TE Vwgh Erkenntnis 1994/11/17 93/18/0505

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Veröffentlicht am 17.11.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §20 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
StGB §43;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Z in N, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 30. August 1993, Zl. III 144/93, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 30. August 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und 2 in Verbindung mit § 18 Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie § 21 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht Innsbruck am 17. Oktober 1986 wegen Diebstahls und am 24. Juli 1991 wegen Betruges verurteilt worden. Am 5. Mai 1993 sei er von diesem Gericht zu einer achtmonatigen bedingten Freiheitsstrafe wegen Notzucht und unbefugten Gebrauches eines Fahrzeuges verurteilt worden. Die beiden erstgenannten Verurteilungen erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG, die letztgenannte den des § 18 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall leg. cit. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1990 wegen einer Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG und in den Jahren 1991 und 1993 jeweils wegen einer Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO rechtskräftig bestraft worden. Damit sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 erster Fall FrG erfüllt.

Die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.

Das Aufenthaltsverbot sei ein schwerer Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff sei aber aufgrund der aus den rechtskräftigen Verurteilungen (seit 1986 dreimal) und den Bestrafungen (seit 1990 elf Verwaltungsstrafen) ersichtlichen Neigung des Beschwerdeführers zur Mißachtung von Rechtsvorschriften des Gastlandes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele des Schutzes der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen dringend geboten.

Der Beschwerdeführer sei seit 9 Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Er sei dementsprechend integriert und mit sonstigen Bindungen versehen. Beziehungen zu Kroatien habe er keine. Einer Berufstätigkeit gehe er derzeit nicht nach. Der Beschwerdeführer habe ein Kind aus einer inzwischen gescheiterten Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, welches sich in einer Pflegefamilie befinde. Die Mutter des Beschwerdeführers sei mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet, dieser habe den Beschwerdeführer adoptiert. Offensichtlich angesichts der völligen "Entgleisung" des Beschwerdeführers, verursacht durch seine gescheiterte Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, sei begonnen worden, ihn intensiv in die Familie seiner Mutter zu integrieren. Die Bindungen des Beschwerdeführers an das Bundesgebiet bzw. an im Bundesgebiet lebende Menschen - wie überhaupt das Leben des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen (insbesondere Mutter, Stiefvater) - würden durch das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer zwar schwer beeinträchtigt, dies wöge aber nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, wenn man sich die Vielzahl und insbesondere die Schwere der vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit begangenen Straftaten vor Augen halte. Auch bei Berücksichtigung der Gesamtheit aller Umstände sei kein für den Beschwerdeführer günstiges Ergebnis der Interessenabwägung möglich. Daß er "ein guter Arbeiter" sei, ändere nichts an seiner in der Vergangenheit hinlänglich unter Beweis gestellten Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Auch könnten die Straftaten des Beschwerdeführers nicht allesamt mit dem "seelisch bedingten Ausnahmezustand" angesichts der Trennung von seiner Freundin und seinem Kind "erklärt" werden (vgl. nur die erste Verurteilung aus dem Jahre 1986). Darüber hinaus sei zu bemerken, daß er längst volljährig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor, daß die belangte Behörde weder für eine künftige Gefährlichkeit des Beschwerdeführers noch dafür, daß er besonders gefährlich sei, Kriterien ausweisen könne. Dem Beschwerdeführer sei entgegen der ständigen Spruchpraxis der Gerichte bei einem Verbrechen der Vergewaltigung die Rechtswohltat der bedingten Verurteilung gewährt worden. Schon daraus lasse sich mit zwingendem Schluß erkennen, daß von einer allgemeinen Gefährlichkeit keine Rede sein könne. Seit dem Juli 1992 bzw. seit dem Jänner 1993 habe es keinerlei Beanstandungen des Beschwerdeführers mehr gegeben.

Der Beschwerdeführer vermag mit diesen Ausführungen keine dem angefochtenen Bescheid anhaftende Rechtswidrigkeit aufzuzeigen. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist nach § 18 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, daß der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen erheblich gefährdet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0049). Der Beschwerdeführer bringt gegen die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, daß die Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 dritter und vierter Fall FrG sowie § 18 Abs. 2 Z. 2 erster Fall leg. cit. verwirklicht seien, nichts vor. Wenn die belangte Behörde aufgrund des vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gesetzten strafbaren Verhaltens angenommen hat, daß sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Der Hinweis auf die Gewährung der bedingten Strafnachsicht ist insofern nicht zielführend, als die mit der Vollziehung des Fremdengesetzes betrauten Behörden das Vorliegen/Nichtvorliegen der im § 18 Abs. 1 FrG bezeichneten Gefährdung eigenständig zu beurteilen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0393). Der - behauptete - Umstand, daß seit dem Juli 1992 bzw. Jänner 1993 keinerlei Beanstandungen des Beschwerdeführers erfolgt seien, spricht nicht gegen die Rechtfertigung der im § 18 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme, weil dieser Zeitraum viel zu kurz ist, um daraus verläßliche Schlußfolgerungen in bezug auf das künftige Wohlverhalten des Beschwerdeführers ziehen zu können.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt auch die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, daß ungeachtet des schweren Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über ihn diese Maßnahme im Grunde des § 19 FrG zulässig, weil dringend geboten sei. Die Anzahl und die Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten bewirken, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten ist.

Der Beschwerdeführer hält die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes über ihn aus dem Blickwinkel des § 20 Abs. 1 FrG für unzulässig. Er lebe in einer wohlgeordneten Familie. Diesen Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse benötige er im Sinne einer sozialen Integration. In Kroatien habe er niemanden, an den er sich wenden könne und der ihm die entsprechende Hilfestellung geben könnte. Der Beschwerdeführer erhalte von der Familie den vollen Unterhalt, sodaß er kriminelle Handlungen zur Beschaffung des täglichen Brotes nicht notwendig habe. Er verhalte sich wohl und sei auf ständiger Suche nach Arbeit. Da der Beschwerdeführer im Sommer 1992 einen Selbstmordversuch unternommen habe, bedürfe er einer ärztlichen Behandlung, um seine Gesundheit zu stabilisieren. Der Vollzug des Aufenthaltsverbotes würde die Suizidgefahr aktualisieren. Die notwendige ärztliche Betreuung des Beschwerdeführers in Kroatien sei alles eher als gesichert.

Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit der nach § 20 Abs. 1 FrG gebotenen Interessenabwägung nicht aufzuzeigen. Die konkrete private und familiäre Situation des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde berücksichtigt und ihr erhebliches Gewicht beigemessen. Wenn sie dennoch im Hinblick auf die erhebliche Beeinträchtigung öffentlicher Interessen durch die dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten zur Auffassung gelangt ist, daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schwerer wögen als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer keine Beziehungen zu Kroatien habe, er aber dort seine Kindheit verbracht habe und seit 9 Jahren in Österreich bei seiner Mutter lebe. Eine Ausreise (oder Abschiebung) nach Kroatien bedeutet daher für den Beschwerdeführer nicht, daß er mit völlig fremden Verhältnissen konfrontiert wird. Was die Trennung von seiner Mutter anlangt, ist nicht zu erkennen, daß ein erwachsener Mann selbst bei der Suche nach Wohnung und Arbeit auf die Gegenwart seiner Mutter angewiesen ist.

Die beim Beschwerdeführer bestehende Suizidgefahr steht der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Beschwerdefall aus folgenden Gründen nicht entgegen:

Der Selbstmordversuch des Beschwerdeführers im Jahre 1992 liegt schon einige Zeit zurück und war auf eine besondere persönliche Situation zurückzuführen, die jetzt nicht mehr gegeben ist. Im Hinblick auf das dem Beschwerdeführer drohende Aufenthaltsverbot war es an diesem bzw. an dessen Familie gelegen, die ärztliche Betreuung des Beschwerdeführers bereits im Inland zu intensivieren sowie Vorsorge für eine derartige Betreuung im Ausland zu treffen. In Kenntnis des labilen psychischen Status des Beschwerdeführers war es somit an diesem bzw. seiner Familie gelegen, alles zu dessen Besserung zu unternehmen.

In der Nichtaufnahme der vom Beschwerdeführer im Zusammenhang damit beantragten Zeugen- und Sachverständigenbeweise ist daher auch kein Verfahrensmangel zu erblicken.

Das Vorbringen, daß die notwendige ärztliche Betreuung des Beschwerdeführers in Kroatien alles eher als gesichert sei, entbehrt der schlüssigen Untermauerung und vermag das Ergebnis der Interessenabwägung schon im Hinblick auf das große Gewicht der im Beschwerdefall maßgebenden öffentlichen Interessen an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer nicht zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Da sich sohin die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993180505.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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