßigen Vertreters und war sich hiebei darüber im Klaren, daß er auf legalem Wege einen Sichtvermerk nicht bekommen würde. Bei dieser Sachlage - positives Wissen des Beschwerdeführers über die Unrichtigkeit der Angabe im Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes - ist von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG auszugehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 93/18/0580, und vom 6. Oktober 1994, Zl. 93/18/0365). Diese "bestimmte Tatsache" im Sinne des § 18 Abs. 1 leg. cit. rechtfertigt die Annahme, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde. Das Abstellen auf das Gesamt(fehl)verhalten durch die belangte Behörde verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten.

Der Beschwerdeführer bringt vor, es entziehe sich seiner Kenntnis, aufgrund welcher Vorwürfe nunmehr (durch den angefochtenen Berufungsbescheid) ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren verhängt worden sei. Die Behörde erster Instanz habe ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen. Zwischenzeitlich habe er jedenfalls keinen neuen Straftatbestand gesetzt, der die Berufungsbehörde zu einer höheren Strafe hätte veranlassen können. Es sei unbestritten, daß er sich bereits seit 3. August 1991 im Bundesgebiet aufhalte. Bereits am 8. Oktober 1991 sei er bei der belangten Behörde einvernommen worden und sein rechtswidriges Verhalten bekannt geworden. Es stehe somit zweifelsfrei fest, daß seine Verfolgung schon längst verjährt sei und dieser Umstand von der Behörde von Amts wegen wahrgenommen hätte werden müssen.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß auf ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes das AVG anzuwenden ist, das eine dem § 51 Abs. 6 VStG vergleichbare Bestimmung nicht enthält. Im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes besteht sohin kein Verbot der reformatio in peius, das heißt, daß der Bescheid von der Berufungsbehörde auch zum Nachteil des Berufungswerbers abgeändert werden kann. Auch die Verjährungsfristen des § 31 VStG sind unanwendbar.

Der Beschwerdeführer meint, die "Neubemessung" der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes sei ohne irgendeine Begründung bzw. ohne irgendeine Rechtfertigung erfolgt.

Dem ist zu entgegnen, daß die belangte Behörde bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände hingewiesen hat. Soweit die Dauer des Aufenthaltsverbotes bekämpft wird, ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, daß nach der

hg. Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis vom 21. Juli 1994, Zl. 94/18/0349) ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit zu erlassen ist, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann. Wenn sich die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht imstande sah, den Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes vor Verstreichen von 5 Jahren anzunehmen, so begegnet dies auf dem Boden der dargestellten Rechtslage keinem Einwand. Die Tilgungsfrist ist in diesem Zusammenhang ohne Belang (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0339).

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, daß die belangte Behörde ihre Feststellungen lediglich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren gestützt habe. Nach ständiger Rechtsprechung dürften jedoch die im Asylverfahren gemachten Angaben im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht erfaßt werden.

Dem ist zu entgegnen, daß es die vom Beschwerdeführer angesprochene ständige Rechtsprechung nicht gibt. Hingegen ist er darauf hinzuweisen, daß § 46 AVG den Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel ausspricht. Es ist somit zulässig, in einem Verwaltungsverfahren die Ergebnisse eines anderen Verfahrens zu verwerten (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

4. Auflage, Seite 342 zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Gegen die - zutreffend bejahte - Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG bringt die Beschwerde nichts vor.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Grundsatz der Unbeschränktheit Umfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peius

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993180581.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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